von Andreas Schwarz
Die kommunistische Einparteienherrschaft war nach dem erfolgreichen Ende des kommunistisch-jugoslawischen Volksbefreiungskampfes Ende 1944 und dem Ausschalten der anderen politischen Kräfte im Jahre 1945 bis in das Jahr 1990 fest in Jugoslawien etabliert. Die „Kommunistische Partei Jugoslawiens“ (KPJ) wurde 1919 im damaligen „Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen“ gegründet und war bereits im Jahre 1921 als staatsfeindliche Organisation verboten worden. Am 20.10.1937 übernahm Josip Broz Tito den Vorsitz in der KPJ, der erfolgreich während der Besetzung Jugoslawiens im Zweiten Weltkrieg (1941 – 1944) den kommunistisch-jugoslawischen Volksbefreiungskampf anführte und ab dem Jahr 1945 das kommunistische Herrschaftssystem in einem föderalen Jugoslawien etablierte.
Nach dem Bruch zwischen Stalin und Tito im Sommer 1948 ging der jugoslawische Kommunismus seinen eigenen Weg. Im Jahr 1952 ging aus der KPJ der föderalistisch organisierte „Bund der Kommunisten Jugoslawiens“ (BdKJ) hervor. In jeder jugoslawischen Republik und in den zwei autonomen Provinzen bzw. Gebietskörperschaften gab es eigenständige kommunistische Parteiorganisationen. Nach dem Tod von Tito am 04.05.1980 wechselte der Vorsitz des BdKJ jährlich zwischen einer Vertreterin oder einem Vertreter aus den Sozialistischen Republiken und Sozialistisch Autonomen Gebietskörperschaften.
Ende der 80er Jahre zeichnete sich der Niedergang und Zerfall des kommunistisch-jugoslawischen Gesellschaftssystems immer mehr ab. Mit dem 14. außerordentlichen Kongress des BdKJ zwischen dem 20. und 22.01.1990 begann das Ende der kommunistischen Einparteienherrschaft in Jugoslawien und die Auflösung des BdKJ.
Der 14. außerordentliche Kongress des BdKJ
Zwischen dem 20. und 22.01.1990 fand der 14. außerordentliche Kongress des „Bundes der Kommunisten Jugoslawiens“ (BdKJ) statt. Dieser Kongress fand bereits in einer Zeit statt, als aus der Wirtschaftskrise längst eine Systemkrise der „Sozialistisch Föderativen Republik Jugoslawien“ („SFRJ“) geworden war. Im Mittelpunkt des Kongresses stand eine Reformdeklaration aus 18 Punkten, bei der es um eine Neuordnung der jugoslawischen Föderation und die Stellung des BdKJ im staatlichen System ging. Diese Deklaration betraf langjährige und strittige Themen, die das ganze Gesellschaftssystem der SFRJ betrafen: die Kompetenzverteilung in der jugoslawischen Föderation, das Herrschaftsmonopol des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens, den demokratischen Zentralismus, die Menschen- und Bürgerrechte als Freiheitsrechte, die Marktwirtschaft und den politischen Pluralismus. In dieser Hinsicht standen sich vor allem Slowenien und Serbien gegenüber.
Slowenien strebte eine neue Verfassung an, gemäß dieser die jugoslawische Föderation in eine Konföderation mit weitgehend selbständigen Republiken und autonomen Gebietskörperschaften umgewandelt werden sollte. Der demokratische Zentralismus und das Herrschaftsmonopol der Partei sollten abgeschafft und Menschen und Bürgerrechte als Freiheitsrechte garantiert werden. Des Weiteren sollte es nach den Forderungen Sloweniens in ganz Jugoslawien im April 1990 allgemeine, freie und geheime Wahlen geben. Alle politischen Prozesse der Nachkriegszeit sollten einer Revision unterzogen und das Strafrecht von politischen Straftaten befreit werden. Serbien trat weiterhin für eine starke Föderation und einen starken Staat ein. Kroatien stand an der Seite Sloweniens und Montenegro an der Seite Serbiens. Bosnien und Herzegowina und Makedonien nahmen Positionen zwischen den jeweiligen Extremforderungen ein.
