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Das Friedensabkommen für Bosnien und Herzegowina (Abkommen von Dayton) vom 14.12.1995

von Andreas Schwarz

Das Friedensabkommen für Bosnien und Herzegowina, welches im November 1995 auf der US-Luftwaffenbasis Wright-Patterson bei Dayton (Ohio/USA) von den Staatsoberhäuptern Bosnien und Herzegowinas (Alija Izetbegović), Kroatiens (Franjo Tuđman) und Serbiens (Slobodan Milošević) ausgehandelt wurde, ist von diesen am 14.12.1995 in Paris feierlich unterzeichnet worden. Durch dieses Friedensabkommen wurde der ethnische Krieg in Bosnien und Herzegowina formell beendet. Des Weiteren enthält dieses noch heute gültige Abkommen eine Festlegung für die Verfassung bzw. staatlichen Struktur von Bosnien und Herzegowina. Demnach ist Bosnien und Herzegowina als Gesamtstaat  bzw. Völkerrechtssubjekt erhalten geblieben und gliedert sich in zwei weitgehend autonome Entitäten: Der „Föderation Bosnien und Herzegowina“ („Bosniakisch-Kroatische Föderation“) und der „Serbischen Republik“ („Republika Srpska“). Zentrale Organe des bosnisch-herzegowinischen Staates sind aufgrund des Abkommens von Dayton ein Zweikammerparlament, ein Präsidium mit rotierender Präsidentschaft, eine Regierung, ein Verfassungsgericht und eine Zentralbank.

Im Ergebnis sind die gesamtstaatlichen Strukturen zugunsten der Entitäten schwach ausgeprägt, was zu einer ineffektiven staatlichen Verwaltung und politischen Problemen führt. Die Föderation Bosnien und Herzegowina ist wiederum in 10 Kantone unterteilt. Der komplizierte Föderalismus in Bosnien und Herzegowina soll einen angemessenen Ausgleich zwischen den drei staatstragenden Ethnien (Bosniaken bzw. Muslime, Kroaten und Serben) sowie den zwei Entitäten gewährleisten. Tatsächlich führt dieser aufgrund von Bürokratie, zersplitterten Kompetenzen und unverhältnismäßigen Kosten zu einem in wesentlichen Bereichen faktisch handlungsunfähigen Staatswesen. Das Friedensabkommen von Dayton konnte zwar den Krieg beenden und Bosnien und Herzegowina formell als Gesamtstaat erhalten, doch das kriegsbedingte Misstrauen unter den Ethnien konnte es ebenso wenig verhindern wie eine faktische Teilung des Gesamtstaates. Eine übergeordnete bosnisch-herzegowinische Identität bzw. Gemeinschaft der Ethnien hat sich bisher nicht entwickelt.

Der Text des „Friedensabkommens von Dayton

Vorgeschichte

Die Republik Bosnien und Herzegowina erklärte am 03.03.1992 als vierte jugoslawische Republik nach Slowenien, Kroatien und Makedonien (Nord-Makedonien) ihre Unabhängigkeit von der „Sozialistisch Föderativen Republik Jugoslawien“ („SFRJ“). Während die kroatischen und die muslimischen (bosniakischen) Bosnier mit großer Mehrheit für die Unabhängigkeit von Bosnien und Herzegowina waren, wurde sie von den serbischen Bosniern mit großer Mehrheit strikt abgelehnt. Die Folge war ein brutaler, kriegerischer Konflikt zwischen den drei staatstragenden Volksgruppen von Bosnien und Herzegowina. Von 1992 bis Mitte 1995 war der Kriegsverlauf für die serbischen Bosnier relativ erfolgreich. Sie erzielten große Geländegewinne und vertrieben dabei in der Regel die nicht-serbische Bevölkerung. Daher wird in diesem Fall auch von ethnischen Säuberungen gesprochen. Dabei kam es auch zu schweren Verbrechen, unter anderem zu Vergewaltigungen und Morden. Bei der völkerrechtswidrigen Einnahme der UN-Schutzzone Srebrenica durch die serbischen Bosnier im Juli 1995 wurde rund 8.000 männliche Bosniaken im Alter zwischen 13 und 78 Jahren ermordet. Dieses „Massaker von Srebrenica“ wird als Völkermord klassifiziert. Es war das schwerste Verbrechen in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges.

