von Andreas Schwarz
Die Abgeordneten des Bundesparlaments der „Sozialistisch Föderativen Republik Jugoslawien“ („SFRJ“) aus den jugoslawischen Republiken Serbien und Montenegro proklamierten am 27.04.1992 die „Bundesrepublik Jugoslawien“ als Rechtsnachfolgerin der SFRJ. Gebildet wurde dieser Staat aus den jugoslawischen Republiken Serbien und Montenegro. Mit der Proklamation der Bundesrepublik Jugoslawien endete auch formell die Ära der SFRJ, die nach den Unabhängigkeitserklärungen der jugoslawischen Republiken Slowenien, Kroatien, Makedonien und Bosnien und Herzegowina nur noch aus Serbien und Montenegro bestand. Die neue Verfassung der Bundesrepublik Jugoslawien fand zuvor mit 73 Stimmen, einer Gegenstimme und drei Enthaltungen die Zustimmung des Bundesparlaments. Damit war die Verfassung der SFRJ vom 21.02.1974 formell außer Kraft gesetzt worden. Die albanischen Kosovaren boykottierten sowohl die Proklamation der Bundesrepublik Jugoslawien als auch die Abstimmung über die neue Verfassung des Staates, die in der Nacht vom 23.04. auf dem 24.04.1992 auch von den Parlamenten der jugoslawischen Republiken Serbien und Montenegro gebilligt wurde. Die neue blau-weiß-rote Flagge der Bundesrepublik Jugoslawien verzichtete auf den bisherigen gelb umrandeten roten Stern aus der staatlichen Ära der SFRJ. Die Feiern anlässlich der Proklamation der Bundesrepublik Jugoslawien wurden von den Staaten der damaligen Europäischen Gemeinschaft (EG) (bis auf Griechenland) und den Vereinigten Staaten von Amerika boykottiert. Die Russische Föderation, Rumänien, Kanada, die Volksrepublik China und zahlreiche blockfreie Staaten hingegen nahmen an den Feierlichkeiten teil.
Die Gründung der Bundesrepublik Jugoslawien
Zum Jahreswechsel 1991 / 1992 hatten sich bereits die bisherigen jugoslawischen Republiken Slowenien, Kroatien und Makedonien von der SFRJ getrennt. Die völkerrechtliche Anerkennung dieser Staaten stand kurz bevor. Auch die Unabhängigkeit der jugoslawischen Republik Bosnien und Herzegowina zeichnete sich bereits ab. In dieser Situation mussten sich auch die jugoslawischen Republiken Serbien und Montenegro Gedanken über ihre staatsrechtliche Zukunft machen. In Belgrad trat daraufhin am 03.01.1992 eine „Konferenz für ein neues Jugoslawien“ zusammen. Auf dieser Konferenz wurde die Gründung einer neuen jugoslawischen Föderation aus den jugoslawischen Republiken Serbien und Montenegro sowie den serbisch besiedelten Gebieten in Kroatien und Bosnien und Herzegowina beschlossen. Am 27.02.1992 erklärte der Präsident der jugoslawischen Republik Serbien, Slobodan Milošević, vor dem Parlament dieser Republik, dass die Vereinigung Serbiens und Montenegros in einem neuen, kleineren Jugoslawien die beste Option sei. Er erwähnte zwar dabei die Forderung nach der Einbeziehung von weiteren serbisch besiedelten Gebieten in Kroatien und Bosnien und Herzegowina nicht, betonte aber, dass niemand gegen seinen Willen von Jugoslawien getrennt werden dürfe. Oberstes Ziel seiner Politik sei es, das Selbstbestimmungsrecht der Serben außerhalb Serbiens zu ermöglichen, was in der politischen Praxis durch kriegerische Maßnahmen in Kroatien und Bosnien und Herzegowina zu erreichen versucht wurde.
Bereits am 28.02.1992 billigte das Parlament der jugoslawischen Republik Serbien mit großer Mehrheit das Abkommen zur Bildung eines neuen Jugoslawien mit der jugoslawischen Republik Montenegro – der Bundesrepublik Jugoslawien. In der jugoslawischen Republik Montenegro fand am 01.03.1992 eine Volksabstimmung über die Bildung eines neuen Jugoslawiens statt. Bei einer Wahlbeteiligung von 65 % sprachen sich rund zwei Drittel der stimmberechtigten montenegrinischen Bürgerinnen und Bürger für das neue Jugoslawien aus. Bei dieser Volksabstimmung wurde von der Bürgerschaft auch beschlossen die montenegrinische Hauptstadt Titograd wieder in ihren alten Namen Podgorica umzubenennen. Nach der Ausarbeitung einer neuen Verfassung wurde diese zunächst in der Nacht vom 23.04. auf den 24.04.1992 von den Parlamenten der jugoslawischen Republiken Serbien und Montenegro und am 27.04.1992 von den serbischen und den montenegrinischen Abgeordneten des Bundesparlaments der bisherigen SFRJ gebilligt.
Die Konstituierung der Bundesrepublik Jugoslawien
Die Verfassung definierte die Bundesrepublik Jugoslawien als einen Bundesstaat, der aus den Republiken Serbien und Montenegro bestand. Gemäß dieser Verfassung bestand das Parlament des Bundesstaates, die Bundesversammlung, aus zwei Kammern: Der Kammer der Bürger und der Kammer der Republiken. Die Kammer der Bürger bestand aus 138 direkt vom Volk gewählten Abgeordneten. Von den 138 Abgeordneten wurden 108 in Serbien und 30 in Montenegro gewählt. In der Kammer der Republiken (40 Mitglieder) waren Serbien und Montenegro gleichstark mit jeweils 20 Mitgliedern vertreten. Die Mitglieder der Kammer der Republiken wurden von den Parlamenten der jugoslawischen Republiken Serbien und Montenegro gewählt. Die genaue Zusammensetzung der Mitglieder der Kammer der Republiken richtete sich gemäß der Verfassung proportional nach der Zusammensetzung der Parlamente der jugoslawischen Republiken Serbien und Montenegro. Der Präsident der Bundesrepublik Jugoslawien wurde vom Parlament gewählt und hatte vor allem repräsentative Aufgaben. Die Regierung der Bundesrepublik Jugoslawien wurde von einem Ministerpräsidenten geleitet, wobei der Präsident und der Ministerpräsident nicht aus derselben jugoslawischen Republik kommen durften. Der Rechtsprechung lag bei einem Verfassungsgericht, einem obersten Gerichtshof und den Gerichten der Republiken. Bis zur Konstituierung der Organe der Bundesrepublik Jugoslawien nahmen die bisherigen Organe der SFRJ ihre Funktion weiterhin war.
Das jugoslawische Staatspräsidium stellte am 04.05.1992 fest, dass die Angelegenheiten der Jugoslawischen Volksarmee (JNA) in Bosnien und Herzegowina nicht mehr in den Zuständigkeitsbereich der jugoslawischen Behörden fielen. Aus der Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) stammende Solden wurden gemäß dieser Feststellung offiziell aus Bosnien und Herzegowina abgezogen und Soldaten in der Bundesrepublik Jugoslawien, die aus Bosnien und Herzegowina stammten, durften offiziell dorthin zurückkehren.
Am 31.05.1992 fanden erstmals Parlamentswahlen in der Bundesrepublik Jugoslawien statt, die von den serbischen Oppositionsparteien, darunter die Serbische Erneuerungsbewegung (SPO) von Vuk Drašković und die Demokratische Partei (DS), und den albanischen Kosovaren boykottiert wurden. Bei einer Wahlbeteiligung von insgesamt 56 % erreichte die Sozialistische Partei Serbiens (SPS) des serbischen Staatspräsidenten Slobodan Milošević 68 % der Stimmen. Zweitstärkste Kraft wurde in Serbien mit 28 % der Stimmen die großserbisch ausgerichtete Serbische Radikale Partei (SRS) von Vojislav Šešelj. In Montenegro gewann die Demokratische Partei der Sozialisten (DPS), die 1991 aus den Bund der Kommunisten Montenegros hervorging und sich als Schwesterpartei der SPS verstand, 76 % der Stimmen. Die SRS und eine neu formierte Kommunistische Partei kamen in Montenegro auf jeweils 10 % der Stimmen. Neben den Parlamentswahlen fanden auch Kommunalwahlen statt. Während eines Besuches vor den Wahlen in der Bundesrepublik Jugoslawien kam die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) zu der Auffassung, dass die Bedingungen für freie und faire Wahlen nicht erfüllt gewesen seien. Die albanischen Kosovaren boykottierten grundsätzliche alle Wahlen, unabhängig davon, auf welcher staatlichen Ebene sie stattfanden. Stattdessen bauten sie im Kosovo staatliche Parallelstrukturen auf und hielten ihre eigenen Wahlen ab. Diese wurden zwar von jugoslawischer bzw. serbischer Seite formell nicht anerkannt, doch zumindest weitgehend geduldet.
