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Vor 120 Jahren: Die Gründung der Inneren Makedonischen Revolutionären Organisation – IMRO

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Mit der Gründung der „Inneren Makedonischen Revolutionären Organisation“, kurz „IMRO“, am 23.10.1893 kam ein neuer und entscheidender Faktor in die Auseinandersetzung um die makedonischen Frage und das Schicksal Makedoniens hinzu. Die IMRO sollte den „Brennpunkt Makedonien“ bis in die Mitte der 1930er Jahre prägen, versank anschließend jedoch weitgehend in der Bedeutungslosigkeit. Durch die Anerkennung der ethnischen bzw. slawischen Makedonier am 29.11.1943 als gleichberechtigt mit den anderen jugoslawischen Völkern bzw. als eigenständige Nation auf der Zweiten Sitzung des Antifaschistischen Rates der Nationalen Befreiung Jugoslawiens und der damit verbundenen Schaffung eines makedonischen Staatswesens im Jahre 1944 war der IMRO überdies die politische Grundlage entzogen. Dennoch war die IMRO für die Entwicklung der makedonischen Bevölkerung bis hin zu einer Nation in einem eigenen Staatswesen auf dem Gebiet der heutigen Republik Makedonien ein zusätzlicher Faktor.

 

Gründungsmitglieder der IMRO (mak. VMRO) waren neben ihren späteren Führern, Christo Tatartschev und Dame Gruev, Petar Pop Arsov, Anton Dimitrov, Christo Batandschiev und Ivan Chadschinikolov. (Quelle: Wikipedia.de)

Die Gründung der IMRO in Thessaloniki

In der Wohnung des Buchhändlers Ivan Nikolov in Thessaloniki trafen sich am 23.10.1893 sechs junge Leute und gründeten die „Innere Makedonische Revolutionäre Organisation“ („IMRO“). In den Statuten der IMRO wurde festgelegt: Die Tätigkeit der Organisation sei geheim und erstrecke sich nur auf Makedonien. Mitglieder in der IMRO können nur in Makedonien geborene oder lebende Personen sein. Die IMRO agiere unabhängig von den Nachbarstaaten Bulgarien, Griechenland und Serbien und habe eine Autonomie Makedoniens zum Ziel. Zur Zeit der Gründung der IMRO befand sich Makedonien noch unter der Herrschaft des Osmanischen Reiches, während die Nachbarstaaten Bulgarien, Griechenland und Serbien bereits unabhängig waren. Die in den Statuten festgelegte Autonomie Makedoniens sollte innerhalb des Osmanischen Reiches verwirklicht werden. Eine Unabhängigkeit Makedoniens oder den Anschluss Makedoniens an Bulgarien ließen die damaligen internationalen politischen Rahmenbedingungen nicht zu. Dennoch bildeten sich sehr bald innerhalb der IMRO Flügel die entweder für die Unabhängigkeit oder den Anschluss an Bulgarien eintraten.

 

Makedonien (Karte von Bianconi)