Bereits am 04.08.1994 kam es zum Abbruch der Beziehungen zwischen den serbischen Bosniern bzw. ihrer Republika Srpska und der damaligen Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro), als ein vom damaligen serbischen Staatspräsidenten Slobodan Milošević unterstützter internationaler Friedensplan durch die serbischen Bosnier abgelehnt wurde. Hintergrund war, dass die Bundesrepublik Jugoslawien ihre internationale Anerkennung und die Aufhebung der ihr gegenüber verhängten UN-Sanktionen anstrebte. Nach Auffassung von Slobodan Milošević hätten die serbischen Bosnier ihre Ziele im Wesentlichen erreicht. Eine von den serbischen Bosniern angestrebte Abspaltung der Republika Srpska von Bosnien und Herzegowina und ihr Anschluss an die Bundesrepublik Jugoslawien wäre aufgrund der internationalen Lage nicht möglich gewesen und lag daher auch nicht im Interesse der Bundesrepublik Jugoslawien bzw. von Slobodan Milošević.

Zur entscheidenden Wende für die serbischen Bosnier kam es Ende August 1995. Als am 28.08.1995 der Markale-Markt in Sarajevo von Granaten getroffen wurde und 37 Menschen dabei starben, griff die NATO ab dem 30.08.1995 verstärkt die Stellungen der serbischen Bosnier an. Bis zum 14.09.1995 wurden im Rahmen der Luftoperation, an der acht Nationen teilnahmen, über 3.500 Einsätze geflogen. Kriegsschiffe der Vereinigten Staaten von Amerika feuerten 13 Marschflugkörper ab und zerstörten das Hauptquartier der Armee der serbischen Bosnier. Die Luft- und Seeoperationen der NATO, vor allem der Beschuss von Flugabwehrstellungen und militärischer Infrastruktur, wurden im September 1995 bis zum Rückzug der serbischen Bosnier aus der Sicherheitszone um Sarajevo fortgesetzt. Gleichzeitig gingen die Armeen der bosniakischen und der kroatischen Bosnier mit Unterstützung aus der Republik Kroatien gegen die serbischen Bosnier vor. Im Oktober 1995 rückten Einheiten der Armee der Republik Bosnien und Herzegowina, des Kroatischen Verteidigungsrates und der Armee der Republik Kroatien Richtung Banja Luka, dem Zentrum der serbischen Bosnier vor. Dabei wurden große territoriale Gewinne erzielt und serbische Bosnier vertrieben. Insgesamt muss beachtet werden, dass Vertreibungen und andere Kriegsverbrechen durch alle beteiligten Kriegsparteien durchgeführt worden sind. Unter dem Druck der Ereignisse waren nun auch die serbischen Bosnier zu Verhandlungen über das Ende des Krieges und der Zukunft von Bosnien und Herzegowina bereit.

Im Vorfeld der Friedensverhandlungen

Die Republika Srpska in Bosnien und Herzegowina erklärte am 29.08.1995 ihre Bereitschaft an Verhandlungen über das Ende des ethnischen Krieges und der Zukunft von Bosnien und Herzegowina teilzunehmen. Jede Kriegspartei sollte dabei mit drei Vertretern an den Verhandlungen teilnehmen. Die Delegation der Serben bestand dabei jeweils aus einem Vertreter der serbischen Bosnier und der Bundesrepublik Jugoslawien sowie aus dem serbischen Präsidenten Slobodan Milošević.

Am 08.09.1995 kamen die Außenminister der Bundesrepublik Jugoslawien (Milan Milutinović), der Republik Kroatien (Mate Granić) und von Bosnien und Herzegowina (Muhammed Sacirbey) unter Einbeziehung der Bosnien-Kontaktgruppe (Europäische Union, Bundesrepublik Deutschland, Französische Republik, Russische Föderation, Vereinigtes Königreich von Großbritannien und Nordirland  und Vereinigte Staaten von Amerika) zu Gesprächen in Genf zusammen. Dabei wurden die Grundzüge einer Friedenslösung und für die zukünftige staatliche Struktur von Bosnien und Herzegowina skizziert. Demnach sollte Bosnien und Herzegowina als Gesamtstaat und Völkerrechtssubjekt in seinen bisherigen Grenzen erhalten bleiben. Dieser Gesamtstaat sollte sich dann in zwei autonome Entitäten, der Föderation Bosnien und Herzegowina (Bosniakisch-Kroatische Föderation; 51 Prozent des bosnisch-herzegowinischen Territoriums) und der Republik Srpska (49 Prozent des Territoriums) gliedern. Beide Entitäten sollten dabei Sonderbeziehungen zu den Nachbarstaaten Kroatien und der Bundesrepublik Jugoslawien eingehen dürfen. Weitere derartige Gespräche im Vorfeld der eigentlichen Friedensverhandlungen wurden am 26.09.1995 in New York abgehalten.

