von Andreas Schwarz
Am 13.08.2001 wurde das Rahmenabkommen von Ohrid vereinbart, das nach dem Aufstand der albanischen Makedonier (ethnischen Albaner) in der Republik Makedonien im Jahre 2001 das staatsrechtliche Verhältnis der albanischen Makedonier (ethnischen Albaner) zur Republik Makedonien und zur makedonischen Staatsnation sowie zu den ethnischen bzw. slawischen Makedoniern als dominierende Volksgruppe neujustieren und gleichzeitig die territoriale Integrität der Republik Makedonien (seit dem 12.02.2019: Republik Nord-Makedonien) bekräftigen sollte.
Das Rahmenabkommen von Ohrid ist eine Vereinbarung zwischen den beiden größten ethnisch- bzw. slawisch-makedonischen Parteien (VMRO-DPMNE und SDSM) auf der einen und den beiden damals größten albanisch-makedonischen Parteien (DPA und PDP ) auf der anderen Seite. Konkret soll das Abkommen zu einer angemessenen Repräsentation aller Angehörigen der ethnischen Gemeinschaften, insbesondere der albanischen Makedonier (ethnischen Albaner), in der Politik und Verwaltung der Republik Makedonien führen.
Ein wichtiges Element dieser Vereinbarung ist das Prinzip der doppelten Mehrheiten, das neben einer normalen parlamentarischen Mehrheit auch eine zusätzliche Mehrheit unter den Abgeordneten vorsieht, welche die ethnischen Gemeinschaften vertreten, die nicht die Bevölkerungsmehrheit bilden. Des Weiteren führte diese Vereinbarung zu einer Dezentralisierung der staatlichen Verwaltung, zu einer Neustrukturierung der lokalen Selbstverwaltung und der kommunalen Gebietskörperschaften sowie zu zusätzlichen Rechten für die Angehörigen der albanischen Gemeinschaft und der anderen ethnischen Gemeinschaften auf staatlicher und lokaler Ebene.
Der Text des „Rahmenabkommens von Ohrid vom 13.08.2001„
Die albanische Frage in der Republik Makedonien bzw. Nord-Makedonien
Nach einer Volkszählung aus dem Jahre 2002 besteht die Staatsnation der Republik Nord-Makedonien mit ihren 2.022.547 Angehörigen zu 64, 2 % aus ethnischen bzw. slawischen Makedoniern, zu 25,2 % aus ethnischen Albanern und zu 10,6 % aus anderen Nationalitäten. Von diesen anderen Nationalitäten stellt die türkische Volksgruppe mit einem Anteil von 3,9 % an der Gesamtbevölkerung Makedoniens den größten Anteil.
Die Republik Nord-Makedonien verfügt mit zirka 509.682 ethnischen Albanern nach Albanien und dem Kosovo über das drittgrößte albanische Siedlungsgebiet. In der Volksrepublik Makedonien bzw. der Sozialistischen Republik Makedonien im Rahmen der jugoslawischen Föderation von 1944 bis 1991 verfügten die ethnischen Albaner über keine besonderen Autonomierechte. Zeitweise waren sogar die Repressalien der makedonischen Polizei schärfer als die der serbischen Polizei und der jugoslawischen Bundespolizei im Kosovo. In der zweiten Hälfte der achtziger Jahre führte eine Maßnahme der makedonischen Behörden zu einer Erhöhung der Spannungen zwischen den ethnischen bzw. slawischen Makedoniern und den albanischen Makedoniern (Angehörige der albanischen Gemeinschaft in der Republik Makedonien / ethnische Albaner), nach dem die Polizei mit Bulldozern die hohen Mauern, die ethnische Albaner traditionell zum Schutz ihrer Familie um ihre Häuser bauen, zerstörten. Die makedonischen Behörden fürchteten, dass diese hohen Mauern im Fall eines Konflikts zwischen den ethnischen bzw. slawischen Makedoniern und den ethnischen Albanern zu Widerstandsfestungen werden könnten, und dem sollte vorgebeugt werden.
