Zum Inhalt springen

Die Klärung der bulgarisch-makedonischen Frage

von Andreas Schwarz

Am 01.08.2017 wurde zwischen Bulgarien und der Republik Makedonien (seit dem 12.02.2019 „Republik Nord-Makedonien“) der „Vertrag zur Freundschaft, Guten Nachbarschaft und Zusammenarbeit“ unterzeichnet. Auch wenn dieser nicht unumstritten ist, besonders unter den Nationalisten, so dürfte er doch ein Meilenstein und Vorbild für die Region sein. Der Vertrag beruht im Wesentlichen auf einer bereits am 22.02.1999 unterzeichneten Deklaration. Zusätzlich wurde in diesem Vertrag eine gemeinsame multidisziplinäre Expertenkommission für historische und bildungsrelevante Fragen auf paritätischer Grundlage vereinbart. Die gemeinsame Geschichte soll nach objektiven, authentischen und wissenschaftlichen Kriterien bewertet und der Deutungshoheit durch die Politiker entzogen werden. Historische Ereignisse und Persönlichkeiten sollen aufgrund der vielfältigen Verbindungen zwischen Bulgarien und Nord-Makedonien in der Vergangenheit gemeinsam begangen werden und gelten damit als Bestandteile der Geschichte und Kultur von beiden Nationen. Damit wollen die Republiken Bulgarien und Makedonien ein neues Kapitel in ihren Beziehungen beginnen und ihre kulturellen Streitigkeiten endgültig beilegen.

Das diese zwischen den Republiken Bulgarien, Griechenland und Nord-Makedonien im Rahmen eines Expertengremiums unter Beteiligung der betroffenen Parteien nach wissenschaftlichen Kriterien objektiv zu klären sind, war und ist ein langjähriges Ziel der Arbeit von Goran Popcanovski und mir. Nach unserer Auffassung führt nur dieser Weg zu einer sinnvolle Klärung der kulturellen Streitigkeiten, welche ja oft auf rein emotionalen oder politischen Erwägungen beruhen und keine rationalen Hintergründe haben. Erstmalig wird damit der von uns entwickelte und geforderte Lösungsweg von zwei Parteien in diesem Kulturstreit beschritten. Allerdings stehen Bulgarien und die Republik Makedonien (seit dem 12.02.2019: „Republik Nord-Makedonien“)  noch am Anfang des Weges und sind nicht am Ziel. Ein entsprechender Vertrag wurde am 17.06.2018 auch zwischen Griechenland und der Republik Makedonien unterzeichnet (siehe Artikel Die Klärung der griechisch-makedonischen Frage“). Ein Erfolg des bulgarisch-makedonischen Weges auch zu einem Impuls für eine entsprechende Entwicklung der Beziehungen zwischen Griechenland und der Republik Nord-Makedonien führen. Denn letztendlich kann auch der Kulturstreit mit Griechenland nur auf diesem Wege erfolgreich geklärt werden.

Ausgangslage

Eine ausführliche Darstellung der Geschichte und kulturellen Entwicklung Bulgariens und Makedoniens findet sich im Artikel Die bulgarisch-makedonische Frage“. Aufgrund der Balkankriege 1912/13 endete die etwa 500-jährige Herrschaft des Osmanischen Reiches über Makedonien. Stattdessen wurde Makedonien zwischen Bulgarien, Griechenland und Serbien aufgeteilt. Bulgarien erhielt allerdings nur einen relativ kleinen Teil von Makedonien, so dass es sich um seine Kriegsbeute betrogen sah. Dies führte 1913 zum Zweiten Balkankrieg sowie in den beiden Weltkriegen (1914 – 1918 und 1941 – 1945) zur bulgarischen Besetzung der anderen Teile Makedoniens. In allen Fällen gehörte Bulgarien jedoch zu den Verlierern der Kriege, so dass die Aufteilung bestehen blieb. Im ersten jugoslawischen Staat von 1918 bis 1941 unterstützte Bulgarien den Kampf der „Inneren Makedonischen Revolutionären Organisation“ („IMRO“) mit unterschiedlicher Intensität. Innerhalb der IMRO gab es einen pro-bulgarischen Flügel, welcher für einen Anschluss Makedoniens an Bulgarien oder ein unabhängiges Makedonien unter bulgarischer Kontrolle eintrat. 

