von Andreas Schwarz
Bulgarien erkannte am 16.01.1992 als erster Staat der Welt die Unabhängigkeit der Republik Makedonien (seit dem 12.02.2019 „Republik Nord-Makedonien) an. Damit bekräftigte Bulgarien auch gegenüber den einstigen Akteuren des Zweiten Balkankrieges von 1913, Griechenland und Serbien, ein Interesse an der Unabhängigkeit der Republik Makedonien und gegen jede mögliche Aufteilung dieses Staates. Nicht anerkennen wollte Bulgarien jedoch die Eigenständigkeit der makedonischen Nation. Für Bulgarien sind die ethnischen bzw. slawischen Makedonier Teil der bulgarischen Kulturnation und nicht eigenständig. Zwar akzeptierte Bulgarien 1999 die Eigenständigkeit der makedonischen Nation als Ausdruck des Selbstbestimmungsrechtes der makedonischen Bevölkerung, blieb aber dennoch bei ihrer grundlegenden Haltung, dass die makedonische Nation im Prinzip Teil der bulgarischen Kulturnation sei. Neben dem sogenannten Namensstreit zwischen Griechenland und der Republik Makedonien bildet die bulgarisch-makedonische Frage einen Teil der speziellen makedonischen Frage nach der Identität der ethnischen bzw. slawischen Makedonier. Nachfolgend soll der Weg Bulgariens und Makedoniens nach der Antike bis in die heutige Zeit aufgezeigt und die bulgarisch-makedonische Frage damit beantwortet werden.
Bulgarien und Makedonien nach der Antike
Im Jahre 148 v. Chr. wurden die makedonischen Gebiete als Provinz Macedonia in das Römische Reich eingegliedert. Damit endete die selbstständige antike makedonische Geschichte. Die vorher recht eigenständigen antiken Makedonier gingen zusammen mit den übrigen antiken griechischen Stämmen und auch anderen Völkern in dem Griechentum der alexandrinischen, römischen und byzantinischen Zeit auf. Seitdem gibt es die antiken Makedonier als eigenständige Volksgruppe nicht mehr. Ihre Sprache ist ebenfalls ausgestorben.
Im 6. und 7. Jahrhundert wanderten die Slawen auf die Balkanhalbinsel ein und ließen sich dort nieder. Die griechischen, illyrischen und thrakischen Einwohner wurden dabei zu großen Teilen verdrängt. Zu dieser Zeit waren die Slawen weder staatlich organisiert noch bildeten sie nationale Gruppen. Die Bildung von Nationen im heutigen Sinne erfolgte erst ab Beginn der modernen Staatenbildung auf dem Balkan ab dem 19. Jahrhundert. Die ursprünglichen Bulgaren (Proto-Bulgaren), ein turkmenisches Reitervolk, hatten als erstes einen Staat gegründet. Im Jahre 681 schloss der Stammesfürst der Bulgaren, Khan Asparuch, einen Friedensvertrag mit dem Kaiser des Byzantinischen Reiches, Konstantin IV. Pognatos und begründete damit den ersten bulgarischen Staat.
Im Gebiet des heutigen Makedoniens nahm zur gleichen Zeit eine kirchlich-kulturelle Bewegung ihren Anfang, die sich nachhaltig auf die slawischen Völker auf dem Balkan auswirken sollte. Ausgelöst wurde diese Bewegung von den Brüdern Kyrill und Method, die eine slawische Kirchensprache auf Grundlage des griechischen Alphabets veröffentlichten. Mit dieser Kirchensprache wurden die kyrillischen Schriftzeichen eingeführt. Sie gilt auch als Vorläufer der heutigen bulgarischen und makedonischen Sprache.
Die Blütezeit erlebte das erste Bulgarische Reich unter dem Zaren Simeon I. zwischen 893 und 927. Unter seinen Nachfolgern verfiel es wieder und kam ab 972 wieder vollständig unter die Herrschaft des Byzantinischen Reiches. Schon während der byzantinischen Herrschaft geriet auch Makedonien zeitweise unter bulgarischer Herrschaft. So schloss das erste Bulgarische Reich unter Zar Simon I. auch Makedonien mit ein.