Als die Republik Makedonien im Jahr 1991 unabhängig wurde und eine neue Verfassung bekam, musste auch das staatsrechtliche Verhältnis der ethnischen Albaner zur makedonischen Staatsnation geklärt werden. Die Klärung dieses Verhältnisses begründete eine besondere Form der albanischen Frage innerhalb der Republik Makedonien. Die Verfassung von 1991 definierte die Republik Makedonien zunächst als Nationalstaat des makedonischen Volkes und betrachtete die ethnischen Albaner als Minderheit, der entsprechende Minderheitenrechte zugebilligt wurden. Die ethnischen Albaner forderten jedoch die Anerkennung als zweite konstitutive Volksgruppe neben den ethnischen bzw. slawischen Makedoniern. Damit wären auch entsprechend weitergehende Rechte, etwa Albanisch als zweite Amtssprache, Schulunterricht in albanischer Sprache und ggf. auch eine territoriale Autonomie verbunden gewesen.
Die extremeren Vorschläge der ethnischen Albaner reichten von einer Föderalisierung Makedoniens nach ethnischen Gesichtspunkten bis hin zu einer Abspaltung der albanischen Siedlungsgebiete. Die Vorstellungen einer Föderation sahen sowohl die Umwandlung der Republik Makedonien in einen bi-nationalen Bundesstaat, bestehend aus einem makedonischen und einem albanischen Teil, als auch einen Bundesstaat mit zahlreichen kleineren Kantonen nach dem Vorbild der Schweiz vor. Vom 11. bis zum 12.01.1992 fand in den albanischen Siedlungsgebieten der Republik Makedonien ein Referendum über eine politische und territoriale Autonomie statt, an der sich 92 % der Abstimmungsberechtigten beteiligt haben sollen. Bei dieser von den makedonischen Behörden nicht anerkannten Abstimmung sollen 99 % für eine entsprechende Autonomie gestimmt haben. Das Referendum hatte eher eine symbolische Bedeutung gehabt und keine praktische Bedeutung erlangt.
Trotzdem war in der Praxis die staatsrechtliche Integration der ethnischen Albaner in den makedonischen Staat nicht einfach. So wurden in den albanisch besiedelten Gebieten eigene Symbole wie etwa albanische Flaggen verwendet und im Jahre 1994 eine eigene albanischsprachige Universität in Tetovo gegründet. Zwar wurde an jeder makedonischen Regierung bisher immer auch eine albanisch-makedonische Parlamentspartei beteiligt, jedoch war die makedonische Regierung nicht bereit den ethnischen Albanern mehr Rechte zuzugestehen. Auch im Alltag wurden ethnische Albaner von Seiten des makedonischen Staates benachteiligt. Sie waren auch nicht ihrem Anteil gemäß im öffentlichen Sektor vertreten. Infolge stiegen die Spannungen zwischen ethnischen bzw. slawischen und albanischen Makedoniern. Zwischen Dezember 2000 und August 2001 kam es zu einem bewaffneten Konflikt zwischen ethnischen bzw. slawischen Makedoniern und ethnischen Albanern. Die Republik Makedonien drohte zu dieser Zeit in einen ethnisch bedingten Bürgerkrieg zu geraten.
Der bewaffnete ethnische Konflikt in der Republik Makedonien (2001)
Bereits im Dezember 2000 kam es zu ersten bewaffneten Auseinandersetzungen, deren Intensität in der ersten Hälfte des Jahres 2001 zunahm. Sehr leicht hätte sich aus diesem bewaffneten Konflikt ein langjähriger ethnischer Bürgerkrieg entwickeln können. Vorreiter des Aufstandes der albanischen Makedonier in der Republik Makedonien im Jahr 2001 war der in dem Artikel „Die Unabhängigkeitserklärung des Kosovos (17.02.2008) und die Hintergründe“ ausführlich dargestellte Aufstand der albanischen Kosovaren in der bis dahin serbischen Provinz Kosovo in den Jahren 1997/98 und der Kosovokrieg in den Jahren 1998/99.
