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Der Ilinden-Aufstand

von Andreas Schwarz

Der Ilinden-Aufstand der Bevölkerung in Makedonien und Thrakien gegen die osmanische Herrschaft begann am 02.08.1903 und hat im Selbstverständnis der ethnischen bzw. slawischen Makedonier eine große Bedeutung für den Kampf um die Freiheit und nationale Selbstbestimmung des makedonischen Volkes. Organisiert wurde dieser Aufstand durch die „Innere Makedonische Revolutionäre Organisation“ („IMRO“). Ein Ergebnis dieses Aufstandes war die Ausrufung der „Republik von Kruševo“, die ebenfalls am 02.08.1903 und damit exakt 41 Jahre vor der Gründung des makedonischen Staates im Rahmen einer jugoslawischen Föderation stattfand. Die Republik von Kruševo hatte allerdings nur 10 Tage bestand, bevor die osmanischen Streitkräfte ihr ein Ende bereitete. Sie gilt als Vorläufer für den heutigen makedonischen Staat, der am 02.08.1944 ausgerufen wurde. Der Ilinden-Aufstand hatte allerdings nicht nur seinen Schwerpunkt um das makedonische Kruševo. In Thrakien gab es ebenfalls Aufstände. Auch gab es beim Ilinden-Aufstand wie schon innerhalb der verschiedenen Flügel der IMRO sowohl einen pro-makedonischen als auch einen pro-bulgarischen Hintergrund.

Hintergrund

Der Berliner Vertrag vom 13.07.1878 beließ Makedonien unter der Herrschaft des Osmanischen Reiches. Zu dieser Zeit hatten Griechenland, Montenegro und Serbien bereits ihre Souveränität und Unabhängigkeit erreicht. Auch das Fürstentum Bulgarien hatte eine weitreichende Autonomie. Nur die Bevölkerung von Makedonien und Thrakien verfügten über kein autonomes Gebiet oder einen unabhängigen Staat. Mit der Gründung der „Inneren Makedonischen Revolutionären Organisation“ („IMRO“) am 23.10.1893 in Thessaloniki kam ein neuer Faktor in die Auseinandersetzung um Makedonien bzw. die noch offene makedonische Frage hinzu. Die IMRO dehnte unter dem Einfluss von Goce Delčev ihren Kampf auch auf die Region um Adrianopel/Thrakien (heute Edirne/Türkei) aus.

Innerhalb der IMRO gab es drei grundsätzliche Flügel, die in den folgenden Jahren ihre Auffassungsgegensätze sogar gewaltsam austragen sollten. Ein Flügel war für eine Autonomie Makedoniens innerhalb des Osmanischen Reiches. Diese Lösung wurde aufgrund der damaligen politischen Rahmenbedingungen angestrebt, die eine völlige Unabhängigkeit Makedoniens oder den Anschluss Makedoniens an Bulgarien nicht zuließen. Dementsprechend traten die anderen beiden Flügel für die völlige Unabhängigkeit oder den Anschluss an Bulgarien ein. Zum Teil operierte die IMRO auch vom Fürstentum Bulgarien aus, da sie dort ein sicheres Rückzugsgebiet hatte. Diese Tatsache war natürlich von Vorteil für den pro-bulgarischen Flügel der IMRO.

Die Hintergründe zum Ilinden-Aufstand machen diese Flügelkämpfe innerhalb der IMRO besonders deutlich. Im Jahre 1895 wurde im Rahmen der IMRO das „Oberste Komitee für Makedonien und Adrianopel“ gegründet. Dieses Komitee war die organisierte Basis des Flügels der IMRO, der für den Anschluss Makedoniens an Bulgarien eintrat. Die Vertreter dieses Komitees setzten sich im Zentralkomitee der IMRO durch und wählten den Bulgaren Ivan Garvanov zum Präsidenten der IMRO. Danach beschloss der Kongress der IMRO im Frühjahr 1903 die Ausrufung eines allgemeinen Aufstandes in Makedonien. Mit diesem Aufstand sollte die europäische Öffentlichkeit auf das Problem Makedonien aufmerksam gemacht und dadurch Druck auf das Osmanische Reich ausgeübt werden.

Doch Goce Delčev und einige andere Führer innerhalb der IMRO widersetzten sich diesem Kongress-Beschluss. Sie waren der Auffassung, dass die makedonische Bevölkerung noch nicht ausreichend auf einen Aufstand von solchem Umfang vorbereitet sei. Dies sollte sich später dann auch bewahrheiten. Doch bevor die Meinungsverschiedenheiten um den Aufstand endgültig geklärt werden konnten, geriet Goce Delčev am 04.05.1903 in einen osmanischen Hinterhalt und wurde getötet. Damit war gleichzeitig auch der wichtigste Widerstand innerhalb der IMRO gegen den Aufstand nicht mehr vorhanden.

