von Andreas Schwarz
Das serbisch-makedonische Verhältnis blieb nach der Unabhängigkeitserklärung der Republik Makedonien vom 18.09.1991 frei von größeren Spannungen und Zwischenfällen. Während die serbische Frage in den Republiken Kroatien und Bosnien und Herzegowina zu einem ethnischen Krieg führte, blieb die Republik Makedonien davon verschont. Bis zum 26.03.1992 zog die Jugoslawische Volksarmee (JNA) friedlich und vollständig aus der Republik Makedonien ab. Die gegenseitige völkerrechtliche Anerkennung zwischen der Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) und der Republik Makedonien erfolgte durch ein Abkommen am 08.04.1996, welches das weitgehend unproblematische Verhältnis zwischen beiden Staaten dann auch formell normalisierte. Doch muss die serbische Frage insgesamt aufgearbeitet werden, um die besondere serbisch-makedonische Frage und die Entwicklung des serbisch-makedonischen Verhältnisses zu verstehen. Im Ergebnis ist die serbisch-makedonische Frage heute kein bedeutsamer Faktor mehr in der kulturellen Auseinandersetzung um Makedonien, die sich hauptsächlich zwischen Bulgarien, Griechenland und der Republik Makedonien abspielt.
Die serbische Frage und die Folgen
Allgemein betrachtet betrifft die serbische Frage das Schicksal des serbischen Volkes vor dem Hintergrund von Freiheitskämpfen und Kriegen. Nach dem Selbstverständnis der Serben soll das serbische Volk frei von Fremdbestimmung und als Nation vereint in einem Staatswesen zusammenleben können. Dieses Ziel konnte allerdings erst ab 1918 in einem gemeinsamen Staat mit anderen südslawischen Völkern erreicht werden. Dadurch bekam die serbische Frage dann auch ihre Konkretisierung. Jetzt umfasste die serbische Frage das Verhältnis der Serben zu den anderen südslawischen Völkern, zur jugoslawischen Idee (gemeinsamer Staat für alle südslawischen Völker) und zu ihrer Stellung in der gesamtpolitischen Ordnung des Balkans.
Im ersten jugoslawischen Staat von 1918 bis 1941 dominierten die Serben, die ohnehin das zahlenmäßig stärkste Volk in diesem Staate waren, über die anderen südslawischen und nicht-slawischen Völker. In diesem ersten jugoslawischen Staat, der unter dem serbischen Königshaus diktatorisch regiert und zentralistisch verwaltet wurde, hatten die Serben die klare Vorherrschaft und die anderen Völker das Nachsehen. Im Zweiten Weltkrieg brach der erste jugoslawische Staat wegen der ethnischen bzw. nationalen Gegensätze auch von innen heraus auseinander.
Der zweite jugoslawische Staat wurde nach den Beschlüssen des II. Kongresses des „Antifaschistischen Rates der Nationalen Befreiung Jugoslawiens“ (AVNOJ) vom 29.11.1943 dann auch föderalistisch und unter Wahrung der Gleichberechtigung aller südslawischen Völker organisiert. Dominierend sollte jetzt vor allem die kommunistische Parteiorganisation sein. Allerdings führte die Neuorganisation des jugoslawischen Staates auch zu einer Neuformulierung der serbischen Frage, die vor allem in einem Memorandum der „Serbischen Akademie der Wissenschaften und Künste“ im Jahre 1986 ihren Ausdruck fand.
Nach diesem Memorandum sei den Serben im kommunistischen Jugoslawien unter Josip Broz Tito der eigene Staat im Wesentlichen versagt worden. Aufgrund der zwei „Sozialistisch Autonomen Gebietskörperschaften“ Kosovo und Vojvodina, die faktisch den Status einer jugoslawischen Republik hätten, sei die Staatlichkeit Serbiens beschnitten worden. Im Verhältnis zu den anderen fünf jugoslawischen „Sozialistischen Republiken“ sei Serbien also benachteiligt worden, da außer Serbien keine andere jugoslawische Republik autonome Gebietskörperschaften auf ihrem Territorium hätte.
Große Teile des serbischen Volkes müssten in anderen (jugoslawischen) Republiken leben und würden dort nicht die gleichen Rechte wie andere Nationalitäten (nationale Minderheiten) haben. Vor allem Kroatien und das Kosovo wurden in dem Memorandum aufgeführt. In Kroatien und im Kosovo seien die Serben bedroht, unter anderem von Assimilierung und auch von einem möglichen Genozid. Dies würde die Einheit des serbischen Volkes gefährden. Auch wirtschaftlich sei Serbien gegenüber den jugoslawischen Republiken Kroatien und Slowenien gezielt benachteiligt worden. So habe es unter Tito eine kroatisch-slowenische Vorherrschaft in Jugoslawien gegeben.