Aus heutiger Sicht der Wissenschaft wird angenommen, dass die Proto-Bulgaren bereits sehr bald von den Slawen assimiliert wurden, während die Bezeichnung „Bulgaren“ auf alle Untertanen der bulgarischen Khane übertragen wurde. Seit der Christianisierung der Bulgaren im Jahre 864 wird in der Wissenschaft in der Regel nicht mehr zwischen Proto-Bulgaren und Bulgaren unterschieden.
Die heutigen Bulgaren gehören der Gruppe der südslawischen Völker an. Ihre Sprache gehört zu der Gruppe der südslawischen Sprachen. Zur Zeit der Einwanderung der Slawen existierte allerdings kein makedonisches Staatswesen mehr. Auch die antiken Makedonier dürften als eigene Volksgruppe zu dieser Zeit schon nicht mehr existiert haben. Daher wird nach vorherrschender Auffassung in der Wissenschaft eine Assimilierung der antiken Makedonier durch die Slawen oder eine Vermischung der antiken Makedonier mit den Slawen ausgeschlossen. Die ethnischen bzw. slawischen Makedonier von heute haben sehr wahrscheinlich keinen direkten Anknüpfungspunkt an die antiken Makedonier.
Das Reich von Zar Samuel
Im westlichen Teil des untergegangenen ersten Bulgarischen Reiches kam es zu einer besonderen Entwicklung, die von bulgarischen und makedonischen Historikern unterschiedlich bewertet wird. Der Heerführer und Politiker Samuel stiegt nach dem Untergang des ersten Bulgarischen Reiches zum Zaren auf und dehnte sein Reich von seinem Machtzentrum in Ohrid bis an die Donau im Norden, im Westen bis an die Adria, im Süden bis an den Peloponnes und im Osten zeitweise bis ans Schwarze Meer aus. Im Jahre 1014 kam es zur Schlacht zwischen dem Reich von Samuel und dem Byzantinischen Reich unter Kaiser Basileios II. Diese Schlacht, die zwischen dem Bjelašnica- und dem Ograzdengebierge im heutigen Ostmakedonien stattfand, gewann das Byzantinische Reich. Der byzantinische Kaiser Basileios nahm dabei etwa 15.000 Soldaten von Zar Samuel gefangen, ließ sie blenden und in Gruppen zu je hundert Mann geführt von einem Einäugigen zu Samuel zurückbringen. Dieser soll daraufhin den Schlag getroffen haben und zog sich zurück. Sein Reich war ab dem Jahre 1018 wieder vollständig unter der Herrschaft des Byzantinischen Reiches. Der byzantinische Kaiser Basileios ging als der Bulgarentöter in die Geschichte ein.
Nach makedonischer Auffassung war das Reich Samuels ein makedonisches Reich, da es sein Zentrum in Ohrid hatte. Nach bulgarischer Auffassung war auch das Reich Samuels ein bulgarisches Reich. Die Mehrheit der Historiker spricht auch von einem West-Bulgarischen Reich. In seinem Aufbau ähnelt es dem ersten Bulgarischen Reich. Auch wurde in damaligen Quellen die Bezeichnung „Makedonien“ nicht verwendet und der byzantinische Kaiser Basileios ging als Bulgarentöter in die Geschichte ein. Heutige Maßstäbe können auf die damalige Zeit nicht angewendet werden. Es war zwar kein makedonisches Reich im engeren Sinne, hatte jedoch im Verhältnis zum ersten Bulgarischen Reich einen besonderen Charakter. Dieser besondere Charakter wurde auch vom byzantinischen Kaiser Basileios anerkannt. Die Kernländer des Reiches von Samuel wurden zu dem Thema (byzantinische Provinz) Bulgarien mit Zentrum in Skopje, der heutigen Hauptstadt der Republik Nord-Makedonien, zusammengefasst. Das Patriarchat von Ohrid blieb als autokephales Erzbistum erhalten und erhielt bedeutende Privilegien. Sämtliche Bistümer, die einst zum Reich von Samuel gehörten, wurden dem Erzbistum von Ohrid unterstellt. Das Reich von Samuel kann daher sowohl als wichtiges Fundament für den späteren makedonischen Staat als auch für den späteren bulgarischen Staat betrachtet werden.