Letztendlich wurde auf dem Kongress nur eine wesentliche Änderung beschlossen: die Abschaffung des Herrschaftsmonopols des BdKJ und die Einführung des Mehrparteiensystems. Slowenien hatte bereits im Vorfeld angekündigt, den Kongress zu verlassen, wenn es sich nicht mit seinen Forderungen in Gänze durchsetzen könne und tat dies auch. Dem Versuch Serbiens den Kongress ohne Slowenien fortzusetzen widersetzten sich dann die Vertreter aus Bosnien und Herzegowina, Kroatien und Makedonien. Auch die Parteiorganisation der Jugoslawischen Volksarmee war nicht bereit unter diesen Umständen weiterhin am Kongress teilzunehmen. Daraufhin wurde der Kongress vertagt.
Die Entwicklung bis zur Fortsetzung des 14. außerordentlichen Kongresses des BdKJ
In Slowenien gingen die politischen Reformen sehr zügig voran. Am 07.03.1990 änderte Slowenien seine Verfassung, führte ein pluralistisches System ein und änderte den Staatsnamen von „Sozialistische Republik Slowenien“ in „Republik Slowenien“ um. Mit Inkrafttreten dieser Verfassungsänderungen am 08.03.1990 war Slowenien formell kein sozialistischer Staat mit Einparteienherrschaft mehr. Am 08.04.1990 fanden dann erstmals allgemeine, freie und geheime Wahlen in einem Mehrparteiensystem statt. Des Weiteren fanden auch Präsidentenwahlen und Wahlen für das slowenische Staatspräsidium statt. Aus den Wahlen ging die „Vereinigte Demokratische Opposition“ (DEMOS), die aus christlich-sozialen, sozialdemokratischen und liberalen Parteien bestand, als Sieger hervor. Die kommunistische Partei, die jetzt „Bund der Kommunisten Sloweniens – Partei der demokratischen Erneuerung“ hieß, kam abgeschlagen auf 17 Prozent der Stimmen und musste in die Opposition gehen. Die kommunistische Einparteienherrschaft in Slowenien war damit zu Ende.
Unmittelbar nach Slowenien folgte Kroatien mit der Einführung eines pluralistischen und demokratischen Mehrparteiensystems. Die ersten freien Wahlen in Kroatien fanden am 22./23.04.1990 statt. Aufgrund des kroatischen Wahlsystems gab es am 06./07.05.1990 noch einmal Stichwahlen. Bei dieser Wahl gewann die national-konservative „Kroatisch Demokratische Union“ (HDZ) mit 196 von 356 Parlamentssitzen die absolute Mehrheit der Stimmen. Die kommunistische Partei, die als „Bund der Kommunisten – Partei des demokratischen Wandels“ antrat, wurde mit 66 erreichten Parlamentssitzen stärkste Oppositionspartei. Mit dieser Wahl war die kommunistische Einparteienherrschaft auch in Kroatien beendet.
Am 17.05.1990 lief die Amtszeit von Milan Pančevski aus Makedonien als Präsident des BdKJ ab. Aus diesem Grunde bestellte das Präsidium des BdKJ am 15.05.1990 noch den Montenegriner Miomir Grbović als Koordinator. Die Wahl einer neuen Präsidentin bzw. eines neuen Präsidenten sollte dann auf der Fortsetzung des 14. außerordentlichen Kongresses des BdKJ erfolgen, was jedoch nicht mehr geschah.
Die Fortsetzung/ Beendigung des 14. außerordentlichen Kongresses des BdKJ und die Folgen
Am 26./27.05.1990 wurde der 14. außerordentliche Kongress des BdKJ fortgesetzt und beendet. Die Parteiorganisation aus Slowenien, Kroatien und Makedonien waren in diesem Kongress nicht mehr vertreten. Nur noch einzelne Delegierte aus diesen Republiken nahmen teil. Damit war der Versuch den BdKJ zu reformieren und wiederzubeleben gescheitert. Auf dem Kongress wurde dann endgültig beschlossen, dass der BdKJ seinen Führungsanspruch in Staat und Gesellschaft aufgibt. Des Weiteren erklärte sich der BdKJ zum gleichberechtigten Wettbewerb mit anderen Parteien im Rahmen einer „demokratisch-sozialistischen Gesellschaft“ bereit. Abgesegnet wurden auch die Beschlüsse des Präsidiums des BdKJ vom 07.03.1990, wonach Jugoslawien der damaligen Europäischen Gemeinschaft (EG) beitreten und die Organisation des BdKJ in Justiz und Verwaltung abgeschafft werden sollten.
