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Das antike und das heutige Makedonien

von Andreas Schwarz

Das heutige Makedonien und die heutigen Makedonier sind vor allem namentlich mit dem antiken Makedonien und den antiken Makedoniern verbunden. Doch in welchem Verhältnis stehen das heutige Makedonien und die heutigen Makedonier zum antiken Makedonien und den antiken Makedoniern? Von welcher Art sind das moderne Makedonien und seine Bevölkerung? Wie war es in der Antike? Diese Fragen können als eine spezielle makedonische Frage zur Identität der Makedonier zusammengefasst werden. Diese Fragen machen auch einen Teil des sogenannten Namensstreits zwischen der Hellenischen Republik (Griechenland) und der Republik Makedonien aus. Ihre Klärung wird ein wesentlicher Teil der Lösung dieses Streits werden müssen, bei dem es nicht nur um eine geographische Abgrenzung der Republik Makedonien zur griechischen Region Makedonien geht.

Das antike Makedonien und die antiken Makedonier

Das antike Makedonien und die antiken Makedonier werden nach vorherrschender Auffassung in der Wissenschaft der Geschichte und Kultur des antiken Griechenlands zugerechnet. Doch gibt es auch Unterschiede zwischen den antiken Makedoniern und den anderen antiken griechischen Stämmen. Als gesichert gilt, dass die antiken Makedonier nach 1200 v. Chr. als indogermanischer Volksstamm in das Gebiet des antiken Makedonien einwanderten. Nach der vorherrschenden Auffassung waren die antiken Makedonier ein mit Illyriern und wohl auch Thrakern vermischter antiker griechischer Volksstamm. Aufgrund des illyrischen und thrakischen Einflusses sowie der Randlage Makedoniens sind auch die Unterschiede zu den anderen antiken griechischen Stämmen zu erklären. Einige sprechen deswegen eher von einer „Verwandtschaft“ zwischen antiken Makedoniern und antiken Griechen. Es gibt auch eine Auffassung, nach der die antiken Makedonier zunächst als eigenständiger nichtgriechischer Volksstamm in das makedonische Gebiet einwanderten und erst später hellenisiert wurden.

Auch über die antike makedonische Sprache gibt es unterschiedliche Auffassungen, zumal die Sprache heute ausgestorben und die Quellenlage bisher dürftig ist. Für die einen ergibt sich insbesondere aus den überlieferten Personen-, Orts- und Monatsnamen, dass die antike makedonische Sprache ein antiker griechischer Dialekt gewesen sei. Andere sind der Auffassung, dass das antike Makedonische eine eigenständige Sprache gewesen sei, die jedoch mit der antiken griechischen Sprache verwandt gewesen ist. Zwischen der antiken makedonischen und der antiken griechischen Sprache gibt es sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede. Ein Hinweis auf diese Unterschiede ist die historisch verbürgte Tatsache, dass die antiken Makedonier zunächst nicht als Hellenen anerkannt, sondern als Barbaren bezeichnet wurden. „Barbar“ bedeutet sinngemäß „fremdsprachig“.

Der Name „Makedonien“ leitet sich von den antiken Makedoniern bzw. Makedonen ab. Das Wort „Makedone“ stammt wiederum vom Wort „Maknos“ ab, das soviel wie „lang“ oder „hoch“ bedeutet. Dies kann sich sowohl auf ihren Körperbau, als auch darauf beziehen, dass die Makedonen von hoch oben aus dem Norden kamen. Das Wort Maknos bedeutet ebenfalls soviel wie „weit“, also kann der Name „Makedonien“ auch „weites Land“ bedeuten. Im Gegensatz zum gebirgigen Griechenland besteht Makedonien vor allem aus weiten Ebenen.

In der Antike gab es weder ein griechisches Staatswesen noch eine einheitliche griechische Nation im heutigen Sinne. Das antike Griechenland war eine Gemeinschaft von antiken griechischen Stämmen, die in Klein- und Stadtstaaten organisiert  und durch eine gemeinsame Kultur, Religion und Sprache verbunden waren. Auch hier unterschied sich das antike Königreich Makedonien durch seine Herrschaftsform strukturell von den anderen antiken griechischen Klein- und Stadtstaaten. Zunächst wurden nur die Angehörigen des makedonischen Königshauses als Hellenen anerkannt und zu den Olympischen Spielen zugelassen. Für die übrigen antiken Makedonier galt dies zunächst nicht.

Der makedonische König Philipp II. (359 – 336 v. Chr.) eroberte nach und nach die Herrschaft in der ganzen antiken griechischen Staatenwelt. Den Grundstein für diese Großmachtstellung Makedoniens legten bereits seine Vorgänger. Nach der Schlacht von Chaironeia im Jahre 338 v. Chr. hatte Philipp II. das ganze Gebiet des antiken Griechenlands unter seine Kontrolle gebracht. Er vereinigte die zersplitterten und meist untereinander zerstrittenen griechischen Staaten und schuf damit erstmals ein einheitliches Griechenland.