Während des kommunistisch-jugoslawischen Volksbefreiungskampfes unter Führung von Josip Broz Tito von 1941 bis 1944 kam es auch zu einem Kampf mit den bulgarischen Kommunisten um die Vorherrschaft im jugoslawischen Teil von Makedonien. Von den jugoslawischen Kommunisten wurden die ethnischen bzw. slawischen Makedonier am 29.11.1943 als eigenes Volk anerkannt und ihnen auf dem serbischen bzw. jugoslawischen Teil von Makedonien die Schaffung eines eigenen Staates in Aussicht gestellt. Dieser Staat wurde von den jugoslawisch-makedonischen Kommunisten am 02.08.1944 formell gegründet. Seitdem existiert der makedonische Staat.

Nach dem Krieg gab es zunächst eine Annäherung zwischen den bulgarischen und den jugoslawischen Kommunisten, bei der es zu einer temporären Anerkennung einer makedonischen Kulturnation im bulgarischen Teil von Makedonien kam. Geplant war die Gründung einer Föderation aus Bulgarien und Jugoslawien, innerhalb dieser der bulgarische und jugoslawische Teil von Makedonien einen Gliedstaat bilden sollte. Am 28.06.1948 kam es zum Bruch zwischen Tito und dem sowjetischen Führer Joseph Stalin. Aufgrund dieses Bruches endete auch die Annäherung zwischen Bulgarien und Jugoslawien. Von nun an vertrat Bulgarien die Auffassung, dass die ethnischen bzw. slawischen Makedonien nicht eigenständig, sondern Teil der bulgarischen Kulturnation seien und die makedonische Kulturnation eine Erfindung der jugoslawischen Kommunisten aus politischen Gründen sei.

Am 18.09.1991 erklärte die „Republik Makedonien“ die Unabhängigkeit von der sich in Auflösung befindlichen „Sozialistisch Föderativen Republik Jugoslawien“ („SFRJ“). Bulgarien erkannte am 16.01.1992 als erster Staat der Welt die Unabhängigkeit der Republik Makedonien völkerrechtlich an und brach damit auch mit der Politik der territorialen Ansprüche aus der Vergangenheit. Allerdings erkannte Bulgarien ausdrücklich keine eigenständige makedonische Kulturnation an. Erst im Rahmen einer gemeinsamen Deklaration zwischen Bulgarien und der Republik Makedonien vom 22.02.1999 wurde die makedonische Kulturnation zumindest faktisch von Bulgarien anerkannt. Aufgrund dieser Deklaration wurde von beiden Staaten gegenseitig das Recht zur nationalen Selbstidentifikation ihrer jeweiligen Bürgerinnen und Bürger anerkannt. Dies beinhalte sowohl das Recht sich zur bulgarischen als auch zur makedonischen Kulturnation zu bekennen.

Unter den nachfolgenden Regierungen geriet die Deklaration in den Hintergrund. Erst unter der am 31.05.2017 ins Amt gekommenen makedonischen Regierung unter Ministerpräsident Zoran Zaev kam es wieder zu einer Annäherung mit Bulgarien. Die neue makedonische Regierung strebt die Überwindung aller kulturellen Streitigkeiten mit ihren Nachbarstaaten sowie eine Intensivierung der Bemühungen um einen Beitritt zur Europäischen Union (EU) und NATO an. Auf Basis der Deklaration vom 22.02.1999 wurde zwischen Bulgarien und der Republik Makedonien ein Vertrag ausgehandelt, welcher am 01.08.2017 unterzeichnet und Anfang 2018 von den Parlamenten beider Staaten ratifiziert wurde.

Der „Vertrag zur Freundschaft, Guten Nachbarschaft und Zusammenarbeit

Der Vertrag besteht aus einer einleitenden Präambel und 14 Artikeln. In der Präambel wird unter anderem die gemeinsame Deklaration vom 22. Februar 1999 sowie die Entwicklung der guten nachbarschaftlichen Beziehungen, die Freundschaft und die Zusammenarbeit zwischen beiden Staaten beschworen.

In Artikel 1 ist festgelegt, dass Bulgarien und die Republik Makedonien ihre Beziehungen im Einklang mit den Grundprinzipien des internationalen Rechts und der guten nachbarschaftlichen Beziehungen entwickeln wollen. Dies wird in den nachfolgenden Artikeln dann konkretisiert.

So wollen die beiden Staaten gemäß Artikel 2 im Rahmen der Vereinten Nationen (UN), der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), des Europarates sowie von anderen internationalen Organisationen und Foren zusammenarbeiten. Bulgarien wird die Republik Makedonien in ihrem Bestreben der EU und NATO beizutreten unterstützen. Zur erfolgreichen Erfüllung dieses Zieles haben beide Parteien eine Zusammenarbeit vereinbart.