In der weiteren Entwicklung Jugoslawiens spielte der BdKJ keine Rolle mehr. Die kommunistischen Parteiorganisationen in den jugoslawischen Republiken und autonomen Gebietskörperschaften reformierten sich oder gingen in neuen Parteien auf. Die reformierten kommunistischen Parteien waren äußerlich an den Änderungen des bzw. Zusätzen zum ursprünglichen Parteinamens zu erkennen. In Serbien schlossen sich der Bund der Kommunisten Serbiens und der Bund der Werktätigen am 16.07.1990 zur „Sozialistischen Partei Serbiens“ zusammen, die bis heute eine bedeutende politische Kraft in Serbien ist. In der jugoslawischen Republik Makedonien wurde der Bund der Kommunisten Makedoniens zunächst in „Bund der Kommunisten Makedoniens – Partei für demokratische Umgestaltung“ umbenannt. Unter dieser Bezeichnung trat diese Partei bei den ersten freien Parlamentswahlen in der Republik Makedonien am 11.11.1990 bzw. 25.11. und 09.12.1990 an. Im April 1991 ging aus dem Bund der Kommunisten Makedoniens – Partei für demokratische Umgestaltung die „Sozialdemokratische Union Makedoniens“ (SDSM) hervor, die in der Republik Makedonien entweder als größte Regierungspartei oder Oppositionspartei bis heute von Bedeutung ist.
Zu weiteren Kongressen des BdKJ oder zur Wahl einer neuen Präsidentin oder eines neuen Präsidenten kam es nicht mehr. Der BdKJ hatte nach dem 14. außerordentlichen Kongress des BdKJ faktisch aufgehört zu existieren. Am 19.11.1990 kam es zur Bildung einer neuen jugoslawischen Kommunistischen Partei. Sie trug die Bezeichnung: „Bund der Kommunisten – Bewegung für Jugoslawien“. Allerdings blieb die kommunistische Herrschaft in der Sozialistisch Föderativen Republik Jugoslawien und ihren Republiken beendet.
Die weitere Entwicklung in der SFR Jugoslawien
Die Beschlüsse des 14. außerordentlichen Kongresses des BdKJ wurden dann auch durch eine entsprechende Änderung der jugoslawischen Verfassung (Verfassung der SFRJ vom 21.02.1974) umgesetzt. Am 08.08.1990 stimmte das Parlament der SFRJ Änderungen der Verfassung und Gesetzentwürfen zu, womit die faktisch sowieso nicht mehr bestehende, führende Rolle des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens formell abgeschafft und das Mehrparteiensystem eingeführt wurde. Des Weiteren wurde das System der assoziierten Arbeit, die Selbstverwaltung der Arbeiterschaft und ihrer Betriebe, zugunsten marktwirtschaftlicher Strukturen abgeschafft. Zu weiteren Verfassungsänderungen kam es vor allem aufgrund der Gegensätze zwischen Slowenien und Serbien nicht mehr. Mit den jugoslawischen Parlamentsbeschlüssen vom 08.08.1990 war die kommunistische Herrschaft nach rund 45 Jahren offiziell beendet. Faktisch Durchbrochen war die kommunistische Einparteienherrschaft bereits mit den ersten freien Wahlen in den jugoslawischen Republiken Slowenien und Kroatien im April/Mai 1990 und aufgrund der Beschlüsse des 14. außerordentlichen Kongresses des BKJ Ende Mai 1990.