Die ersten Übergriffe von ethnischen Albanern im Grenzgebiet zwischen dem Kosovo und der Republik Makedonien starteten gegen Ende des Jahres 2000. Dabei gingen die Rebellen genauso vor wie im Kosovo und so nahm im Januar 2001 die UCK auch in der Republik Makedonien den bewaffneten Kampf auf. Hauptsächliche Ziele waren dabei zunächst die abgelegenen Polizei- und Grenzposten in der gebirgigen Grenzregion zum Kosovo und zu Serbien, wofür die UCK im Januar 2001 auch offiziell die Verantwortung übernahm. Angeführt wurde die makedonische UCK unter anderem von Ali Ahmeti (heute Vorsitzender der albanisch-makedonischen „Demokratischen Union für Integration“ / „DUI“ bzw. „Bashkimi Demokratik për Integrim“ / „BDI“) und seinem Onkel Fazli Veliu, die aus dem Westen der Republik Makedonien stammen. Zunächst hielten sich die makedonischen Behörden noch zurück, doch ein Angriff der UCK auf Tetovo zirka zwei Monate später führte auch auf makedonischer Seite zu einer Mobilisierung ihrer Sicherheitskräfte.
Von den zwei großen albanisch-makedonischen Parteien erhielt die UCK keinerlei Unterstützung, für die Regierung der Republik Makedonien waren die Rebellen Mitglieder der kosovarischen UCK, die von Seiten des Kosovos auf makedonisches Gebiet eindrangen. Sicher war jedoch, dass das Kosovo ein strategisches Rückzugsgebiet der makedonischen UCK vor den makedonischen Sicherheitskräften war. Als Ende April 2001 acht Angehörige der makedonischen Sicherheitskräfte von Mitgliedern der UCK getötet wurden, gingen ethnische bzw. slawische Makedonier in Bitola, Prilep und Skopje auf die Straße und zerstörten Häuser und Geschäfte der albanischen Makedonier sowie Moscheen. Nach der Tötung von makedonischen Zivilisten griffen ethnische bzw. slawische Makedonier ihrerseits zu den Waffen und attackierten Dörfer der albanischen Makedonier.
Internationaler Druck und die Bereitschaft zu Kompromissen bei den Konfliktparteien führten in der Mitte des Jahres 2001 zu einem Waffenstillstand, der weitgehend eingehalten wurde. Nur noch vereinzelt kam es zu bewaffneten Auseinandersetzungen. Auch war der Rückhalt für einen bewaffneten Konflikt bei den albanischen Makedoniern deutlich geringer als bei den albanischen Kosovaren im Kosovo, so dass der Wunsch nach einer friedlichen Lösung in der Bevölkerung überwog. Verhandlungen zwischen den Konfliktpartien unter internationaler Vermittlung führten schließlich zum Rahmenabkommen von Ohrid.
Das Rahmenabkommen von Ohrid vom 13.08.2001
Unter Vermittlung der Europäischen Union (EU) und den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) nahmen die zwei größten Parteien der ethnischen- bzw. slawisch-makedonischen Gemeinschaft sowie die zwei größten Parteien der albanisch-makedonischen Gemeinschaft Gespräche zur Lösung des ethnischen Konfliktes auf. Auf Seiten der ethnischen bzw. slawischen Makedonier waren dies die „Innere Makedonische Revolutionäre Organisation – Demokratische Partei für die mazedonische nationale Einheit / IMRO-DPMNE“ (Vnatrešna Makedonska Revolucionarna Organizacija – Demokratska Partija za Makedonsko Nacionalno Edinstvo / VMRO-DPMNE) unter der Führung von Ljubčo Georgijevski sowie die „Sozialdemokratische Union Makedoniens“ (Socijaldemokratski Sojuz na Makedonija / SDSM) unter der Führung von Branko Crvenkovski und auf Seiten der Angehörigen der ethnisch-albanischen Gemeinschaft waren dies die „Albanische Demokratische Partei / DPA“ (Partia Demokratike Shqiptare / DPSH) unter der Führung von Arben Xhaferi sowie die „Partei der demokratische Prosperität“ (Partija za Demokratski Prosperitet / PDP bzw. Partie e Prosperitetit Demokratik) unter der Führung von Imer Imeri. Spezielle Repräsentanten der EU und der USA waren Francois Lëotard und James. W. Pardew. Des Weiteren nahm der damalige makedonische Staatspräsident Boris Trajkovski an den Gesprächen teil.
