von Andreas Schwarz
Mit dem „Vertrag zur Freundschaft, Guten Nachbarschaft und Zusammenarbeit“ zwischen Bulgarien und der Republik Makedonien vom 01.08.2017 und dem „Prespa-Vertrag“ zur Lösung des Streits um den Namen „Makedonien“ zwischen Griechenland und der Republik Makedonien vom 17.06.2018 wurde der Kulturstreit um „Makedonien“ durch völkerrechtliche Verträge formell beendet. Durch die Implementierung der Verträge wurde dieser „Friedensschluss“ wirksam. Der Kulturkampf ist damit natürlich noch nicht aus den Köpfen der beteiligten Akteure verschwunden. Der Weg zu einer tatsächlichen Überwindung dieses Kampfes durch die vertraglich vereinbarten Maßnahmen dürfte noch nicht zu Ende gegangen sein. Dennoch markieren die Verträge und deren Umsetzung den Beginn des Endes eines jahrhundertelangen Kulturkampfes um Makedonien. Damit dürften geeignete Mechanismen zur Klärung der makedonischen Frage vertraglich festgelegt worden sein. Nachfolgend wird zunächst kurz auf diese Verträge eingegangen. Anschließend werden die formellen Friedensschlüsse zwischen den Akteuren von 2017 und 2018 und ihre Mechanismen zur Begründung und Wahrung eines dauerhaften Friedensschlusses betrachtet.
Der Kulturkampf um „Makedonien“
Der sogenannte Namensstreit zwischen Griechenland und der Republik Makedonien war nur das markanteste Symptom eines „Kulturkampfes um Makedonien“. Noch immer hat dieser zwischen Bulgarien, Griechenland und der Republik Makedonien kein definitives Ende gefunden. Im Kern geht es bei diesem Kampf um die Kulturhoheit über Makedonien bzw. die Identität der makedonischen Bevölkerung und die materiellen Bedeutung der Begriffe „Makedonien“, „Makedonier“, „Makedonisch“ und „makedonisch“. Für Bulgarien sind die ethnischen bzw. slawischen Makedonier Teil der bulgarischen Kulturnation und nicht eigenständig. Die Existenz des makedonischen Staates und seine verfassungsmäßige Bezeichnung stellen aus Sicht Bulgariens kein Problem dar. Griechenland hingegen akzeptiert grundsätzlich die Bezeichnungen für den makedonischen Staat sowie die makedonische Ethnie bzw. Nation und Sprache nicht, hat jedoch ebenfalls nichts gegen die Unabhängigkeit dieses Staates. Allerdings sieht auch Griechenland die makedonische Kulturnation als ein Kunstprodukt an. Die Ursache des sogenannten Namensstreits geht bis zum Ende des 18. Jahrhunderts zurück und lässt sich auf den alten Kulturkampf um Makedonien zurückführen.
Allerdings bewirkte der griechische Bürgerkrieg (1943/1946 – 1949) eine politische Instrumentalisierung der makedonischen Frage und eine moderne Version des Kulturkampfes um Makedonien, dessen Hauptakteure Griechenland bzw. die Griechen und der makedonische Staat bzw. die Angehörigen der makedonischen Kulturnation sein sollten.
Eine ausführliche Darstellung des Kulturkampfes um „Makedonien“ findet sich im Artikel „Der Kulturkampf um Makedonien als Aspekt der makedonischen Frage“. Vertieft wird diese Thematik dann noch in den weiteren Artikel zur makedonischen Frage.