Die Bundesversammlung wählte am 15.06.1992 den serbischen Schriftsteller Dobrica Ćosić zum ersten Präsidenten der Bundesrepublik Jugoslawien. Dieser berief am 01.07.1992 Milan Panić zum ersten Ministerpräsidenten der Bundesrepublik Jugoslawien, der daraufhin mit 99 zu 33 Stimmen auch vom jugoslawischen Parlament zum Ministerpräsidenten gewählt wurde. Neben der Konstituierung der Staatsorgane erfolgte am 01.07.1992 die Einführung einer neuen Währung. Ein neuer Dinar entsprach dabei 10 alten Dinaren. Anstatt wie bisher an die Deutsche Mark, wurde der neue Dinar an den US-Dollar gekoppelt.
Internationale Sanktionen gegen die Bundesrepublik Jugoslawien
Die Konstituierung der Bundesrepublik Jugoslawien wurde von Maßnahmen der internationalen Gemeinschaft überlagert. Von den meisten Staaten wurde die Bundesrepublik Jugoslawien nicht als Rechtsnachfolger der SFRJ anerkannt. Infolgedessen beschlossen die Außenminister der EG am 11.05.1992 ihre Botschafter aus Belgrad abzuziehen. Die Vereinigten Staaten von Amerika folgten diesem Beschluss einen Tag später. Die Mitgliedsstaaten der KSZE stimmten mit Ausnahme des jugoslawischen Vertreters am 12.05.1992 für einen Teilausschluss Jugoslawiens. Die Bundesrepublik Jugoslawien durfte zunächst bis zum 30.06.1992 nicht mehr über Angelegenheiten der KSZE in Bosnien und Herzegowina mit abstimmen. In einer Erklärung der KSZE wurde Serbien für den Krieg in Bosnien und Herzegowina hauptverantwortlich gemacht. Bereits am 27.05.1992 beschlossen die Staaten der EG Sanktionen gegen die Bundesrepublik Jugoslawien zu verhängen. Diese Sanktionen umfassten ein Handelsembargo, eine Sperrung jugoslawischer Konten im Ausland, einhergehend mit einer Unterbindung der meisten Überweisungen, und die Aussetzung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit sowie der Gewährung von Exportkredithilfen.
Drei Tage später, am 30.05.1992, entschied sich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit 13 Stimmen, bei zwei Enthaltungen von der Volksrepublik China und Simbabwe, mit der Resolution 757 zu noch schärferen Sanktionen gegen die Bundesrepublik Jugoslawien. Diese enthielten ein vollständiges Handelsembargo, ein Verbot von Öllieferungen an die Bundesrepublik Jugoslawien und die Einstellung des Flugverkehrs dorthin. Des Weiteren wurden jugoslawische Auslandsguthaben eingefroren und Finanztransaktionen unterbunden. Selbst die kulturellen, sportlichen und wissenschaftlichen Kontakte mit der Bundesrepublik Jugoslawien wurden aufgrund der Resolution 757 unterbrochen. Die Resolution 757 enthielt auch die Forderung an die Bundesrepublik Jugoslawien, früheren Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen nachzukommen. Diese sahen den Abzug von jugoslawischen Soldaten aus Bosnien und Herzegowina, die Entwaffnung von jugoslawischen Soldaten, die in Bosnien und Herzegowina blieben, und die Beendigung von Zwangsumsiedlungen vor. Nach Angaben des jugoslawischen Generalstabes wurde der Abzug der jugoslawischen Armee aus Bosnien und Herzegowina am 08.06.1992 abgeschlossen. Doch entgegen der Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen blieben die Ausrüstung und die Soldaten der jugoslawischen Armee aus Bosnien und Herzegowina unter Kontrolle der Serbischen Republik bzw. der serbischen Bosnier in Bosnien und Herzegowina. Dies sollte sich für den Krieg in Bosnien und Herzegowina noch als besonders folgenreich erweisen. Später wurde die Bundesrepublik Jugoslawien nach einer Entscheidung des IGH zwar nicht direkt für den Krieg in Bosnien und Herzegowina verantwortlich gemacht, doch habe sie nichts unternommen, um den Krieg zu verhindern, und sei dem IGH nach in diesem Sinne mitverantwortlich gewesen.
In der deutschen Presse wurde die Bundesrepublik Jugoslawien seinerzeit oft als Rest-Jugoslawien bezeichnet. Dies war sowohl völkerrechtlich als auch staatsrechtlich unkorrekt. Die Bundesrepublik Jugoslawien selbst sah sich als Rechtsnachfolgerin der SFRJ. Für den überwiegenden Teil der internationalen Staatengemeinschaft war sie neben den Republiken Bosnien und Herzegowina, Kroatien, Makedonien und Slowenien lediglich eine von fünf Nachfolgestaaten der SFRJ. Formal bestätigt wurde diese Rechtsauffassung dann am 22.09.1992 auf der Vollversammlung der Vereinten Nationen. Auf Empfehlung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 19.09.1992 wurde auf dieser Vollversammlung mit 127 zu 6 Stimmen, bei 26 Enthaltungen und 20 abwesenden Staaten, der Bundesrepublik Jugoslawien das Recht abgesprochen die Rechtsnachfolge der SFRJ anzutreten. Damit durfte die Bundesrepublik Jugoslawien den Sitz der SFRJ in den Gremien der Vereinten Nationen nicht mehr wahrnehmen und wurde so von der weiteren Mitarbeit in den Vereinten Nationen ausgeschlossen. Der Bundesrepublik Jugoslawien wurde geraten einen Neuantrag auf Aufnahme in die Vereinten Nationen zu stellen, jedoch wurde sie erst am 01.11.2000 auf entsprechenden Antrag aufgenommen.
Die Politik in der Bundesrepublik Jugoslawien
Hauptakteur sowohl in der jugoslawischen als auch in der serbischen Politik war weiterhin der damalige serbische Staatspräsident Slobodan Milošević. Mit Dobrica Ćosić und Milan Panić als Repräsentanten der Bundesrepublik Jugoslawien sollte das bisher schlechte Image des Staates in der internationalen Politik aufpoliert werden. Dobrica Ćosić war ein überaus populärer Schriftsteller mit hohem Bekanntheitsgrad im In- als auch im Ausland, von dem sich Slobodan Milošević einen großen nationalen und internationalen Prestigegewinn für die Bundesrepublik Jugoslawien versprach. Inhaltlich stimmten die Auffassungen von Slobodan Milošević und Dobrica Ćosić über Bosnien und Herzegowina bezüglich der serbischen Frage überein. Doch letzterer lehnte einen Krieg zur Befriedigung von serbischen Interessen in Bosnien und Herzegowina ab. Im Gegensatz dazu war das Verhältnis zwischen dem damaligen serbischen Präsidenten Slobodan Milošević und dem damaligen jugoslawischen Ministerpräsidenten Milan Panić eher komplex und undurchsichtig. Milan Panić war ein amerikanischer Geschäftsmann mit serbischer Abstammung, dessen internationale geschäftliche Beziehungen und Netzwerke Slobodan Milošević für die Bundesrepublik Jugoslawien und Serbien wohl nutzbar machen wollte. Letztendlich positionierte sich Milan Panić sowohl innerhalb der Bundesrepublik Jugoslawien als auch auf internationaler Ebene als die friedliche Alternative zu Slobodan Milošević und entfaltete eine rege Reisetätigkeit rund um die Welt. Auch in der internationalen Staatengemeinschaft wurde Milan Panić im Verbund mit Dobrica Ćosić als friedliche Alternative zu Slobodan Milošević wahrgenommen. Dies war wohl auch der Grund dafür, dass die Repräsentanten der Bundesrepublik Jugoslawien trotz der bisherigen internationalen Nichtanerkennung dieses Staates in internationale Verhandlungen über Jugoslawien und den Krieg in Bosnien und Herzegowina mit eingebunden wurden. Doch letztendlich konnten weder Dobrica Ćosić als jugoslawischer Präsident noch Milan Panić als jugoslawischer Ministerpräsident den Krieg auf dem Balkan beenden. Auch bei dem Ziel, die internationale Anerkennung der Bundesrepublik Jugoslawien zu erreichen und eine Aufhebung der internationalen Sanktionen ihr gegenüber herbeizuführen, waren sie erfolglos.