Der Verlauf des Aufstandes

Der Aufstand brach am 02.08.1903 sowohl in Makedonien als auch in Thrakien aus und hatte verschiedene Schwerpunkte. Insgesamt standen rund 26.000 schlecht bewaffnete Aufständische etwa 350.000 osmanischen Soldaten gegenüber, die nach dem Beginn des Aufstandes in die betroffene Region entsendet wurden. Hinzu kamen auf Seiten der osmanischen Armee noch eine unbestimmte Anzahl von Freischärlern. Vor dem Eintreffen der osmanischen Verstärkung gelang es den Aufständischen mehrere Ortschaften einzunehmen.

Im makedonischen Kruševo wurde am 02.08.1903 die „Republik von Kruševo“ ausgerufen. Präsident dieser Republik wurde der Schullehrer Nikola Karew. Sie umfasste das Gebiet um die Stadt Kruševo und hatte nur 10 Tage bestand. An ihr beteiligt waren noch die graekomanische und die walachische Gemeinde der Stadt. Im Kampf um Kruševo gegen die osmanische Herrschaft fielen rund 1000 Aufständische. Den Opfern des Aufstandes haben die Bürger der Stadt Kruševo später ein Denkmal gesetzt und ein Museum eingerichtet.

Ein anderes Kampfgebiet war die Strandscha-Region in Thrakien. Auch dort wurde am 19.08.1903 eine Republik ausgerufen, die etwa einen Monat lang bestand hatte und in dieser Zeit das öffentliche und wirtschaftliche Leben in der Region organisierte. Hier war das Ziel der Aufständischen möglichst viele Gebiete zu befreien und mit Zustimmung der Großmächte später an Bulgarien anzuschließen. Auch sollte den Aufständischen in Westthrakien und Makedonien geholfen werden. Anfangs waren die Aufständischen in der Strandscha-Region relativ erfolgreich, wurden jedoch nach etwa einem Monat auch durch die osmanische Übermacht niedergestreckt.

In den anderen Kampfzentren, in Westthrakien und im Rhodopengebierge, waren die Aufständischen aufgrund ihrer schlechten Organisation nicht sehr erfolgreich. Vor allem waren sie nur sporadisch bewaffnet, was den Aufstand sehr erschwerte und an manchen Orten sogar verhinderte. Es waren eher Anschläge, wie auf die Thessaloniki-Bahn, mit denen sie sich hervortaten. Mit den Anschlägen wurden zumindest die Truppentransporte gestört. Es gab allerdings bei den Kampfhandlungen in diesen Gebieten auch viele Opfer unter den Zivilisten und viele zerstörte Dörfer. In Folge kam es zu einer Flüchtlingsbewegungen in die benachbarten Staaten und zu einer Emigration in die Vereinigten Staaten von Amerika.

Insgesamt hatte der zum Teil schlecht organisierte und bewaffnete Aufstand gegen die osmanische Übermacht ohne das erhoffte Eingreifen von Außen keine Chance. Dieses Eingreifen, welches besonders von Russland erwartet wurde, blieb aus. Österreich-Ungarn war nicht bereit einen stärkeren Einfluss Russlands auf dem Balkan zuzulassen. Nach etwa einem Monat war der Aufstand im Keim erstickt. Es kam danach allerdings noch zu Guerilla-Aktionen. Der Aufstand wurde von den osmanischen Streitkräften zum Teil mit großer Brutalität niedergeschlagen. Dabei kam es auch zu Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung, unter denen es auch, wie bereits oben erwähnt, sehr viele Todesopfer gab.

Folgen des Aufstandes

Makedonien und Thrakien blieben noch etwa 9 Jahre lang unter der Herrschaft des Osmanischen Reiches. Allerdings wurden die europäischen Großmächte auf das Problem Makedonien aufmerksam und verlangten vom Osmanischen Reich Reformen zur Verbesserung der Lebenssituation der makedonischen Bevölkerung. Bereits im Februar 1903 verlangten Österreich-Ungarn und Russland von der osmanischen Regierung die Ernennung eines Generalinspekteurs für die drei makedonischen Wilayets des Osmanischen Reiches und die Reorganisation der osmanischen Gendarmerie unter der Führung europäischer Offiziere. Die entsprechenden Verhandlungen zogen sich allerdings hin und wurden durch den Ilinden-Aufstand überholt.