Seinem Sohn, Alexander dem Großen (336 – 323 v. Chr.), diente das geeinte, unter makedonischer Vorherrschaft stehende antike Griechenland als Basis für seine Eroberungszüge in Kleinasien. Makedonien wurde zu einem Weltreich, dessen Grenzen bis an den Indus und nach Ägypten reichten. Dementsprechend wurde auch der Hellenismus weit verbreitet. Nach seinem Tod zerfiel dieses Reich dann in den sogenannten Diadochen-Kämpfen wieder, da es keinen Nachfolger gab.

Mit dem Aufstieg des Römischen Reiches verlor das makedonische Königreich zunehmend an Bedeutung. In drei Makedonisch-Römischen Kriegen schrumpfte der Machtbereich Makedoniens immer mehr zusammen. Nach dem dritten Makedonisch-Römischen Krieg erzwang Rom 168 v. Chr. das Ende des makedonischen Königtums und die Aufteilung Makedoniens in vier selbstständige Gebiete. Im Jahre 148 v. Chr. wurden die makedonischen Gebiete als Provinz Macedonia in das Römische Reich eingegliedert. Damit endete die selbstständige antike makedonische Geschichte.

Nach der Reichsteilung im Jahre 395 n. Chr.  fiel Makedonien an das Oströmische Reich bzw. an das Byzantinische Reich, das kulturell griechisch geprägt war. Zwischenzeitlich geriet Makedonien unter bulgarische Herrschaft, bevor es zwischen 1330 – 1350 zunächst unter serbische und bis 1912 schließlich unter Osmanische Herrschaft fiel. Die vorher recht eigenständigen antiken Makedonier gingen schon vorher zusammen mit den übrigen antiken griechischen Stämmen und auch anderen Völkern in dem Griechentum der alexandrinischen, römischen und byzantinischen Zeit auf. Heute gibt es die antiken Makedonier als eigenständige Volksgruppe nicht mehr.

Das heutige Makedonien

Als Makedonien im heutigen Sinne wird in der politisch-geographischen Terminologie seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts jene Region bezeichnet, die zu den ersten Gebieten auf europäischem Boden gehörte, die vom Osmanischen Reich erobert worden ist, und die bis 1912 am längsten von allen Teilen des Balkans unter dessen Herrschaft blieb, während die Staaten Bulgarien, Montenegro, Serbien und Griechenland nach und nach bis 1878 ihre Unabhängigkeit erlangten. Auf dieses Gebiet bezog sich seit dem Jahr 1878 die makedonische Frage und der Kampf der dortigen Bevölkerung um Autonomie, Unabhängigkeit oder Anschluss an Bulgarien. Im Vertrag von Bukarest vom 10.08.1913 wurde das so definierte geographische Gebiet von Makedonien (67.313 km²) zwischen den Staaten Bulgarien (Pirin-Makedonien, 6800 km²), Griechenland (Ägäisch-Makedonien, 34.800 km²) und Serbien (Vardar-Makedonien, 25.713 km²) aufgeteilt. Auf dem Gebiet von Vardar-Makedonien wurde 1944 innerhalb der jugoslawischen Föderation der makedonische Staat gegründet, der sich 1991 unter der Bezeichnung „Republik Makedonien“ für unabhängig erklärte.

Das heutige Makedonien unterscheidet sich also territorial vom antiken Makedonien. Das Gebiet des antiken Makedoniens dehnte sich zu Zeiten des makedonischen Königs Philipp II. in nördlicher Richtung bis zu einer Linie aus, die etwa vom Ohridsee in nordöstlicher Richtung bis zum Rhodopegebirge und Philippopolis, dem heutigen Plovdiv in Bulgarien, verlief und sich dann nach Süden zum Ägäischen Meer wandte. Die nördlichen Teile des heutigen Makedoniens, etwa die makedonische Hauptstand Skopje, gehörten nicht dazu. Alexander der Große drang auf dem Gebiet des heutigen Bulgariens bis zur Donau vor, doch waren diese Eroberungen nicht mit seinen späteren in Kleinasien vergleichbar. Die römische Provinz Macedonia umfasste wiederum Gebiete, die vorher nicht zum antiken Makedonien gehörten. Dafür gingen Teile des antiken Makedoniens an andere römische Provinzen.