Die Friedensverhandlungen in Dayton

Auf der US-Luftwaffenbasis Wright-Patterson bei Dayton (Ohio/USA) kamen am 01.11.1995 erstmals seit dem Beginn des ethnischen Krieges die Präsidenten von Bosnien und Herzegowina (Alija Izetbegović), Kroatien (Franjo Tuđman) und Serbien (Slobodan Milošević) zu Gesprächen zusammen. Zunächst verpflichteten sich die Präsidenten Kroatiens und Serbiens in der Nacht vom 01.11. auf den 02.11.1995 darauf, den Konflikt um Ostslawonien, Baranja und Westrem (Syrmien), dem Restgebiet der Serbischen Republik Krajina in Kroatien (Republika Srpska Krajina), friedlich zu lösen. Des Weiteren legten die USA den Präsidenten von Bosnien und Herzegowina, Kroatien und Serbien den Entwurf eines Friedensvertrages vor. Zwischen dem 01. und dem 21.11.1995 mussten die drei Präsidenten unter dem Druck der USA ununterbrochen verhandeln, bis eine unterschriftsreife Lösung herbeigeführt wurde. Dabei waren sie von der Außenwelt weitgehend abgeschirmt.

Eine erste Teileinigung wurde am 10.11.1995 zwischen der Republik Bosnien und Herzegowina (bosnisch-herzegowinischer Gesamtstaat) und der Föderation Bosnien und Herzegowina (Bosniakisch-Kroatische Entität bzw. Föderation) erreicht. An diesem Tage wurde ein Abkommen zwischen ihnen über eine Implementierung der Föderation Bosnien und Herzegowina im Rahmen des Gesamtstaates Bosnien und Herzegowina mit einer Übereinkunft über eine Übergangsverwaltung für die Stadt Mostar unterzeichnet.

Am 12.11.1995 unterzeichneten Kroatien und Serbien ein Grundsatzabkommen über die kroatischen Regionen Ostslawonien, Baranja und Westrem (Syrmien). Nach diesem Abkommen sollten diese Regionen zunächst unter einer zweijährigen Übergangsverwaltungsmission durch die Vereinten Nationen gestellt und danach wieder in die Republik Kroatien integriert werden.

Die alles umfassende Einigung über Bosnien und Herzegowina wurde mit der Paraphierung eines Friedensabkommens für Bosnien und Herzegowina durch die drei Präsidenten Alija Izetbegović, Franjo Tuđman, und Slobodan Milošević am 21.11.1995 erreicht. Dieses Friedensabkommen beendete formell den Krieg und beinhaltete eine Festlegung über die zukünftige Verfassung von Bosnien und Herzegowina. Demnach bleibt Bosnien und Herzegowina als Gesamtstaat und Völkerrechtssubjekt in seinen bisherigen Außengrenzen erhalten und besteht seitdem aus zwei weitgehend autonomen Entitäten. Als zentrale Organe sieht der Vertrag von Dayton ein Zweikammerparlament, ein dreiköpfiges Präsidium mit rotierender Präsidentschaft als Staatsoberhaupt, eine Regierung, ein Verfassungsgericht und eine Zentralbank vor. Die zwei Entitäten werden von der Föderation Bosnien und Herzegowina (Bosniakisch-Kroatische Föderation) und der Republika Srpska gebildet. Die feierliche Unterzeichnung des Vertrages sollte dann am 14.12.1995 in Paris stattfinden.

Das Friedensabkommen von Dayton

In Paris wurde am 14.12.1995 das Friedensabkommen für Bosnien und Herzegowina (Abkommen von Dayton) feierlich durch die Präsidenten von Bosnien und Herzegowina (Alija Izetbegović), Kroatien (Franjo Tuđman) und Serbien (Slobodan Milošević) unterzeichnet. Anwesend waren ein Dutzend Staats- und Regierungschefs, darunter der damalige US-Präsident Bill Clinton und der damalige französische Präsident Jacques Chirac.

Das Friedensabkommen für Bosnien und Herzegowina besteht aus einem allgemeinen Rahmenabkommen, elf Anhängen, ein Abkommen über die Paraphierung des allgemeinen Rahmenabkommens, einem Begleitschreiben und einer Schlusserklärung. Der erste Anhang gliedert sich in A und B und beinhaltet weitere Anlagen, wie etwa Briefwechsel und Abkommen zwischen den Vertragsparteien und der NATO.