Am 20.12.1992 fanden in der Bundesrepublik Jugoslawien Parlamentswahlen und in den jugoslawischen Republiken Serbien und Montenegro Parlaments- und Präsidentenwahlen statt. Bei der serbischen Präsidentenwahl trat Milan Panić gegen den damaligen Amtsinhaber Slobodan Milošević an und verlor gegen diesen im ersten Wahlgang mit 34,0 % zu 56,3 % der Stimmen. In Montenegro erreichte der damalige montenegrinische Präsident Momir Bulatović, der dem serbischen Präsidenten Slobodan Milošević nahestand, bei der montenegrinischen Präsidentenwahl 42,2 % der Stimmen. Erst bei der Stichwahl am 10.01.1993 setzte er sich mit 63,3 % der Stimmen durch. Bei der Wahl der Bürgerkammer der Bundesversammlung erreichte die Sozialistische Partei Serbiens (SPS) von Slobodan Milošević nur noch 34 % der Stimmen. Sie blieb zwar die stärkste Kraft, verlor jedoch die absolute Mehrheit. Die Serbische Radikale Partei (SRS) gewann deutlich mehr Stimmen gegenüber der letzten Parlamentswahl hinzu und kam auf 24 %. In der Bürgerkammer der jugoslawischen Bundesversammlung war die SPS nun mit 47 von 138 Sitzen vertreten. Die SRS kam auf 34 Sitze und die Demokratische Partei der Sozialisten Montenegros auf 17 Sitze. Die Oppositionsparteien erreichten insgesamt 40 Sitze in der Bürgerkammer der jugoslawischen Bundesversammlung. Bei den zeitgleich stattgefundenen serbischen Parlamentswahlen erreichte die SPS 44 % der Stimmen und kam auf 101 von 250 Parlamentssitzen. Die SRS kam mit 29 % der Stimmen auf 73 Sitze und die Oppositionsparteien kamen zusammen auf 71 Sitze. Bei der ebenfalls zeitgleich stattgefundenen Parlamentswahl in Montenegro erreichte die DPS über 40 % der Stimmen. Auch bei diesen Wahlen stellten internationale Wahlbeobachter zahlreiche Unregelmäßigkeiten fest.
Nach dem sich der jugoslawische Ministerpräsident Milan Panić als politisch unbrauchbar für Slobodan Milošević erwies und bei der serbischen Präsidentenwahl auch noch gegen ihn antrat, wurde er von der Bundesversammlung mit großer Mehrheit in beiden Kammern gestürzt. Zu seinem Nachfolger wurde Radoje Kontić bestellt, der am 09.02.1993 vom damaligen jugoslawischen Präsidenten Dobrica Ćosić mit der Regierungsbildung beauftragt und am 02.03.1993 von der Bundesversammlung zum jugoslawischen Ministerpräsidenten gewählt wurde. Einen Tag später sprachen beide Kammern der Bundesversammlung der neuen jugoslawischen Regierung das Vertrauen aus. Aufgrund der neuen Mehrheitsverhältnisse waren die SPS und Slobodan Milošević zur Zusammenarbeit mit der Serbischen Radikalen Partei (SRS) und Vojislav Šešelj gezwungen. Diese Zusammenarbeit wurde beim Sturz des damaligen jugoslawischen Präsidenten Dobrica Ćosić genutzt, der am 01.06.1993 durch das jugoslawische Parlament abgesetzt wurde. Die Serbische Radikale Partei (SRS) brachte das Misstrauensvotum ein, welches von der Sozialistischen Partei Serbiens (SPS) unterstützt wurde. Offiziell wurde das Misstrauensvotum mit einer Verletzung der Verfassung durch Dobrica Ćosić begründet. Tatsächlich befürchtete Slobodan Milošević, dass sich Dobrica Ćosić eine eigene Machtbasis aufbauen und ihm dadurch gefährlich werden könnte. Zum neuen Präsidenten der Bundesrepublik Jugoslawien wurde am 25.06.1993 der bisherige Parlamentspräsident der jugoslawischen Republik Serbien, Zoran Lilić, gewählt.
Gegen die jugoslawische und serbische Opposition gingen Slobodan Milošević und seine Verbündeten mit harter Hand vor. So wurde unter anderem der bekannte serbische Oppositionspolitiker Vuk Drašković von der Serbischen Erneuerungsbewegung (SPO) zeitweise verhaftet und schwer misshandelt. Die vorgezogenen Parlamentswahlen in der jugoslawischen Republik Serbien am 19.12.1993 bestätigten im Wesentlichen die Machtverhältnisse und die Vorherrschaft Slobodan Miloševićs. Bei diesen Wahlen kam die SPS auf 37 % der Stimmen und erhielt damit 123 Sitze im Parlament. Das Oppositionsbündnis Demokratische Bewegung Serbiens (DEPOS) mit der SPO als zentralem Kern wurde mit 17 % und 45 Sitzen zweitstärkste Kraft. Die SRS kam mit 14 % der Stimmen und 39 Sitzen auf Platz 3. Die Demokratische Partei (DP) erreichte 12 % und erhielt 29 Sitze im serbischen Parlament, gefolgt von der Demokratischen Partei Serbiens (DPS) mit 7 Sitzen. Die restlichen Sitze gingen an die Repräsentanten von ethnischen Minderheiten. Auch wenn die Macht von Slobodan Milošević und seinen Verbündeten in dieser Zeit im Wesentlichen gefestigt war – international blieb die Bundesrepublik Jugoslawien vor allem wegen des Krieges in Bosnien und Herzegowina isoliert. Dies sollte sich erst ab dem Jahr 1995 ändern, als sich die Bundesrepublik Jugoslawien bzw. die jugoslawische Republik Serbien von den serbischen Bosniern distanzierte und das Friedensabkommen von Dayton den Krieg in Bosnien und Herzegowina beendete.
Die Konsolidierung der Bundesrepublik Jugoslawien
Nachdem die serbischen Bosnier im Jahre 1994 kompromisslos einen internationalen Friedensplan für Bosnien und Herzegowina ablehnten, der ansonsten die Zustimmung aller Beteiligten (darunter auch der Bundesrepublik Jugoslawien und der jugoslawischen Republik Serbien) fand, brach am 04.08.1994 die Bundesrepublik Jugoslawien ihre politischen und wirtschaftlichen Beziehungen mit den serbischen Bosniern ab. Nur die Lieferung von humanitären Gütern an die serbischen Bosnier blieb davon ausgenommen.
Am 08.09.1994 stimmte der serbische Präsident Slobodan Milošević einer internationalen Überwachung der Grenze zwischen der Bundesrepublik Jugoslawien und Bosnien und Herzegowina zu, die mit der Stationierung erster Beobachter am 16.09.1994 begann. Doch erst am 29.08.1995 gaben die Serbische Republik in Bosnien und Herzegowina bzw. die serbischen Bosnier nach und stimmten Friedensverhandlungen auf Basis der bisherigen Friedensvorschläge zu. Vom 01.11. bis zum 21.11.1995 fanden auf der US-Luftwaffenbasis Wright-Patterson bei Dayton im US-Bundesstaat Ohio Friedensgespräche der drei Staatsoberhäupter der Republiken Bosnien und Herzegowina (Alija Izetbegović), Kroatien (Franjo Tuđman) und Serbien (Slobodan Milošević) statt. Der erfolgreiche Verlauf dieser Gespräche bewirkte, dass die Sanktionen der Vereinten Nationen gegen die Bundesrepublik Jugoslawien am 23.11.1995 ausgesetzt und später ganz aufgehoben wurden. Am 14.12.1995 wurde das Friedensabkommen von Dayton unterzeichnet und der Krieg in Bosnien und Herzegowina war somit beendet. Die Friedensverhandlungen in Dayton brachten auch eine Normalisierung der Beziehungen zwischen der Republik Kroatien und der Bundesrepublik Jugoslawien.
In der ersten Jahreshälfte 1996 erfolgte dann die Normalisierung der Beziehungen zwischen den Staaten der EG und der Bundesrepublik Jugoslawien. Vorausgegangen war ein Abkommen über die gegenseitige völkerrechtliche Anerkennung zwischen der Bundesrepublik Jugoslawien und der Republik Makedonien, das am 08.04.1996 vom jugoslawischen Außenminister Milan Milutinović und dem makedonischen Außenminister Ljubomir Frckowski in Belgrad unterzeichnet wurde. Darin erkannte die Republik Makedonien, entgegen der breiten internationalen völkerrechtlichen Auffassung, die Bundesrepublik Jugoslawien als Rechtsnachfolger der SFRJ an. Die völkerrechtliche Anerkennung der Bundesrepublik Jugoslawien durch die Bundesrepublik Deutschland erfolgte am 17.04.1996, einen Tag nach der Anerkennung durch das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland und die Republik Österreich.
