Am 18.03.2012 wurde der bisherige griechische Finanzminister Evangelos Venizelos auf einer Urabstimmung, bei der es keine weiteren Kandidierenden gab, mit 97 Prozent der abgegebenen Stimmen zum neuen Vorsitzenden der „Panhellenischen Sozialistischen Bewegung“, kurz „PASOK“ gewählt. Bis zur Schließung der Wahllokale um 18 Uhr MEZ (19 Uhr OEZ) gaben rund 240.000 Wählerinnen und Wähler ihre Stimmen ab. Wahlberechtigt waren nicht nur Parteimitglieder, sondern alle Bürger der Hellenischen Republik und Bürger der Europäischen Union mit ständigem Wohnsitz in Griechenland. Der bisherige Amtsinhaber Giorgos Papandreou hatte Ende Januar auf eine erneute Kandidatur um den Parteivorsitz verzichtet. Zur Zeit liegt die PASOK je nach Umfragen zwischen 9 und 15 Prozent. Bei der letzten Parlamentswahl am 04.10.2009 erreichte die PASOK noch 43,94 Prozent der Stimmen und wurde damit stärkste Kraft im griechischen Parlament. Durch die Wahl von Evangelos Venizelos zum Parteivorsitzenden werden die Umfragewerte für die PASOK nach Einschätzungen der Politologen wohl wieder steigen, wie hoch bleibt allerdings offen und abzuwarten. Evangelos Venizelos trat einen Tag nach seiner Wahl zum Parteivorsitzenden vom Amt des Finanzministers und als stellvertretender Ministerpräsident zurück, um sich ganz auf den baldigen griechischen Wahlkampf konzentrieren zu können.
Zur Person – Evangelos Venizelos
Der Jurist und Politiker Evangelos Venizelos wurde am 01.01.1957 in Thessaloniki (griechische Region Zentral-Makedonien) geboren. Von 1974 bis 1978 studierte er Rechtswissenschaften an der Aristoteles Universität Thessaloniki und schloss nach seinem Studienabschluss ein postgraduales Studium an der Universität Paris II an. Nachdem Evangelos Venizelos an der Aristoteles Universität Thessaloniki promoviert hatte, wurde er dort im Jahre 1984 zunächst Dozent und später Professor für Verfassungsrecht. Zusätzlich war er auch als Rechtsanwalt am Obersten Gerichtshof und am Staatsrat der Hellenischen Republik tätig. Er verfasste zahlreiche Schriften zum Staats- und Verfassungsrecht sowie auf dem Gebiet der Politikwissenschaften. Unter Loukas Papadimos als Vorstandsvorsitzender der Griechischen Nationalbank war Evangelos Venizelos ebenfalls Mitglied im Vorstand dieser Bank. Darüber hinaus war er auch Vorstandsmitglied des Nationalen Zentrums für öffentliche Verwaltung und Mitglied der Kommission Lokalradio, eines unabhängigen Aufsichtsgremiums über die lokalen Radiostationen. Seine politische Laufbahn begann am 10.10.1993, als er als Kandidat der PASOK in das griechische Parlament gewählt wurde. Seit dem ist er ununterbrochen bei jeder griechischen Parlamentswahl wiedergewählt worden. Zwischen Oktober 1993 und März 2004 gehörte Evangelos Venizelos als Minister durchgehend den griechischen Regierungen unter den Ministerpräsidenten Andreas Papandreou und Konstantinos Simitis an. Dabei war er zunächst Staatsminister beim Ministerpräsidenten und Regierungssprecher, dann Kommunikationsminister und Regierungssprecher. Es schlossen sich an: Minister für Verkehr und Fernmeldewesen, Justizminister, Kulturminister, Entwicklungsminister (verantwortlich für Energie, Industrie, Handel, Tourismus und Technologie) und dann wieder Kulturminister. In seiner letzten Amtsperiode als Kulturminister war Evangelos Venizelos auch für die Koordinierung der Vorbereitung der Olympischen Spiele 2004 in Athen verantwortlich. Als Berichterstatter war er bei der umfassenden Revision der Verfassung der Hellenischen Republik tätig, die 1996 begann und 2001 abgeschlossen wurde. Nach der Wahlniederlage der PASOK bei den griechischen Parlamentswahlen im Jahre 2007 wurde der Parteivorsitz der PASOK im Rahmen einer Urabstimmung bestimmt, bei der Evangelos Venizelos gegen Giorgos Papandreou antrat. Zwar verlor er die Urabstimmung, erreichte jedoch mit 33 % der Stimmen ein achtbares Ergebnis. Bei dieser Urabstimmung gaben rund 770.000 Mitglieder und Freunde der PASOK ihre Stimme ab. Nach dem Wahlsieg der PASOK bei der letzten griechischen Parlamentswahl am 04.10.2009 wurde Evangelos Venizelos zunächst Verteidigungsminister unter Ministerpräsident Giorgos Papandreou und im Zuge einer aufgrund der Finanz- und Wirtschaftskrise erfolgten Kabinettsumbildung im Juni 2011 Finanzminister und stellvertretender Ministerpräsident. Auch nach dem Rücktritt von Giorgos Papandreou im November 2011 blieb Evangelos Venizelos Finanzminister und stellvertretender Ministerpräsident unter dem jetzigen Ministerpräsidenten Loukas Papadimos. Nach seiner Wahl zum Vorsitzenden der PASOK am 18.03.2012 trat er am darauf folgenden Tag vom Amt des Finanzministers und als stellvertretender Ministerpräsident zurück. Als Parteiführer möchte er sich ganz auf den beginnenden griechischen Wahlkampf konzentrieren, der für ihn nicht leicht werden wird. Die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen sind zur Zeit sehr ungünstig für die PASOK.