Alle oben genannten Vertreter waren auch Unterzeichner des Rahmenabkommens von Ohrid, das zunächst eine reine politische Vereinbarung war und erst noch staatsrechtlich umgesetzt werden musste. Umgesetzt wurde dieses Rahmenabkommen durch eine umfangreiche Änderung der Verfassung der Republik Makedonien sowie dem Erlass von entsprechenden Gesetzen. Das Rahmenabkommen von Ohrid besteht aus einer Rahmenvereinbarung sowie drei Anhängen. In der Rahmenvereinbarung, die aus 9 Abschnitten besteht, werden die Grundsätze der Übereinkunft festgelegt. Demnach ist die Souveränität und die territoriale Integrität der Republik Makedonien sowie ihr Charakter als multi-ethnischer Staat zu wahren.
Alle Bürgerinnen und Bürger der Republik Makedonien müssen unabhängig von ihrer ethnischen Herkunft ihre in der Verfassung festgelegten Rechte gemessen an internationalen Standards wahrnehmen können. Auf lokaler Ebene müssen die Bürgerinnen und Bürger der Republik Makedonien ihre demokratischen Rechte in Form einer lokalen Selbstverwaltung wahrnehmen und verwirklichen können.
Das Ende des inner-ethnischen Konfliktes wird ebenso definiert wie die Grundsätze der Dezentralisierung der staatlichen Verwaltung. Angehörige der ethnischen Gemeinschaften müssen ihrem Anteil entsprechend angemessen in staatlichen Institutionen und ohne Diskriminierung repräsentiert werden. Spezielle parlamentarische Prozeduren sollen die Rechte dieser Gemeinschaften besonders schützen. So ist bei bestimmten parlamentarischen Entscheidungen, die die ethnischen Gemeinschaften in besonderem Maße betreffen, sowohl eine normale parlamentarische Mehrheit als auch eine Mehrheit unter den Abgeordneten der nicht-ethnisch-makedonischen Gemeinschaften notwendig (Prinzip der doppelten Mehrheit). Grundsätzliche Festlegungen zur Verwendung der Sprachen und der Symbole der Gemeinschaften zusätzlich zur makedonischen Sprache und zu den makedonischen Symbolen runden die Rahmenvereinbarung ab. Die letzten beiden Abschnitte der Rahmenvereinbarung regeln die weitere Implementierung und Konkretisierung dieser Rahmenvereinbarung.
Die Konkretisierung der Rahmenvereinbarung erfolgt in den Anhängen A, B und C, die fester und vollwertiger Bestandteil der Rahmenvereinbarung sind. Im Anhang A zum Rahmenabkommen von Ohrid wurden die notwendigen Änderungen der Verfassung der Republik Makedonien zur Umsetzung der Vereinbarung genau festgelegt. Die zur Umsetzung der Vereinbarung notwendigen Veränderungen betrafen gemäß dem Anhang A des Rahmenabkommens die Präambel sowie die Artikel 7, 8, 19, 48, 56, 69, 77, 78, 84, 86, 104, 109, 114, 115 und 131 der Verfassung der Republik Makedonien. Im Anhang B zum Rahmenabkommen wurden die notwendigen gesetzlichen Modifikationen zur Umsetzung der Vereinbarung definiert. Im Anhang C zum Rahmenabkommen sind Einzelheiten zur Implementierung der Vereinbarung sowie vertrauensbildende Maßnahmen festgelegt worden. Es handelte sich hierbei um die bisher umfangreichsten Änderungen der Verfassung der Republik Makedonien. Das Verhältnis aller Ethnien untereinander, zur makedonischen Staatsnation und zum Staat wurde neu austariert.