Auch innenpolitisch blieb die Situation in der Bundesrepublik Jugoslawien und in der jugoslawischen Republik Serbien zunächst entspannt. Am 03.11.1996 fanden Parlamentswahlen in der Bundesrepublik Jugoslawien und der jugoslawischen Republik Montenegro statt. In Serbien und Montenegro fanden zeitgleich Kommunalwahlen statt. Die SPS von Slobodan Milošević bildete eine Allianz mit dem Bündnis Jugoslawische Linke (JUL) von Mirjana Marković, der Frau von Slobodan Milošević, und mit der Partei Neue Demokratie (ND). Diese Allianz erhielt 64 Sitze in der Bürgerkammer der Bundesversammlung. Die montenegrinische DPS kam auf 20 Sitze und die SRS von Vojislav Šešelj auf 16. Das Oppositionsbündnis Zajedno (Gemeinsam) erreichte 22 Sitze und bestand aus der Serbischen Erneuerungsbewegung (SPO) von Vuk Drašković, der Demokratischen Partei (DS) von Zoran Djindjić, der Demokratischen Partei Serbiens (DSS) von Vojislav Koštunica und der Bürgerallianz (GSS) von Vešna Pesić. Weitere Sitze fielen kleineren Parteien und den Repräsentanten ethnischer Minderheiten zu. Am 17.11.1996 fand der zweite Wahlgang der Kommunalwahlen in der jugoslawischen Republik Serbien statt. Dort siegte das Oppositionsbündnis Zajedno in 15 von 18 großen Städten und erreichte in Belgrad 60 von 110 Stadtratssitzen. Daraufhin wurden zahlreiche Wahlergebnisse annulliert und am 27.11.1996 Neuwahlen durchgeführt, die von Zajedno wegen befürchteter Wahlfälschungen boykottiert wurden. Diese Neuwahlen brachten wieder die bisherigen Machtverhältnisse hervor und führten zu massenhaften Protesten in der Bevölkerung. So demonstrierten allein in Belgrad je nach Quelle zwischen 100.000 und 200.000 Menschen gegen die Kommunalwahlergebnisse.
Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) kam am 27.12.1996 in ihrem Bericht zu dem Schluss, dass die Opposition entgegen der Auffassung der serbischen Führung in 13 von 18 Großstädten und in 9 von 16 Wahlbezirken der serbischen Hauptstadt Belgrad gesiegt habe. Zunächst erkannte die serbische Führung den Wahlsieg der Opposition am 03.01.1997 nur teilweise an (darunter in den Städten Belgrad und Niš); erst nach weiteren Protesten verabschiedete das Parlament der Republik Serbien am 11.02.1997 ein Sondergesetz zur Anerkennung der Kommunalwahlergebnisse vom 17.11.1996. Bereits am 21.02.1997 wurde Zoran Djindjić vom Stadtparlament zum Bürgermeister von Belgrad gewählt. Das Oppositionsbündnis Zajedno, das der serbischen Führung unter Slobodan Milošević die erste Niederlage beigebracht hatte, zerbrach nach einigen Monaten aufgrund von inneren Gegensätzen und Streitereien. Die erste relativ erfolgreiche Demokratisierungsbewegung verlor wieder an Kraft, Zoran Djindjić wurde Ende September 1997 mit Hilfe der SPO von Vuk Drašković als Bürgermeister abgewählt.
Der Präsident der jugoslawischen Republik Serbien Slobodan Milošević trat Anfang Juli 1997 zurück und wurde am 15.07.1997 zum Präsidenten der Bundesrepublik Jugoslawien gewählt. Hintergrund dieses Wechsels war der Ausschluss einer erneuten Kandidatur Slobodan Miloševićs für das serbische Präsidentenamt durch die serbische Verfassung und das baldige Ende der Amtszeit des bisherigen jugoslawischen Präsidenten Zoran Lilić. Zoran Lilić sollte stattdessen nun neuer serbischer Präsident werden. Doch dieser scheiterte im zweiten Wahlgang am 05.10.1997 gegen seinen ultrarechten Herausforderer Vojislav Sešelj. Aufgrund einer zu geringen Wahlbeteiligung war diese Präsidentenwahl jedoch ungültig und musste daher wiederholt werden. Bei der Wiederholung der Präsidentenwahl am 07.12.1997 wurde Zoran Lilić durch den bisherigen jugoslawischen Außenminister Milan Milutinović ersetzt, doch erst bei der Stichwahl am 27.12.1997 setzte sich Milan Milutinović mit 59,23 % der Stimmen durch und wurde am 29.12.1997 Präsident der jugoslawischen Republik Serbien.
In der jugoslawischen Republik Montenegro kam es innerhalb der Demokratischen Partei der Sozialisten Montenegros (DPS) zum Machtkampf zwischen dem damaligen Parteivorsitzenden und montenegrinischen Präsidenten Momir Bulatović und dem damaligen montenegrinischen Ministerpräsidenten Milo Djukanović. Ersterer war ein enger Verbündeter Slobodan Miloševićs und Befürworter einer festen Union mit Serbien. Letzterer wollte sich von Slobodan Milošević und Serbien distanzieren. Am 11.07.1997 wurde der Parteivorsitzende Momir Bulatović gestürzt und Milo Djukanović zu seinem Nachfolger gewählt. Momir Bulatović trat daraufhin aus der DPS aus und gründete die Sozialistische Volkspartei (SNP). Auch bei der Präsidentenwahl in der jugoslawischen Republik Montenegro am 05.10.1997 trat Milo Djukanović gegen den damaligen Amtsinhaber Momir Bulatović an. Im ersten Wahlgang setzte sich Amtsinhaber Momir Bulatović knapp durch, doch die Stichwahl am 19.10.1997 gewann schließlich Milo Djukanović. Durch die Präsidentenwahl in Montenegro verlor Slobodan Milošević einen wichtigen Verbündeten an der Spitze Montenegros. Die Machtverhältnisse in der Bundesrepublik Jugoslawien waren gestört. Montenegro ging immer mehr auf Distanz zu Serbien und stellte sich im Kosovo-Krieg gegen die Serben.
Der Kosovokrieg
Anfang 1998 trat Milo Djukanović offiziell die Nachfolge von Momir Bulatović als Präsident der jugoslawischen Republik Montenegro an. Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen in der jugoslawischen Republik Montenegro am 31.05.1998 gewann die DPS unter dem Vorsitz von Milo Djukanović in einem Bündnis mit den Sozialdemokraten (SDP) die Wahlen. Die Bundesrepublik Jugoslawien unter Slobodan Milošević erkannte die Parlamentswahlen in Montenegro nicht an. Hintergrund dessen war eine veränderte Zusammensetzung der Kammer der Republiken in der Bundesversammlung nach der Wahl in Montenegro, wodurch sich für Slobodan Milošević ungünstigere Mehrheitsverhältnisse ergaben. Bereits am 19.05.1998 wurde der damalige jugoslawische Ministerpräsident Radoje Kontić auf Betreiben von Slobodan Milošević durch das jugoslawische Parlament gestürzt. Zu dessen Nachfolger berief der jugoslawische Präsident Slobodan Milošević am 21.05.1998 Momir Bulatović. Die jugoslawische Republik Montenegro erkannte daraufhin weder das jugoslawische Parlament noch die jugoslawische Regierung unter Momir Bulatović an. Montenegro ging auf Distanz zu Serbien und der Bundesrepublik Jugoslawien. Diese Entwicklung wurde durch ein Aufflammen des Kosovokonfliktes überlagert, der lange Zeit eingefroren war. Der passive Widerstand der albanischen Kosovaren unter der Führung von Ibrahim Rugova ging in den Jahren 1997 und 1998 immer mehr in einen bewaffneten Widerstand über.