Die IMRO und Goce Delčev

Goce Delčev wurde am 04.02.1872 in Kukush (heute griechische Region Zentral-Makedonien) geboren und besuchte das Kyrill- und Method-Gymnasium in Thessaloniki. Danach trat er in der bulgarischen Hauptstadt Sofia in die Militärakademie ein, die er wegen sozialistischer Ideen nach zwei Jahren wieder verlassen musste. Schließlich arbeite er als Lehrer in einem Dorf bei Štip (heute Republik Makedonien), traf dort auf das Gründungsmitglied und den Sekretär der IMRO Dame Gruev und trat der Organisation bei. Auf dem Zweiten Kongress der IMRO im Jahre 1896 in Thessaloniki wurde Goce Delčev in das Zentralkomitee der Organisation gewählt. Unter seinem Einfluss wurde die IMRO zu einer strafferen Organisation mit einer entsprechenden Führung ausgebaut und ihre Tätigkeit über Makedonien hinaus auf die Region von Adrianopel (Thrakien) ausgedehnt. Mitglieder konnten jetzt alle Personen unabhängig von ihrer Nationalität und Religion werden, die auf dem Gebiet der europäischen Türkei lebten. Ziel der IMRO war fortan eine Autonomie für Makedonien und Adrianopel, die durch revolutionäre Mittel erreicht werden sollte. Zu diesem Zweck baute die IMRO unter der Führung von Goce Delčev ein weitverzweigtes Netz von Komitees aus, die auf sechs revolutionäre Regionen aufgeteilt und die wiederum in Distrikte unterteilt waren. Die Distrikte verfügten über bewaffneten Abteilungen. An der Spitze stand die Kommandozentrale in Thessaloniki. Innerhalb der IMRO wurde eine eigene Verwaltung und Gerichtsbarkeit, die auch Todesurteile fällen konnte, aufgebaut. Welchen Standpunkt Goce Delčev für die Zukunft Makedoniens letztendlich vertrat muss nach dem gegenwärtigen Stand der Forschung offen bleiben. Die Autonomie Makedoniens im Rahmen des Osmanischen Reiches war wahrscheinlich ein pragmatischer Standpunkt, da die damaligen internationalen politischen Rahmenbedingungen eine Unabhängigkeit Makedoniens oder einen Anschluss Makedoniens an Bulgarien nicht zuließen. Für Goce Delčev dürfte sich daher die Frage nach dem Schicksal Makedoniens außerhalb des Osmanischen Reiches nicht gestellt haben. Sein früher Tod am 04.05.1903 hat dann eine Positionierung in dieser Frage nicht mehr möglich gemacht.

 

Die IMRO und interne Machtkämpfe

Im Jahre 1895 wurde innerhalb der IMRO das „Oberste Komitee für Makedonien und Adrianopel“ gegründet. Dieses Komitee war die organisatorische Basis für den Flügel innerhalb der IMRO, der für den Anschluss Makedoniens an Bulgarien eintrat. Es hatte seinen Sitz in der bulgarischen Hauptstadt Sofia und stand auch unter der Kontrolle von Bulgarien. Auch das Komitee hatte seine eigenen bewaffneten Kräfte, die von der bulgarischen Armee unterstützt wurden. Diese bewaffneten „Komitadschis“ wurde sowohl gegen die Osmanen als auch gegen Konkurrenten aus Griechenland und Serbien eingesetzt. Doch ging es bei den Auseinandersetzungen auch um die Macht innerhalb der IMRO. Die Region Makedonien war zu dieser Zeit ein  „Hexenkessel“ voller Brutalität, Gewalt und Mord. Die europäischen Großmächte wirkten ihrerseits im Geheimen durch ihre Agenten mit, da sie vor allem aus strategischen und machtpolitischen Gründen über die Lage informiert sein wollten. Auf dem Höhepunkt der blutigen Auseinandersetzung um Makedonien verlangten Österreich-Ungarn und das Russische Reich im Februar 1903 von der osmanischen Regierung die Ernennung eines Generalinspekteurs für die drei makedonischen Wilayets (osmanische Verwaltungseinheiten) und die Reorganisation der osmanischen Gendarmerie unter der Führung europäischer Offiziere. Bulgarien signalisierte die Bereitschaft das Oberste Komitee für Makedonien und Adrianopel aufzulösen. Vor diesem Hintergrund schien der osmanische Sultan Abdul Hamid die Forderung der europäischen Mächte akzeptieren zu wollen. Die Verhandlung darüber zoge sich jedoch hin und wurde durch den Ilinden-Aufstand überholt.