Die ersten freien Wahlen in der jugoslawischen Republik Makedonien in einem Mehrparteiensystem fanden am 11.11.1990 und 25.11.1990 (Stichwahlen) statt. Aufgrund von Unregelmäßigkeiten kam es in einigen Wahlbezirken am 09.12.1990 noch zu Wahlwiederholungen. Bei den Wahlen in Makedonien wurde die national-konservative „Innere Makedonische Revolutionäre Organisation – Demokratische Partei für makedonische nationale Einheit“ („IMRO-DPMNE“) mit 37 von 120 Parlamentssitzen stärkste Kraft. Der „Bund der Kommunisten Makedoniens – Partei für demokratische Umgestaltung“ wurde mit 31 Sitzen zweitstärkste Kraft. Allerdings stellte die reformkommunistische Partei, aus der im April 1991 die „Sozialdemokratische Union Makedoniens“ („SDSM“) hervorging, mit Hilfe von Koalitionspartnern anschließend die makedonische Regierung und verbannte die IMRO-DPMNE in die Opposition. In Bosnien und Herzegowina fanden am 18.11. und 02.12.1990 (Stichwahlen) erste freie Mehrparteienwahlen statt. Dort erfolgte ein Machtwechsel vom Bund der Kommunisten zu den nationalen Parteien der drei staatstragenden Volksgruppen (Bosniaken bzw. Muslime, Kroaten und Serben). Die muslimische „Partei der Demokratische Aktion“ (SDA) wurde stärkste Kraft, gefolgt von der „Serbischen Demokratischen Partei“ (SDS) und der „Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft“ (HDZ). In einer fragilen Koalition übernahmen die SDA, SDS und HDZ dann alle wichtigen Ämter in der jugoslawischen Republik Bosnien und Herzegowina. Der Wahlkampf und das Verhältnis dieser Parteien waren bereits von den nationalen Gegensätzen dominiert, die ab 1992 zu einem Ende der politischen Koalition und zu einem Krieg zwischen den bosnischen Ethnien führen sollte. In Serbien und Montenegro fanden am 09.12. und 23.12.1990 (Stichwahlen) erste freie Präsidenten und Mehrparteienwahlen statt. In Serbien gewann die aus dem Bund der Kommunisten und dem Sozialistischen Bund der Werktätigen hervorgegangene „Sozialistische Partei Serbiens“ (SPS) mit 194 von 250 Parlamentssitzen die absolute Mehrheit. In Montenegro erhielten die Kommunisten 83 von 125 Parlamentssitzen.
Zu Wahlen auf der Ebene der SFRJ kam es aufgrund der Zerfalls der jugoslawischen Föderation nimmt mehr. In den jugoslawischen Republiken Slowenien, Kroatien und Bosnien und Herzegowina waren aufgrund der freien Mehrparteienwahlen die Kommunisten von der Macht verdrängt worden. In der jugoslawischen Republik Makedonien konnten sich die reformierten Kommunisten als zweitstärkste Kraft nur mit Hilfe von Koalitionspartnern nach der ersten Mehrparteienwahl an der Macht halten. Nur in Montenegro und Serbien erhielten die reformierten Kommunisten bzw. die Sozialisten als Nachfolger der Kommunisten nach den ersten freien Mehrparteienwahlen eine absolute Mehrheit der Stimmen und blieben an der Macht.
Das Ende der SFRJ und ihrer Sozialtischen Republiken
Die jugoslawische Republik Slowenien änderte mit Wirkung zum 08.03.1990 ihre Verfassung dahingehend, dass neben der Einführung des Mehrparteiensystems auch die staatliche Bezeichnung von „Sozialistischer Republik Slowenien“ in „Republik Slowenien“ umbenannt wurde. Im Falle der jugoslawische Republik Kroatien wurde eine entsprechende Änderung der Staatsbezeichnung im August 1990 wirksam. In der größten jugoslawischen Republik Serbien wurde mit der Verabschiedung einer neuen Verfassung durch das Parlament am 28.09.1990 die Bezeichnung „Sozialistisch“ aus dem Staatsnamen gestrichen. Die jugoslawische Republik Makedonien benannte sich aufgrund eines Parlamentsbeschlusses vom 15.04.1991 ebenfalls von „Sozialistischer Republik Makedonien“ in „Republik Makedonien“ (seit dem 12.02.2019 „Republik Nord-Makedonien“).
Strittig blieb allerdings die Neuausrichtung der SFRJ. Slowenien und Kroatien befürworteten die Umwandlung der SFRJ in eine Konföderation aus souveränen Staaten oder die Auflösung der SFRJ. Serbien und Montenegro hielten an einem starken Bundesstaat fest und wollten ggf. sogar die Bundeskompetenzen auf Kosten der bisherigen Selbständigkeit der Republiken und autonomen Gebietskörperschaften wieder stärken. Auch die jugoslawische Bundesregierung unter Ministerpräsident Ante Marković wolle an einem starken Bundesstaat festhalten.