Ein Blick auf die Entwicklung des Kosovo ab dem Jahre 1991: Am 26.09.1991 stimmten in einem Referendum über 90 % der albanischen Kosovaren für die Unabhängigkeit des Kosovos. Die albanischen Kosovaren bauten im Kosovo parallele staatliche Strukturen auf und erkannten die der Bundesrepublik Jugoslawien und der jugoslawischen Republik Serbien im Kosovo nicht an. Die Bundesrepublik Jugoslawien und die jugoslawische Republik Serbien akzeptierten ihrerseits die geschaffenen staatlichen Strukturen der albanischen Kosovaren nicht, duldeten sie jedoch weitgehend. Bei den kosovarischen Parlamentswahlen im Mai 1992 gewann die Demokratische Liga des Kosovo (LDK) unter dem Vorsitz von Ibrahim Rugova, der auch Präsident des Kosovos wurde, die Wahlen. Er und die LDK standen für einen friedlichen und passiven Widerstand.
Im April 1996 wurden nach der Erschießung eines albanischen Kosovaren fünf Serben, darunter ein serbischer Polizist, von der bis dahin unbekannten UCK („Befreiungsarmee des Kosovo“) erschossen. Damit trat die UCK erstmals in Erscheinung. Im November 1997 trat sie bei dem Begräbnis eines von Polizisten erschossenen albanisch-kosovarischen Lehrers erstmals in der Öffentlichkeit auf. Im März 1998 brach der bewaffnete Konflikt zwischen der UCK auf der einen Seite und den serbischen und jugoslawischen Sicherheitskräften auf der anderen Seite offen aus. Es kam zu ersten Massakern mit vielen Opfern. Die internationale Staatengemeinschaft wurde auf dem Konflikt aufmerksam, doch lehnten die serbischen Bürgerinnen und Bürger bei einem Referendum im April 1998 jede internationale Vermittlung in diesem Konflikt ab. Im Juli 1998 nahm die UCK erstmals für wenige Tage eine kosovarische Stadt ein, die Rückeroberung durch jugoslawische und serbische Sicherheitskräfte forderte rund 100 Tote. Zwischen Juli und Oktober 1998 fand eine umfangreiche Offensive der serbischen Polizei und der jugoslawischen Armee im Kosovo statt, bei der die gesamte Kontrolle über den Kosovo zurückerobert, mehrere hunderttausend Menschen vertrieben und über 100 Dörfer zerstört wurden.
Im Oktober 1998 verpflichtete sich der damalige jugoslawische Präsident Slobodan Milošević unter Androhung eines NATO-Luftangriffs zu einem Rückzug der Sicherheitskräfte aus dem Kosovo. Zur Überwachung dieses Rückzugs und eines Waffenstillstands sollten bis zu 2000 unbewaffnete OSZE-Beobachter im Kosovo stationiert werden. Doch im Dezember 1998 brach der Konflikt zwischen der UCK und den jugoslawischen bzw. den serbischen Sicherheitskräften erneut aus, bei dem immer mehr Einheiten der jugoslawischen Armee und der serbischen Sonderpolizei in das Kosovo verlegt wurden. Unter dem Druck der Ereignisse wurden Vertreter der Bundesrepublik Jugoslawien bzw. der jugoslawischen Republik Serbien und der albanischen Kosovaren zu Verhandlungen gezwungen, die am 16.02.1999 im französischen Rambouillet bei Paris begannen. Am 17.03.1999 unterschrieb die Delegation der albanischen Kosovaren ein Abkommen, wonach das Kosovo als völkerrechtlicher Bestandteil der jugoslawischen Republik Serbien eine umfassende Autonomie erhalten sollte, die vergleichbar mit dem Autonomiestatus des Kosovos von 1974 gewesen wäre. Die UCK sollte gemäß diesem Abkommen entwaffnet werden und NATO-Truppen für die Sicherheit im Kosovo sorgen. Die jugoslawisch-serbische Delegation stimmte dem Autonomiestatus des Kosovos grundsätzlich zu, nicht jedoch dem vorliegendem Plan zur Stationierung von NATO-Truppen. Diese hätten sich nicht nur im Kosovo sondern im ganzen Territorium der Bundesrepublik Jugoslawien frei und uneingeschränkt bewegen dürfen, was als unverhältnismäßige Einschränkung der Souveränität der Bundesrepublik Jugoslawien abgelehnt wurde. Die jugoslawisch-serbische Delegation unterschrieb das Abkommen somit nicht. Als letzter versuchte Richard Holbrooke den damaligen jugoslawischen Präsidenten am 19.03.1999 vergeblich zum Einlenken zu bewegen.
Die militärische NATO-Intervention in der Bundesrepublik Jugoslawien
Die NATO startete am 24.03.1999 ohne durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen dazu legitimiert zu sein ihre Luftangriffe gegen die Bundesrepublik Jugoslawien. Zwischen 19 Uhr 41 und 3 Uhr 30 des darauf folgenden Tages bombardierten etwa 200 Flugzeuge zahlreiche Ziele auf dem gesamten Territorium der Bundesrepublik Jugoslawien. Außerdem wurden rund 50 Lenkwaffen eingesetzt. Zunächst war die Ausschaltung der jugoslawischen Luftverteidigung und der Kommando-, Kontroll- und Kommunikationszentren der Streitkräfte Jugoslawiens (Vojska Jugoslavija, VJ) das vorrangige Ziel der NATO-Luftangriffe.
Aufgrund der NATO-Angriffe wurde innerhalb der Bundesrepublik Jugoslawien der Kriegszustand ausgerufen und die Streitkräfte Jugoslawiens teilmobilisiert. Die jugoslawische Luftwaffe versuchte zunächst mit fünf MIG-29 Kampfflugzeugen der NATO-Luftstreitmacht zu begegnen, wurde jedoch von einem großen Aufgebot an NATO-Abfangjägern gestellt. Alle fünf MIG-29-Kampfflugzeuge wurden im Verlauf der Luftkämpfe abgeschossen, wobei ein Pilot ums Leben kam. Aufgrund der geringen Einsatzbereitschaft der jugoslawischen MIG-29-Kampfflugzeuge wurden weitere Flüge zur Luftabwehr bis auf weiteres nicht mehr durchgeführt. Neben dem Jagdgeschwader bestand die integrierte Luftverteidigung der Streitkräfte Jugoslawiens aus der 250. Raketenbrigade. Diese verfügte zwar hauptsächlich über militärisch veraltetes Gerät, dafür jedoch in großer Anzahl.
Am 27.03.1999 konnte die jugoslawische Flugabwehr mit dem Flugabwehrraketensystem S-125 Newa ein Tarnkappenflugzeug vom Typ F-117A der Vereinigten Staaten abschießen. Der Pilot der F-117A konnte sich mit dem Schleudersitz retten und wurde noch in der Nacht des Abschusses von Spezialeinheiten der US-Luftwaffe gerettet. Dieser Abschuss war ein taktischer Erfolg für die jugoslawische Flugabwehr und führte zu einem operativen Strategiewechsel bei der NATO. In Folge dessen wurden die Sicherheitsbestimmungen für die weiteren Luftangriffe dauerhaft verschärft. So durften die Tarnkappenbomber fortan nur noch mit Begleitschutz fliegen. Die Luftoperationen der NATO konzentrierten sich nun größtenteils auf die Ausschaltung der jugoslawischen Raketen- und Radarstellungen. Insgesamt führten die NATO-Luftangriffe jedoch zu keinem durchschlagenden militärischen Erfolg gegenüber den Jugoslawischen Streitkräften und ihren Einrichtungen.
Trotz zahlreicher Zerstörungen blieb diese einsatzfähig und operierte auch weiterhin im Kosovo, was zur Flucht von mehreren hunderttausend albanischen Kosovaren führte. Erschwerend kam hinzu, dass innerhalb der NATO kein Konsens über den möglichen Einsatz von Bodentruppen erzielt werden konnte. Deshalb wurde die NATO-Operation auch auf Ziele der zivilen Infrastruktur ausgeweitet. Durch diese zusätzliche Eskalation sollte die Bundesrepublik Jugoslawien in die Knie gezwungen werden. Angriffsziele der NATO lagen nicht nur in der damaligen jugoslawischen Republik Serbien, sondern auch in der damaligen jugoslawischen Republik Montenegro und in der Serbischen Republik von Bosnien und Herzegowina.