Die Serben hätten die größten Opfer im Zweiten Weltkrieg erbracht und würden im kommunistischen System allerdings in die Rolle eines „Kerkermeisters“ (sinngemäß: eines brutalen Unterdrückers) gedrängt, dem eine Schuld auferlegt worden sei. Es sei an der Zeit das serbische Volk von der Hypothek dieser historischen Schuld zu befreien und den Beitrag des serbischen Volkes an dem Volksbefreiungskampf voll anzuerkennen. Auch zur staatlichen Organisation Jugoslawiens trifft das Memorandum Aussagen. Demnach müsste die jugoslawische Verfassung von 1974 revidiert und die Staatlichkeit Serbiens wiederhergestellt werden. Ansonsten drohe der Zerfall Jugoslawiens, wenn das serbische Volk weiterhin in Ungewissheit leben müsste.
Diese Auszüge aus dem Memorandum der Serbischen Akademie der Wissenschaften und Künste gaben vor allem die Auffassungen der national gesinnten serbischen Kreise wieder. Bei den anderen Völkern Jugoslawiens löste diese Memorandum Kritik und Furcht vor dem serbischen Nationalismus aus.
Das Memorandum lässt sich in einer konkreteren Formulierung der heutigen serbischen Frage überführen: „Die heutige serbische Frage betrifft das Schicksal des serbischen Volkes in Kroatien, Bosnien und Herzegowina und dem Kosovo sowie die Einheit des serbischen Volkes.“ Genau diese Frage führte zwischen 1991 und 1999 zu den Kriegen in Kroatien, Bosnien und Herzegowina und im Kosovo. In Kroatien und Bosnien und Herzegowina leben die bedeutendsten Anteile des serbischen Volkes außerhalb Serbiens. Das Kosovo hat zusätzlich zu der dort lebenden serbischen Minderheit vor allem auch eine historische Bedeutung für Serbien. Anders ist die Lage in den Republiken Slowenien und Makedonien, die von einem ethnisch bedingten Krieg mit Serbien verschont blieben. Der kurze Krieg in Slowenien (27.06. – 18.07.1991) war mehr eine slowenisch-jugoslawische als eine slowenisch-serbische Angelegenheit. Weder in Slowenien noch in der Republik Makedonien leben nennenswerte Anteile des serbischen Volkes, so dass sich dort die serbische Frage in ihrer heutigen Form nicht stellt. In früheren Zeiten stellte sich die serbische Frage allerdings auch für die makedonische Bevölkerung. Dabei stand die serbisch-makedonische Frage auch in Konkurrenz zur bulgarisch-makedonischen Frage. Für das weitere Verständnis dieser serbisch-makedonische Frage ist daher ein ausführlicher Exkurs in die Geschichte notwendig.
Makedonien zunächst unter bulgarischer, dann unter serbischer Herrschaft
Schon während der byzantinischen Herrschaft geriet Makedonien zeitweise unter bulgarischer Herrschaft (Erstes Bulgarisches Reich sowie das Reich von Zar Samuel). Dazu mehr in dem Artikel „Die bulgarisch-makedonische Frage“. Kreuzfahrer und Venezianer stürmten am 13.04.1204 die byzantinische Hauptstadt Konstantinopel, was zu einer temporären Schwächung des Byzantinischen Reiches für fast hundert Jahre führte. Die Schwächung nutzten sowohl die Bulgaren als auch die Serben für die Ausdehnung ihrer Herrschaftsgebiete. Zunächst geriet Makedonien unter die Herrschaft des 2. Bulgarischen Reiches, das unter Ivan Assen II. zwischen 1218 bis 1241 seine Blütezeit erlebte.
Nach dem Aussterben der Assen-Dynastie regierten schwache Zaren im Reich und die Serben unter der Dynastie der Nemanjiden erweiterten Schrittweise auf Kosten der Bulgaren ihr Herrschaftsgebiet. So geriet auch Makedonien unter die Herrschaft der Serben. Auch als Konstantinopel im Jahre 1261 durch den byzantinischen Kaiser Nikäa wieder zurückerobert wurde, blieb das Byzantinische Reich zunächst geschwächt und Makedonien unter serbischer Herrschaft.