Nunmehr definierte sich die Republik Makedonien in ihrer Präambel nicht mehr als Nationalstaat des makedonisches Volkes mit gleichberechtigten namentlich genannten Nationalitäten, sondern als Staat seiner Bürger, welche aus dem makedonischen Volk sowie dem Volk der Albaner, Türken, Vlachen, Serben, Bosnier und anderen Ethnien bestehen. Diese haben gemäß der Präambel gemeinsam die Verantwortung für die Gegenwart und Zukunft des Staates übernommen. Die Völker in der Republik Makedonien werden nunmehr als ethnische Gemeinschaften bezeichnet. Es wird zwischen ethnischen Gemeinschaften unterschieden, welche die Mehrheit oder nicht die Mehrheit an der Gesamtbevölkerung bzw. Staatsnation darstellen. Diese Bezeichnungen ersetzen die Begriffe Nation (Mehrheitsbevölkerung, Konstitutive Volksgruppe, Staatsnation) und Nationalitäten (Minderheiten), welche noch aus dem jugoslawischen Staatsrecht stammten.
In den Grundwerten der Verfassung wurde verankert, das in allen Organen der Staatsgewalt und in den öffentlichen Institutionen jeden Niveaus die Angehörigen alle ethnischen Gemeinschaften vertreten sein müssen. So müssen in allen Stellen im öffentlichen Sektor bis hin zu den obersten Leitungsfunktionen die Angehörigen der ethnischen Gemeinschaften ihrem Anteil gemäß vertreten sein. Dies gilt zum Beispiel auch im Bereich der Polizei und des Militärs. Infolge wurden bzw. werden bei Neubesetzungen von Stellen zunächst die Angehörigen der ethnischen Gemeinschaften, welche nicht die Bevölkerungsmehrheit darstellen, bevorzugt, bis sich eine angemessene Beteiligung aller ethnischen Gemeinschaften am öffentlichen Sektor eingestellt hat.
Nach der Verfassung in der aktuellen Fassung bleibt auf dem ganzen Gebiet der Republik Makedonien die in kyrillischer Schrift geschriebene makedonische Sprache allgemeine Amtssprache. Allerdings ist jetzt ebenso Amtssprache auf nationaler Ebene, die Schrift und Sprache einer Ethnie, welche einen Anteil von mindestens 20 % an der makedonischen Staatsnation hat. In diesem Fall werden auch die persönlichen Dokumente einer bzw. eines Angehörigen der betreffenden ethnischen Gemeinschaft zweisprachig verfasst. In der Praxis wird dieses Quorum allerdings nur von Angehörigen der albanischen Gemeinschaft erfüllt, so dass auf nationaler Ebene im amtlichen Verkehr und in den persönlichen Dokumenten neben der makedonischen in diesen Fällen auch die albanische Sprache in lateinischer Schrift verwendet wird. Das Parlament der Republik Makedonien hat seine Geschäftsordnung ebenfalls entsprechend geändert und tagt zweisprachig – Makedonisch und Albanisch. Auch im Gesetzblatt der Republik Makedonien erfolgen die Veröffentlichungen entsprechend zweisprachig. In den Amtssprachen kann mit allen staatlichen Institutionen auf nationaler und lokale Ebene, beim Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen, kommuniziert werden. In diesen Fällen müssen die Institutionen zweisprachig antworten. Des Weiteren ist neben der makedonischen Sprache ebenso Amtssprache in einer Einheit der lokalen Selbstverwaltung, die Schrift und Sprache einer Ethnie, welche einen Anteil von mindestens 20 % an Bürgerschaft hat. Bei einem Bevölkerungsanteil einer ethnischen Gemeinschaft von unter 20 Prozent können die Einheiten der lokalen Selbstverwaltung selbst regeln, ob sie deren Sprache ebenfalls als Amtssprache zulassen. Auf nationaler Ebene gilt diese Regelung jedoch nicht.