Wegen des Kultur- und Namensstreits wurde rund 25 Jahre zwischen Griechenland und der Republik Makedonien erfolglos im Rahmen und unter der Vermittlung der Vereinten Nationen verhandelt. Nach einer jahrelangen Pause wurden die Gespräche am 19.01.2018 wieder aufgenommen und die Verhandlungen zur Lösung des Streits zwischen Griechenland und der Republik Makedonien intensiviert. Sie waren schwierig und standen zeitweise vor dem Scheitern. Der Durchbruch kam am 12.06.2018, als die Ministerpräsidenten Griechenlands und der Republik Makedonien eine Einigung erzielten. Mit der Unterzeichnung des sogenannten Abkommens von Prespa am 17.06.2018 durch die Außenminister beider Staaten wurde diese Einigung durch einen völkerrechtlichen Vertrag formell bekräftigt. Mit einer Änderung der makedonischen Verfassung vom 11.01.2019 wurde der Vertrag in der Republik Makedonien verfassungsrechtlich implementiert. Daraufhin ratifiziertes das griechische Parlament am 25.01.2019 den Prespa-Vertrag und am 08.02.2019 das NATO-Beitrittsprotokoll für die Republik Nord-Makedonien. Die Verfassungsänderungen in der Republik Makedonien traten vier Tage nach dieser letzten Ratifizierung in Kraft. Seit dem 12.02.2019 hat der Staatsname „Republik Nord-Makedonien“ sowohl die bisherige verfassungsmäßige Bezeichnung „Republik Makedonien“ als auch die provisorische UN-Bezeichnung „Die Ehemalige Jugoslawische Republik Makedonien“ vollständig ersetzt. Damit ist der seit Mai 1991 bestehende Streit um den Namen Makedonien formell überwunden. Der zugrundeliegende Kulturstreit hat zwar ein formelles Ende gefunden, doch ist er längst nicht überwunden. In den folgenden den folgenden Abschnitten soll noch einmal kurz auf die vereinbarten Mechanismen zur Lösung des Kulturstreits eingegangen und deren Mechanismen anschließend analysiert werden.
Der Vertrag zwischen Bulgarien und der Republik Makedonien
Am 01.08.2017 wurde zwischen Bulgarien und der Republik Makedonien der „Vertrag zur Freundschaft, Guten Nachbarschaft und Zusammenarbeit“ unterzeichnet. Auch wenn dieser nicht unumstritten ist, so war er doch ein Meilenstein und Vorbild für die Region. Der Vertrag beruht im Wesentlichen auf einer bereits am 22.02.1999 unterzeichneten Deklaration.
Zusätzlich wurde in diesem Vertrag eine gemeinsame multidisziplinäre Expertenkommission für historische und bildungsrelevante Fragen auf paritätischer Grundlage vereinbart. Die gemeinsame Geschichte soll nach objektiven, authentischen und wissenschaftlichen Kriterien bewertet und der Deutungshoheit durch die Politiker entzogen werden. Die Ergebnisse dieser Expertenkommission sollen in der Bildungs-, Kultur- und Informationspolitik beider Staaten umgesetzt werden. Historische Ereignisse und Persönlichkeiten sollen aufgrund der vielfältigen Verbindungen zwischen Bulgarien und Makedonien in der Vergangenheit gemeinsam begangen werden und gelten damit als Bestandteile der Kultur und Geschichte von beiden Nationen. Damit wollen die Republiken Bulgarien und Makedonien ein neues Kapitel in ihren Beziehungen beginnen und ihre kulturellen Streitigkeiten endgültig beilegen.
Wenn dieser Vertrag erfolgreich, sinn- und zweckgemäß umgesetzt wird, dann können alle Differenzen in der makedonischen Kulturfrage zwischen Bulgarien und der Republik Nord-Makedonien überwunden werden. Die objektiv-wissenschaftliche Klärung von kulturellen und historischen Fragen ist ein entscheidender und wichtiger Punkt in diesem Vertrag und der Schlüssel zur Lösung der bestehenden Streitigkeiten. Für Bulgarien sind die ethnischen bzw. slawischen Makedonier Teil der bulgarischen Kulturnation. Die ethnischen bzw. slawischen Makedonier sehen sich selbst weder als bulgarisch noch als serbisch an. Sie bilden daher eine eigenständige Kulturnation. Bulgarien akzeptiert diese Selbstidentifikation als Ausdruck des Selbstbestimmungsrechtes des Volkes der Republik Nord-Makedonien. Damit erkennt Bulgarien implizit eine makedonische Kulturnation an. Wichtige historische Ereignisse werden sowohl von Bulgarien als auch von der Republik Nord-Makedonien beansprucht und daher unterschiedlich bewertet.
