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Prof. Friedman im Interview zu Mazedonien

Prof. Victor Friedman ist einer von wenigen weltweit angesehenen Sprachexperten für den Balkan. In den letzten 40 Jahren widmete er sich deren Analyse und lehrt seit 1993 an der University of Chicago. Im Interview mit Christopher Deliso (Director von Balkanalysis.com) beschreibt er seine Sicht zu unterschiedlichen Themen wie die Geschichte der Sprachen, Politik, nationaler Lobbyismus und einer multikulturellen Gesellschaft.

Im Interview werden unterschiedliche Themen angesprochen, neben der Mehrsprachigkeit des späten Osmanischen Reiches, über die Teilung Makedoniens und deren Unterdrückung in Griechenland bis hin zu der Sichtweise, wie Makedonien von den Nachbarstaaten gesehen wird. Eindrucksvoll werden interessante Einblicke in unterschiedliche Themen rund um Makedonien und deren sprachliche Vielfalt gegeben.

Das Original-Interview kann unter folgendem Link (englisch) nachgelesen werden: LINK

Christopher Deliso: Victor, danke dass Sie sich Zeit genommen haben, um über Ihre Ideen und ihre Forschung zu sprechen. Es ist mir ein großes Privileg.

Victor Friedman: Vielen Dank, Es freut mich immer wenn ich über den Balkan und Makedonien sprechen kann.

CD: Victor, das erste Mal besuchten Sie Makedonien 1971. Es muss sich viel verändert haben seit damals?

…auszugsweise…

Friedman besuchte Makedonien erstmalig 1971, damals noch als Teil Jugoslawiens. Damals hatten viele Häuser noch nicht einmal Telefone und man musste 2 Jahre warten, bis man einen Anschluss erhielt. Selbst 1994, als er für 3 Monate da war, war es unmöglich einen Anschluss für mein Apartment zu bekommen. Aber die Dinge haben sich merklich verbessert seit dieser Zeit. Das große Erdbeben von 1963 hat noch bis heute Spuren hinterlassen, obwohl viele neue Gebäude bereits erbaut wurden.

Früher mussten Menschen nach Saloniki oder Belgrad fahren, um ein größeres Angebot an Waren zu erhalten, die in Makedonien zu dieser Zeit nicht verfügbar waren. Zwar waren Jugoslawien und Griechenland damals auf einem ähnlichen Niveau, jedoch hatte Griechenland nie ein kommunistisches Regime. Seit den 70er Jahren gibt es in Griechenland Supermärkte nach amerikanischem Vorbild. In Makedonien waren einfach weniger Waren verfügbar, als in anderen, reicheren Teilen Jugoslawiens. 1973 war es schwer Fleisch zu bekommen, weil der Preis in Serbien besser war wurde auch viel „exportiert“.

Nach dem anfänglichen Exkurs in die Vergangenheit spricht Prof. Friedman über das sein aktuelles Projekt, welches die kontinuierliche Existenz von Multilingualität in Skopje erforscht.
Unterschiedliche Sprachen wie das Makedonische, aber auch Albanisch, Türkisch, Romanisch, sogar Aromanisch und Griechisch werden in den engen Gassen der „Stara Charshija“ gesprochen. Im Rahmen des Projektes soll die heutige Interaktion dieser Sprachen analysiert werden. Das Projekt wird von der Fulbright-Hays-Stiftung des US-Bildungsministeriums und der John Simon Guggenheim-Stiftung finanziert. Makedonien, und insbesondere die Hauptstadt Skopje, ist der letzte Ort auf dem Balkan, wo die Bedingungen noch bis heute existieren, woraus die sog. „Balkan Linguistic League“ entstand.