Innerhalb des Kosovos kam es während der NATO-Operation zu massiven Bodenkampfhandlungen zwischen den dort stationierten Einheiten der Streitkräfte Jugoslawiens unter Oberbefehl von Dragoljub Ojdanić und der kosovarischen Befreiungsarmee UCK. Unterstützt wurde die UCK dabei durch NATO-Luftangriffe auf die im Kosovo stationierten Einheiten der Streitkräfte Jugoslawiens. Folgende Bedingungen formulierte der Nordatlantikrat am 12.04.1999 für die Einstellung der Luftoperationen gegenüber der Bundesrepublik Jugoslawien:
- Die Bundesrepublik Jugoslawien stellt das Ende der militärischen Operationen im Kosovo sicher und beendet die Gewaltaktionen und Unterdrückung der albanischen Kosovaren,
- die Bundesrepublik Jugoslawien stellt den Abzug aller ihrer offiziellen Sicherheitskräfte (Streitkräfte, paramilitärischer Einheiten und Polizei) aus dem Kosovo sicher,
- die Bundesrepublik Jugoslawien akzeptiert die Stationierung einer internationalen Militärtruppe im Kosovo,
- die Bundesrepublik Jugoslawien akzeptiert die bedingungslose und sichere Rückkehr aller kosovarischen Flüchtlinge und den ungehinderten Zugang von internationalen Hilfsorganisationen zu ihnen und
- die Bundesrepublik Jugoslawien bekräftigt ihren Willen, eine politische Lösung auf Basis der Verhandlungen in Rambouillet, dem Völkerrecht und der Charta der Vereinten Nationen herbeizuführen.
Gegenüber dem parlamentarischen Kontrollausschuss für die amerikanischen Streitkräfte erklärte der damaligen US-Außenminister William Cohen am 15.04.1999, das Ziel der Angriffe sei die Zerstörung der jugoslawischen Militär- und Sicherheitsstrukturen, die dem jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milošević dazu dienen würden, die albanisch-kosovarische Mehrheitsbevölkerung im Kosovo zu entvölkern und zu zerstören. Nach Auffassung der damaligen jugoslawischen Regierung dienten die Einsätze der jugoslawischen Sicherheitskräfte im Kosovo dem Schutz der serbischen Kosovaren vor den Übergriffen der UCK.
Unterdessen stürzte am 02.05.1999 ein US-Kampfflugzeug vom Typ F-16CG während eines Lufteinsatzes ab. Der Pilot konnte sich mit dem Schleudersitz retten. Etwa einem Monat nach dem Abschuss der fünf MIG-29 Kampfflugzeuge setzte die jugoslawische Luftwaffe wieder ein MIG-29 Kampfflugzeug ein. In einem Luftkampf mit mehreren Dutzend NATO-Jägern wurde die MIG-29 am 04.05.1999 abgeschossen, wobei der Pilot und Kommandant des 204ten Luftregiments der jugoslawischen Luftstreitkräfte ums Leben kam. Die verbliebenen Flugzeuge der 127. Jagdfliegerstaffel der jugoslawischen Luftstreitkräfte wurden danach nicht mehr eingesetzt. Zu einem folgenschweren Einsatz der NATO kam es am 20.05.1999, bei dem in der serbischen Stadt Varvarin eine Brücke über den Fluss Morava durch zwei NATO-Kampfflugzeuge in zwei Angriffswellen zerstört wurde. Bei diesem Angriff wurden zehn Zivilisten getötet und 30 verletzt, davon 17 schwer.
Die zunehmende und ungeplante Dauer des NATO-Luftkrieges gegen die Bundesrepublik Jugoslawien führte zu einer militärischen Eskalation, indem statt militärischer Ziele immer mehr auch zivile Infrastruktur angegriffen und zerstört wurde. Zunehmend wurden auch serbische Großstädte durch die NATO-Luftstreitkräfte angegriffen. Scheinbar gab es kein Konzept auf Seiten der NATO für längere Lufteinsätze, da man dort ursprünglich von einem schnelleren Erfolg der Operation ausging. Eine Bodenoffensive wurde aufgrund der Situation von Seiten der NATO immer stärker in Erwägung gezogen und sollte im Juni der Bundesrepublik Jugoslawien offiziell angedroht werden. Allerdings gab es keine Vorbereitungen für eine Bodenoffensive, so dass es bis zu einem tatsächlich Einsatz von NATO-Bodentruppen wohl noch Monate gedauert hätte. Im Ergebnis dürfte die militärische Eskalation zu einer erhöhten Verhandlungsbereitschaft auf Seiten der Bundesrepublik Jugoslawien geführt haben, den Konflikt diplomatisch zu lösen. Noch während der NATO-Operation gab es bereits diplomatische Aktivitäten zur Beendigung des Konfliktes.
Das Ende der NATO-Operation und die Übergangsverwaltungsmission
Die diplomatischen Bemühungen hatten schließlich Erfolg. Das serbische Parlament billigte am 03.06.1999 einen von den G-8-Staaten am 06.05.1999 vorgelegten Friedensplan, dem auch der jugoslawische Präsident Slobodan Milošević zustimmte. Allerdings gab es zwischen der NATO und der Bundesrepublik Jugoslawien weiterhin Unstimmigkeiten über den militärischen Teil der Umsetzung des Friedensplanes. Die Verhandlungen darüber zogen sich noch einige Tage hin und führten erst am 09.06.1999 zu einer Einigung. Die Einigung sah den unverzüglichen Abzug der jugoslawischen und serbischen Sicherheitskräfte aus dem Kosovo vor. Stattdessen sollte im Kosovo im Rahmen eines entsprechenden Mandates des UN-Sicherheitsrates eine NATO-geführte Friedenstruppe stationiert werden. Der UN-Sicherheitsrat fasste am 10.06.1999 mit der Resolution 1244 einen entsprechenden Beschluss. Mit dieser Resolution wurde eine Übergangsverwaltungsmission der Vereinten Nationen im Kosovo (UNMIK) festgelegt. Unter anderem wurde der UN-Generalsekretär ermächtigt eine vorübergehende Zivilverwaltung für das Kosovo einzurichten. Ziel dieser Mission war es für das kosovarische Volk eine substantielle Autonomie herzustellen. Die Resolution 1244 legte folgende zivile Aufgaben für die Übergangsverwaltungsmission UMNIK fest:
- Die Etablierung einer unabhängigen Selbstverwaltung des Kosovos voranzutreiben,
- die Förderung eines politischen Prozesses mit dem Ziel den zukünftigen Status des Kosovos zu klären,
- die Koordinierung von humanitärer Hilfe und Katastrophenhilfe aller internationaler Organisationen,
- die Unterstützung bei der Wiederherstellung einer grundlegenden Infrastruktur,
- die Aufrechterhaltung der öffentlichen zivilen Ordnung,
- die Einhaltung der Menschenrechte voranzutreiben und
- die Ermöglichung einer sicheren Rückkehr aller Flüchtlinge und Vertriebenen.
Gleichzeitig betonte die Resolution in ihrer Präambel auch die territoriale Integrität der Bundesrepublik Jugoslawien. Über den endgültigen Status des Kosovos trifft die Resolution 1244 keine Festlegungen, dieser sollte im Rahmen von Verhandlungen zwischen den betroffenen Parteien geklärt werden. Für die Sicherheit im Kosovo ist gemäß der Resolution 1244 die Kosovo-Streitmacht „KAFOR“ („Kosovo Force“) zuständig. Ihre Aufgaben sind vor allem:
- Aufbau und Erhaltung eines sicheren Umfelds sowie Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Kosovo,
- Überwachung, Prüfung und Durchsetzung des militärisch-technischen Übereinkommens zwischen der NATO und der Bundesrepublik Jugoslawien und
- Unterstützung der Übergangsverwaltungsmission der Vereinten Nationen im Kosovo (UMINIK).
Die KAFOR rückte am 12.06.1999 in das Kosovo ein. Sie ist eine von der NATO geführte, aus internationalen Truppen bestehende Streitmacht. Anfangs bestand sie aus rund 50.000 Soldatinnen und Soldaten, jetzt sind nur noch einige Tausend im Rahmen der KAFOR im Einsatz. Offiziell für beendet erklärte der NATO-Generalsekretär Javier Solana die NATO-Luftangriffe am 21.06.1999. Drei Tage später wurde in der Bundesrepublik Jugoslawien der Kriegszustand aufgehoben. Die genaue Anzahl der Opfer aufgrund der NATO-Luftangriffe in der Zivilbevölkerung lässt sich nur schätzen. Human Rights Watch geht von etwa 400 bis 530 toten Zivilisten aus. Die Gesamtzahl der Toten wird je nach Quelle auf bis zu 3.500 geschätzt. Etwa 10.000 Menschen sollen verletzt worden sein. Hinzu kommen allerdings noch die Opfer, die aufgrund der Bodenkämpfe im Kosovo getötet und verletzt worden sind. Die Hauptlast des NATO-Einsatzes im Kosovo trug die Luftwaffe der Vereinigten Staaten von Amerika. Daran beteiligt waren die Luftwaffen der NATO-Staaten Deutschland, Italien, Niederlande und dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland. Der NATO-Einsatz hatte nicht nur Folgen für die Bundesrepublik Jugoslawien. Er offenbarte auch zahlreiche Schwächen bei der Strategie und Taktik der NATO. Die Einsatzfähigkeit der NATO und die Effektivität ihrer Luftangriffe hatten deutliche Grenzen, die vorher so nicht erwartet wurden. Es gab auch innerhalb der Befehlskette Streit, so dass immer wieder von höchster Stelle eingegriffen werden musste. Insgesamt zeigten sich deutliche Schwächen bei der NATO, die wiederum von jugoslawischer Seite strategisch und taktisch verwertet werden konnten.