In dem Vertrag streben Bulgarien und die Republik Nord-Makedonien nicht nur eine objektiv-wissenschaftliche Klärung von historischen Ereignissen an. Auch deren Zuordnung sowohl zur Kultur und Geschichte Bulgariens als auch zu der der Republik Nord-Makedonien wird von beiden Staaten als mögliche Lösung akzeptiert. So sollen entsprechende und daraus resultierende Feiertage auch gemeinsam begangen werden.
Eine ausführliche Darstellung findet sich im Artikel „Die Klärung der bulgarisch-makedonischen Frage“.
Der Vertrag zwischen Griechenland und der Republik (Nord-)Makedonien
Der Kulturstreit zwischen Griechenland und der Republik Makedonien wurde durch den sogenannten Prespa-Vertrag vom 17.06.2018 formell beendet. Vollständig in Kraft getreten ist dieser Vertrag am 12.02.2019. Die erreichte Lösung hat unter anderem die Umbenennung der Republik Makedonien in „Republik Nord-Makedonien“ für den allgemeinen und uneingeschränkten Gebrauch („erga omnes“), sowie die Anerkennung der makedonischen Nationalität und Sprache als „Makedonisch“ vorgesehen.
In der Vereinbarung wird die Verwendung der Bezeichnungen „Makedonien“, „Makedonier“, „Makedonisch“ und „makedonisch“ durch die Vertragspartner geregelt. Anerkannt wird, dass unter diesen Begriffen verschiedene kulturelle und historische Kontexte stehen. So hat der „Makedonismus“ für Griechenland einen anderen kulturellen und historischen Kontext als der der Republik Nord-Makedonien. Die Republik Nord-Makedonien darf sich nicht auf den griechischen Kontext zu Makedonien beziehen. Damit dürften im Ergebnis das antike Makedonien und die antiken Makedonier der Kultur und Geschichte Griechenlands zugerechnet werden.
Der Vertrag sieht ebenfalls als sehr wichtigen Punkt die objektiv-wissenschaftliche Interpretation von historischen Sachverhalten vor. Zu diesem Zweck haben Griechenland und die Republik Nord-Makedonien einen paritätisch organisierten, gemeinsamen und interdisziplinären Sachverständigenausschuss für Geschichts-, Archäologie- und Bildungsfragen eingerichtet, um die objektiv-wissenschaftliche Interpretation historischer Ereignisse durchzuführen, basierend auf authentischen, evidenzbasierten und wissenschaftlich fundierten Quellen und archäologischen Funden.
Die Arbeit dieses Sachverständigenausschusses wird von den Außenministerien Griechenlands und der Republik Nord-Makedonien in Zusammenarbeit mit anderen zuständigen nationalen Behörden überwacht. Der Ausschuss prüft nach eigenem Ermessen alle Schulbücher und Schulhilfsmittel, wie Karten, historische Atlanten, Lehrpläne (nachfolgend zusammengefasst als Lehrmittel bezeichnet), welche im Gebrauch der Vertragsparteien sind. Diese Überprüfung erfolgt in Übereinstimmung mit den Prinzipien und Zielen der UNESCO und des Europarates. Zu diesem Zweck legt der Ausschuss einen genauen Zeitplan fest, um den Vertragsparteien zu übermitteln, welche Lehrmittel, die ein Jahr nach der Unterzeichnung dieses Abkommens in Gebrauch sind, irredentistische oder revisionistische Verweise enthalten. Hierbei werden auch neue Ausgaben von Lehrmitteln geprüft.
Der Sachverständigenausschuss wird regelmäßig, mindestens jedoch zweimal jährlich einberufen, spricht Empfehlungen aus und erstellt einen jährlichen Tätigkeitsbericht.
Eine ausführliche Darstellung findet sich im Artikel „Die Klärung der griechisch-makedonischen Frage“.