Die makedonische Bevölkerung unter bulgarischer und serbischer Herrschaft
Im Jahre 1185 hatte Ivan Assen I. den Titel eines „Zaren von Bulgaren und Griechen“ angenommen und damit das zweite Bulgarische Reich begründet. Kreuzfahrer und Venezianer stürmten am 13.04.1204 die byzantinische Hauptstadt Konstantinopel, was zu einer temporären Schwächung des Byzantinischen Reiches für fast hundert Jahre führte. Die Schwächung nutzten sowohl die Bulgaren als auch die Serben für die Ausdehnung ihrer Herrschaftsgebiete. Zunächst geriet Makedonien unter die Herrschaft des zweiten Bulgarischen Reiches, das unter Ivan Assen II. zwischen 1218 bis 1241 seine Blütezeit erlebte.
Nach dem Aussterben der Assen-Dynastie regierten schwache Zaren im Reich und die Serben unter der Dynastie der Nemanjiden erweiterten Schrittweise auf Kosten der Bulgaren ihr Herrschaftsgebiet. So geriet auch Makedonien unter die Herrschaft der Serben. Auch als Konstantinopel im Jahre 1261 durch den byzantinischen Kaiser Nikäa wieder zurückerobert wurde, blieb das Byzantinische Reich zunächst geschwächt und Makedonien unter serbischer Herrschaft. Die Schlacht von Velbuzd (Kjustendil) im Jahre 1330 besiegelte die serbische Herrschaft über Makedonien. Im Jahr 1331 wurde Stefan Dušan neuer serbischer Herrscher und ließ sich im Jahr 1346 in Skopje vom serbischen Patriarchen zum „Kaiser der Serben und Griechen“ krönen. Die spätere makedonische Hauptstadt Skopje wurde so das Zentrum seiner Herrschaft. Das neue Reich erhielt wie das byzantinische Reich eine Rechtsgrundlage und wurde nach byzantinischem Vorbild aufgebaut. Der griechische Kultureinfluss auf Makedonien blieb zwar gewahrt, doch wurde aufgrund der serbischen Herrschaft auch der slawische Kultureinfluss gestärkt. Nach dem Tod von Stefan Dušan im Jahre 1355 verfiel das Reich und kam schrittweise unter osmanischer Herrschaft.
Bulgarien und Makedonien unter osmanischer Herrschaft
Makedonien im geografischen Sinne gehörte zu den ersten Gebieten auf europäischen Boden, die von den Osmanen im Jahr 1355 erobert wurden, und es blieb am längsten von allen Teilen des Balkan unter osmanischer Herrschaft. Während dieser fünf Jahrhunderte war Makedonien im Osmanischen Reich keine eigene verwaltungspolitische Einheit, sondern immer in verschiedene, im Laufe der Zeit sich ändernde Verwaltungsbezirke (Wilayets) aufgeteilt.
Bulgarien geriet ebenso unter osmanischer Herrschaft und verlor seine Selbständigkeit. Im Osmanischen Reich wurden keine nationalen und kulturellen Unterschiede zwischen den Bevölkerungsschichten gemacht. Unterschieden wurde nach dem Bekenntnis zur Religion. Angehörige des Islam galten als privilegierte Staatsbürger, während Christen und Juden Staatsbürger zweiter Klasse waren. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kirche bestimmte letztendlich auch die Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe. Angehörige der bulgarisch-orthodoxen Kirche galten als Bulgaren, Griechen und Serben entsprechend als Angehörige der griechisch-orthodoxen bzw. der serbisch-orthodoxen Kirche. Eine makedonisch-orthodoxe Kirchenorganisation gab es zu dieser Zeit noch nicht, so dass im Osmanischen Reich niemand formell einer makedonischen Volksgruppe zugerechnet wurde.