Nachbetrachtungen zum NATO-Luftangriff auf die Bundesrepublik Jugoslawien
Der NATO-Luftangriff erfolgte ohne entsprechende Legitimation durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. In Artikel 2 Absatz 4 der Charta der Vereinten Nationen ist festgelegt: „Alle Mitglieder (der UN) unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.“ Grundsätzlich darf nur der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gemäß Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen (Artikel 39 bis 51) Maßnahmen bei Bedrohung und Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen ergreifen. Nur die Selbstverteidigung eines Staates bei einem Angriff ist gemäß Artikel 51 der Charta ohne Beschluss des Sicherheitsrates zulässig, allerdings nur solange bis der Sicherheitsrat geeignete Maßnahmen zu Wiederherstellung des Friedens getroffen hat.
Der NATO-Vertrag bezieht sich in seiner Präambel und in Artikel I auf die Charta der Vereinten Nationen. So heißt es in Artikel I: „Die Parteien verpflichten sich, in Übereinstimmung mit der Satzung der Vereinten Nationen, jeden internationalen Streitfall, an dem sie beteiligt sind, auf friedlichem Wege so zu regeln, dass der internationale Friede, die Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden, und sich in ihren internationalen Beziehungen jeder Gewaltandrohung oder Gewaltanwendung zu enthalten, die mit den Zielen der Vereinten Nationen nicht vereinbar sind.“ Der Bündnisfall gemäß Artikel 5 des NATO-Vertrages lag nicht vor. Die Bundesrepublik Jugoslawien hat keinen NATO-Staat angegriffen. Nur in diesem Fall hätte die NATO ohne Beschluss des Sicherheitsrates in Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen in der Bundesrepublik Jugoslawien intervenieren dürfen. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die militärische Intervention der NATO in der Bundesrepublik Jugoslawien formell völkerrechtswidrig war.
Auch wenn die NATO-Intervention formell völkerrechtswidrig war, bleibt dennoch zu klären ob sie auch materiell völkerrechtswidrig war. Die NATO rechtfertigte ihren Einsatz als „humanitäre Intervention“. Aufgrund schwerster Menschenrechtsverletzungen und einem drohenden Genozid an den albanischen Kosovaren war dieser Einsatz völkerrechtlich gerechtfertigt und moralisch geboten. Im Völkerrecht wird unter dem Begriff der humanitären Intervention im Allgemeinen die Anwendung von militärischer Gewalt eines Staates oder mehrerer Staaten zum Schutze von Bevölkerungsteilen eines anderen Staates vor Menschenrechtsverletzungen oder Völkermord verstanden. Verbindlich festgelegt ist die „humanitäre Intervention“ in der Charta der Vereinten Nationen allerdings nicht, sie kann höchstens vom bestehenden Völkerrecht abgeleitet werden. In Artikel 2 Absatz 7 der Charta der Vereinten Nationen ist festgelegt: „Aus dieser Charta kann eine Befugnis der Vereinten Nationen zum Eingreifen in Angelegenheiten, die ihrem Wesen nach zur inneren Zuständigkeit eines Staates gehören, oder eine Verpflichtung der Mitglieder, solche Angelegenheiten einer Regelung auf Grund dieser Charta zu unterwerfen, nicht abgeleitet werden; die Anwendung von Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII wird durch diesen Grundsatz nicht berührt.“ Demnach wäre eine humanitäre Intervention als Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates grundsätzlich nicht zulässig. Allerdings berührt diese Regelung nicht Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen, wonach der UN-Sicherheitsrat sehr wohl entsprechende Maßnahmen beschließe könnte. Zu klären bleibt die Frage, unter welchen Umständen eine humanitäre Intervention ohne Beschluss des UN-Sicherheitsrates gerechtfertigt oder sogar geboten sein könnte.
Die Frage ist nun, was wiegt höher: Das grundsätzlich Gewaltverbot und der Schutz der territorialen Integrität eines Staates oder der Schutz der Menschenrechte. Die Befürworter für letztere These verweisen darauf, dass die Menschenrechte zwingendes Völkerrecht (ius cogens) darstellen. Bei deren Verletzung gelte jeder Staat der Völkergemeinschaft als verletzt und dürfe sich zur Wehr setzen. Dabei soll im Rahmen der Verhältnismäßigkeit der Mittel unter Umständen auch die Anwendung von Gewalt zur Verhinderung oder Beendigung von Menschenrechtsverletzungen erlaubt sein. Die Frage welches Recht nun höher liegt, ist Gegenstand von Debatten und bis heute nicht abschließend geklärt.
Die an den NATO-Luftangriffen beteiligte Bundesrepublik Deutschland hat im Falle eines Angriffskrieges einen Verfassungsvorbehalt. In Artikel 26 Absatz 1 GG heißt es: „Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.“ In diesem Fall setzte sich überwiegend die Auffassung durch, wonach kein Verstoß gegen das Grundgesetz (GG) vorliegt. Der Angriff der Bundesrepublik Deutschland war nicht geeignet das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören. Im Falle der Bundesrepublik Jugoslawien war bereits das friedliche Zusammenleben zwischen Serben und albanischen Kosovaren erheblich gestört und wurde nicht erst durch die militärische Interventation der NATO herbeigeführt. Dennoch bleibt dieser Angriff nicht unumstritten. In Artikel 25 GG ist festgelegt „Die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes sind Bestandteil des Bundesrechtes. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes.“ Mindestens formell dürfte von Seiten der Bundesrepublik Deutschland mit ihrer Beteiligung an den NATO-Luftangriffen gegen das Völkerrecht verstoßen worden sein. Allerdings ist offen, ob sie auch materiell gegen Völkerrecht verstoßen hat und die Beteiligung an der humanitären Intervention nicht ggf. doch völkerrechtlich gerechtfertigt werden kann.
Zusammenfassend kann gesagt werden: Die Blockierung des Sicherheitsrates bei der notwendigen Ergreifung von geeigneten Maßnahmen zur Verhinderung und Beendigung von Menschenrechtsverletzungen und Völkermord stellt ein großes Problem dar. Unter Umständen können alternative Maßnahmen zum Schutz der Menschenrechte und vor Völkermord notwendig sein, die nicht durch bisheriges Völkerrecht gedeckt sind. Ggf. können derartige Maßnahmen aus dem bestehenden Völkerrecht abgeleitet werden. Im Falle des NATO-Angriffes auf die Bundesrepublik Jugoslawien erfolgte zumindest eine nachträgliche Legitimierung durch den UN-Sicherheitsrat, indem es die Resolution 1244 beschloss. Diese wird trotz gegenteiliger Auffassungen von den fünf Veto-Mächten im UN-Sicherheitsrat und der Mehrheit der UN-Staaten getragen. Als unerträglich völkerrechtswidrig werden die NATO-Luftangriffe mehrheitlich nicht angesehen, ansonsten dürfte der Beschluss der Resolution 1244 auch nicht möglich gewesen sein. Auch gab es keine offizielle Verurteilung eines der beteiligten NATO-Staaten durch den Internationalen Gerichtshof (IGH). Dieser hätte angerufen werden können. Das Bundesverfassungsgericht hat für die Bundesrepublik Deutschland ebenfalls weder eine Verletzung des Völkerrechts nach eine Verletzung des Grundgesetzes festgestellt.