Zu Beginn des 20. Jhd. existierten noch eine Vielzahl unterschiedlicher Sprachen auf gleichem Gebiet – slawische Sprachen, Griechisch, Albanisch, Lokale Dialekte des Türkischen, drei romanische Arten (Romanische Sprachen wie Rümänisch, Aromanian und Megleno-Romanisch), vor dem Holocaust, Ladino (oder Judezmo) – die Sprache der sephardischen Juden. In der Tat haben die slawischen Sprachen, Romanisch, Albanisch und Griechisch viele gleiche grammatische Gemeinsamkeiten, welches das Ergebnis genau dieser Vielsprachigkeit ist.

Auch die sprachliche Entwicklung auf dem Balkan ist sehr interessant. Man wisse wie antikes Griechisch, Latein, altes Kirchenslawisch und Sanskrit aussehen, ebenfalls habe man türkische Texte, die bis in das 8. Jhd. zurückgehen. Man wisse wie diese Sprachen in der Mittelalterzeit aussahen. Es war in der Zeit des osmanischen Reichs, als die Sprachen des Balkans, wie wir sie heute kennen, „entstanden“. Zu dieser Zeit war die Mehrsprachigkeit eine Art gemeinsamer, kultureller Wert, der von allen geteilt wurde, außer den Griechen. Jedoch man muss anmerken, dass die sprach-ideologische Resistenz auf griechischer Seite die Sprache nicht davor schützen konnte, in Kontakt mit den anderen Sprachen zu geraten.

Beispielsweise ist es aus sprachwissenschaftlicher Sicht äußerst Interessant, dass es im Griechischen kein Sprichwort gibt, welches „Sprachen als Reichtum“ beschreibt. Alle anderen Sprachen des Balkans haben solch ein Sprichwort, was bedeutet, dass Mehrsprachigkeit als Wert angesehen wird. Als Beispiel führt Friedman den ersten Teil seines neu erschienenen Buchs über die Minderheitensprachen in Griechenland an (welches immer noch ein hochpolitisches Thema ist). Dabei ist die Rede über „Arvanitika“ , einem albanischen Dialekt/Sprache, welchen die Menschen sprachen, die vor ca. 1000 Jahren nach Griechenland gewandert sind. Der einführende Teil wurde von einem anerkannten griechischen Sprachwissenschaftler verfasst, der schreibt, dass es bei den „Arvanites“, möglicherweise aber auch bei allen anderen Völkern des Balkans einen Ausdruck für die Sprachen als „Wert“ gab. Aber er kannte keinen ähnlichen Ausdruck im Griechischen.
Konfusion und Ablehnung

Christopher Deliso: Meinen Sie mit dem Begriff „Arvanitika“ das mittelalterliche Albanisch?

Victor Friedman: Genau. Es bezieht sich auf die albanischen Dialekte in Griechenland, welche sich vor ca. 600-1000 Jahren abtrennten. Die Dialekte wurden auf vielen griechischen Inseln, auf der Peloponnes, Attika und in Zentralgriechenland gesprochen. Griechen wollen dass nicht zugeben, aber sie hatten lange Zeit eine große, albanisch sprechende Bevölkerung, nicht nur post-kommunistische Wirtschaftsflüchtlinge. Während diese Dialekte aufgrund der griechischen Sprachpolitik größtenteils ausstarben, können sie jedoch immer noch in Orten wie Livadhia gefunden werden.

Albanischsprache Regionen in Griechenland (Quelle: Wikipedia.de)

CD: Ein sehr interessantes Detail -.

VF: Noch eine Randbemerkung: Vor vielen Jahren traf ich auf einer Konferenz eine griechische Frau, die „Arvanitika“ sprechen konnte. Also sprachen wir miteinander; Ich auf modernem Standard-Albanisch, Sie mit ihren Arvanitika-Kenntnissen. Es war ähnlich genug um miteinander zu sprechen.
Ich fragte sie, woher Sie diese Sprache kannte? Als Sprachwissenschaftler ist dies ein sehr interessantes Detail. Sie antwortete, sie haben es von ihrer Großmutter gelernt“.