Die Republiken Bosnien und Herzegowina und Makedonien nahmen Positionen zwischen den extremen Auffassungen ein und versuchten noch bis Juni 1991 zu vermitteln. So sah ein am 03.06.1991 vom makedonischen Staatspräsidenten Kiro Gligorov und seinem Amtskollege aus Bosnien und Herzegowina, Alija Izetbegović, gemeinsam vorgebrachter Vorschlag noch eine Reform des jugoslawischen Bundesstaates vor. Dieser Vorschlag versuchte die Vorstellungen Sloweniens und Kroatiens, die der jugoslawischen Bundesregierung unter Ante Marković und die des serbischen Blocks (Serbien mit seinen zwei autonomen Gebietskörperschaften und Montenegro) unter einem Hut zu bringen. Nach diesem Vorschlag sollte Jugoslawien als loser Staatenverband, der weder eine klassische Föderation noch eine klassische Konföderation sein sollte, seine Souveränität, seine internationale Identität und seine äußeren Grenzen behalten, ein einheitliches Wirtschaftsgebiet mit gemeinsamer Währung, gemeinsamer Armee und Außenpolitik bilden, gleichzeitig sollten aber auch die Mitgliedsstaaten souverän sein und sogar diplomatische Missionen im Ausland unterhalten können. Dieser Vorschlag wurde bei einem Treffen der Präsidenten der sechs jugoslawischen Republiken in Sarajevo am 06.06.1991 auch positiv aufgenommen, doch von der weiteren Entwicklung im Juni 1991 überholt.
Am 25.06.1991 erklärten Kroatien und Slowenien ihre Unabhängigkeit von der SFRJ. Dies führte in Slowenien zu einem kurzen und schnell beendeten Krieg und in Kroatien zu einem bis 1995 andauernden ethnischen Krieg. Die Republik Makedonien erklärte am 18.09.1991 ihre Unabhängigkeit von der SFRJ und schaffte den Weg in die Unabhängigkeit ohne kriegerische Auseinandersetzungen. Bosnien und Herzegowina erklärte am 03.03.1992 die Unabhängigkeit von der SFRJ und wurde mit einem bis Ende 1995 andauernden, schwerwiegenden ethnischen Krieg überzogen. Serbien und Montenegro bildeten eine neue Föderation mit der Bezeichnung „Bundesrepublik Jugoslawien“. Mit der Proklamation der Bundesrepublik Jugoslawien am 27.04.1992 endete dann auch endgültig die Existenz der „Sozialistisch Föderativen Republik Jugoslawien“.
Das Scheitern des staatlichen und sozialistischen Systems der SFR Jugoslawien
Nach der Verfassung der Sozialistisch Föderativen Republik Jugoslawien vom 21.02.1974 bestand die SFRJ aus sechs weitgehend selbständigen „Sozialistischen Republiken“ mit eigenen Verfassungen, Parlamenten und Regierungen und zwei „Sozialistisch Autonomen Gebietskörperschaften“ (Kosovo, Vojvodina) im Rahmen der „Sozialistischen Republik Serbien“. Die Sozialistische Republik Serbien sah in den Sozialistisch Autonomen Gebietskörperschaften eine Beschneidung ihrer Staatlichkeit, weil diese den jugoslawischen Republiken faktisch gleichgestellt waren und nur nominell zu Serbien gehörten. Die Bundesorgane wurden praktisch auf Institutionen zurückgeführt, die einen Interessenausgleich und gemeinsame Beschlüsse der jugoslawischen Republiken und Gebietskörperschaften ermöglichen sollten. Diese stark föderative Struktur der SFRJ stand jedoch in einem unüberbrückbaren Spannungsverhältnis und in einem Widerspruch zur zentralistischen Lenkung der SFRJ durch den Bund der Kommunisten Jugoslawiens. Zwar war auch der BdKJ föderativ gegliedert, jedoch führte dies keineswegs zu Pluralismus und zu einer Dezentralisierung der Machtverhältnisse.