Die Schlacht von Velbuzd (Kjustendil) im Jahre 1330 besiegelte die serbische Herrschaft über Makedonien. Im Jahr 1331 wurde Stefan Dušan neuer serbischer Herrscher und ließ sich im Jahr 1346 in Skopje vom serbischen Patriarchen zum „Kaiser der Serben und Griechen“ krönen. Die spätere makedonische Hauptstadt Skopje wurde so das Zentrum seiner Herrschaft. Das neue Reich erhielt wie das byzantinische Reich eine Rechtsgrundlage und wurde nach byzantinischem Vorbild aufgebaut. Der griechische Kultureinfluss auf Makedonien blieb zwar gewahrt, doch wurde aufgrund der serbischen Herrschaft auch der slawische Kultureinfluss gestärkt. Nach dem Tod von Stefan Dušan im Jahre 1355 verfiel das Reich und kam schrittweise unter osmanischer Herrschaft. Zusammenfassend kann gesagt werden: Zwischen der byzantinischen und der osmanischen Herrschaft geriet die makedonische Bevölkerung sowohl unter bulgarischer Herrschaft als auch unter serbischer Herrschaft mit ihren entsprechenden kulturellen Einflüssen. Etwa ab dem Jahr 1393 stand Makedonien dann vollständig unter der Herrschaft des Osmanischen Reiches, die erst durch den Ersten Balkankrieg im Jahre 1913 beendet wurde.
Während der Herrschaft des Osmanischen Reiches kam es zu einem bulgarisch-serbisch-griechischen Kulturkampf um Makedonien. Dieser begann in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und begründete die makedonische Frage. Die Entwicklung dieses Kulturkampfes bis zum Ende der Balkankriege 1912/13 wird im Artikel „Der Kulturkampf um Makedonien als Aspekt der makedonischen Frage“ ausführlich beschrieben.
Serbien und der erste jugoslawische Staat
Zunächst soll auf die Entwicklung Serbiens im ersten jugoslawischen Staat eingegangen werden. Nach dem Ersten Weltkrieg brach der Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn auseinander. Dies führte auch zur Unabhängigkeit der Slowenen und Kroaten, die sich bereits in einem „Südslawischen Ausschuss“, zunächst mit Sitz in London, organisiert hatten und für einen gemeinsamen Staat aller südslawischen Völker eintraten.
Im Juni und Juli 1917 trafen sich der Vorsitzende dieses Ausschusses, Ante Tumbić und der Ministerpräsidenten des Königreiches Serbien, Nikola Pašić, auf der griechischen Insel Korfu zu Gesprächen über die Gründung eines gemeinsamen südslawischen Staates. Dort wurde die Ausrufung eines Königreiches des dreinamigen Volkes (Serben, Kroaten und Slowenen) vereinbart und eine entsprechende Deklaration am 20.07.1917 unterzeichnet, welches als Geburtsdokument des ersten jugoslawischen Staates bezeichnet werden kann. Die Montenegriner galten nach vorherrschender Auffassung als serbischer Volksstamm und wurden nicht besonders aufgeführt. Die Bosniaken (Muslime) und die ethnischen bzw. slawischen Makedonier waren noch nicht als eigene Völker anerkannt.
Der zunächst rein formellen Deklaration eines gemeinsamen südslawischen Königreiches wohnte auch eine 24köpfige Delegation des „Nationalrates der Slowenen, Kroaten und Serben bei“, welche ihren Sitz im damals noch zu Österreich-Ungarn gehörenden Zagreb hatte. Dieser Nationalrat war gebildet worden, als sich der Zerfall Österreich-Ungarns immer stärker abzeichnete. Dieser erklärte auch die formelle Unabhängigkeit der südslawischen Völker von Österreich-Ungarn. Der Name „Jugoslawien“ für den neuen Staat wurde von serbischer Seite abgelehnt, da der Begriff „Königreich Serbien“ im Staatsnahmen des gemeinsamen südslawischen Staates erhalten bleiben sollte. So wurde am 01.12.1918 das „Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen“ proklamiert.
Für die innere Struktur und Organisation des gemeinsamen Staates traf die Deklaration von Korfu allerdings keine Vereinbarung. Die serbische Seite war zentralistisch eingestellt, die slowenische und kroatische Seite föderalistisch. Nach dem bei den ersten Wahlen die zentralistisch eingestellten Parteien einen Sieg errungen hatten, boykottierte die größte kroatische Partei, die föderalistisch eingestellte Kroatische Bauernpartei, die parlamentarische Arbeit. Dies führte dazu, dass mit einer knappen Mehrheit von 27 Stimmen am 28.06.1921 eine Verfassung mit einer zentralistischen Staatsstruktur für das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen verabschiedet wurde. Diese Verfassung war im Sinne des serbischen Königshauses und etablierte die serbische Vorherrschaft im Staate. Dies hatte politische Instabilitäten mit Attentaten und politischen Morden zur Folge. Auch die Verwaltungsgliederung des Staates in 35 Bezirke nahm auf ethnische Gegebenheiten keine Rücksicht.
