Die vorgezogene Parlamentswahl in der Republik Makedonien am 27.04.2014 wurde von der konservativen Regierungskoalition aus VMRO-DPMNE und DUI mit 80 von 123 Parlamentssitzen klar gewonnen. Die größte Oppositionspartei, die sozialdemokratische SDSM, kam auf 31 Sitze. Der Wahlakt selbst verlief zwar formell überwiegend korrekt, doch kann aufgrund des Einflusses der makedonischen Regierung in den Medien und in der Justiz nicht von einem uneingeschränkt fairen Wahlkampf gesprochen werden. Auch eine justiziable Überprüfung des Wahlergebnisses ist aus diesem Grunde fragwürdig. Inwieweit tatsächlich das Wahlergebnis aufgrund dieser Rahmenbedingungen beeinflusst wurde ist Gegenstand von Auseinandersetzungen zwischen der Regierungskoalition und der Opposition. Beim Wahlgang selbst dürfte ein Teil der Wählerschaft in der Opposition keine wirkliche Alternative zur Regierungskoalition gesehen haben. Dennoch bleibt offen, ob aufgrund der herrschenden Rahmenbedingungen in der Republik Makedonien das Wahlergebnis beeinflusst wurde.
Für die größte Oppositionspartei ist das Wahlergebnis nicht korrekt zustande gekommen. Daher boykottiert die SDSM seit der Konstituierung des Parlaments im Mai 2014 die Parlamentsarbeit. Das kann formelle Folgen haben, da nach sechs Monate aufgrund der Verfassung der Republik Makedonien Rechtsfolgen eintreten können. In Artikel 65 Absatz 4 der makedonischen Verfassung ist festgelegt: „Dem Abgeordneten kann sein Mandat entzogen werden, wenn er für eine Straftat oder sonstigen Tat verurteilt worden ist, die ihn für die Ausübung der Abgeordnetenfunktion unwürdig macht, sowie für unentschuldigte Abwesenheit im Parlament von mehr als sechs Monaten. Die Einziehung des Mandats beschließt das Parlament mit der Zweidrittelmehrheit aller Abgeordneten.“
Wenn die aus politischen Gründen bedingte Abwesenheit der 31 Parlamentsabgeordneten der SDSM als unentschuldigte Abwesenheit im Parlament gewertet wird, dann kann das Parlament mit einer Mehrheit von Zweidritteln aller seiner Mitglieder die Einziehung dieser Mandate beschließen. In diesem Fall würden Kandidierende der SDSM bei der letzten Wahl, sofern vorhanden, die nicht in das Parlament kamen, nachrücken. Allerdings würde bei einer Fortsetzung des Boykotts durch die nachrückenden Abgeordneten der SDSM die Frist von sechs Monaten von vorne anfangen. Die Regierungskoalition selbst hat 80 Abgeordnete. Für eine Zweidrittelmehrheit sind die Stimmen von 82 Abgeordneten erforderlich. Das Parlament soll nun demnächst über die Einziehung der Abgeordnetenmandate entscheiden.
Der Boykott der Parlamentsarbeit durch die jeweiligen oppositionellen Parlamentsparteien kam seit der ersten freien Parlamentswahl im November 1990 bereits mehrfach in der Republik Makedonien vor. So unter anderem auch von der jetzigen größten Regierungspartei VMRO-DPMNE zwischen 1994 und 1998. Hilfreich sind solche Maßnahmen allerdings nicht. Innenpolitisch steht die Republik Makedonien weiterhin vor großen Herausforderungen. Die inner-ethnischen Spannungen, besonders zwischen ethnischen und albanischen Makedoniern müssen abgebaut und überwunden werden. Dazu bedarf es jedoch eines breiten nationalen Konsenses zwischen allen wichtigen Parteien. Auch die Überwindung von den bestehenden wirtschaftlichen Problemen, verbunden mit hoher Arbeitslosigkeit, kann nur durch eine funktionierende Debattenkultur in einem normal arbeiteten Parlament erreicht werden. Hinzu kommen Korruption und Klientelismus, welche durch die bestehende politische Situation noch gefördert werden und an sich wirksam bekämpft werden müssten. Die außenpolitischen Herausforderungen, wie die Überwindung des sogenannten Namensstreit mit Griechenland und der Beitritt zur Europäischen Union (EU) und NATO, sind ohne einem breiten nationalen Konsens auch unter den Parteien nicht möglich.
Die derzeitige politische Situation in der Republik Makedonien ist nicht hinnehmbar und muss überwunden werden. Zur Überwindung der Krise sollten zwischen alle Parteien Gespräche stattfinden, deren Ergebnisse im Rahmen einer politischen Übereinkunft verbindlich festgehalten werden. So wie es seinerzeit im Falle des Rahmenabkommens von Ohrid im Jahre 2001 der Fall war. Ziel muss die Wiederherstellung eines demokratischen und pluralistischen Grundkonsenses sein. Dieser Konsens muss zu einer entwickelten politischen und parlamentarischen Debattenkultur führen, die politische Kompromisse ermöglicht, welche von einer breiten gesellschaftlichen Schicht in der Republik Makedonien und in allen ethnischen Gemeinschaften getragen werden können.