Die politische Situation in Griechenland
Die schwere Staats- Finanz- und Wirtschaftskrise hat die politische Situation in Griechenland massiv geändert. Bei einer Arbeitslosigkeit von fast 21 %, Lohn- und Gehaltseinbußen und eine Kürzung der Renten und Pensionen ist das Vertrauen in die etablierten Parteien stark gesunken. Zwar hat das dafür verantwortliche massive Sparprogramm der griechischen Regierung und ein erfolgter Schuldenschnitt mit privaten Gläubigern weitere EU- und IWF-Hilfsgelder für Griechenland freigemacht, doch aus dem Schneider ist Griechenland damit noch nicht. Noch immer ist für viele Griechinnen und Griechen die Zukunft ungewiss. In dieser Stimmungslage würde die Nea Dimokratia (ND) nach der letzten Umfrage mit 25 Prozent der Stimmen zwar stärkste Kraft, verliert jedoch gegenüber der letzten Parlamentswahl zirka 8 Prozent der Stimmen. Die PASOK fällt mit nur noch 11 Prozent der Stimmen sogar vom ersten Platz als bisher stärkste Partei auf Platz 5, noch hinter den Demokratischen Linken mit 15,5 Prozent, dem Bündnis der Radikalen Linken (Syriza) mit 12 Prozent und der kommunistischen KKE mit 11, 5 Prozent der Stimmen. Der rechtskonservative orthodox Volksalarm LAOS käme auf 4 Prozent, die rechtsradikale Partei der Unabhängigen Griechen auf 6,5 % und die neofaschistische „Goldene Morgenröte“ auf 3,5 Prozent der Stimmen. Ebenfalls mit 3,5 % könnten auch die Ökologen rechnen. Die zugrunde liegende Umfrage wurde zwischen dem 08.03. und 12.03.2012 vom Meinungsforschungsinstitut Public Issue durchgeführt, dabei wurden 1.110 Bürgerinnen und Bürger der Hellenischen Republik befragt. 25 % der Befragten waren noch unentschieden.
Folgen der politischen Stimmungslage
Für das griechische Parlament besteht eine 3-%-Hürde. Statt bisher fünf Parteien wären nach dieser Umfrage 9 Parteien im griechischen Parlament vertreten. Eine politische Arbeit und eine Regierungsbildung wären unter diesen Umständen deutlich erschwert. Möglich wäre nach dieser Umfrage nur eine Koalitionsregierung. Wahrscheinlich ist nach den bisherigen Umfragen eine Koalitionsregierung unter Führung der ND mit Andonis Samaras als Ministerpräsidenten an der Spitze. Mögliche und wahrscheinliche Koalitionspartner der ND sind die sozialdemokratische PASOK oder der rechtskonservative Volksalarm LAOS. Geplant sind die vorgezogenen Neuwahlen des Parlaments kurz nach den Orthodoxen Ostern, mögliche Termine sind der 29.04., der 06.05. oder der 13.05.2012. Offiziell beschlossen worden sind diese Neuwahlen noch nicht. Insgesamt ist sowohl die gesellschaftliche als auch die politische Situation in Griechenland für eine Lösungsfindung im sogenannten Namensstreit zwischen der Hellenischen Republik und der Republik Makedonien eher ungünstig.