In den Anhängen wird das Friedensabkommen konkretisiert. So geht es im ersten Anhang um die regionale Stabilisierung, die bis heute durch eine internationale Friedens- und Militärmission gesichert wird. Im zweiten Anhang werden die Grenzen zwischen den zwei Entitäten festgelegt, wobei die Zugehörigkeit des umstrittenen Distriktes Brčko zunächst offengelassen und einer späteren Klärung überlassen wurde. Diese Klärung ist mittlerweile erfolgt. Der Distrikt Brčko ist als Kondominium (gemeinsam verwaltetes Territorium) beider Entitäten dem Gesamtstaat Bosnien und Herzegowina unterstellt. Festlegungen zu den Wahlen in Bosnien und Herzegowina und den Entitäten enthält der dritte Anhang, während der vierte Anhang die bosnisch-herzegowinische Verfassung beinhaltet. Die weiteren Anhänge enthalten unter anderem Festlegungen für ein Schiedsverfahren bei Streitigkeiten, zu den Menschenrechten, zu den Flüchtlingen und Vertriebenen und zu öffentlich-rechtlichen sowie zivilen Fragen. Im elften Anhang ist die Implementierung einer internationalen Polizeitruppe festgelegt.

Wichtige Festlegungen des Friedensabkommens sind: Bosnien und Herzegowina bleibt als Gesamtstaat und Völkerrechtssubjekt in seinen bisherigen Grenzen, die es als jugoslawische Teilrepublik hatte, erhalten und wird von der Republik Kroatien und der Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) völkerrechtlich anerkannt. Der Gesamtstaat mit der Bezeichnung Bosnien und Herzegowina setzt sich aus zwei weitgehend autonomen Entitäten zusammen, der Föderation Bosnien und Herzegowina (Bosniakisch-Kroatische Föderation) und der Republika Srpska. Die Föderation Bosnien und Herzegowina besteht aus 50 Prozent und die Republika Srpska aus 49 Prozent des bosnisch-herzegowinischen Gesamtterritoriums. Der Distrikt Brčko besteht aus einem Prozent des Territoriums. Über die Zugehörigkeit des Distrikts wird in einem Schiedsverfahren entschieden, was mittlerweile, wie weiter oben beschrieben, erfolgt ist.

Die Organe des Gesamtstaates sind ein Zweikammerparlament, ein Präsidium mit rotierender Präsidentschaft als Staatsoberhaupt, eine Regierung mit einem Ministerpräsidenten an der Spitze, ein Verfassungsgericht und eine Zentralbank. Das Zweikammerparlament setzt sich aus einem Abgeordnetenhaus und einer Völkerkammer zusammen. In der Völkerkammer sind die zwei Entitäten bzw. die drei staatstragenden Ethnien (Bosniaken, Kroaten, Serben) vertreten. Das Präsidium setzt sich aus einem bosniakischen (muslimischen), kroatischen und serbischen Bosnier zusammen. Der Vorsitz im Präsidium rotiert alle acht Monate zwischen den drei Mitgliedern. Hauptstadt des Gesamtstaates Bosnien und Herzegowina bleibt Sarajevo. Der Gesamtstaat hat klar festgelegte und begrenzte Kompetenzen, darunter in der Außen- und Außenhandelspolitik, im Zoll- und Währungswesen, in Einwanderungsfragen und bei der Kontrolle des Luftraumes. Alles was nicht in der Kompetenz des Gesamtstaates liegt, gehört in den Zuständigkeitsbereich der Entitäten.

Der Friedensvertrag für Bosnien und Herzegowina beendete formell den ethnischen Krieg in Bosnien und Herzegowina und sieht vertrauensbildende Maßnahmen zwischen den bisherigen Kriegsparteien vor. Innerhalb von drei Tagen nach Inkrafttreten des Friedensvertrages mussten alle Frühwarnsysteme, Luftabwehr- und Zielradaranlagen der Kriegsparteien abgeschaltet werden. Innerhalb von 30 Tagen mussten sich die bisherigen Kriegsgegner hinter den vereinbarten Linien zurückziehen, dabei alle Minen und sonstigen Sprengkörper entfernen. Alle schwere Waffen und die Streitkräfte der Kriegsparteien mussten spätestens 120 Tage nach Inkrafttreten des Friedensvertrages in ihre Kasernen zurückverlegt sein. Im gleichen Zeitraum mussten die bisherigen Kriegsparteien Listen über die Position und Rüstung ihrer Truppen aufstellen. Der Austausch von jeder Art von Gefangenen musste innerhalb von 30 Tagen erfolgt sein. Im Falle der Änderung der bisherigen Zugehörigkeit von Territorien musste der Abzug der jeweiligen nicht mehr zuständigen Einheiten innerhalb von 45 Tagen erfolgen. Die Friedenstruppen erhielten das Recht im notwendigen Maße einzugreifen, um den Frieden zu sichern. Zur Aufklärung und Ahndung von Kriegsverbrechen erklärten sich die bisherigen Kriegsparteien bereit mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien zusammenzuarbeiten. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen beschloss am 15.12.1995 die Resolution 1031, nach der die NATO beauftragt wurde im Rahmen der „Implementation Force“ (Deutsch: Umsetzungstruppe), kurz IFOR, die Waffenstillstandsvereinbarungen und die Truppenentflechtung zu überwachen und den Frieden in Bosnien und Herzegowina zu sichern.