Im Ergebnis entfernten sich die südslawischen Völker wieder voneinander und gegenseitiges Misstrauen prägte das Zusammenleben im gemeinsamen Staat. Vor allem der kroatisch-serbische Gegensatz ragte aus den Auseinandersetzungen heraus. Die Kroaten traten für eine föderalistische Staatsorganisation ein, während die Serben die zentralistische organisierte Staatsgewalt unter ihrer Führung beibehalten wollten. Dies hatte eine politische Krise nach der anderen zur Folge. In rund 10 Jahren amtierten etwa 30 Regierungen. Eine gesittete Parlamentsarbeit fand nicht statt, statt einer Diskussionskultur herrschte dort Anarchie. Im Parlament kam es auch zu blutigen und tödlichen Auseinandersetzungen. Die Situation im Königreich glich einer permanenten Staatskrise. Die Versuche einer Föderalisierung des Staates durch die Bildung von Bundesstaaten mit eigenen Parlamenten scheiterten vor allem an den zentralistisch eingestellten serbischen Parteien. Damit blieb es vor allem beim kroatisch-serbischen Gegensatz, der nicht aufgelöst werden konnte.
Am 06.01.1929 löste König Alexander das Parlament auf und setzte die Verfassung vom 28.06.1921 außer Kraft. Durch ein Staatsschutzgesetz wurden faktisch alle Parteien aufgelöst und bürgerliche Freiheiten massiv eingeschränkt. Stattdessen wurde ein Polizeiregime etabliert. Jede kritische Äußerung konnte ins Gefängnis führen. Das zentralistische Staatssystem unter serbischer Führung sollte nicht mehr hinterfragt werden können. Durch ein Gesetz über die Neueinteilung des Königreiches vom 03.10.1929 wurden die bisherigen Bezirke abgeschafft und das Königreich in neun Banschaften (Banovine) eingeteilt. Aufgrund dieses Gesetzes wurde auch der bisherige Staatsname in „Königreich Jugoslawien“ umbenannt. Diese Neueinteilung des Königreiches nahm ebenfalls auf die ethnische Zusammensetzung von Regionen keine Rücksicht. Im Gegenteil: Bei der Einteilung des Staates in neun Banovine, die nach einer Küste und sonst nach Flüssen benannt waren, wurden vorsätzlich ethnisch bedingte Gegebenheiten überdeckt. Die kulturellen Rechte der südslawischen Völker wurden im Königreich Jugoslawien von Staatswegen negiert, welches jetzt eine reine Diktatur war. Unter König Alexander kam es dann auch zu keinen weiteren Reformen mehr. Die serbische Frage war im Sinne der serbischen Auffassung geklärt.
Am 09.10.1934 wurde König Alexander zusammen mit dem französischen Außenminister Louis Barthou bei einem Staatsbesuch in der französischen Stadt Marseille ermordet. Der Mörder, wahrscheinlich ein ethnischer bzw. slawischer Makedonier aus dem Umfeld der „Inneren Makedonischen Revolutionären Organisation“ („IMRO“), wurde noch vor Ort von der Menge erschlagen. Erst unter Alexanders Nachfolger Paul (Pavle) Karadjordjević kam es 23.08.1939 zu einem kroatisch-serbischen Ausgleich. Dieser wurde jedoch vom Beginn des Zweiten Weltkrieges überschattet. Das Königreich Jugoslawien wurde am 06.04.1941 vom Deutschen Reich angegriffen und kapitulierte am 17.04.1941. Nennenswerten Widerstand konnte das Königreich aufgrund seiner inneren Zerrissenheit nicht leisten. In diesem Abschnitt wurde besonders die allgemeine Entwicklung von Serbien und dem ersten jugoslawischen Staat aufgezeigt, da diese Entwicklung auch entsprechende Folgen für den serbischen bzw. jugoslawischen Teil von Makedonien hatte.
Makedonien im ersten jugoslawischen Staat
Zunächst war der serbische Teil von Makedonien Teil des Königreiches Serbien, welches am 01.12.1918 im Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen aufging. Für Serbien gab es keine makedonische Ethnie in seinem Teil von Makedonien, der bis 1929 einfach als Südserbien und danach als Vardar-Banschaft bezeichnet wurde. Nach serbischer Auffassung lebten dort nur Südserben. Auf ein makedonisches oder bulgarisches Nationalbewusstsein wurde keine Rücksicht genommen.