 

Die IMRO und der Ilinden-Aufstand

Im Rahmen der Flügelkämpfe innerhalb der IMRO setzte sich das pro-bulgarische Komitee schließlich durch und installierte mit Ivan Garvanov einen Bulgaren als Präsidenten an der Spitze der IMRO. Im Frühjahr 1903 beschloss der Kongress der IMRO einen allgemeinen Aufstand in Makedonien und Adrianopel auszurufen. Durch diesen Aufstand sollte die europäische Öffentlichkeit auf die noch offene makedonische Frage aufmerksam gemacht und die europäische Mächte veranlasst werden, Druck auf das Osmanische Reich zugunsten einer Autonomie Makedoniens auszuüben. Sowohl  Goce Delčev als auch eine Reihe andere wichtiger Führer der IMRO widersetzten sich dem Beschluss des Kongresses. Sie waren der Auffassung, dass die Bevölkerung von Makedonien auf einen derart umfangreichen Aufstand nicht vorbereitet sei und behielten recht. Dieser Widerstand gegen den Aufstand scheiterte aber aufgrund des Todes von Goce Delčev. Er geriet am 04.05.1903 in einem osmanischen Hinterhalt und wurde ermordet. Es halten sich bis heute Vermutungen das er von seinen Gegnern innerhalb der IMRO verraten wurde. Der Aufstand brach am 02.08.1903 sowohl in Makedonien als auch in Adrianopel (Thrakien) aus und hatte verschiedene Schwerpunkte. Insgesamt standen rund 26.000 schlecht bewaffnete Aufständische etwa 350.000 osmanischen Soldaten gegenüber, die nach dem Beginn des Aufstandes in die betroffene Region entsendet wurden. Hinzu kamen auf Seiten der osmanischen Armee noch eine unbestimmte Anzahl von Freischärlern. Vor dem Eintreffen der osmanischen Verstärkung gelang es den Aufständischen mehrere Ortschaften einzunehmen und Gebiete unter ihrer Kontrolle zu bringen. Insgesamt hatte der zum Teil schlecht organisierte und bewaffnete Aufstand gegen die osmanische Übermacht ohne das erhoffte Eingreifen von Außen keine Chance. Dieses Eingreifen, welches besonders von Russland erwartet wurde, blieb aus. Österreich-Ungarn war nicht bereit einen stärkeren Einfluss Russlands auf dem Balkan zuzulassen. Nach etwa einem Monat war der Aufstand im Keim erstickt. Es kam danach zwar noch zu Guerilla-Aktionen, doch änderte es nichts an der Niederlage für die IMRO und Makedonien.

 

Die IMRO und die Zeit nach dem Aufstand

Nach dem Aufstand intervenierten die europäischen Großmächte ein weiteres Mal beim osmanischen Sultan und forderten Reformen in den makedonischen Wilayets zur Verbesserung der Situation für die makedonische Bevölkerung. Bereits im September 1903 hatten sich der österreich-ungarische Kaiser Franz Joseph I. und der russische Zar Nikolaus II. auf ein konkretes Reformprogramm für die makedonischen Gebiete des Osmanischen Reiches geeinigt, das nun dem osmanischen Sultan auferlegt werden sollte. Dem Gouverneur von Makedonien, Halmi Pascha, wurde ein österreich-ungarischer und ein russischer Vertreter zur Seite gestellt. Diese europäischen Vertreter sollten sich vor allem der Belange der christlichen Bevölkerung Makedoniens annehmen. An der Spitze der osmanischen Gendarmarie in Makedonien wurde der italienische General de Giorgis berufen. Dieser sollte mit Unterstützung von Offizieren aus  Frankreich, Italien, Österreich-Ungarn, Russland und dem Vereinigten Königreich eine Reform dieser Gendarmarie nach europäischen Standards durchführen. Der IMRO ging das Reformprogramm für die makedonischen Gebiete des Osmanischen Reiches nicht weit genug. Auf einem Kongress der IMRO im Jahre 1905 wurde es ablehnt, da sie die osmanische Herrschaft konsolidiere, indem sie diese Herrschaft für die makedonische Bevölkerung erträglicher mache. Allerdings konnten die Reformprogramme aufgrund des Sturzes des osmanischen Sultans Abdul Hamid durch die Jungtürken im Jahre 1908 nicht mehr weiterverfolgt und umgesetzt werden. Die Jungtürken wollten das Osmanische Reich zwar demokratisieren, es allerdings auch streng zentralistisch verwalten. Eine Autonomie Makedoniens innerhalb des Osmanischen Reiches wurde damit illusorisch. In der IMRO hatte sich ohnehin der Flügel durchgesetzt, der für die Unabhängigkeit oder den Anschluss Makedoniens an Bulgarien eintrat. Allerdings verschärfte der gescheitere Aufstand die Flügelkämpfe innerhalb der IMRO, die statt mit Argumenten auch immer mehr blutig ausgetragen wurden. Unter anderem wurde im Rahmen der Auseinandersetzungen innerhalb der IMRO auch ihr pro-bulgarische Präsident Ivan Garvanov getötet. Bis zum Zweiten Weltkrieg sollte der Terror innerhalb der IMRO mit vielen Opfern in allen politischen Flügeln prägend für diese Organisation werden. Das Ende der osmanischen Herrschaft und das weitere Schicksal Makedoniens wurden durch zwei Balkankriege (1912/13) bestimmt.