Während der über 500 Jahre andauernden osmanischen Herrschaft war Makedonien keine eigene verwaltungspolitische Einheit, sondern stets in verschiedene, im Laufe der Zeit sich ändernde Verwaltungsbezirke (Wilayets) aufgeteilt. Heute verteilt sich das geographische Makedonien auf die Staaten Bulgarien, Griechenland und die Republik Makedonien.

In Bulgarien wird die Bezeichnung Makedonien formell nicht verwendet. Das dortige makedonische Gebiet entspricht im Wesentlichen dem Bezirk Blagoewgrad. In Griechenland untergliedert sich die Region Makedonien formell in die Regionen Westmakedonien, Zentralmakedonien und Ostmakedonien-Thrakien. Die griechischen Regionen verfügen über das Recht der Selbstverwaltung, ausgeübt durch einen gewählten Regionalpräsidenten und einen gewählten Regionalrat. Die Republik Makedonien ist das einzige Völkerrechtssubjekt mit der Bezeichnung Makedonien. Die Verfassung der Republik Nord-Makedonien definiert diese als souveränen, selbstständigen, demokratischen und sozialen Staat.

Die heutigen Makedonier

Zwischen den heutigen und den antiken Makedoniern bestehen große Unterschiede. Im weitesten Sinne werden die Bewohner der geographischen Region Makedonien unabhängig von ihrer Ethnie oder nationalen Zugehörigkeit als Makedonier bezeichnet. Dies galt insbesondere in der Vergangenheit. Es wird in diesem Fall auch von Makedoniern im geographischen Sinne gesprochen. Im engeren Sinne wird diese Bezeichnung für die ethnischen bzw. slawischen Makedonier als Nation oder Volksgruppe und für die griechischen Makedonier als Teil der griechischen Nation oder Volksgruppe verwendet. Diese Sichtweise ist besonders in der heutigen Zeit in den Vordergrund gerückt.

Die ethnischen bzw. slawischen Makedonier

Die ethnischen bzw. slawischen Makedonier gehören zu der Gruppe der südslawischen Völker und wurden erstmals auf der zweiten Sitzung des „Antifaschistischen Rates der Volksbefreiung Jugoslawiens“ am 29.11.1943 als gleichberechtigt mit den übrigen jugoslawischen Völkern und damit als eigenständige Nation anerkannt. Die Slawen selbst sind bereits im 7. Jahrhundert in das Gebiet des antiken bzw. geographischen Makedoniens eingewandert.  Seit wann allerdings von der Existenz der ethnischen bzw. slawischen Makedonier als eigenständige Volksgruppe ausgegangen werden kann, ist umstritten. Zu Zeiten des Osmanischen Reiches wurden die Bewohner Makedoniens nach ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion bzw. Kirche differenziert. Angehörige der bulgarisch-orthodoxen Kirche galten als Bulgaren, Angehörige der griechisch-orthodoxen Kirche dementsprechend als Griechen. Eine makedonisch-orthodoxe Kirche gab es zu dieser Zeit noch nicht.

Ursache für die Herausbildung einer unabhängigen makedonischen Volksgruppe bzw. Nationalidentität war, nach mehrheitlicher Auffassung der Historiker und Ethnologen, zunächst der Berliner Kongress vom 13.07.1878 gewesen, der die makedonischen Gebiete unter osmanischer Herrschaft beließ, während Bulgarien unabhängig blieb. Auch die Balkanstaaten Griechenland, Montenegro und Serbien waren zu dieser Zeit bereits unabhängig. Vor diesem Hintergrund machte die makedonische Bevölkerung eine von den Bulgaren und anderen Völkern des Balkans separate Entwicklung durch. Der gemeinsame Kampf der makedonischen Bevölkerung (im geographischen Sinne) ab 1893 im Rahmen der „Inneren Makedonischen Revolutionären Organisation“ (IMRO), deren Höhepunkt der Illinden-Aufstand vom 02.08.1903 war, führte zur Herausbildung einer makedonischen Regionalidentität. Nach der Aufteilung Makedoniens unter den Staaten Bulgarien, Griechenland und Serbien blieb das makedonische Regionalbewusstsein aufgrund der bulgarischen und der serbischen Assimilierungspolitik vor allem in Vardar-Makedonien bestehen und bildete dort den Keim einer späteren makedonischen Nationalidentität, während in Bulgarien und Griechenland schon aufgrund des großen Bevölkerungsaustausches und einer erfolgreicheren, intensiveren Assimilierungspolitik diese Regionalidentität bzw. der mögliche Beginn einer makedonischen Nationalidentität weitgehend zurückgedrängt wurde. Schlusspunkt dieser Entwicklung war die Anerkennung der ethnischen bzw. slawischen Makedonier als eigenständige Nation und die Schaffung eines makedonischen Staatswesens innerhalb der jugoslawischen Föderation.