Im September 1903 intervenierten der österreich-ungarische Kaiser Franz Joseph I. und der russische Zar Nikolaus II. erneut beim osmanischen Sultan Abdul Hamid und verlangten entsprechende Reformen. Daraufhin wurde dem Gouverneur für die makedonische Gebiete, Halmi Pascha, ein österreich-ungarischer und ein russischer Vertreter zur Seite gestellt. Diese Vertreter sollten sich vor allem der Beschwerden und der Forderungen der christlichen Bevölkerung in den makedonischen Gebieten des Osmanischen Reiches annehmen. An der Spitze der für Makedonien zuständigen Gendarmerie wurde der italienische General de Giorgis berufen. Dieser sollte mit der Unterstützung von britischen, französischen, italienischen, österreich-ungarischen und russischen Offizieren eine Modernisierung dieser Gendarmerie herbeiführen. Allerdings blieben alle Reformbemühungen in Folge der Machtergreifung durch die Jungtürken unvollendet.

Im Jahre 1908 wurde der osmanische Sultan Abdul Hamid von den Jungtürken gestürzt. Diese wollten das Osmanische Reich zwar demokratisieren, jedoch gleichzeitig streng zentralistisch verwalten. Jede Form von Autonomie für Makedonien war mit der Politik der Jungtürken nicht zu vereinbaren. Eine Lösung der makedonischen Frage innerhalb des osmanischen Reiches wurde damit obsolet.

Die zwei Balkankriege (1912/13) führten dann zum Ende der osmanischen Herrschaft über Makedonien. Allerdings wurde Makedonien in Folge dieser zwei Balkankriege zwischen Bulgarien, Griechenland und Serbien aufgeteilt. Der Erste Weltkrieg (1914 – 1918) bestätigte im Wesentlichen diese Aufteilung, die nur unterbrochen durch den Zweiten Weltkrieg auf dem Balkan (1941 – 1945), bis heute fortbesteht. Aus dem serbischen bzw. jugoslawischen Teil von Makedonien entstand im Jahre 1944 der makedonische Staat, der seit 1991 als „Republik Makedonien“ ein unabhängiger Staat ist.

Bedeutung des Aufstandes für Bulgarien und Makedonien

Sowohl für Bulgarien als auch für Makedonien hat dieser Aufstand eine große historische Bedeutung. Eine nationale Zuordnung, ob dieser Aufstand bulgarisch oder makedonisch war, ist nach den damaligen Rahmenbedingungen nicht eindeutig möglich. Der Aufstand hatte unterschiedliche Schwerpunkte. Ein Schwerpunkt war sicherlich Makedonien, dem auch die Republik von Kruševo zugerechnet werden kann. Die Region Thrakien bildete einen anderen Schwerpunkt des Aufstandes, der Bulgarien zugerechnet werden kann.

Der Streit über die nationale Zuordnung des Aufstandes ist an sich völlig überflüssig. Er projiziert heutige Fakten und Maßstäbe in die Vergangenheit hinein. Die Frage, ob sich die makedonische Bevölkerung zu einer eigenständigen Nation entwickeln oder in der bulgarischen Nation aufgehen würde, war zum Zeitpunkt des Aufstandes nicht endgültig und eindeutig entschieden. Erst ab dem Jahre 1943 wurde diese Frage dann abschließend und nachhaltig entschieden. Heute ist klar: Die ethnischen bzw. slawischen Makedonier bilden eine eigenständige Kulturnation, die separat zur bulgarischen besteht.

Zur Zeit des Aufstandes gab es unterschiedliche Flügel in der IMRO, der eine war pro-bulgarisch und der andere pro-makedonisch. Beide Flügel waren am Aufstand maßgeblich beteiligt. Ein Ergebnis der weiteren Entwicklung in Bulgarien und Makedonien sind zwei eigenständige Nationen. Daher kann der Ilinden-Aufstand sowohl Bulgarien als auch Makedonien historisch zugeordnet werden. Bestimmte Schwerpunkte des Aufstandes können in Grenzen entweder Bulgarien oder Makedonien zugerechnet werden. So können insbesondere die Ereignisse um die Republik von Kruševo zum überwiegenden Teil (allerdings nicht ausschließlich) der makedonischen Geschichte zugeordnet werden. Die Republik von Kruševo, die am 02.08.1903 ausgerufen wurde, kann daher als ein wichtiger historischer Vorläufer für den heutigen makedonischen Staat angesehen werden, der am 02.08.1944 ausgerufen wurde.