 

Die IMRO und das Ende der osmanischen Herrschaft

Die IMRO erreichte von 1893 bis 1912 ihr wesentliches Ziel, die Osmanische Herrschaft über Makedonien zu beschränken oder zu beenden, nicht. Diese Herrschaft wurde erst aufgrund des Ersten Balkankrieges (1912/13) durch die militärische Intervention der Staaten Bulgarien, Griechenland, Montenegro und Serbien beendet. Der Zweite Balkankrieg (1913) führte zu einer Aufteilung Makedoniens zwischen Bulgarien, Griechenland und Serbien. Es kam jedoch zu keiner Befreiung Makedoniens im Sinne der Interessen der makedonischen Bevölkerung. Weder ein unabhängiges Makedonien noch der Anschluss dieser Region an Bulgarien wurden erreicht. Bulgarien erhielt mit 6.800 km² (Pirin-Makedonien) nur einen relativ kleinen Teil von Makedonien (67.313 km²). Der Großteil von Makedonien war nun zwischen Griechenland (Ägäisch-Makedonien, 34.800 km²) und Serbien (Vardar-Makedonien, 25.713 km²) aufgeteilt. Im griechischen Teil von Makedonien änderte sich die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung aufgrund des großen Bevölkerungsaustausches  zwischen  Griechenland und der Türkei sowie im geringen Umfang auch zwischen Griechenland und Bulgarien und aufgrund von Abwanderungen und Vertreibungen extrem. Laut einer Volkszählung aus dem Jahre 1928 lebten in der griechischen Region Makedonien nun 1.227.000 Griechen (88,1%), 82.000 „Slawophone“ (5,8 %) und 93.000 (6,7 %) Einwohner anderen Ursprungs. Unter der Bezeichnung Slawophone werden in Griechenland bis heute alle Einwohner zusammengefasst, die eine slawische Sprache oder einen slawischen Dialekt sprechen. Darunter fallen vor allem Bulgaren und ethnischen bzw. slawische Makedonier. Aufgrund der geänderten ethnischen Zusammensetzung der Bevölkerung in der griechischen Region Makedonien war der IMRO dort die ethnisch-politische Grundlage entzogen. Folgerichtig konzentrierte sich der Kampf der IMRO von nun an auf den serbischen Teil von Makedonien. Allerdings unterbrach der Erste Weltkrieg zunächst eine Neuausrichtung der IMRO. Während des Ersten Weltkrieges wurde der serbische Teil von Makedonien von Bulgarien besetzt und die dortige Bevölkerung einer Politik der Bulgarisierung ausgesetzt. Diese Politik wurde von der makedonischen Bevölkerung weitgehend abgelehnt. Bei den bulgarischen Besatzungsbehörden waren auch zahlreiche Funktionäre der IMRO tätig, die allerdings dem pro-bulgarischen Flügel der IMRO angehört haben dürften. Es gelang jedoch weder den bulgarischen Besatzern noch dem pro-bulgarischen Flügel der IMRO die Bevölkerung im serbischen Teil von Makedonien für die bulgarische Nation zu gewinnen. Das Ende des Ersten Weltkrieges führte dann auch zu einem Ende der bulgarischen Besatzung und zu einer Reorganisation der serbischen Herrschaft in Vardar-Makedonien.