Der serbische Teil von Makedonien wurde zentralistisch von Belgrad aus verwaltet. Dementsprechend wurde Serbisch dort Amtssprache. Es gab nur serbische Schulen und die makedonische Bevölkerung wurde der serbisch-orthodoxen Kirche unterstellt. Darüber hinaus wurde die makedonische Bevölkerung sowohl politisch als auch wirtschaftlich benachteiligt. Die nach Makedonien bzw. Südserbien geschickten Beamten gehörten nicht zu den besten und wirtschaftlich wurde dort nichts investiert. Diese Entwicklung förderte eine Entfremdung der makedonischen Bevölkerung von der serbischen Kultur, die letztendlich die weitere Entwicklung der makedonischen Bevölkerung zu einer eigenständigen Ethnie förderte.
Die serbische Politik gegenüber der makedonischen Bevölkerung und deren Folgen gab der IMRO neuen politischen Auftrieb. Vom bulgarischen Teil Makedoniens aus schickte die IMRO bewaffnete Komitadschis, die Posten der Gendarmerie überfielen und Sabotageakte verübten. Damit sollte die makedonische Bevölkerung gegen die serbische Herrschaft bzw. Unterdrückung mobilisiert werden. Die serbischen Behörden und Einheiten der Gendarmerie schlugen brutal zurück. Ein Kleinkrieg brach aus, der mit großer Brutalität geführt wurde. Es kam zu Gewalt und Verlusten auf beiden Seiten, worunter besonders die makedonische Bevölkerung zu leiden hatte. Die Beziehungen zwischen Bulgarien und Jugoslawien verschlechterten sich und die Grenze zwischen beiden Staaten glich mit seinen Zäunen, Wachtürmen und Todesstreifen fast dem „Eisernen Vorhang“ während des Kalten Krieges. Auch ein Krieg zwischen Bulgarien und Jugoslawien wurde aufgrund der bulgarischen Unterstützung der IMRO denkbar.
Je nach dem was für eine Regierung in Bulgarien an der Macht war wurde die IMRO entweder toleriert oder aktiv unterstützt, jedoch ihre Aktivitäten gegenüber Jugoslawien nie unterbunden. Bulgarien blieb die Operationsbasis der IMRO bis Mitte der 1930er Jahre, was natürlich auch den pro-bulgarischen Flügel innerhalb der IMRO stärkte. Als jedoch die tödlichen Machtkämpfe innerhalb der IMRO wieder stark zunahmen kam es zu einer faktischen Entlastung an der bulgarisch-jugoslawischen Grenze und im serbischen bzw. jugoslawischen Teil von Makedonien. Wie schon nach dem Ende der osmanischen Herrschaft über Makedonien erreichte die IMRO auch im serbischen bzw. jugoslawischen Teil von Makedonien ihre Ziele nicht. Die politischen Flügel innerhalb der IMRO konnten sich aufgrund ihrer zum Teil gewaltsam ausgetragenen Auseinandersetzungen nicht auf ein wirksames Lösungskonzept für Makedonien einigen. Das galt sowohl für den Kampf gegen die serbische bzw. jugoslawische Herrschaft in Makedonien als auch für das Schicksal Makedoniens nach einem erfolgreichen Kampf.
Die Bevölkerung in Makedonien war überdies dem anhaltenden Terrorismus längst Müde geworden und sehnte sich nach Frieden. Zu Beginn der 1930er Jahre bemühten sich Bulgarien und Jugoslawien ihre bilateralen Beziehungen zu verbessern, was natürlich zum Nachteil für die IMRO war. Der jugoslawische König Alexander wollte nach der Errichtung seiner Diktatur im Jahre 1929 seinen Staat vor allem außenpolitisch konsolidieren. In Bulgarien wurde die Regierung im Jahre 1934 durch die sogenannte Zveno-Gruppe, die aus hohen Beamten und Militärs und Intellektuellen bestand, gestürzt. Die neue bulgarische Regierung unter Führung von Kimon Georgiev setzte auf eine autoritäre Politik und verbot alle politischen Gruppierungen. Unter diesem Verbot fiel auch die IMRO, die dadurch ihre Operationsbasis verlor.