Schlussbetrachtung

Das Friedensabkommen für Bosnien und Herzegowina beendete erfolgreich einen ethnischen Krieg, welcher im April 1992 begann und bis zu seinem formellen Ende im Dezember 1995 rund 100.000 Todesopfer oder Vermisste zur Folge hatte. Davon sind rund 66 Prozent Bosniaken (Muslime), 26 Prozent Serben und 8 Prozent Kroaten. Hinzu kommt eine Vielzahl an physisch und psychisch verletzten Personen. Des Weiteren wurden Kriegsverbrechen begangen, wie etwa Vertreibungen, Vergewaltigungen und Morde. Im Falle des Massakers von Srebrenica im Juli 1995 erfolgte ein Völkermord, welches als schwerstes Verbrechen im Kriegsvölkerrecht gilt. In dieser Hinsicht war das Abkommen von Dayton erfolgreich und ist seitdem die formelle Grundlage für einen seit rund zwanzig Jahren andauernden Frieden auf in Bosnien und Herzegowina.

Die Aufarbeitung der Kriegsverbrechen und die im Friedensvertrag normierte Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof in Jugoslawien (International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia, kurz ICTY) verlief hingen zunächst sehr schleppend an. Aus Sicht jeder Kriegspartei waren die eigenen Handlungen grundsätzlich legitim und stellten keine Kriegsverbrechen dar. Jede Partei sah sich in der Rolle des Opfers, welche sich nur verteidigt hatte und ihre legitimen Interessen zu schützen suchte. Entsprechend gering war die Bereitschaft mutmaßliche Kriegsverbrecher aus den eigenen Reihen festzunehmen und an das Internationale Strafgericht für das ehemalige Jugoslawien auszuliefern. Auch wurden in der Regel die eigenen Kriegsverbrechen verleugnet oder relativiert. So versuchten unter anderen die serbischen Bosnier das Massaker von Srebrenica zu vertuschen und eine Aufklärung des Verbrechens zu verhindern. Erst viele Jahre später erkannten die serbischen Bosnier an, dass ein schweres Verbrechen gegenüber den Bosniaken begangen wurde. Die Klassifizierung als Völkermord ist unter den serbischen Bosniern noch heute umstritten.

Der „Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien“ („International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia”, kurz: „ICTY“) erhob am 18.11.1995 wegen der Verbrechen in Srebrenica Anklage gegen den damaligen Präsidenten der Republika Srpska Radovan Karadžić und den Kommandeur der serbisch-bosnischen Armee Ratko Mladić. Beide tauchten zunächst jahrelang erfolgreich unter, wobei sie sowohl von der serbisch-bosnischen Bevölkerung als auch von den Institutionen der Republika Srpska und der damaligen Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) bzw. Republik Serbien unterstützt worden sein dürften. Erst als langsam ein Umdenken in der serbischen Bevölkerung und bei serbischen Politikern sowie ein demokratischer Wechsel in der Republik Serbien stattfanden, stieg auch die Wahrscheinlichkeit für die Verhaftung der mutmaßlichen Kriegsverbrecher Karadžić und Mladić. Im Juli 2008 wurden zunächst Radovan  Karadžić und dann im Mai 2011 Ratko Mladić jeweils in der Republik Serbien verhaftet und an den Internationalen Strafgerichtshof ausgeliefert. Gegen die beiden Hauptangeklagten wurde ein langjähriges Verfahren vor dem ICTY durchgeführt. Am 24.03.2016 sprach der ICTY Radovan Karadžić wegen der Belagerung Sarajevos, Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Teilen Bosnien und Herzegowinas und für den Völkermord in Srebrenica mit 8000 Toten für schuldig und verurteilte ihn zu insgesamt 40 Jahren Haft. In einem Berufungsverfahren vor dem „Internationalen Strafgerichtshof“ wurde Radovan Karadžić dann am 20.03.2019 zu lebenslanger Haft verurteilt. Ratko Mladić wurde bereits am 22.11.2017 wegen Völkermord und anderer schwerer Verbrechen für schuldig befunden und zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.

Eine Reihe weiterer Personen wurden wegen den Verbrechen in der UN-Schutzzone Srebrenica vor dem ICTY angeklagt und verurteilt. So sind zum Beispiel in den Fällen von Ljubiša Beara, Vidoje Blagojević, Dražen Erdemović, Dragan Jokić, Radislav Krstić, Dragan Obrenović, Vujadin Popović und Zdravko Tolimir die Verfahren durchgeführt worden  und  die Urteile ergangen. Unter anderem sind Beara, Blagojević, Jokić, Krstić, Popović und Tolimir wegen Völkermordes zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt worden. Drago Nikolić, erhielt wegen Beihilfe zum Völkermord eine Freiheitsstrafe von 35 Jahren. Vier weitere Personen wurden vom ICTY zu Freiheitsstrafen zwischen 5 und 19 Jahren verurteilt. Wegen des Völkermordes in Srebrenica wurden 47 Personen zu insgesamt 704 Jahren Haft verurteilt.