Ende des 19. Jahrhunderts kam es zu einem Kampf der verschiedenen orthodoxen Kirchen um die Vorherrschaft auf der Balkanhalbinsel. Bisher dominierte unter Oberhoheit des Osmanischen Reiches die griechisch-orthodoxe Kirche auf der Balkanhalbinsel, da die Osmanen 1766 das serbische Patriarchat und 1777 das autokephale Exarchat von Ohrid aufgehoben hatten. Im Jahre 1870 setzte Russland als Schutzmacht der christlichen Bevölkerung auf dem Balkan die Bildung einer selbständigen bulgarisch-orthodoxen Kirche durch, was auf Widerstand in der griechisch-orthodoxen Kirche stieß. Es kam zu einem griechisch-slawischen Kulturkampf, bei dem es um die Vorherrschaft der griechischen gegenüber der slawischen Kirchensprache ging. Bereits im Jahre 1838 entstand in Thessaloniki die erste Druckerei, die Schriften in slawischer Sprache herausbrachte. Kurze Zeit später entstanden die ersten Schulen, die die lokalen slawischen Sprachen lehrten und 1857 tauchten dann die ersten Schulbücher in diesen Sprachen auf. Strittig ist vor allem zwischen dem heutigen Bulgarien und dem heutigen Makedonien, um was für eine Sprache es sich handelte: Bulgarisch oder Makedonisch. Diese Frage kann jedoch nach heutigen Maßstäben nicht abschließend beantwortet werden. Jedenfalls brach zwischen den Anhängern der verschiedenen Schulen ein Konkurrenzkampf um die Vorherrschaft in Makedonien aus. Laut Konsularberichten gab es um 1900 in Makedonien 785 bulgarische, 927 griechische und 178 serbische Schulen.
Die (allgemeine) makedonische Frage
Nach dem Russisch-Osmanischen Krieg (1877 – 1878) wurde am 03.03.1878 der Friedensvertrag von San Stefano geschlossen. Dieser sah unter anderem ein unabhängiges Bulgarien vor, das ganz Makedonien umfasste. Dieser Vertrag bedeutete für Russland einen enormen Machtzuwachs, den die anderen europäischen Großmächte nicht hinnehmen wollten. Es kam zum Berliner Kongress der Großmächte Deutschland, Österreich-Ungarn, Italien, Frankreich, Russland, dem Vereinigten Königreich und dem Osmanischen Reich. Der Kongress fing am 13.06.1878 an und endete am 13.07.1878 mit der Unterzeichnung des Berliner Vertrages. Dieser Vertrag beließ Makedonien beim Osmanischen Reich, während Bulgarien mit deutlich kleinerem Staatsgebiet unabhängig wurde. Allerdings entstanden zwei eher autonome bulgarische Staatsgebilde. Ein dem Osmanischen Reich tributpflichtiges Fürstentum Bulgarien, mit der Hauptstadt Sofia und die rein formell nur noch zum Osmanischen Reich gehörenden Provinz Ostrumelien. Diese Provinz verfügte über eine eigene Verfassung und einen bulgarisch-christlichen Gouverneur.
Der Berliner Vertrag führte damit zu einer Trennung der Entwicklungen in Bulgarien und Makedonien und zum Aufkommen der makedonischen Frage. Die makedonische Frage betraf das Schicksal der christlichen Bevölkerung Makedoniens im Osmanischen Reich. Am 23.10.1893 wurde in Thessaloniki die „Innere Makedonische Revolutionäre Organisation“ („IMRO“) gegründet. In ihren Statuten wurde festgelegt, dass die Organisation geheim sein sollte, dass sich ihre Tätigkeit nur auf Makedonien beschränken und eine Autonomie für Makedonien zum Ziel haben sollte, dass nur in Makedonien geborene oder lebende Personen in ihr Mitglied werden konnten und dass die Organisation unabhängig von Bulgarien, Griechenland und Serbien agieren würde.