Die verfassungsrechtlichen Regelungen zu den Unterrichtssprachen der ethnischen Gemeinschaften entsprechen weitgehend den bisherigen Regelungen. An den Grund- und Mittelschulen kann der Unterricht in der Sprache einer ethnischen Gemeinschaft abgehalten werden, welche nicht der Bevölkerungsmehrheit angehört. Weiterhin muss auch in diesen Fällen die makedonische Sprache gelehrt werden. Durch Änderungen der Gesetze können neben der makedonischen Sprache auch die Sprachen von ethnischen Gemeinschaften, welche nicht die Bevölkerungsmehrheit angehören, an Hochschulen verwendet werden. So wurde die 1994 gegründete Universität von Tetovo (albanisch: Tetova) im Jahre 2004 staatlich anerkannt. Heute werden an dieser Universität Lehrveranstaltungen in albanischer und makedonischer Sprache angeboten, wobei erstere die dominierende Lehrsprache ist.
Das bereits in der Verfassung verankerte Recht zur Identitätsbildung, also das Recht der ethnischen Gemeinschaften, ihre nationale Identität und Eigenheiten zum Ausdruck, zu pflegen und zu entwickeln, wurde verfassungsrechtlich weiter ausdifferenziert. Nun dürfen auch die Symbole dieser Gemeinschaften öffentlich verwendet werden. So dürfen in Einheiten der lokalen Selbstverwaltung ab einem Bevölkerungsanteil von 20 Prozent die Angehörigen der ethnischen Gemeinschaften ihre Symbole bei offiziellen Anlässen neben den staatlichen makedonischen verwenden. Zum Beispiel dürfen die Angehörigen der albanischen Gemeinschaft neben der makedonischen auch die albanische Flagge offiziell hissen.
Die Glaubensgemeinschaften in der Republik Makedonien werden in der Verfassung jetzt alle gleichberechtigt namentlich aufgezählt, sind vor dem Gesetz gleich und vom Staat getrennt. Die Makedonisch-Orthodoxe Kirche wird, im Gegensatz zur Griechisch-Orthodoxen Kirche in Griechenland, nicht verfassungsrechtlich privilegiert.
Im Parlament der Republik Makedonien bedarf es in bestimmten verfassungsrechtlich festgelegten Angelegenheiten, welche die Rechte der Angehörigen der ethnischen Gemeinschaften betreffen, einer doppelten Mehrheit. Neben einer allgemeinen Mehrheit unter allen Abgeordneten, bedarf es in diesen Fällen zusätzlich auch einer Mehrheit unter den Abgeordneten der ethnischen Gemeinschaften, welche nicht die Bevölkerungsmehrheit darstellen. Diese doppelte Mehrheit ist auch bei entsprechenden Verfassungsänderungen erforderlich.
Unter anderem bedürfen auch die Regelungen zu den Einheiten der lokalen Selbstverwaltung einer entsprechenden doppelten Mehrheit, da hier alle Angehörigen der ethnischen Gemeinschaften besonders betroffen sind. So trat am 11.08.2004 ein neues Gesetz zur territorialen Gliederung der Republik Makedonien in Kraft. Aufgrund des Gesetzes wurden die Städte und Gemeinden neu abgegrenzt, so dass alle ethnischen Gemeinschaften besser repräsentiert werden. Dies hatte unter anderem zur Folge, dass die Angehörigen der albanischen Gemeinschaft in einigen Städten und Gemeinden nun die Mehrheit in der Bürgerschaft darstellen und den Bürgermeister stellen. Des Weiteren wurden aufgrund dieses Gesetzes mehr Kompetenzen von der nationalen Ebene auf die Einheiten der lokalen Selbstverwaltung übertragen. Auf diese Weise wurde die Republik Makedonien zwar nicht föderalisiert, doch stärker dezentralisiert und somit den Angehörigen der ethnischen Gemeinschaften eine stärkere Partizipation an der Staatsgewalt ermöglicht.