Eine große Hürde für Bosnien und Herzegowina ist jedoch die im Friedensvertrag festgelegte Staatsverfassung, welche im Ergebnis die bosnisch-herzegowinischen Frage in ihrer heutigen Form begründet. Die Klärung dieser Frage ließ das Friedensabkommen offen. Es ist also ein kalter Frieden und kein warmherziger.

Die offene bosnisch-herzegowinische Frage

Bosnien und Herzegowina war als unabhängiger Staat von vornherein zwischen den bosniakischen (muslimischen), kroatischen und serbischen Bosniern umstritten und ist es heute noch. Am 03.03.1992 erfolgte die Unabhängigkeitserklärung. Während die bosniakischen und kroatischen Bosnier mit großer Mehrheit für die Unabhängigkeit von Bosnien und Herzegowina waren, wurde sie von den serbischen Bosniern mit großer Mehrheit strikt abgelehnt. Die Folge war ein brutaler, kriegerischer Konflikt zwischen den drei staatstragenden Volksgruppen von Bosnien und Herzegowina. Erst im November / Dezember 1995 wurde dieser ethnische Krieg zwischen diesen Volksgruppen durch das Abkommen von Dayton formell und materiell beendet. Der Konflikt als solcher besteht in Form eines kalten Krieges ohne Waffen jedoch weiter fort. Selbst verurteilte Kriegsverbrecher werden zum Teil von der jeweiligen Volksgruppe als Helden angesehen und nicht kritisch hinterfragt. Kriegsverbrechen werden zum Teil relativiert oder sogar geleugnet.

Die heutige Staatsstruktur von Bosnien und Herzegowina ist ein Ergebnis des ethnischen Krieges von 1992 bis 1995 und des daraus resultierenden Friedensvertrages von Dayton vom 14.12.1995. Demnach besteht Bosnien und Herzegowina staatsrechtlich aus zwei weitgehend autonomen Entitäten, der „Föderation Bosnien und Herzegowina“ („Bosniakisch-Kroatische Föderation“) und der „Republika Srpska“ („Serbischen Republik“), die durch eine übergeordnete Föderation miteinander verbunden sind. Durch diese Föderation bleibt Bosnien und Herzegowina als Völkerrechtssubjekt erhalten. Die Entität „Föderation Bosnien und Herzegowina“ gliedert sich wiederum in zehn Kantone, die ihrerseits über weitgehende Rechte verfügen. Die faktische Teilung Bosnien und Herzegowinas in zwei Entitäten und die Gliederung der Föderation Bosnien und Herzegowina in zehn Kantone soll die Interessengegensätze der drei staatstragenden Volksgruppen (Bosniaken, Kroaten und Serben) auffangen. Andere Volksgruppen, welche nicht den drei staatstragenden Volksgruppen angehören, werden durch die aktuelle Staatsstruktur benachteiligt.

Von den 3,79 Millionen Einwohnern bekennen sich nach der letzten Volkszählung von Oktober 2013 50,1 % zu der bosniakischen (muslimischen), 30,8 % zu der serbischen und 15,4 % zu der kroatischen Volksgruppe. Nach einer Volkszählung aus dem Jahr 1991 gab es noch 4,4 Millionen Einwohner in Bosnien und Herzegowina, von denen sich 43,5 zu der bosniakischen (muslimischen), 31,2 % zu der serbischen und 17,4 % zu der kroatischen Volksgruppe bekannten. Es hat also zwischen 1991 und 2013 deutliche Verschiebungen in der Gesamteinwohnerzahl und in den Anteilen für die jeweilige Volksgruppe gegeben. Der Rückgang der Gesamtbevölkerung beträgt rund 14 %. Rund 610.000 Bürgerinnen und Bürger von Bosnien und Herzegowina verließen seit 1991 den Staat oder wurden im ethnischen Krieg zwischen 1991 und 1995 vertrieben oder getötet.