In Artikel 3 vereinbarten Bulgarien und die Republik Makedonien, dass sie die Entwicklung der Zusammenarbeit der Staaten Südosteuropas fördern und dabei Verständnis, Frieden und Stabilität in der Region stärken wollen. Dabei sollen auch regionale Projekte unterstützt werden, welche dem Prozess der Schaffung eines vereinten Europas dienen.

Zur Entwicklung der freundschaftlichen Beziehungen und der Zusammenarbeit wurde in Artikel 4 die Pflege von  Kontakten und Treffen der staatlichen Behörden beider Staaten auf verschiedenen Ebenen festgelegt. Dies schließt auch die Kontakte zwischen den lokalen Behörden sowie den Bürgerinnen und Bürgern beider Republiken mit ein.

Aufgrund ihrer geografischen Nähe zueinander wollen Bulgarien und die Republik Makedonien gemäß Artikel 5 die erforderlichen finanziellen, kommerziellen, rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für eine möglichst breite Bewegung von Dienstleistungen, Kapital und Waren schaffen. Dabei sollen gegenseitige Investitionen gefördert und ihr Schutz gewährleistet werden.

Die Erhöhung des touristischen Austausches zwischen beiden Staaten und die Entwicklung von geeigneten Formen der Zusammenarbeit auf diesem Gebiet wurden in Artikel 6 vereinbart.

Des Weiteren sollen gemäß Artikel 7 die Kommunikation und die Verkehrsverbindungen zwischen Bulgarien und der Republik Makedonien im Rahmen regionaler Infrastrukturprojekte erweitert und verbessert werden. Zu diesem Zweck sollen auch die Grenz- und Zollformalitäten für den Güter- und Personenverkehr erleichtert werden.

In Artikel 8 wurde die Förderung einer aktiven und ungehinderten Zusammenarbeit in den Bereichen Kultur, Bildung, Gesundheit, Soziales und Sport vereinbart. Um das gegenseitige Vertrauen zu stärken wurde innerhalb einer Frist von drei Monate nach dem Inkrafttreten des Vertrages eine gemeinsame multidisziplinäre Expertenkommission für historische und Bildungsfragen auf paritätischer Grundlage eingerichtet. Die gemeinsame Geschichte soll nach objektiven, authentischen und wissenschaftlichen Kriterien bewertet werden. Nach einem Jahr soll die Expertenkommission den Regierungen von Bulgarien und der Republik Makedonien einen Bericht vorlegen. Gemeinsame historische Ereignisse und Persönlichkeiten wollen beide Republiken zur Stärkung der guten nachbarschaftlichen Beziehungen im Geiste der europäischen Werte gemeinsam feiern.

Die Republiken Bulgarien und Makedonien vereinbarten in Artikel 9 die Förderung der freien Verbreitung von Informationen. Im Bereich der Massenmedien soll die Zusammenarbeit gefördert werden. Des Weiteren wollen sie sich für das Urheberrecht und die geistigen Rechte von Künstlern beider Staaten engagieren.

Im konsularischen und rechtlichen Bereich wollen beide Parteien gemäß Artikel 10 die Zusammenarbeit fördern. Dies umfasst insbesondere das Straf-, Verwaltungs- und Zivilrecht sowie die humanitären und sozialen Belange ihrer Bürgerinnen und Bürger.

In Artikel 11 vereinbarten Bulgarien und die Republik Makedonien, keine Aktivitäten zu fördern und zu unterstützen, welche feindlichen Charakter haben und sie gegen eine der Parteien richten. Beide Seiten verzichten dauerhaft auf gegenseitige territoriale Ansprüche. Sie unterstützen keine subversiven und separatistische Handlungen und Taten, welche den Frieden und die Sicherheit einer der beiden Vertragsstaaten gefährden. Jede Partei hat jedoch das Recht in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht die Interesse und Rechte seiner Bürgerinnen und Bürger in dem jeweils anderen Vertragsstaat zu schützen. Dabei bestätigt die Republik Makedonien, dass ihre Verfassung keine Interpretation zulässt, sich in die inneren Angelegenheiten der Republik Bulgarien einzumischen. Konkretisiert wird dies damit, dass der Schutz der Interessen und der Rechte von Personen sich nicht auf solche beziehen darf, welche nicht Bürgerinnen und Bürger der Republik Makedonien sind. Des Weiteren wollen Bulgarien und die Republik Makedonien wirksame Maßnahmen treffen, um böswillige Propaganda von Institutionen zu verhindern. Dies umfasst auch die Verhinderung von möglicher Anstiftung von Gewalt, Hass und ähnlichen Aktivitäten, welche den gegenseitigen Beziehungen schaden würden.