Die Klärung der serbisch-makedonischen Frage erfolgte erst während des Zweiten Weltkriegs im Volksbefreiungskampf unter der Führung von Josip Broz Tito. Diese Klärung sollte sich als Nachhaltig erweisen. Nach dem Zerfall des ersten jugoslawischen Staates war der serbische bzw. jugoslawische Teil von Makedonien von 1941 bis 1944 bulgarisch besetzt. Aufgrund der restriktiven bulgarischen Besatzungspolitik, die vor allem eine Bulgarisierung der makedonischen Bevölkerung zum Ziel hatte, entfremdete sich die makedonische Bevölkerung auch größtenteils von der bulgarischen Kulturnation. Die makedonische Bevölkerung wollte aufgrund ihrer Erfahrungen im ersten jugoslawischen Staat (1918 bis 1941) und mit der bulgarischen Besatzung (1941 bis 1944) weder serbisch noch bulgarisch sein. Hier war ein wichtiger und entscheidender Ansatz für die Herausbildung einer eigenständigen makedonischen Ethnie bzw. Nation im heutigen Sinne. Diesen Ansatz wählte auch die jugoslawische Volksbefreiungsbewegung unter Josip Broz Tito.
Makedonien und Serbien im zweiten jugoslawischen Staat
Die Klärung der serbisch-makedonischen Frage erfolgte am 29.11.1943 auf der „Zweiten Sitzung des Antifaschistischen Rates der Nationalen Befreiung Jugoslawiens“ („AVNOJ“). Eine auf dieser Sitzung beschlossene Deklaration legte die Souveränität und die völlige Gleichberechtigung der jugoslawischen Völker fest. Namentlich als jugoslawische, souveräne und gleichberechtigte Völker wurden aufgeführt: Die Serben, die Kroaten, die Slowenen, die Makedonier und die Montenegriner. Mit dieser Erklärung wurden die ethnischen bzw. slawischen Makedonier erstmals in ihrer Geschichte offiziell als Volk und Nation anerkannt. Daher kann der 29.11.1943 als die „formelle Geburtsstunde“ der ethnischen bzw. slawischen Makedonier angesehen werden. Jedoch bedeutet diese formelle Geburt natürlich nicht die materielle Geburt der ethnischen bzw. slawischen Makedonier als Volk und Nation. Die makedonische Nationalität ist weder rein künstlich erzeugt noch aus dem Nichts erschaffen worden. Jedoch wurde durch die Anerkennung der ethnischen bzw. slawischen Makedonier als Ethnie bzw. als Nation eine bestehende Entwicklung zum Abschluss gebracht.
Zunächst bedeutete die Klärung der serbisch-makedonischen Frage, dass die makedonische Ethnie keine serbische Ethnie und damit die makedonische Bevölkerung keine Südserben sind. Des Weiteren bedeutet die Klärung der serbisch-makedonischen Frage auch die Gründung eines eigenständigen makedonischen Staatswesens auf dem Gebiet des serbischen bzw. jugoslawischen Teils von Makedonien. Damit war die serbische Herrschaft in Makedonien endgültig beendet. Serbien verlor einen Teil seines Territoriums. Doch hatte Tito nicht nur die spezielle serbisch-makedonische Frage geklärt. Er hatte die makedonische Frage auch allgemein geklärt: Die ethnischen bzw. slawischen Makedonier sind weder bulgarisch noch serbisch. Damit wurde auch der bulgarischen Auffassung widersprochen, wonach die ethnischen bzw. slawischen Makedonier Teil der bulgarischen Kulturnation seien.
Mit der Eröffnung der ersten Tagung der „Antifaschistischen Sobranje der Volksbefreiung Makedoniens“ (ASNOM) am 02.08.1944 im Kloster Prohor Pčinski wurde der makedonische Staat formell gegründet. Von diesem Moment an waren Makedonien und Serbien zwei voneinander unabhängige und gleichberechtigte Staaten im Rahmen der jugoslawischen Föderation. Das Verhältnis zwischen beiden Staaten und zwischen beiden Nationen entwickelte sich positiv. Ernsthafte Spannungen zwischen beiden Staaten gab es nicht. Natürlich gab es in nationalistischen Kreisen Serbiens Auffassungen, wonach die ethnischen bzw. slawischen Makedonier weiterhin Südserben seien und ihre Nation künstlich sei. Auch die Wiederangliederung Makedoniens an Serbien wurde in diesen Kreisen vertreten, da es sich um serbisches Territorium handeln würde. Keines dieser Auffassungen konnte sich jedoch mehrheitlich oder wirksam durchsetzen. Serbien hat sich mit der Existenz des makedonischen Staates und der makedonischen Nation weitgehend abgefunden. Auch leben im makedonischen Staat keine nennenswerten Anteile des serbischen Volkes. Der Anteil der serbischen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung des makedonischen Staates liegt etwa bei 1,8 Prozent.