Tatsächlich entwickelten sich in der IMRO drei Flügel. Die Einen traten für eine Autonomie Makedoniens im Osmanischen Reich ein, die Anderen wollten einen Anschluss an Bulgarien oder die völlige Unabhängigkeit Makedoniens erreichen. Zwischen den Flügeln kam es zu teilweise blutigen Machtkämpfen um die Vorherrschaft in der IMRO. Diese Entwicklung setzte sowohl den ersten Keim eines makedonischen Nationalgefühls als auch einen Keim für eine pro-bulgarische Haltung in der makedonischen Bevölkerung.
Unter Goce Delčev, der auf dem zweiten Kongress der IMRO in Thessaloniki im Jahre 1896 in das Zentralkomitee der Organisation gewählt wurde, bekam die IMRO eine straffe Führung und Organisation. Auf seinen Einfluss ist auch die Ausweitung der Tätigkeit der IMRO auf die Region Adrianopel (heute Edirne / Türkei) zurückzuführen. Außerdem sollten nicht nur Makedonier (im geografischen Sinne) sondern jede Person auf dem europäischen Gebiet des Osmanischen Reiches, unabhängig von ihrer Nationalität und Religion, Mitglied der IMRO werden können. Des Weiteren baute die IMRO unter der Führung von Goce Delčev ein weitverzweigtes Netz von Komitees aus.
Am 02.08.1903 kam es auf dem Gebiet von Makedonien zum sogenannten „Ilinden-Aufstand“, der zur Bildung der kurzzeitig unabhängigen „Republik von Kruševo“ führte. Dieser Aufstand wurde schon nach zwölf Tagen von osmanischen Truppen niedergeschlagen und damit endete auch die Existenz der Republik von Kruševo. Doch gilt die Republik von Kruševo als historischer Vorläufer für den heutigen makedonischen Staat. Goce Delčev erlebte diesen Aufstand nicht mehr mit, den er selbst auch für verfrüht hielt. Er geriet am 04.05.1903 in einen osmanischen Hinterhalt und wurde umgebracht.
Goce Delčev wird sowohl von den ethnischen bzw. slawischen Makedoniern als auch von den Bulgaren als Nationalheld verehrt. Mit dieser Verehrung ist auch ein Streit um seine nationale Zuordnung verbunden. Für die Bulgaren ist er ein Bulgare und für die ethnischen bzw. slawischen Makedonier ein Makedonier. Doch der Streit ist an sich überflüssig, da er versucht heutige Maßstäbe auf die damalige Zeit anzuwenden. Die Balkanregion Makedonien blieb bis zum Beginn der Balkankriege im Jahre 1912 osmanisch und auch nach den Balkankriegen blieb die makedonische Frage noch offen.
Die Balkankriege und die Folgen für Bulgarien und Makedonien
Im Ersten Balkankrieg (08.10.1912 – 30.05.1913) ist das zum Osmanischen Reich gehörende Makedonien von den Staaten Bulgarien, Griechenland und Serbien erobert und besetzt worden. Durch den Londoner Vertrag vom 30.05.1913 wurde der Erste Balkankrieg beendet. Bulgarien war jedoch mit seinem Anteil an Makedonien nicht zufrieden und forderte von Serbien die Abtretung von weiten Gebieten seines Anteils an Makedonien. Dies führte zum Zweiten Balkankrieg (29.06. – 10.08.1913), der im Wesentlichen zwischen Bulgarien auf der einen Seite und Griechenland und Serbien auf der anderen Seite um Makedonien geführt worden ist und zu einer Niederlage für Bulgarien führte. Der Vertrag von Bukarest vom 10.08.1913 beendete den Zweiten Balkankrieg und führte im Ergebnis zur Aufteilung Makedoniens zwischen Bulgarien, Griechenland und Serbien. Die dort festgelegte Aufteilung besteht mit kleineren Änderungen im Wesentlichen heute noch fort.