Aufgrund von Artikel 12 wollen beide Parteien spätestens drei Monate nach Inkrafttreten des Vertrages eine gemeinsame Regierungskommission einrichten. Diese soll unter dem Vorsitz der Außenminister stehen und sich aus hochrangigen Beamten beider Staaten zusammensetzen. Grundsätzlich soll die Kommission einmal im Jahr tagen, um die wirksame Durchführung des Vertrages, die Anwendung von Maßnahmen zur Verbesserung der bilaterale Zusammenarbeit und Fragen zu überprüfen, die während der Durchführung des Abkommens entstanden sind. Des Weiteren kann jede Vertragspartei bei einer entsprechenden Erforderlichkeit weitere Sitzungen der gemeinsamen Kommission beantragen.

In den Artikeln 13 und 14 befinden sich Schlussbestimmungen, welche die Ratifikation, das Inkrafttreten, mögliche Änderungen und die mögliche Kündigung des Vertrages mit den zugehörigen Fristen regeln. Das Abkommen darf nicht in irgendeiner Weise ausgelegt werden, welcher einer der Vertragsparteien widerspricht. Der Vertrag wird in der Amtssprache der beiden Parteien verfasst, einmal in bulgarischer und einmal in makedonischer Sprache gemäß der Verfassungen beider Staaten.

Schlussfolgerungen zum bulgarisch-makedonischen Vertrag

Der Vertrag ist sowohl in Bulgarien als auch in der Republik Nord-Makedonien nicht unumstritten, besonders in national gesinnten Kreisen. So wird er in der Republik Nord-Makedonien unter anderem von der national-konservativen IMRO-DPMNE abgelehnt. In gemäßigten Kreisen wird der Vertrag hingegen positiv aufgenommen. Auch im europäischen Ausland, so etwa von Deutschland oder Frankreich, wird der Vertrag gelobt. Die Kritik an dem Vertrag beruht dann auch nicht auf konkrete Tatbestände sondern auf deren Interpretation durch die Kritiker.

Der Vertrag regelt grundsätzlich die Entwicklung der gegenseitigen Beziehungen zwischen Bulgarien und die Republik Nord-Makedonien. Konkretisiert wird dies durch die vereinbarte Zusammenarbeit in vielen Bereichen. Tatsächlich trifft der Vertrag keine Festlegungen zur Interpretation von historischen Ereignissen und Persönlichkeiten sowie zu kulturellen Streitigkeiten. Diese Interpretation wird aufgrund dieses Vertrages den Politkern entzogen und einer  gemeinsamen multidisziplinären Expertenkommission für historische und Bildungsfragen auf paritätischer Grundlage überlassen. Die Geschichte von Bulgarien und der Republik Nord-Makedonien, welche trotz der im Ergebnis getrennten Entwicklungen beider Nationen in vielen Bereichen miteinander verbunden ist und auch gemeinsame Grundlagen aufweisen dürfte, soll nach authentischen, objektiven und wissenschaftlichen Kriterien bewertet werden. Einige historische Ereignisse und Persönlichkeiten dürften sowohl zur bulgarischen als auch zur makedonischen Geschichte gehören. Folgerichtig sollen entsprechende Feiertage auch gemeinsam begangen werden. Auch wenn die Geschichte Bulgariens und Makedoniens viele gemeinsame Aspekte aufweist und in bedeutenden Teilen miteinander verwoben ist, so hat sie im Ergebnis doch zu zwei Staaten und Nationen geführt.

Der durch den Vertrag vereinbarte Weg einer Klärung der kulturellen Streitigkeiten, unter der Voraussetzung, dass er erfolgreich und vertragsgemäß beschritten wird, ist der einzig sinnvolle Weg. Er bedeutet jedoch auch, dass kein Standpunkt einer Partei unumstößlich ist und die bisherigen Interpretationen durch die Parteien revidiert werden müssen. Das gefällt den Nationalisten natürlich nicht, da diese nur ihre Interpretation von historischen bzw. kulturellen Sachverhalten zulassen wollen. Sie hängen förmlich an ihren Wunschvorstellungen von historischen bzw. kulturellen Sachverhalten. Leider werden diese auch von den Politikern aus falsch verstandenem Patriotismus oder aus Gründen des Machterhaltes übernommen. Im Ergebnis behindert dies jedoch eine mögliche prosperierende Entwicklung der Staaten in der betroffenen Region und ist sogar geeignet, den Frieden und die Stabilität dort zu gefährden.