Die Lösung des Kulturstreits um „Makedonien“
Die makedonische Antwort auf die makedonische Frage wird für den ehemals jugoslawischen Teil von Makedonien bzw. für die Republik Nord-Makedonien durch Bulgarien und Griechenland prinzipiell mit Bedingungen anerkannt. Demnach gibt es in der Republik Nord-Makedonien eine makedonische Nation und Sprache. Dies bezieht sich im Ergebnis sowohl auf eine makedonische Staatsnation und Amtssprache als auch auf eine makedonische Kulturnation und -sprache. Auch die territoriale Integrität der Republik Nord-Makedonien wird von Bulgarien und Griechenland anerkannt.
Die Republik Nord-Makedonien erkennt die kulturellen Entwicklungen in Bulgarien und Griechenland an. Hier bleibt allerdings derzeit noch als strittiger Punkt der Status der ethnischen bzw. slawischen Makedonier als Minderheit in Bulgarien und Griechenland offen. Allerdings kann dieser Punkt nach erfolgreicher Beendigung des Kulturstreits unter deutlich besseren Rahmenbedingungen in der Zukunft debattiert und zu einer Lösung gebracht werden.
Der Staatsname „Nord-Makedonien“ ist auch umstritten. Die ethnischen bzw. slawischen Makedonier würden lieber zur ursprünglichen Bezeichnung „Republik Makedonien“ zurückkehren. Auch in Bulgarien gibt es Kreise, welche die geografische Spezifizierung „Nord“ ablehnen. Denn ein Teil von Nord-Makedonien im geografischen Sinne gehört ja zu Bulgarien. Die von Griechenland geforderte neue Staatsbezeichnung mit geografischer Spezifizierung, Republik Nord-Makedonien, führt eher zu mehr als zu weniger Missverständnissen in der makedonischen Frage. Denn es entsteht so noch mehr der Eindruck eines geteilten Ganzen (wie z.B. im Falle von Nord- und Süd-Korea oder Nord- und Süd-Zypern). Hingegen wären die kulturellen Unterschiede zwischen der griechischen Region Makedonien bzw. den griechischen Makedoniern und der Republik Nord-Makedonien bzw. den ethnischen bzw. slawischen Makedoniern aus dem Staatsnamen erst recht nicht mehr ersichtlich.
Auch wenn der neue Staatsname ein symbolträchtiges Zugeständnis an Griechenland war, ein wirklicher Gewinn für Griechenland ist er nicht. Allerdings wird der neue Staatsname „Nord-Makedonien“ von allen drei Parteien formell akzeptiert. Eine einvernehmliche Zurückbenennung in „Republik Makedonien“ in der Zukunft dürfte prinzipiell jedoch möglich sein.
Der Kulturstreit um Makedonien geht jedoch tiefer. Es geht um die Kulturhoheit über Makedonien, welche jeder der drei Parteien anstrebte. Die Auffassungen der drei Parteien zur Kultur und Geschichte Makedoniens sind unterschiedlich und decken sich daher nicht. Dies schürt den Kulturkonflikt bis heute. Zum Teil sind die vielseitigen kulturellen Entwicklungen in Makedonien bezüglich Bulgariens, Griechenlands und der Republik Nord-Makedonien auch miteinander verwoben und lassen sich nicht einer Partei zurechnen. Nur zum Teil lassen sich historische Ereignisse klar voneinander trennen und einer Partei zurechnen. Eine Lösung im Kulturstreit um Makedonien kann daher nur inhaltlich und nicht durch Symbolpolitik gefunden werden.
Die objekt-wissenschaftliche Interpretation von kulturellen und historischen Sachverhalten ist der einzig sinnvolle und zweckmäßige Weg, den Kulturstreit um Makedonien zu überwinden. Doch ist dies nur der erste Schritt und er kann auch scheitern. In den vereinbarten Expertengremien zur objektiv-wissenschaftlichen Klärung von kulturellen und historischen Sachverhalten müssen zwingend geeignete Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sitzen, welche neutral und unabhängig gegenüber politischen Einflüssen aus Bulgarien, Griechenland und der Republik Nord-Makedonien sind. Daher wäre die Hinzuziehung von internationalen Expertinnen und Experten, mit genügend Distanz zu den betroffenen Parteien, dringend zu empfehlen.