Das Verfassungsgericht der Republik Makedonien hat neun Mitglieder. Diese werden vom Parlament gewählt. In Falle von drei Richtern bedarf es einer doppelten Mehrheit: Die Mehrheit aller Abgeordneten und die Mehrheit unter den Abgeordneten der ethnischen Gemeinschaften, welche nicht die Bevölkerungsmehrheit darstellen. Der Republikjustizrat ist ein selbständiges und unabhängiges Organ der Gerichtsbarkeit in der Republik Makedonien, welcher die Selbständigkeit und die Unabhängigkeit der rechtsprechenden Gewalt sichert. Dieser Rat hat insgesamt 15 Mitglieder. Acht Mitglieder werden von der Richterschaft aus ihren eigenen Reihen gewählt. Drei von diesen müssen ethnischen Gemeinschaften angehören, welche nicht die Bevölkerungsmehrheit darstellen. Die weiteren sieben Mitglieder werden durch das Parlament gewählt. Von diesen werden drei auf Vorschlag des Staatspräsidenten, zum Teil aus der Gruppe der Universitätsprofessoren des Rechts, der Rechtsanwälte und der herausragenden Juristen, vom Parlament gewählt. Im Falle von vier dieser sieben Mitglieder bedarf es wieder der oben beschriebenen doppelten Mehrheit.
Fazit
Die Angehörigen der ethnischen Gemeinschaften als Bürgerinnen und Bürger der Republik Makedonien bzw. Nord-Makedonien haben im Jahr 2001 festgestellt, dass ein bewaffneter Konflikt zur Lösung von inner-ethnischen Konflikten in der Republik Nord-Makedonien keine geeignete Option darstellt und dies im Rahmenabkommen von Ohrid bekräftigt.
Das Rahmenabkommen von Ohrid ist ein geeigneter Kompromiss, um zu einem Ausgleich zwischen den ethnischen Gemeinschaften zu kommen. Nach der Implementierung des Rahmenabkommens von Ohrid sprach die Verfassung der Republik Nord-Makedonien von den Bürgerinnen und Bürgern der Republik Nord-Makedonien, die aus dem makedonischen Volk (ethnische bzw. slawische Makedonier) und aus dem innerhalb der Grenzen der Republik Nord-Makedonien lebenden Volk der Albaner (albanische Makedonier), Türken, Vlachen, Serben, Roma, Bosnier und anderer Völker bestehen. Somit sind formell alle in der Republik Nord-Makedonien lebenden Völker konstitutive Bestandteile der makedonischen Staatsnation.
Von Minderheiten wird aus Sicht der Verfassung der Republik Nord-Makedonien ebenfalls nicht mehr gesprochen. Ethnische Gruppen bzw. Nationalitäten bilden verfassungsrechtlich anerkannte Gemeinschaften. Die kulturellen Rechte dieser Gemeinschaften werden verfassungsrechtlich garantiert und geschützt. Bei einem Mindestanteil der Angehörigen einer Gemeinschaft von 20 Prozent an der Gesamtbevölkerung in den lokalen Gebietskörperschaften oder auf Republiksebene werden diesen zusätzliche Rechte zuerkannt. So ist z.B. im offiziellen Verkehr neben der makedonischen Sprache auch die Sprache der Angehörigen einer ethnischen Gemeinschaft Amtssprache, wenn diese einen Anteil von 20 Prozent und mehr an der Gesamtbevölkerung hat. Auch auf der Republiksebene verfügen die Angehörigen der Gemeinschaften über entsprechende und weitere besondere durch die Verfassung garantierten Rechte. So ist z.B. bei bestimmten Parlamentsbeschlüssen sowohl eine Mehrheit unter allen Abgeordneten des Parlaments als auch unter den Abgeordneten, die aus den nicht-ethnisch-slawisch-makedonischen Gemeinschaften kommen, notwendig. In allen öffentlichen Einrichtungen sind die Angehörigen der Gemeinschaften ihrem Anteil gemäß zu berücksichtigen.