 

Die IMRO und der jugoslawische Staat

Der serbische Teil von Makedonien kam am 01.12.1918 zum neugegründeten „Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen“, das am 03.10.1929 in „Königreich Jugoslawien“ umbenannt wurde. Dort wurde die Region zunächst einfach als „Süd-Serbien“ bezeichnet und ab 1929 bildete sie die „Vardarska Banovina“ (Verwaltungsbezirk Vardar). Auf ethnische oder nationale Belange wurde bei der Verwaltung des serbischen Teils von Makedonien keine Rücksicht genommen. Die dortige makedonische Bevölkerung wurde einer Politik der serbischen Assimilierung ausgesetzt und benachteiligt. Die dorthin versetzten serbischen Beamten gehörten nicht zu den Besten ihrer Zunft und wirtschaftlich wurde im serbischen Teil von Makedonien nichts investiert. Während im bulgarischen Teil die Integration bzw. die Assimilierung der makedonischen Bevölkerung in die bulgarische Nation zum Teil erfolgreich verlief war dies im serbischen Teil von Makedonien nicht der Fall. Die dortige makedonische Bevölkerung wollte weder bulgarisch noch serbisch sein, was die Herausbildung einer eigenständigen makedonischen Nationalidentität begünstigte. Die serbische Politik gegenüber der makedonischen Bevölkerung und deren Folgen gab der IMRO neuen politischen Auftrieb. Vom bulgarischen Teil von Makedonien aus schickte die IMRO bewaffnete Komitadschis, die Posten der Gendarmerie überfielen und Sabotageakte verübten. Damit sollte die makedonische Bevölkerung gegen die serbische Herrschaft bzw. Unterdrückung mobilisiert werden. Die serbischen Behörden und Einheiten der Gendarmarie schlugen brutal zurück. Ein Kleinkrieg brach aus, der mit großer Brutalität geführt wurde. Es kam zu Gewalt und Verlusten auf beiden Seiten, worunter besonders die makedonische Bevölkerung zu leiden hatte. Die Beziehungen zwischen Bulgarien und Jugoslawien verschlechterten sich und die Grenze zwischen beiden Staaten glich mit seinen Zäunen, Wachtürmen und Todesstreifen fast dem „Eisernen Vorhang“ während des Kalten Krieges. Auch ein Krieg zwischen Bulgarien und Jugoslawien wurde aufgrund der bulgarischen Unterstützung der IMRO denkbar. Je nach dem was für eine Regierung in Bulgarien an der Macht war wurde die IMRO entweder toleriert oder aktiv unterstützt, jedoch ihre Aktivitäten gegenüber Jugoslawien nie unterbunden. Bulgarien blieb die Operationsbasis  der IMRO bis Mitte der 1930er Jahre, was natürlich auch den pro-bulgarischen Flügel innerhalb der IMRO stärkte. Als jedoch die tödlichen Machtkämpfe innerhalb der IMRO wieder stark zunahmen kam es zu einer faktischen Entlastung an der bulgarisch-jugoslawischen Grenze und im jugoslawischen Teil von Makedonien.