Die Parteien am Kulturstreit um Makedonien müssen ihre Verträge achten und die Ergebnisse einer objektiv-wissenschaftlichen Klärung auch anerkennen. Die Arbeit in den Expertengremien sollte daher transparent sein und von den Parteien ausdrücklich unterstützt werden. Letztendlich müssen die Ergebnisse der objektiv-wissenschaftlichen Klärung in der Bildungs-, Kultur- und Informationspolitik der Parteien umgesetzt werden. Vor allem in den Bildungssystemen der Parteien muss diese Klärung gelehrt werden. Wenn dies gelingt, dann wird langfristig der Kulturstreit um Makedonien vollständig überwunden werden können.
Bei jedem dieser Schritte besteht jedoch auch die Gefahr, dass eine oder mehrere Parteien die Intension der Verträge bei geänderten politischen Rahmenbedingungen unterlaufen könnten. Die Mechanismen zur Lösungsfindung sind folgerichtig und gut geeignet, diesen Kulturstreit zu beenden. Sie hängen jedoch von der tatsächlichen Bereitschaft der Beteiligten ab, diese auch vertrags-, sinn- und zweckgemäß umzusetzen.
Während sich der Kulturstreit um „Makedonien“ zwischen Griechenland und Nord-Makedonien seit der Unterzeichnung des Prespa-Abkommens am 17.06.2018 weitgehend beruhigte, flammte dieser zwischen Bulgarien und Nord-Makedonien, trotz des Vertrags zur Freundschaft, Guten Nachbarschaft und Zusammenarbeit vom 01.08.2017, in der zweiten Hälfte des Jahres 2020 wieder auf. Erstmals blockierte Bulgarien zwischen November 2020 und Juni 2022 sogar den Start der EU-Beitrittsverhandlungen mit Nord-Makedonien. Aufgrund eines von Frankreich initiierten Kompromisses wurde die Blockade zwar aufgehoben, doch wird bei den EU-Beitrittsverhandlungen auch Bezug auf die Arbeit der gemeinsamen multidisziplinäre Expertenkommission von Bulgarien und Nord-Makedonien für historische und bildungsrelevante Fragen auf paritätischer Grundlage genommen. In einigen grundlegenden Fragen konnte die Expertenkommission noch keine für beide Seiten akzeptable Klärung herbeiführen, zumal politische Erwägungen eine objektiv-wissenschaftliche Klärung erschweren. Wenn keine Einigung erzielt wird, könnte dies von Bulgarien als Verstoß gegen das zugrundeliegende Abkommen interpretiert und damit die EU-Beitrittsverhandlungen mit Nord-Makedonien wieder blockiert werden.
Warum der Kulturstreit zwischen Bulgarien und Nord-Makedonien in dieser Heftigkeit wieder aufflammte, ist derzeit noch ungeklärt und so kann nur spekuliert werden. So könnte das Prespa-Abkommen Bulgarien inspiriert haben, konkrete politisch-nationale Forderungen zu stellen. Im Prespa-Abkommen konnte sich Griechenland mit einigen konkreten Forderungen durchsetzen und dies möchte Bulgarien womöglich nachholen. Allerdings ist das Prespa-Abkommen ja bereits im Juni 2018 unterzeichnet worden, so dass unklar ist, warum Bulgarien erst im November 2020 nationalistische Forderungen aufstellte und den Start der EU-Beitrittsverhandlungen mit Nord-Makedonien blockierte. Einige EU-Mitgliedsstaaten, wie etwa Frankreich, sind derzeit gegen eine Erweiterung der Europäischen Union (EU). Vielleicht wurde Bulgarien für diesen Zweck entsprechend instrumentalisiert. Auch innenpolitische Gründe könnten die verstärkte nationalistische Haltung Bulgariens hervorgerufen haben. Vielleicht haben sich die Gegner des Vertrags in Bulgarien einfach stärker durchsetzen und entsprechenden politischen Druck ausüben können. Noch haben wir keine fundierten Antworten darauf, warum Bulgarien gegenüber der Republik Nord-Makedonien zu einer zunehmend nationalistischen Haltung überging. Trotz dieser Rückschläge, welche auch von vornherein nicht ausgeschlossen werden konnten, ist auf längerer Sicht eine erfolgreiche Überwindung des Kulturstreits zwischen Bulgarien und Nord-Makedonien zu erwarten. Denn die Beendigung des Kulturstreits liegt im Interesse beider Staaten. Des Weiteren erfordert die weltpolitische Lage, insbesondere der Krieg zwischen Russland und der Ukraine, eine effektive Überwindung von nationalen Streitigkeiten innerhalb des sich integrierenden Europas.