Dieser Staat wird weiterhin nicht vor allen Volksgruppen in gleicher Weise akzeptiert. Die Bosniaken (Muslime) wollen diesen Staat, da es für sie kein weiteres Mutterland auf dem Balkan gibt. Sie wünschen sich jedoch einen stärkeren Bundesstaat und lehnen die faktische Teilung des Staates ab. Die bosnischen Kroaten und Serben haben jeweils Mutterstaaten auf dem Balkan: Kroatien und Serbien. Für beide Volksgruppen wäre ein Aufgehen in ihren Mutterstaaten eine Option. Während sich die kroatischen Bosnier in dieser Frage zurückhaltender geben, streben die serbischen Bosnier offen die Abspaltung der „Republika Srpska“ und die Vereinigung mit der Republik Serbien an. Die beiden Mutterstaaten Kroatien und Serbien stehen jedoch wie die internationale Staatengemeinschaft zur Einheit von Bosnien und Herzegowina und lehnen möglichen Separatismus ab.

Im Ergebnis funktioniert der Staat aufgrund der Gegensätze zwischen den Volksgruppen und der nach ethnischen Kriterien geregelten Staatsorganisation nicht. Der Nationalismus der jeweiligen Volksgruppe ist nach wie vor sehr stark und verhindert eine prosperierende Entwicklung Bosnien und Herzegowinas. Ein übergeordnetes bosnisch-herzegowinisches Gemeinschaftsgefühl hat sich bisher nicht herausgebildet. In Folge ist der Zentralstaat entsprechend schwach ausgeprägt. Ohne einen Mentalitätswechsel unter den drei staatstragenden Volksgruppen und einer daraus resultierenden Staatsreform können die bestehenden Probleme nicht überwunden werden. Eine Lösung, welche die derzeitigen divergierenden Interessen der Volksgruppen unter einen Hut bringt, ist bisher nicht zu erreichen.

Eine Aufteilung von Bosnien und Herzegowina nach ethnischen Kriterien ist nicht möglich. Dafür leben die einzelnen Völker zu durchmischt. Die jetzige bestehende Staatsorganisation ist ineffektiv. Die Völker von Bosnien und Herzegowina müssen ihre bisherigen Auffassungen überdenken und miteinander sprechen. Das ist der einzige Weg. Dafür sollte die internationale Gemeinschaft bzw. die Europäische Union aktiv geeignete Rahmenbedingungen schaffen und entsprechende Bemühungen starten. Des Weiteren müssen nationalistische Konzepte klar abgelehnt und überwunden werden. Für die Aufarbeitung von geschichtlichen Fragen, insbesondere des ethnischen Krieges und der daraus resultierenden Verbrechen, muss eine internationale Expertenkommission unter Beteiligung der betroffenen Parteien eingerichtet werden. Dieses Gremium soll eine objektiv-wissenschaftliche Interpretation historischer Ereignisse bezüglich von Bosnien und Herzegowina durchzuführen, basierend auf authentischen, evidenzbasierten und wissenschaftlich fundierten Quellen. Damit werden historische Ereignisse der Deutungshoheit durch die Politiker, welche oft einseitig und nationalistisch sind, entzogen. Die Ergebnisse der Arbeit dieses Gremiums müssen verbindlich Eingang in der Bildungs- und Informationspolitik der bosnisch-herzegowinischen Völker finden.

Eine Lösungsfindung dürfte nicht einfach sein. Die bisherige Situation in Bosnien und Herzegowina verhindert fast jede Form von Prosperität und auch eine mögliche Mitgliedschaft in der EU. Weder die jetzige Staatsstruktur noch eine Aufteilung des Staates wären eine Option. Die Entitäten und ihre Abgrenzungen sind ein Ergebnis des Krieges, nicht der tatsächlichen territorialen Verteilung der Volksgruppen. Allerdings muss der komplizierte Föderalismus zurückgeschraubt werden. Dies kann auf zwei Arten erfolgen: Die Entitäten werden aufgelöst und Bosnien und Herzegowina in mehrere Kantone nach dem Vorbild der Schweiz gegliedert. Auch die Organisation des Gesamtstaates sowie die Kompetenzverteilung zwischen dem Gesamtstaat und den Kantonen könnten nach Vorbild der Schweiz erfolgen. Die zweite Möglichkeit wäre die Auflösung der Föderation Bosnien und Herzegowina sowie die Aufteilung in eine bosniakische und eine kroatische Entität. Demnach würde Bosnien und Herzegowina aus drei Entitäten bestehen. Für die Kompetenzverteilung zwischen dem Gesamtstaat und den Entitäten könnte wiederum die Schweiz als Vorbild dienen.