Die Historie von Staaten ist in erster Linie eine Angelegenheit der Wissenschaft, wenn sie nach objektiven Kriterien und frei von sachfremden Erwägungen erfolgen soll. Die Politik hat sich nach der Wissenschaft zu orientieren und nicht umgekehrt. Daher ist die Schaffung von entsprechenden Rahmenbedingungen ein sehr geeigneter und zielführender Weg. Mein Kollege Goran Popcanovski und ich fordern seit fast zehn Jahren die objektive Klärung von geschichtlichen bzw. kulturellen Sachverhalten nach wissenschaftlichen Kriterien. Diese soll nach unserer Auffassung im Rahmen eines Expertengremiums von entsprechenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unter Beteiligung der betroffenen Parteien erfolgen. Die daraus resultierende objektive inhaltliche Klärung soll dann politisch umgesetzt werden, vor allem in den Bildungssystemen der betroffenen Staaten und in ihrer offiziellen Informationspolitik. Im Wesentlichen haben sich Bulgarien und die Republik Nord-Makedonien in Artikel 8 des Vertrages darauf verständigt. Doch die vertragliche Vereinbarung ist nur der erste Schritt, nach meiner Auffassung durchaus ein Meilenstein und Vorbild für die betroffene Region.

Doch erst die erfolgreiche Umsetzung des Vertrages führt zum Ziel und die kann durchaus noch scheitern. Eine erfolgreiche Umsetzung des Vertrages und Klärung aller kulturellen Streitigkeiten ist jedoch ein riesiger Gewinn für die betroffenen Staaten.

Des Weiteren gibt es mit Griechenland einen weiteren Akteur im Kulturstreit um Makedonien. Dieser Streit, dessen größtes Symptom der Streit um den Namen „Makedonien“ war, wurde formell durch das sogenannte Prespa-Abkommen vom 17.06.2018 beigelegt. Zweifellos wird eine entsprechende Umsetzung mit Griechenland sehr viel schwieriger sein. Eine erfolgreiche Umsetzung des bulgarisch-makedonischen Vertrages wird jedoch Impulsgeber und Vorbild für eine Umsetzung des Vertrages mit Griechenland sein.

Aller Kritiken zum Trotz: Der „Vertrag zur Freundschaft, Guten Nachbarschaft und Zusammenarbeit“ zwischen Bulgarien und der Republik Nord-Makedonien vom 01.08.2017 ist ein erster, sehr guter und wichtiger sowie folgerichtiger Schritt. Er ist ein Meilenstein und Vorbild für die Region und hat durchaus die Chance zu einem historischem Dokument zu werden, wenn er erfolgreich und zweckgemäß umgesetzt wird.

Die Entwicklung der bulgarisch-makedonischen Frage von 2020 bis 2022

Trotz des „Vertrags zur Freundschaft, Guten Nachbarschaft und Zusammenarbeit“ flammte der Kulturstreit um Makedonien zwischen Bulgarien und Nord-Makedonien wieder auf. Gemäß Artikel 12 dieses Vertrags soll eine gemeinsame multidisziplinäre Expertenkommission von Bulgarien und Nord-Makedonien für historische und bildungsrelevante Fragen auf paritätischer Grundlage die gemeinsame Geschichte nach objektiven, authentischen und wissenschaftlichen Kriterien bewerten. Für einige strittige historische Fragen konnte auch eine einvernehmliche Klärung herbeigeführt werden. Dieses Gremium schaffte es jedoch nicht, in allen Fällen politische Bewertungen auszuschließen und eine Klärung nach objektiv-wissenschaftlichen Kriterien herbeizuführen. Es blieben wesentliche Fragen nicht nur ungeklärt, sondern führten sogar zur offenen Auseinandersetzung in dem Gremium. Zum Teil wurden diese Auseinandersetzungen in die Öffentlichkeit und in die Politik hineingetragen. Im Zusammenwirken mit der jeweiligen innenpolitischen Lage in den beteiligten Staaten stärkt dies die Nationalisten und die Gegner des Vertrages zur Freundschaft, Guten Nachbarschaft und Zusammenarbeit.