Im Rahmen des Ersten Weltkrieges (1914 -1918) besetzte Bulgarien den serbischen Teil von Makedonien. Während der bulgarischen Besatzungspolitik wurde eine Bulgarisierung der makedonischen Bevölkerung betrieben. So wurde auf die makedonische Bevölkerung Druck ausgeübt, ihre Namen, die in der Regel mit -ski endeten, auf -ov enden zu lassen. Diese wäre dann eine typisch bulgarische Endung gewesen. Von der makedonischen Bevölkerung wurde diese Maßnahme jedoch wenig geschätzt. Unter der bulgarischen Besatzung gab es für die makedonische Bevölkerung keinerlei kulturelle Autonomie. Was vorher serbisch bzw. südserbisch war wurde jetzt bulgarisch bzw. westbulgarisch. Im November 1918 ging der Krieg für die Mittelmächte und damit auch für den Verbündeten Bulgarien verloren. Bulgarien musste den serbischen Teil von Makedonien räumen, welches ab dem 01.12.1918 zum neuen „Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen“ (ab 1929 „Königreich Jugoslawien“) gehörte.
Im Friedensvertrag von Neuilly vom 27.11.1919 wurden die im Bukarester Vertrag festgelegten Grenzen im Wesentlichen bestätigt. Bulgarien musste allerdings das bisher bulgarisch-makedonische Strumica mit Umgebung an das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen abtreten und verlor auch seinen Zugang zur Ägäis an Griechenland. Die Friedensverträge von Bukarest und Neuilly besiegelte vor allem das Schicksal Makedoniens und seiner Bevölkerung. Der Großteil von Makedonien (67.313 km²) war nun zwischen Griechenland (Ägäisch-Makedonien, 34.800 km²) und Serbien (Vardar-Makedonien, 25.713 km²) aufgeteilt. Bulgarien blieb nur noch ein kleiner Teil von Makedonien (Pirin-Mazedonien, 6.800 km²).
Diese territoriale Aufstellung von Makedonien ist im Wesentlichen auch heute noch gültig. Allerdings wurde aus dem serbischen Teil von Makedonien am 02.08.1944 der makedonische Staat gebildet, der sich als Gliedstaat bis zum 18.09.1991 im Rahmen einer jugoslawischen Föderation befand. Seitdem ist der makedonische Staat ein unabhängiges Völkerrechtssubjekt.
Im bulgarischen Teil von Makedonien war die makedonische Bevölkerung nun einer massiven Politik der Assimilierung ausgesetzt. In Bulgarien war diese Politik relativ erfolgreich. Unter anderem liegt das auch daran, dass die ethnischen bzw. slawischen Makedonier eine wesentlich nähere Verwandtschaft zu den Bulgaren als zu den Serben haben. Dies gilt auch für die makedonische Sprache im Verhältnis zu der bulgarischen und der serbischen Sprache.
Die makedonische Frage während und nach dem Zweiten Weltkrieg
Im Zweiten Weltkrieg wurde das jugoslawische Makedonien (Vadar-Makedonien) von Bulgarien besetzt und später sogar faktisch annektiert. Die zunächst von der dortigen Bevölkerung als Befreiung begrüßte bulgarische Besatzung wurde aufgrund der bulgarischen Besatzungspolitik bald als Belastung empfunden. Es entwickelte sich ein Widerstand gegen diese Besatzung. Zwischen der jugoslawischen Kommunistischen Partei und der bulgarischen Kommunistischen Partei brach ein Machtkampf um die Herrschaft über Vardar-Makedonien aus, den die jugoslawische KP gewann.