 

Der Abstieg der IMRO

Wie schon nach dem Ende der osmanischen Herrschaft über Makedonien erreichte die IMRO auch im jugoslawischen Teil von Makedonien ihre Ziele nicht. Die politischen Flügel innerhalb der IMRO konnten sich aufgrund ihrer zum Teil gewaltsam ausgetragenen Auseinandersetzungen nicht auf ein wirksames Lösungskonzept für Makedonien einigen. Das galt sowohl für den Kampf gegen die serbische Herrschaft in Makedonien als auch für das Schicksal Makedoniens nach einem erfolgreichen Kampf. Die Bevölkerung in Makedonien war überdies dem anhaltenden Terrorismus längst Müde geworden und sehnte sich nach Frieden. Neben dem pro-bulgarischen und dem pro-makedonischen Flügel innerhalb der IMRO gab es auch linke und rechte Strömungen. Die Kommunisten und die ihnen nahestehenden Aktivisten der IMRO strebten eine Föderation von kommunistisch regierten Balkanstaaten an. Im Rahmen dieser Föderation sollte Makedonien ein eigenständiges staatliches Subjekt bilden und aus allen Teilen von Makedonien bestehen, also neben dem jugoslawischen auch aus dem bulgarischen und griechischen Teil von Makedonien. Insgesamt setzten sich die Kommunisten mehr oder weniger für eine Selbstständigkeit Makedoniens ein, was jedoch auch innerhalb dieser nicht unumstritten war. Bezüglich der Anerkennung einer eigenständigen makedonischen Kulturnation waren die kommunistischen Pläne jedoch unklar. Die historischen Ereignisse in und um der IMRO sind in den 1920er und 1930er Jahren unübersichtlich und lassen sich nicht in jedem Detail mehr nachvollziehen. Nur in bestimmten Fällen kann noch nachvollzogen werden wer welche politische Richtung vertrat und wer von wem umgebracht wurde. In Bulgarien markieren der Sturz und die Ermordung des bulgarischen Ministerpräsidenten Stambulijski, einem Gegner der IMRO, im Juni 1923 den Beginn einer Reihe von politischen Attentaten. Dies stärkte die Position der IMRO innerhalb des bulgarischen Staates. Die IMRO befand sich zu dieser Zeit in der Hand von Todor Alexandrov und General Alexander Protogerov, politisch rechts stehenden Befürwortern eines selbständigen Makedonien unter Einbeziehung aller Teile Makedoniens. Dieses selbständige Makedonien sollte nach ihrer Vorstellung eng mit Bulgarien verbunden sein. Ihnen gegenüber stand der Flügel der Föderalisten, welcher für ein selbständiges Makedonien im Rahmen einer Föderation aus Bulgarien und Jugoslawien eintrat. Für diese Version der Klärung der makedonischen Frage trat auch der ermordete bulgarische Ministerpräsident Stambulijski ein. Eine kurzzeitige Annäherung zwischen den konkurrierenden Flügeln innerhalb der IMRO im Frühjahr 1924 hatte nur bis zur Ermordung von Todor Alexandrov Ende August 1924 bestand. Danach kam es zu brutalen gegenseitigen Abrechnungen zwischen den Anhängern dieser Flügel, die natürlich die IMRO im Kampf für die makedonische Bevölkerung schwächte und letztlich ihr Scheitern förderte.

 