Auch auf kirchlichem Gebiet kam es zu einer Emanzipation Makedoniens gegenüber Serbien. Bereits 1958 schufen die makedonischen Bischöfe mit Unterstützung der kommunistischen Machthaber eine eigene makedonische Kirchenorganisation. Bisher gehörten die makedonischen Bistümer zur serbisch-orthodoxen Kirche. In kanonischen Fragen blieben die makedonischen Bischöfe allerdings noch unter der Jurisdiktion des serbischen Patriarchen in Belgrad. Im Jahre 1967 erklärte sich die orthodoxe Kirche Makedoniens dann für autokephal bzw. für selbständig und löste sich damit vollständig von der orthodoxen Kirche Serbiens. Weder die serbisch-orthodoxe Kirche noch andere orthodoxe Kirchen haben die Selbstständigkeit der orthodoxen Kirche Makedoniens bisher anerkannt. Noch heute ist die Unabhängigkeit der orthodoxen Kirche Makedoniens umstritten. Allerdings hatte die kirchliche Entwicklung in Makedonien keine tiefgreifenden Folgen für das allgemeine serbisch-makedonische Verhältnis.
Erst während der Staatskrise und des Zerfalls der jugoslawischen Föderation in den Jahren 1986 bis 1991 trat die serbische Frage wieder merklich zu Tage. Allerdings betraf dies weniger die Republik Makedonien, sondern vielmehr das Kosovo sowie die Republiken Kroatien und Bosnien und Herzegowina. Dennoch entschied sich die Republik Makedonien aufgrund des serbischen Nationalismus im Jahre 1991 für die Unabhängigkeit der Republik Makedonien und gegen einen Zusammenschluss mit den Republiken Serbien und Montenegro in einer neuen und verkleinerten jugoslawischen Föderation („Bundesrepublik Jugoslawien“). Es gab vor allem Befürchtungen, dass die bisherige serbisch-makedonische Grenze von serbischer Seite nicht akzeptiert würde. Die formelle Unabhängigkeitserklärung der Republik Makedonien erfolgte am 18.09.1991. Die Proklamation der Bundesrepublik Jugoslawien, bestehend aus Serbien und Montenegro, erfolgte am 27.04.1992.
Das serbisch-makedonische Verhältnis nach der Unabhängigkeit der Republik Makedonien
Direkt einen Tag nach dem Unabhängigkeitsreferendum in der Republik Makedonien vom 08.09.1991 drohten serbische Politiker mit einer Grenzänderung, wenn die Republik Makedonien die jugoslawische Föderation verlassen sollte. Hintergrund war das Schicksal der serbischen Minderheit in der Republik Makedonien, welche vor allem im Norden der Republik Makedonien lebt. Noch am 04.12.1991 bezeichnete die Sozialistische Partei Serbiens unter Slobodan Milošević die Republik Makedonien als unverzichtbaren Teil Jugoslawiens. Dennoch führte die formelle Unabhängigkeitserklärung der Republik Makedonien vom 18.09.1991 zu keinen Auseinandersetzungen mit Serbien. Bereits am 24.02.1992 einigten sich der makedonische Staatspräsident Kiro Gligorov und die Jugoslawische Volksarmee (JNA) auf einen Abzug dieser Armee bis zum 15.04.1992. Dieser Abzug war dann bereits vorzeitig am 26.03.1992 erfolgreich abgeschlossen worden. Zwar nahm die Jugoslawische Volksarmee fast die gesamte militärische Ausrüstung mit, was ein großer Verlust für die Republik Makedonien war, doch verlief der Abzug friedlich und ohne Zwischenfälle. Darauf ist die Republik Makedonien bis heute Stolz. Die Unabhängigkeitserklärungen der anderen jugoslawischen Republiken führten in allen Fällen zu militärischen Auseinandersetzungen.
Vorherrschend war jetzt vor allem der sogenannte Namensstreit mit Griechenland, der zunächst eine internationale Anerkennung der Republik Makedonien verhinderte. Erst am 08.04.1993 wurde die Republik Makedonien unter der vorläufigen Bezeichnung „Die Ehemalige Jugoslawische Republik Makedonien“ in die Vereinten Nationen (UN) aufgenommen, was auch eine weltweite bilaterale Anerkennung der Republik Makedonien zur Folge hatte. Bulgarien erkannte zwar am 16.01.1992 die Republik Makedonien als erster Staat der Welt völkerrechtlich an, weigerte sich jedoch bis 1999 eine makedonische Nation anzuerkennen. Bulgarien blieb bei seiner Auffassung, wonach die makedonische Kulturnation Teil der bulgarischen Kulturnation sei. Im Jahre 1999 erkannte Bulgarien zumindest faktisch die makedonische Kulturnation an. Der sogenannte Namensstreit mit Griechenland konnte erst in den Jahren 2018 und 2019 überwunden werden.