Vor diesem Hintergrund legte Bulgarien am 17.11.2020 offiziell ein Veto gegen den Start der EU-Beitrittsgespräche mit Nord-Makedonien ein. Bulgarien verlangte von Nord-Makedonien die Anerkennung, dass die makedonische Nation und Sprache bulgarische Wurzeln haben. Auch weitere historische Sichtweisen Bulgariens soll Nord-Makedonien anerkennen. So bewertet die Republik Nord-Makedonien die bulgarische Besatzungszeit auf ihrem Territorium während des Zweiten Weltkriegs (1941 – 1944) anders als die Republik Bulgarien. Bulgarien verlangt z. B. auch hier die Übernahme der bulgarischen Sichtweise von der Republik Nord-Makedonien. Diese lehnt die bulgarischen Forderungen klar ab.

Tatsächlich gibt es historische Schnittmengen zwischen Bulgarien und Nord-Makedonien, was diese Thematik komplex macht. Bulgaren und ethnische bzw. slawische Makedonier haben zum Teil eine gemeinsame, doch in wesentlichen Teilen auch eine getrennte Entwicklung durchgemacht. Trotz einer Verwandtschaft haben sich beide Völker letztendlich separat zu eigenen Kulturnationen entwickelt. Für Nord-Makedonien sind die historischen Schnittmengen Teil einer gemeinsamen bulgarisch-makedonischen Geschichte. Für Bulgarien ist diese gemeinsame Geschichte rein bulgarisch und die makedonische Geschichte eine Abspaltung davon. Entsprechend dieser Sichtweise hätte die makedonische Nation und Sprache bulgarische Wurzeln. Dies wird derzeit von der bulgarischen Regierung vertreten, was gegen den Sinn und Zweck des Abkommens zur Freundschaft, Guten Nachbarschaft und Zusammenarbeit vom 01.08.2017 und der Arbeit der gemeinsamen Expertenkommission verstößt. Die politischen Auffassungsunterschiede spiegeln sich allerdings weiterhin auch in der gemeinsamen Expertenkommission wider.

Die Auffassungsunterschiede im Kulturstreit zwischen Bulgarien und Nord-Makedonien konnten noch nicht überwunden werden. Nach einem umstrittenen Kompromissvorschlag Frankreichs von Juni 2022 soll die Republik Nord-Makedonien die Bulgaren verfassungsrechtlich als Nationalität anerkennen und namentlich in der Verfassung aufnehmen. Des Weiteren wird aufgrund des Kompromissvorschlags für die EU-Beitrittsverhandlungen explizit auf Artikel 12 des „Vertrags zur Freundschaft, Guten Nachbarschaft und Zusammenarbeit“ verwiesen. Dafür hob das Parlament der Republik Bulgarien das Veto gegen die Durchführung der EU-Beitrittsverhandlungen mit Nord-Makedonien am 24.06.2022 mit großer Mehrheit auf. Das Parlament der Republik Nord-Makedonien stimmte am 16.07.2022 dem Kompromiss mit knapper Mehrheit zu. Die Opposition nahm aus Protest nicht an der Abstimmung teil. Die Gesellschaft in Nord-Makedonien ist gespalten in der Frage, ob der Kompromiss im nationalen Interesse ist oder nicht.

Die Verbindung der EU-Beitrittsverhandlungen mit Artikel 12 des Vertrags ist allerdings umstritten. In einigen grundlegenden Fragen konnte die Expertenkommission noch keine für beide Seiten akzeptable Klärung herbeiführen, zumal politische Erwägungen eine objektiv-wissenschaftliche Klärung erschweren. Wenn keine Einigung erzielt wird, könnte dies von Bulgarien als Verstoß gegen das zugrundeliegende Abkommen interpretiert und damit die EU-Beitrittsverhandlungen mit Nord-Makedonien wieder blockiert werden. Für die Aufnahme der Bulgaren als Nationalität in die Verfassung der Republik Nord-Makedonien bedarf es außerdem einer Zweidrittelmehrheit von allen Abgeordneten im Parlament. Diese Mehrheit zeichnet sich derzeit noch nicht ab, könnte aber ggf. aufgrund von Verhandlungen noch erreicht werden.

Siehe Artikel „Der Vertrag zur Freundschaft, Guten Nachbarschaft und Zusammenarbeit vom 01.08.2017“ Dort findet sich auch ein Link zum Vertragstext.