Das Ende der IMRO

Nach dem Tod von Todor Alexandrov stand General Alexander Protogerov an der Spitze der IMRO. Allerdings gelang es zu dieser Zeit dem energischen und skrupellosen Ivan Mihajlov immer größeren Einfluss auf die Führung der IMRO zu erlangen. Nach der Ermordung von General Protogerovs im Jahre 1928 in Sofia kam Mihajlov an die Spitze der IMRO. Die Anhänger von Protogerov beschuldigten Mihajlov für den Mord verantwortlich zu sein und die daraus resultierenden blutigen Auseinandersetzungen innerhalb der IMRO führten zu einer Art Bandenkrieg. Die Regierungen des Vereinigten Königreiches und von Frankreich sahen sich aufgrund der Ausmaße dieses Bandenkrieges veranlasst ein Einschreiten von der bulgarischen Regierung zu fordern. Auch in Jugoslawien gingen die Behörden massiv gegen die IMRO vor. So kam es unter anderem zu Prozessen gegen vermeidliche und tatsächliche Unterstützer und Mitglieder der IMRO. Unter den Verteidigern der Angeklagten befand sich auch der Rechtsanwalt Dr. Ante Pavelić, der als Führer des kroatischen Ustascha-Staates (1941 – 1945) traurige Berühmtheit erlangen sollte. Dies führte später auch zu einer Allianz zwischen Pavelić und Mihajlov bzw. der IMRO, die am 09.10.1934 zur Ermordung des jugoslawischen Königs Alexander und des französischen Außenministers Louis Barthou in Marseille führen sollte. Die IMRO geriet immer mehr zu einer faschistischen und terroristischen Organisation, welche die Zerstörung des bisherigen Jugoslawien zum Ziel hatte. Der Freiheitskampf um Makedonien geriet immer mehr in den Hintergrund. Auch ein politisches Lösungskonzept für Makedonien wurde von der IMRO unter der Führung von Mihajlov nicht mehr entwickelt. Dies markiert im Prinzip das Ende der IMRO als eine Freiheitsbewegung für Makedonien. Zu Beginn der 1930er Jahre bemühten sich Bulgarien und Jugoslawien ihre bilateralen Beziehungen zu verbessern, was natürlich zum Nachteil für die IMRO war. Der jugoslawische König Alexander errichtete ab 1929 eine Diktatur und wollte seinen Staat vor allem außenpolitisch konsolidieren. In Bulgarien wurde die Regierung im Jahre 1934 durch die sogenannte Zveno-Gruppe, die aus hohen Beamten und Militärs und Intellektuellen bestand, gestürzt. Die neue bulgarische Regierung unter Führung von Kimon Georgiev setzte auf eine autoritäre Politik und verbot alle politischen Gruppierungen. Unter diesem Verbot fiel auch die IMRO, die dadurch ihre Operationsbasis verlor. Ihr Führer Mihajlov floh in die Türkei. Er starb im Jahre 1992 im Alter von 93 Jahren in Rom. Andere Aktivisten der IMRO suchten Zuflucht in Italien und Ungarn. Auch wenn die IMRO noch aktiv blieb, verlor sie jedoch ihre Bedeutung als politischer Faktor in Bulgarien und im jugoslawischen Teil von Makedonien.

Die Entwicklung Makedoniens nach dem Ende der  IMRO

Die Klärung der makedonischen Frage für den jugoslawischen Teil von Makedonien erfolgte nicht durch die IMRO sondern im Rahmen des jugoslawischen Volksbefreiungskampfes unter Josip Broz Tito. Die überwiegende Anzahl der slawisch-makedonischen Bevölkerung im jugoslawischen Teil von Makedonien betrachtete sich nicht als Bulgaren oder Serben. Diese Situation nutzte der jugoslawische Partisanenführer Josep Broz Tito um die makedonische Bevölkerung für den jugoslawischen Volksbefreiungskampf zu gewinnen. Auf der Zweiten Sitzung des „Antifaschistischen Rates der Nationalen Befreiung Jugoslawiens“ am 29.11.1943 wurden die ethnischen bzw. slawischen Makedonier erstmals als gleichberechtigt mit den übrigen jugoslawischen Völkern und damit als eigenständiges Volk anerkannt. Folgerichtig wurde mit der Eröffnung der ersten Tagung der „Antifaschistischen Sobranje der Volksbefreiung Makedoniens“ im makedonischen Kloster Prohor Pčinski am 02.08.1944 im jugoslawischen Teil von Makedonien der bis heute existierende makedonische Staat gegründet. Diese Form der Klärung der makedonischen Frage war erfolgreich und nachhaltig. Im bulgarischen und im griechischen Teil von Makedonien bilden die ethnischen bzw. slawischen Makedonier heute nur noch eine Minderheit. Einem Freiheitskampf im Sinne der IMRO wäre daher in diesem Fällen keine ausreichende Grundlage mehr gegeben. Allerdings bedarf es im Falle der Staaten Bulgarien und Griechenland noch einer formellen und materiellen Anerkennung der ethnischen bzw. slawischen Makedonier als Minderheit mit entsprechenden Minderheitenrechten. Zur möglichen Erreichung dieser Ziele bildet die Existenz der Republik Makedonien eine ausreichende Grundlage. Sie hat im Rahmen ihrer Außenpolitik die besten Chancen sich für die Belange der ethnischen bzw. slawischen Makedonier als Minderheit in Bulgarien und Griechenland einzusetzen.