Bereits auf der zweiten Sitzung des „Antifaschistischen Rates der Volksbefreiung Jugoslawiens“ am 29.11.1943 wurden die ethnischen bzw. slawischen Makedonier erstmals als gleichberechtigt mit den übrigen jugoslawischen Völkern und damit als eigenständige Nation anerkannt. Die makedonische Bevölkerung sollte durch ein eigenständiges Nationalbewusstsein den Einflüssen aus Bulgarien und Serbien entzogen werden. Später hat gerade dieses eigenständige Nationalbewusstsein zu mehr Stabilität in dieser Region geführt, da ein nicht mehr existierendes ethnologisches Vakuum keine gegenseitigen Ansprüche der Nachbarstaaten mehr auslösen konnte. Im Rahmen des makedonischen Staates entwickelten sich die ethnischen bzw. slawischen Makedonier dann endgültig zu einer eigenständigen Nation.
Am 02.08.1944 wurde im Kloster Prohor Pčinski die erste Tagung der Antifaschistischen Sobranje der Volksbefreiung Makedoniens eröffnet und damit der Schlussakt zur Gründung des makedonischen Staates innerhalb der jugoslawischen Föderation eingeleitet. Bis Ende 1944 war das ganze Gebiet von Vardar-Makedonien durch jugoslawische Einheiten von Bulgarien zurückerobert worden, auf das Bulgarien dann am 11.10.1944 offiziell verzichtete.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Vorkriegsordnung im Wesentlichen wieder hergestellt. Zwischen Bulgarien und Jugoslawien kam es bis 1948 zu einer gegenseitigen Annäherungspolitik, in deren Rahmen auch die Bildung einer gemeinsamen Föderation geplant war. Im Rahmen dieser Annäherungspolitik wurden die ethnischen bzw. slawischen Makedonier in Pirin-Makedonien als eigene Kulturnation anerkannt und bekamen innerhalb von Pirin-Makedonien auch eine entsprechende kulturelle Autonomie zugestanden. Nach dem Bruch zwischen Stalin und Tito im Juni 1948 kam es auch zu einem Bruch zwischen Bulgarien und Jugoslawien. Die Anerkennung der ethnischen bzw. slawischen Makedonier als Nation innerhalb von Pirin-Makedonien wurde zurückgenommen und Pirin-Makedonien in „Bezirk Blagoewgrad“ umbenannt.
Für Bulgarien gab es seit dieser Zeit offiziell keine makedonische Nation mehr. Nach bulgarischen Statistiken bezeichneten sich im Jahre 1965 noch 8.750 Menschen in Pirin-Makedonien als Makedonier. Im Jahr 1956 waren es noch 187.789 Menschen. Seit 1975 wurde in Bulgarien in offiziellen Statistiken nicht mehr nach Makedoniern gefragt. Es dürften sich allerdings noch etwa einige Tausend im bulgarischen Teil von Makedonien als Makedonier bezeichnen.
Fazit
Die Herausbildung der heutigen Nationen auf dem Balkan ist das Produkt der entsprechenden Staatenbildungen ab dem 19. Jahrhundert. Spätestens seit dem Berliner Kongress im Jahre 1878 nahm die Entwicklung in Bulgarien und Makedonien getrennte Wege. Eine bulgarische Nation, die auch die damalige makedonische Bevölkerung mit einschloss, konnte sich so nicht bilden. Das Schicksal der makedonischen Bevölkerung blieb im Osmanischen Reich von 1878 bis 1912 zunächst offen und begründete die (allgemeine) makedonische Frage. Auch nach der Besetzung und Aufteilung Makedoniens zwischen Bulgarien, Griechenland und Serbien in den Jahren 1912/1913 blieb diese Frage offen. Die zum Teil aggressive Politik der Assimilierung gegenüber der makedonischen Bevölkerung in Bulgarien und Griechenland hatte weitgehend Erfolg. Nur noch Minderheiten bezeichnen sich dort als ethnische bzw. slawische Makedonier und werden allerdings nicht als solche anerkannt. Im serbischen bzw. jugoslawischen Teil von Makedonien hatte die Politik der Assimilierung gegenüber der makedonischen Bevölkerung keinen so großen Erfolg. Die dortige Bevölkerung lehnte die serbische Oberhoheit ebenso ab wie die bulgarische während des Ersten und Zweiten Weltkrieges.