Eine Alternative zu diesem Weg für eine Klärung der makedonischen Frage und zur Überwindung des Kulturstreits um „Makedonien“ dürfte es nicht geben. Bulgarien, Griechenland und die Republik Nord-Makedonien haben durch die Verträge von 2017 und 2018 und deren Umsetzung ihren Willen bekräftigt, den Kulturstreit um Makedonien zu beenden. Nun müssen diese drei Parteien den schweren und steinigen Weg auch bis Ende gehen und dürfen nicht von ihm abweichen. Bei einer konsequenten Umsetzung der Verträge kann der Kulturstreit komplett überwunden werden.
Fazit
Durch den „Vertrag zur Freundschaft, Guten Nachbarschaft und Zusammenarbeit“ zwischen Bulgarien und der Republik Makedonien vom 01.08.2017 und dem „Prespa-Vertrag“ zwischen Griechenland und der Republik Makedonien vom 17.06.2018 wurde eine geeignete Grundlage für die Beendigung des Kulturstreits um Makedonien geschaffen. Bei einer erfolgreichen Umsetzung dieser Verträge würde dieser Kulturkampf auf längerer Sicht der Vergangenheit angehören. Wandel durch Annäherung und Klärung nach objektiven Kriterien dürfte auch hier der Weg zu einem Erfolg sein auf längerer Sicht sein.
An diesem historischen Ziel müssen die beteiligten Akteure gewissenhaft und intensiv arbeiten. Beide Verträge können als historisch und mutig bezeichnet werden. Sie sind nicht unumstritten und dennoch würde ihre erfolgreiche Umsetzung zu einem historischen Frieden in Makedonien führen: Der jahrhundertelange Kulturkampf um Makedonien würde beendet.
Anstelle eines Kampfes stünden dann die gemeinsamen Anstrengungen der ursprünglichen Gegner für eine prosperierende Zukunft aller Einwohner von Makedonien. Diese gemeinsamen Anstrengungen würden unter Achtung der kulturellen Vielseitigkeit Makedoniens und seiner Bevölkerung stattfinden und damit die Kulturlandschaft Makedonien als kulturellen Beitrag für Europa prägen. Am Ende könnte eine europäische Kulturregion „Makedonien“ entstehen, als verbindender Faktor zwischen Bulgarien, Griechenland und der Republik Nord-Makedonien. Diese europäische Kulturregion Makedonien unter dem Dach der Europäischen Union (EU) sollte eines der Resultate aus dem Ende des Kulturkampfes sein. In dieser Kulturregion wären Bulgarien, Griechenland und die Republik Nord-Makedonien nicht mehr Konkurrenten um eine bestimmte kulturelle Ausrichtung Makedoniens, sondern Förderer und Teilhaber der vielseitigen makedonischen Kultur.
Der Kulturkampf um Makedonien prägte über Jahrhunderte die Region. Nun wurden sinnvolle und zweckmäßige Mechanismen zwischen den Kampfparteien vertraglich vereinbart, welchen diesen überwinden können. Wissenschaft und Bildungspolitik sind sehr geeignete Methoden einem nationalistisch induzierten Kulturkampf die Grundlage zu entziehen. Überhaupt sind Wissenschaft und Bildung geeignete Waffen zur Bekämpfung von Nationalismus und Irredentismus. Nicht sofort, doch auf längerer Sicht wird der Kulturkampf um Makedonien so der Vergangenheit angehören. Damit dürfte auch die makedonische Frage ihre angemessene Antwort finden.