 

Die IMRO und die makedonische Nation

Für die Herausbildung und Etablierung einer makedonischen Nation waren andere Faktoren entscheidender als der Kampf der IMRO. Zunächst führten der bulgarische und der serbische Nationalismus im jugoslawischen Teil von Makedonien zu einer stärkeren Betonung der eigenen Identität der dortigen Bevölkerung und zu einer Abgrenzung von den Bulgaren und Serben. Die IMRO setzte sich zwar für ein selbständiges Makedonien ein, blieb jedoch in der Frage einer selbständigen makedonischen Nation unklar. Die IMRO war sowohl eine makedonische als auch eine bulgarische Organisation und eben nicht eine rein makedonische. Zum Wirkungskreis der IMRO gehörte neben Makedonien auch Thrakien. Aufgrund innere Machtkämpfe blieb die IMRO für den Freiheitskampf der makedonischen Bevölkerung geschwächt und verspielte ihre Vorreiterrolle als politischer Faktor in Makedonien. Der von der IMRO hervorgerufene Terror wurde auch von der makedonischen Bevölkerung als sehr belastend empfunden. Weder das Ende der osmanischen Herrschaft im Jahre 1912 noch die Klärung der makedonischen Frage in den Jahren 1943 und 1944 wurden durch die IMRO herbeigeführt. Die Anerkennung und Etablierung der makedonischen Nation und die Schaffung eines makedonischen Staatswesens war vor allem eine Folge des erfolgreichen jugoslawischen Volksbefreiungskampfes und der daraus resultierenden Gründung einer jugoslawischen Föderation. Heute sind die makedonische Nation und ihr Staatswesen fest etabliert. Die IMRO mit ihren unterschiedlichen politischen Strömungen lebt heutzutage in verschiedenen makedonischen und bulgarischen Parteien weiter, die Anfang der 1990er Jahre und später gegründet wurden. Die zurzeit bedeutendste Partei dieser Art dürfte die „IMRO – Demokratische Partei für die makedonische nationale Einheit“ („VMRO – DPMNE“) sein. Die VMRO – DPMNE wurde im Juli 1990 formell gegründet nachdem sie bereits am 17.06.1990 erstmals öffentlich in Erscheinung getreten war. Sie war zwischen 1998 und 2002 Regierungspartei und stellte durch ihren ersten Vorsitzenden Ljubtscho Georgievski den Ministerpräsidenten. Seit 2006 ist die VMRO-DPMNE wieder Regierungspartei und stellt mit ihrem zweiten Vorsitzenden Nikola Gruevski den Ministerpräsidenten. Allerdings ist die VMRO-DPMNE keine formelle Nachfolgeorganisation der IMRO. Sie ist eine konservative und national gesinnte Partei, die sich unter anderem für die nationale Interessen der makedonischen Nation einsetzt. Eine IMRO im klassischen Sinne gibt es nicht mehr und würde wohl auch nicht mehr von Nutzen für die makedonische Nation sein. Als Teil der neueren makedonischen Geschichte hat die IMRO jedoch ihren Platz längst gefunden.