Als Fazit kann festgehalten werden, dass die humanitäre Intervention bisher formell noch völkerrechtswidrig ist. Allerdings befindet sich die humanitäre Intervention als mögliche Maßnahme in der Weiterentwicklung bzw. das Völkerrecht befindet sich diesbezüglich in einem Wandel. Dieser Prozess ist noch offen. Daher könnte eine humanitäre Intervention materiell rechtmäßig und mit dem Völkerrecht im Einklang sein. Die humanitäre Intervention wäre als Institution grundsätzlich eine sinnvolle Weiterentwicklung des Völkerrechts. Der Schutz der Menschenrechte sollte schwerer wiegen als die territoriale Integrität eines Staates. Dennoch sollte das Monopol für solche Maßnahmen grundsätzlich beim UN-Sicherheitsrat liegen. Im Ausnahmefall und bei Handlungsunfähigkeit des UN-Sicherheitsrates sollte eine humanitäre Intervention auch ohne Beschluss des UN-Sicherheitsrates möglich sein. Im Falle aller Kriege auf dem Balkan von 1991 bis 1999 dürfte eine humanitäre Intervention aufgrund schwerster Menschenrechtsverletzungen bis hin zum Völkermord geboten gewesen sein.
Das Ende der Ära Slobodan Milošević
Aufgrund des verlorenen Kosovo-Krieges sank die Popularität des damaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milošević stark. Ein letzter Versuch seines Machterhaltes war eine umstrittene Änderung der jugoslawischen Verfassung im Jahre 2000, bei der die Volkswahl des jugoslawischen Präsidenten eingeführt wurde. Das aus 18 Parteien gebildete Wahlbündnis Demokratische Opposition Serbiens (DOS) stellte als ihren Präsidentenkandidaten Vojislav Koštunica auf. Nach der Präsidentenwahl vom 24.09.2000 erklärten amtliche Stellen Vojislav Koštunica mit 48,22 % der Stimmen zwar zum Wahlsieger im ersten Wahlgang, ordneten jedoch für den 08.10.2000 eine Stichwahl an. Das wurde sowohl von der DOS als auch von großen Teilen der Bevölkerung als Wahlbetrug angesehen. Für sie hatte ihr Kandidat schon im ersten Wahlgang gewonnen. Es kam zu Massenprotesten und einem Generalstreik. Am 05.10.2000 wurde Slobodan Milošević durch einen friedlichen Volksaufstand gestürzt und die Wahl von Vojislav Koštunica zum jugoslawischen Präsidenten auch formell anerkannt.
Zeitgleich mit der Präsidentenwahl fand am 24.09.2000 auch eine Neuwahl der 138 Abgeordneten der Bürgerkammer des jugoslawischen Parlaments statt. Bei dieser Wahl erreichte die Demokratische Opposition Serbiens (DOS) 59 von 138 Sitzen. Die vereinigte Liste der SPS von Slobodan Milošević und der JUL von Mira Marković kam auf 44 Sitze. Die Sozialistische Volkspartei (SNP) des damaligen jugoslawischen Ministerpräsidenten Momir Bulatović kam auf 28 und die SRS von Vojislav Šešelj auf 3 Sitze. Jeweils zwei Sitze gingen an die Serbische Volkspartei (SNS) und sonstige Vertreter. Die DPS des montenegrinischen Präsidenten Milo Djukanovic boykottierte die damaligen jugoslawischen Parlamentswahlen und blieb damit auf Distanz zu Serbien und zur Bundesrepublik Jugoslawien.
Mit diesen Wahlen war die Ära von Slobodan Milošević, der zunächst am 01.04.2001 verhaftet und dann am 28.06.2001 an den Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag ausgeliefert wurde, beendet. Slobodan Milošević starb am 11.03.2006 noch vor dem Ende seines Prozesses im Gefängnis. Auch sein damaliger Weggefährte, der jugoslawische Ministerpräsident Momir Bulatović, verlor sein Amt und wurde am 04.11.2000 durch Zoran Zizic ersetzt.
Aufgrund der Ereignisse fanden am 23.12.2000 in der jugoslawischen Republik Serbien vorgezogene Parlamentswahlen statt, bei denen die DOS mit 176 von 250 Sitzen eine Zweidrittelmehrheit erreichte. Die SPS erreichte nur noch 36 Sitze, die SRS kam auf 23 und die Partei der Serbischen Einheit (SSJ) kam auf 14 Sitze. Am 25.01.2001 wurde Zoran Djindjić zum Ministerpräsidenten der Republik Serbien gewählt. Bereits im August 2001 trat die Demokratische Partei Serbiens (DSS) von Vojislav Koštunica aus der DOS aus. Der damalige jugoslawische Präsident Vojislav Koštunica und der damalige serbische Ministerpräsident Zoran Djindjić gerieten immer mehr in Gegensatz zueinander. Nach der Ermordung von Zoran Djindjić am 12.03.2003 zerfiel die DOS nach und nach.
Das Ende der Bundesrepublik Jugoslawien
In der jugoslawischen Republik Montenegro waren die Befürworter einer Unabhängigkeit knapp in der Mehrheit. Bereits im Jahre 1999 führte Montenegro auf seinem Territorium die Deutsche Mark als Währung ein und errichtete eine eigene Zollgrenze. Für Einreisen nach Montenegro wurde der Visumzwang abgeschafft, obwohl für Einreisen in die Bundesrepublik Jugoslawien grundsätzlich ein Visum benötigt wurde. Bei den montenegrinischen Parlamentswahlen am 22.04.2001 erreichte die DPS im Verbund mit den Sozialdemokraten (SDP) und anderen 36 von 77 Sitzen im montenegrinischen Parlament. Das Bündnis Gemeinsam für Jugoslawien aus SNP und anderen erreichte 33 Sitze, die Liberale Allianz (LS) kam auf 6 und sonstige auf 2 Sitze.
Nur auf Druck der Europäischen Union (EU), die damals noch negative Auswirkungen für ihre Kosovo-Politik befürchtete, konnte eine Unabhängigkeit der jugoslawischen Republik Montenegro vorerst verhindert werden. Allerdings wurde die Bundesrepublik Jugoslawien durch Parlamentsbeschluss am 04.02.2003 aufgelöst und in den Staatenbund Serbien-Montenegro umgewandelt. Durch diesen Beschluss wurde der Staatsname Jugoslawien nun endgültig aus dem völkerrechtlichen Verkehr getilgt und der staatsrechtliche Rest der jugoslawischen Idee damit begraben. Mit der Auflösung der Bundesrepublik Jugoslawien verlor Vojislav Koštunica in Folge sein Amt als jugoslawischer Präsident. Präsident und Regierungschef des Staatenbundes Serbien – Montenegro wurde der Montenegriner Svetozar Marović.
Nach 3 Jahren allerdings sollte die Republik Montenegro dann endgültig in einem Referendum über ihre Unabhängigkeit entscheiden können, das am 21.05.2006 stattfand. Bei einer Wahlbeteiligung von 86,39 % sprachen sich 55,49 % der montenegrinischen Bürger für die Unabhängig von Montenegro und 44,51 % dagegen aus. Am 03.06.2006 erklärte sich Montenegro für unabhängig. Die Republik Serbien erklärte formell am 05.06.2006 die Auflösung des Staatenbundes Serbien – Montenegro und trat die Rechtsnachfolge des Staatenbundes an, was völkerrechtlich auch anerkannt wurde. Völkerrechtlich umstritten ist hingegen die Unabhängigkeit des Kosovos, die das Kosovo unter dem Namen „Republik Kosovo“ am 17.02.2008 erklärte. Faktisch ist das Kosovo jedoch unabhängig von der Republik Serbien und wird bilateral von der Mehrheit der Staaten auf der Welt anerkannt. Eine Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen konnte bisher nicht erfolgen. Montenegro wurde am 28.06.2006 in die Vereinten Nationen aufgenommen, die Republik Serbien übernahm als Rechtsnachfolgerin den Sitz der Bundesrepublik Jugoslawien bzw. des Staatenbundes Serbien-Montenegro.
Sowohl Serbien als auch Montenegro streben die Mitgliedschaft in der Europäischen Union (EU) an. Mit beiden Staaten finden offizielle EU-Beitrittsgespräche statt. Montenegro ist seit dem Jahr 2017 zudem auch Mitglied in der NATO geworden. Von Serbien wird eine Mitgliedschaft in der NATO nicht angestrebt. Allerdings konnten die Beziehungen zwischen Serbien und dem Kosovo durch bilaterale Abkommen ein Stück weit normalisiert werden. Eine endgültige Regelung zwischen Serbien und dem Kosovo über ihre Beziehungen steht allerdings noch aus. Sowohl Serbien als auch das Kosovo wollen EU-Mitglieder werden und sich dabei nicht gegenseitig blockieren. Eine Vereinigung von Serbien und dem Kosovo in einem gemeinsamen Staat dürfte unrealistisch, eine gemeinsame Zukunft unter dem Dach der EU jedoch möglich sein.