Die Organisation der Arbeit war ebenfalls Teil der politischen Organisation des Staates und so fanden sich in der Verfassung der SFRJ grundlegende Regelungen zum System der Selbstverwaltung der assoziierten Arbeit. Dieses System sah die „Grundorganisation der assoziierten Arbeit“ als Grundzelle für die Selbstverwaltung der Arbeiterinnen und Arbeiter vor. Diese Grundzelle stellte einen organisatorisch und technologisch abgegrenzten Teil eines Betriebes im Rahmen des jugoslawischen Selbstverwaltungssystems dar. Sie war als juristische Person konzipiert und hatte auch die Befugnis ihre Angelegenheiten durch eigene Rechtssetzung zu regeln. In der Grundorganisation der assoziierten Arbeit sollte das Ergebnis gemeinsamer Arbeit als selbständiger Wert innerhalb der Organisation der Arbeit oder am Markt zum Ausdruck kommen können. Diese Grundorganisation musste groß genug sein, um sich durch eigene Organe selbst verwalten zu können. Außerdem sollte eine Gewinn- und Verlustrechnung für die Grundorganisation der assoziierten Arbeit erstellt werden können.
Näheres zum System der assoziierten Arbeit regelte das „Gesetz über die assoziierte Arbeit“ vom 25.11.1976, das mit seinen 671 Artikeln viele Detailbestimmungen beinhaltete. Nach der Verfassung von 1974 und diesem Gesetz waren nicht mehr die Unternehmen sondern die „Grundorganisation der assoziierten Arbeit“ die alleinigen Träger der Selbstverwaltung und ihnen fiel auch das finanzielle Ergebnis ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit zu. Unternehmen bzw. Betrieben waren ein Zusammenschluss dieser politisch und finanziell autonomen Grundorganisationen. Ziel dieser Konzeption der Organisation der Arbeit war es auch den Einfluss der Manager und Technokraten in den Gremien der Selbstverwaltung der assoziierten Arbeit zurückzudrängen. Es wurde auch ein eigener Gerichtszweig für diese Form der Selbstverwaltung geschaffen. Die Gründung von Grundorganisationen der assoziierten Arbeit durch Arbeiterinnen und Arbeiter war grundsätzlich frei, so lange sie nicht den Interessen des politischen und wirtschaftlichen Systems zuwider lief. Tatsächlich führte die Neuorganisation der Selbstverwaltung der assoziierten Arbeit zu einer Atomisierung und Bürokratisierung des wirtschaftlichen Systems. Es war anfällig für Korruption und arbeitete insgesamt unwirtschaftlich.
Anfang 1990 führte der Widerspruch zwischen dem weit ausgebauten staatlichem Föderalismus und dem Zentralismus aufgrund der Einparteienherrschaft zum Zerfall des BdKJ und zu unterschiedlichen Entwicklungen in den jugoslawischen Republiken. In den westlich geprägten Republiken Slowenien und Kroatien wurden bereits Anfang 1990 anstelle des Einparteiensystems das Mehrparteiensystem eingeführt und die ersten freien Wahlen brachten dort einen Sieg für die antikommunistischen Kräfte. Infolgedessen wurde in diesen Republiken die Marktwirtschaft eingeführt und der Ruf nach noch mehr Autonomie vom jugoslawischen Bundesstaat laut. In Serbien und Montenegro wurden die erste Mehrparteienwahlen von den sozialistischen Nachfolgeparteien des BdKJ gewonnen, die für eine Stärkung des jugoslawischen Bundesstaates auf Kosten der bisherigen Autonomie der jugoslawischen Republiken eintraten und an einer bedingten Planwirtschaft festhalten wollten.
Das auf Basis der Verfassung von 1974 geschaffene staatliche und gesellschaftliche System konnte letztendlich die grundlegenden Probleme der Nationen und Nationalitäten nicht lösen. Die weitere Dezentralisierung der staatlichen Ebenen stand zunehmend in einem unauflösbaren Spannungsverhältnis mit der Einparteienherrschaft in der SFRJ und den Sozialistischen Republiken. Überlagert wurde dieses Spannungsverhältnis von einem wirtschaftlichen Auseinanderdriften der Sozialistischen Republiken und Sozialistisch Autonomen Gebietskörperschaften. Diese mündeten dann auch in ein politisches und ideologisches Auseinanderdriften, das 1990 zunächst mit umfangreichen Änderungen der Verfassung von 1974 aufgefangen werden sollte. Mit dieser Änderung der Verfassung am 08.08.1990 wurden die Einparteienherrschaft durch den Bund der Kommunisten beendet, das sozialistische Selbstverwaltungssystem der assoziierten Arbeit abgeschafft und marktwirtschaftliche Strukturen eingeführt. Diese Verfassungsänderungen bzw. der Systemwechsel konnten den Zerfall der SFRJ im Jahre 1991 allerdings nicht mehr aufhalten.