Die erste Möglichkeit ist allerdings klar zu bevorzugen. Bei einer möglichen Gliederung von Bosnien und Herzegowina in etwa gleichgroße Kantone würden alle Volksgruppen angemessen repräsentiert sein und der Staat effektiver funktionieren. Für bestimmte Aufgaben, etwa im kulturellen Bereich, könnten die Volksgruppe Verbände mit staatlichen Befugnissen bilden. Eine mögliche Aufteilung von Bosnien und Herzegowina in drei Entitäten entspricht zwar den drei stärksten Volksgruppen, benachteiligt jedoch andere Volksgruppen und fördert Nationalismen und Separatismen. Eine Staatsorganisation nach ethnischen Kriterien ist ineffektiv und sollte überwunden werden. Daraus resultierend sollte die Gliederung des Staates in Entitäten daher nach Möglichkeit überwunden werden.

Bosnien und Herzegowina könnte als Gemeinschaft von Völkern nach dem Vorbild der Schweiz als Staat seiner Bürgerinnen und Bürger (Willensnation) unter Überwindung von ethnischen Kriterien organisiert und weiter entwickelt werden. Dies würde dem Wohl aller dort lebenden Völker dienen. Innerhalb dieser Gemeinschaft von gleichberechtigten Völkern könnte jede Ethnie ihre kulturellen Eigenheiten ausleben und in diese Gemeinschaft mit einbringen.

Nur durch eine Lösung der offenen bosnisch-herzegowinischen Frage könnten die bosnischen Völker eine prosperierende und zukunftsweisende Entwicklung erreichen und am europäischen Einigungsprozess teilhaben.

Fazit

Die internationale Gemeinschaft hat bereits während des ethnischen Krieges in Bosnien und Herzegowina von 1992 bis 1995 klar versagt. Erst 1995 griff diese aktiv in den Konflikt ein und konnte so ein Ende des ethnischen Krieges herbeiführen. Ein früheres Eingreifen zur Beendigung des ethnischen Krieges wäre möglich gewesen und hätte viele Opfer ersparen können. Jetzt ist die internationale Gemeinschaft wieder inkonsequent und zeigt ein gefährliches Desinteresse an der Situation in Bosnien und Herzegowina. Nationalismen und Separatismen können ausgelebt, Kriegsverbrechen verleugnet und verurteilte Kriegsverbrecher verehrt werden.

Eine Klärung der bosnisch-herzegowinischen Frage kann den Völkern von Bosnien und Herzegowina zwar nicht aufgezwungen werden, doch können diese gezwungen werden sich ihrer Vergangenheit möglichst objektiv zu stellen. Die internationale Gemeinschaft muss zumindest erzwingen, dass Nationalismus, Separatismus, die Verleugnung von Kriegsverbrechen und die Verherrlichung von Kriegsverbrechern unter Strafe stehen. Des Weiteren muss die internationale Gemeinschaft die mögliche Ahndung von entsprechenden Straftaten durchsetzen und notfalls selbst direkt eingreifen. Das Dayton-Abkommen sieht ausdrücklich Mechanismen dafür vor. Der „Hohe Repräsentant für Bosnien und Herzegowina“, derzeit Valentin Inzko, könnte aufgrund des Dayton-Abkommens entsprechende Gesetze und Maßnahmen auch entgegen der bosnisch-herzegowinischen Institutionen anordnen. Das Problem ist nur, dass die internationale Gemeinschaft den hohen Repräsentanten nicht mehr unterstützt. Damit bleiben die entsprechenden Mechanismen ungenutzt. Stattdessen können sich Nationalismen und Separatismen ungehindert entwickeln. Die internationale Gemeinschaft scheint selbst nichts aus der jüngeren Geschichte gelernt zu haben.  

Im Falle von Bosnien und Herzegowina ist eine Lösung der bestehenden Probleme daher bisher nicht ersichtlich, doch sollten durch aktive internationale Vermittlungen geeignete Rahmenbedingungen hierfür geschaffen werden. Viele Streitpunkte beruhen auf den nationalen Interessen der einzelnen Völker, besonders der Wunsch nach nationaler Einheit. Dieser Wunsch kann allerdings im Rahmen von Nationalstaaten nicht verwirklicht werden. Diese dürften zu einem gewissen Grad überholt sein. Im Rahmen der Europäischen Union (EU) können diese nationalen Interessen jedoch in Solidarität und Zusammenarbeit mit anderen Völkern viel besser verwirklicht werden. Der Traum nach Einheit unter den südslawischen Ethnien, Albanern und auch anderen Völkern kann erreicht werden, unter dem Dach der EU. Diesen Weg, frei von Gewalt, Nationalismus und Separatismus, sollten die Völker von Bosnien und Herzegowina gehen. Denn nur dieser hat Aussicht auf Erfolg und gewährleistet eine prosperierende Zukunft. Die internationale Gemeinschaft kann hierfür einen effektiven Rahmen schaffen, welchen die Völker von Bosnien und Herzegowina dann eigenverantwortlich ausfüllen können.

Der Text des „Friedensabkommens von Dayton