Der Antifaschistische Rat der Volksbefreiung Jugoslawiens unter Führung von Joseph Broz Tito beantwortete die makedonische Frage 1943 dahingehend, dass die Makedonier im jugoslawischen Teil von Makedonien weder Bulgaren noch Serben sondern eigenständige Makedonier und damit eine eigenständige Nation seien. Im Jahre 1944 wurde auf dem Gebiet des jugoslawischen Teils von Makedonien der makedonische Staat gegründet, der sich im Jahre 1991, nach dem Scheitern der jugoslawischen Föderation, für Unabhängig erklärte und heute ein anerkannter Staat ist. Im Rahmen des makedonischen Staates entwickelten sich die ethnischen bzw. slawischen Makedonier dann endgültig zu einer eigenständigen Nation. Die Existenz der makedonischen Nation hat nachhaltig zu mehr Stabilität in dieser Region geführt, da ein nicht mehr existierendes ethnologisches Vakuum keine gegenseitigen Ansprüche der Nachbarstaaten mehr auslösen konnte.
Die bulgarisch-makedonische Frage als Teil der speziellen makedonischen Frage nach der Identität der ethnischen bzw. slawischen Makedonier dürfte damit ihre endgültige Antwort gefunden haben. Die ethnischen bzw. slawischen Makedonier bilden heute eine eigenständige Kulturnation, die unabhängig von der bulgarischen Kulturnation ist. Zweifellos besteht eine enge Verwandtschaft zwischen der bulgarischen und der makedonischen Kulturnation ebenso wie zwischen der bulgarischen und der makedonischen Sprache. Teilweise gibt es auch gemeinsame historische Ereignisse und Nationalhelden. Dennoch hat die Geschichte im Ergebnis zu der Herausbildung zweier getrennter Nationen geführt: Der bulgarischen und der makedonischen Nation, die jeweils eigenständig ihre Wege beschreiten.
Die formelle Klärung der bulgarisch-makedonischen Frage
Am 01.08.2017 wurde zwischen Bulgarien und der Republik Makedonien der „Vertrag zur Freundschaft, Guten Nachbarschaft und Zusammenarbeit“ unterzeichnet. Auch wenn dieser nicht unumstritten ist, besonders unter den Nationalisten, so dürfte er doch ein Meilenstein und Vorbild für die Region sein. Der Vertrag beruht im Wesentlichen auf einer bereits am 22.02.1999 unterzeichneten Deklaration. Zusätzlich wurde in diesem Vertrag eine gemeinsame multidisziplinäre Expertenkommission für historische und bildungsrelevante Fragen auf paritätischer Grundlage vereinbart. Die gemeinsame Geschichte soll nach objektiven, authentischen und wissenschaftlichen Kriterien bewertet und der Deutungshoheit durch die Politiker entzogen werden. Historische Ereignisse und Persönlichkeiten sollen aufgrund der vielfältigen Verbindungen zwischen Bulgarien und Makedonien in der Vergangenheit gemeinsam begangen werden und gelten damit als Bestandteile der Geschichte und Kultur von beiden Nationen. Damit wollen die Republiken Bulgarien und Makedonien ein neues Kapitel in ihren Beziehungen beginnen und ihre kulturellen Streitigkeiten endgültig beilegen.
Dieser Vertag markiert den möglichen Beginn die bulgarisch-makedonische Frage zu klären und den Kulturkampf um Makedonien zu beenden. Hierfür bietet der Vertrag geeignete Mechanismen. Diese Mechanismen müssen von den beteiligten Akteuren konsequent, sinngemäß und zweckmäßig genutzt werden, um eines Tages die bulgarisch-makedonische Frage final zu klären. Eine ausführliche Behandlung dieser Thematik erfolgt im Artikel „Die Klärung der bulgarisch-makedonischen Frage“