Nach ihrem Selbstverständnis sind die ethnischen bzw. slawischen Makedonier weder Bulgaren, Serben,  Griechen oder Albaner. Spätestens seit ihrer Anerkennung als Nation im Jahre 1943 und der Schaffung ihres Staatswesens im Jahre 1944 haben sich die ethnischen bzw. slawischen Makedonier zu einer vollwertigen Nation entwickelt. Als solche werden sie heute im Allgemeinen auch anerkannt. Nur in Bulgaren gibt es Vorbehalte gegen eine eigenständige makedonische Nation, da sie die ethnischen bzw. slawischen Makedonier als Teil der bulgarischen Kulturnation ansehen. In Griechenland gibt es zwar keine Vorbehalte gegen die Nation, jedoch gegen ihren Namen.

Die Sprache der ethnischen bzw. slawischen Makedonier

Die Sprache der ethnischen bzw. slawischen Makedonier wird heute als „Makedonisch“ bezeichnet, wobei diese Bezeichnung aus griechischer Sicht umstritten ist. Mit der antiken makedonischen Sprache hat die heutige nichts zu tun. Die makedonische Sprache gehört zur Gruppe der südslawischen Sprachen und steht lautlich zwischen der serbischen und der bulgarischen Sprache, wobei sie in der Formlehre der bulgarischen Sprache nah verwandt ist und in kyrillischer Schrift geschrieben wird.

Seit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert gab es Bemühungen, aufgrund verschiedener Dialekte eine Schriftsprache aufzubauen, von denen sich schließlich der zentralmakedonische Dialekt durchsetzte, der um die makedonische Hauptstadt Skopje herum gesprochen wird und seit dem 02.08.1944 Amtssprache in der Republik Makedonien ist.

Umstritten ist, ob die makedonische Sprache eine eigenständige Sprache oder ein westbulgarischer Dialekt ist. Eine enge Verwandtschaft zwischen der bulgarischen und der makedonischen Sprache gilt hingegen als unstrittig. Durch die Existenz einer makedonischen Nation wird diese Sprache in der Regel als makedonische Sprache anerkannt. Der Streit, ob Sprache oder Dialekt, ist mehr von politischer als akademischer Natur.

Die griechischen Makedonier

Aufgrund der Hellenisierung der antiken Makedonier sehen sich die heutigen griechischen Makedonier als deren kulturelle und einzige Erben an. Die griechischen Makedonier sind Bestandteil der griechischen Nation, sie leben hauptsächlich in der griechischen Region Makedonien und sprechen die griechische Sprache. Die griechische Region Makedonien hat heute 2,5 Millionen Einwohner, die sich überwiegend als Makedonier bezeichnen. Viele von ihnen sind im 19. und 20. Jahrhundert aus wirtschaftlichen Gründen ins Ausland abgewandert und haben dort bedeutende Auslandsgemeinden gebildet.

Die griechischen Makedonier stellen keine eigenständige Ethnie da, sondern sind Teil der griechischen Ethnie. Sie  haben vielmehr eine makedonische Regionalidentität und betrachten sich der Nationalität nach als Griechen. Auch stellen die heutigen griechischen Makedonier keine Abbildung der antiken Makedonier in die heutige Zeit dar. Eine unmittelbare Verwandtschaft zwischen antiken Makedoniern und den heutigen griechischen Makedoniern lässt sich ebenso wenig belegen wie eine Verwandtschaft zwischen antiken Makedoniern und ethnischen bzw. slawischen Makedoniern.

Fazit

Die Art des antiken Makedoniens und der antiken Makedonier präjudiziert nicht, wie es heutzutage ist. Dies gilt sowohl für die ethnischen bzw. slawischen Makedonier als auch für die griechischen. Das heutige Makedonien ist vor allem namentlich und zum Teil auch durch seine Territorialgeschichte mit dem antiken Makedonien verbunden. Doch hat das heutige Makedonien seinen eigenen, vielseitigen Charakter.  Das direkte Anknüpfen an die Geschichte des antiken Makedoniens zur Begründung von Sachverhalten in der heutigen Region Makedonien ist irrational und daher nicht zielführend.  Das heutige Makedonien, ob das griechische oder die Republik Nord-Makedonien, hat seinen eigenes Wesen und seine eigene Geschichte. Heute kann die Existenz der ethnischen bzw. slawischen Makedonier ebenso wenig bestritten werden wie die Existenz der griechischen Makedonier, sowie dass sich beide Gruppen zu Recht als Makedonier bezeichnen. Sie haben alle die vielseitige makedonische Geschichte auf unterschiedliche Art und Weise geprägt. Doch gerade in den Unterschieden und in der Vielseitigkeit wird wohl das Besondere des makedonischen Wesens liegen.