Mit diesem Rahmenabkommen dürfte eine wichtige Grundlage für eine funktionierende Bürgergesellschaft innerhalb der Republik Nord-Makedonien gelegt worden sein. Diese fortzuentwickeln liegt nun in der Verantwortung aller Bürgerinnen und Bürger der Republik Nord-Makedonien bzw. aller in ihr lebenden Völker.
Die weitere Entwicklung
Das Parlament der Republik Makedonien bzw. Nord-Makedonien beschloss mit den Abgeordneten der Regierungskoalition am 11.01.2018 ein Sprachgesetz, welches Albanisch neben der makedonischen Sprache zur uneingeschränkten zweiten Amtssprache in der Republik Nord-Makedonien aufwertete. Allerdings war das Sprachgesetz zwischen der Regierung und der national-konservativen Opposition sehr umstritten. Der damalige Präsident Gjorge Ivanov weigerte sich das Gesetz zu unterschreiben. Nach einer erneuten Beratung im Parlament hätte er es unterschreiben müssen, doch er blieb bei seiner Weigerung. So unterschrieb stellvertretend für ihn der Präsident des Parlaments der Republik Nord-Makedonien, Talat Xhaferi, das Gesetz und veröffentlichte es am 12.01.2019 im Amtsblatt der Republik Makedonien bzw. Nord-Makedonien. Damit trat das Sprachgesetz in Kraft, blieb jedoch umstritten.
Rechtsexperten des Europarates, die sogenannte Venedig-Kommission, prüften im Auftrag der Republik Nord-Makedonien das Sprachgesetz. Am 06.12.2019 veröffentlicht die Kommission ihre Stellungnahme zum Sprachgesetz. Im Rahmen der Stellungnahme forderten sie von der Republik Nord-Makedonien durch Konsultationen mit allen betroffenen Parteien das Gesetz zu überprüfen. Nach Ansicht der Venedig-Kommission wurde im Vergleich zum Sprachgesetz von 2008 der Gebrauch der albanischen Sprache erheblich erweitert und geht in vielerlei Hinsicht über die europäischen Standards des Rahmenabkommens vom 13.08.2001 und der Europäischen Charta für Regional- und Minderheitensprache hinaus.
Die Venedig-Kommission begrüßte in seiner Stellungnahme zwar die Bereitschaft der Republik Nord-Makedonien, die sprachliche Situation der Gemeinschaften zu verbessern, stellt jedoch fest, dass das neue Gesetz in bestimmten Bereichen zu weit gehen könnte, indem es den öffentlichen Institutionen möglicherweise unrealistische rechtliche Verpflichtungen auferlege, insbesondere in Bezug auf die Verwendung der albanischen Sprache in Gerichtsverfahren, verbunden mit schweren Sanktionen bei Nichteinhaltung und der Möglichkeit, gerichtliche Entscheidungen rückgängig zu machen, wenn es während des Verfahrens an Übersetzungen und Dolmetschern mangelt. Dies würde das Funktionieren der Justiz erheblich beeinträchtigen. Des Weiteren sei das Sprachgesetz unklar, welche Bestimmungen nur für die albanische Sprache und welche auch für die Sprache von anderen ethnischen Gemeinschaften gelten.
Im Zuge der Verfassungsänderungen vom 11.01.2019, zur Implementierung des Prespa-Abkommens vom 17.06.2018, mit welchem der Kultur- und Namensstreit mit Griechenland formell beendet wurde, kam es auch zu einer Aufwertung der ethnischen Gemeinschaften. So wurde in die Präambel der Verfassung ein Verweis auf das Rahmenabkommen von Ohrid, durch welches die inner-ethnischen Beziehungen weiter entwickelt und die Rechte der ethnischen Gemeinschaften erweitert wurden, eingefügt. Des Weiteren werden die Ethnien der Republik Nord-Makedonien jetzt als Völker aufgeführt, ohne eine besondere sprachliche Hervorhebung des makedonischen Volkes. Damit soll der multiethnische Charakter der Republik Nord-Makedonien betont werden.
Der Text des „Rahmenabkommens von Ohrid vom 13.08.2001„