Das Verhältnis zwischen Serbien und der Republik Makedonien war zwischen 1992 bis 1996 vor allem durch das UN-Embargo gegen die Bundesrepublik Jugoslawien geprägt. Damit waren Makedonien die wichtigsten Wirtschaftsbeziehungen verloren gegangen, die vor allem auf die ehemalige jugoslawische Föderation bzw. Bundesrepublik Jugoslawien ausgerichtet waren. Im Süden hemmte der Namensstreit mit Griechenland die wirtschaftlichen Beziehungen. In dieser Zeit soll der serbische Staatspräsident Slobodan Milošević dem griechischen Ministerpräsidenten Konstantin Mitsotakis auch einmal die Aufteilung der Republik Makedonien zwischen Griechenland und Serbien vorgeschlagen haben. Griechenland lehnte jedoch ab und informierte seine europäischen Partner.
Ende 1995 waren die Kriege in Kroatien und Bosnien und Herzegowina durch Friedensverträge erfolgreich und endgültig beendet worden, was eine weitgehende völkerrechtliche Anerkennung der Bundesrepublik Jugoslawien und eine Beendigung des UN-Embargos ihr gegenüber zur Folge hatte. Dies hatte auch positive Auswirkungen auf das serbisch-makedonische Verhältnis.
Am 08.04.1996 unterzeichneten der makedonische Außenminister Ljubomir Frckovski und der jugoslawische Außenminister Milan Milutinović in Belgrad ein Abkommen über die gegenseitige völkerrechtliche Anerkennung ihrer Staaten und über die Aufnahmen von diplomatischen Beziehungen. Die Republik Makedonien erkannte mit diesem Abkommen die Bundesrepublik Jugoslawien, im Gegensatz zur internationalen Auffassung, auch als Rechtsnachfolger der „Sozialistisch Föderativen Republik Jugoslawien“ („SFRJ“) an. Nach internationaler Rechtsauffassung war die Bundesrepublik Jugoslawien jedoch kein Rechtsnachfolger der SFRJ. Vielmehr habe sich die SFRJ in fünf Nachfolgestaaten aufgelöst, darunter auch die Bundesrepublik Jugoslawien.
Der Kosovokrieg in den Jahren 1998/99 führte zu massiven Flüchtlingsströmen in die Republik Makedonien, welche dort zu großen Problemen führten und die politische Stabilität des Staates gefährdeten. Nach der einseitigen Unabhängigkeitserklärung des Kosovo am 17.02.2008, erkannte die Republik Makedonien am 09.10.2008 das Kosovo völkerrechtlich an. Dies führte kurzzeitig zu einer Verschlechterung der serbisch-makedonischen Beziehungen.
Die Bundesrepublik Jugoslawien wurde am 04.02.2003 zunächst in die Staatenunion Serbien-Montenegro umgewandelt. Am 03.06.2006 erklärte Montenegro seine Unabhängigkeit, woraufhin sich Serbien am 05.06.2006 völkerrechtlich anerkannt zum Rechtsnachfolger dieser Staatenunion erklärte. Das serbisch-kosovarische Verhältnis hat sich bis heute in vielen Bereichen deutlich gebessert und normalisiert. Strittig bleibt aus serbischer Sicht vor allem der völkerrechtliche Status des Kosovos. Seit dem 21.01.2014 führt die Europäische Union (EU) offiziell Beitrittsgespräche mit Serbien. Die Republik Makedonien ist zwar seit dem Jahr 2005 EU-Beitrittskandidat, jedoch konnten aufgrund des erst im Jahr 2019 überwundenen Namensstreits mit dem EU-Mitglied Griechenland bisher keine offiziellen EU-Beitrittsgespräche beginnen. Erst am 26.03.2020 beschloss der Europäische Rat, die Versammlung der Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten, den Beginn der EU-Beitrittsgespräche mit der Republik Nord-Makedonien. Die Ausgangslage ist: Bulgarien und Griechenland sind EU- und NATO-Mitglieder. Mit Serbien finden EU-Beitrittsgespräche statt, wobei Serbien jedoch keine NATO-Mitgliedschaft anstrebt. Die Republik Nord-Makedonien ist EU-Beitrittsgesprächskandidat und NATO-Mitglied.
Das Verhältnis zwischen Serbien und der Republik Nord-Makedonien ist normal und freundschaftlich. Die serbisch-makedonische Frage spielt heute keine Rolle mehr. Hiervon ausgenommen sind der Konflikt um die Eigenständigkeit der Orthodoxen Kirche in Nord-Makedonien.