CD: Was bedeuten würde, dass sie teilweise auch eine „arvanitische“ Abstammung hat?
VF: Nun gut, ahnungslos wie ich war, hatte ich zu viel gefragt – Ich war mir der politischen Situation damals nicht bewusst. Warum würde ein Grieche die albanische Sprache lernen, wenn er nicht albanisch ist? Sie war vollkommen verwirrt.

Am nächsten Tag sah ich die Frau noch einmal und sie sagte mir, dass sie die ganze Nacht nicht schlafen konnte, und immer wieder an meine Worte denken musste. Sie war ein wenig aufgebracht. „Ich habe darüber nachgedacht“, sagte sie, „und nein! Ich bin griechisch, Ich bin griechisch!“. Das war das letzte mal, dass ich einem Griechen versucht habe zu erklären, dass wenn sie eine andere Sprache zu Hause gelernt haben, es deshalb so ist, weil es wohl ihre Muttersprache war.

CD: Lassen Sie uns über die makedonische Frage sprechen. Griechenland lehnt die makedonische Identität ab und bezieht sich auf die Antike. Welche Meinung haben Sie zu diesem Thema?

VF: Unglücklicherweise, fielen einige Makedonier einer Nationalistenfalle Griechenlands zum Opfer. Griechenland behauptete, dass die Makedonier den Namen „Makedonien“ nicht für sich beanspruchen könnten, außer man könne eine Verbindung zu den antiken Makedoniern nachweisen.

Nun gut, keiner kann vernünftig nachweisen von den antiken Makedoniern abzustammen, jedoch wurde dieser Punkt Teil des Streits, anstatt anderer relevanterer Dinge. Aber die Griechen haben die Existenz Makedoniens und der Makedonier schon immer abgelehnt.

CD: Wie weit in die Vergangenheit geht aus ihrer Sicht diese Politik? Bis zum Zerfall Jugoslawiens oder noch weiter?

VF: Oh, es war schon immer so, seit die modernen Makedonier angefangen haben sich Makedonier zu nennen. Griechenland hatte die Existenz einer makedonischen Minderheit seit der Eroberung von Griechisch- Makedonien mit dem Vertrag von Bukarest nach dem zweiten Balkankrieg (1913) strikt geleugnet, außer in einer kurzen Phase in den 1920er Jahren. (Veröffentlichung des Abecedar in Athen 1925).
1957 veröffentlichte der renommierte griechische Sprachwissenschaftler N. Andriotis eine polemische, aus akademischer Sicht sehr fehlerhafte Broschüre mit dem Titel „Der konföderative Staat von Skopje und deren Sprache“ – um sich damit auf Makedonien und der Makedonier im damaligen sozialistischen Jugoslawien zu beziehen.

CD: Das ist sehr interessant für mich, weil wie Sie wissen, bezeichnen viele Griechen das ganze Land nach ihrer Hauptstadt und die Menschen als „Skopjaner“. Also haben sie (die Griechen) diese Referenz schon damals verwendet?

VF: Ja klar, Aber bereits im 19. Jhd. haben sich die makedonisch sprechenden Menschen als Makedonier (Makedontsi) bezeichnet und ihre Sprache als makedonisch (Makedonski). Das ist dokumentiert!

CD: Nannten sie sich damals denn auch nicht „Bulgaren“?

VF: Ja, einige schon, und die Sprecher entsprechend auch Serbisch oder Griechisch oder Türkisch, je nach dem welcher Religion sie angehörten. Aber die meiste Zeit nannten sich die Menschen entweder Christen oder Türken (Moslems).

CD: Weil das osmanische Reich die Religion als System verwendet hatte, die Menschen zu klassifizieren?

VF: Ja, aber nicht nur wegen dem osmanischen Reich; Religion war damals allgemein sehr wichtig. Im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert kamen Ideen auf, welche durch die französische Revolution beginnend, zur Entwicklung einer Ideologie eines Nationalstaats führten.
Aber auch zuvor gab es Fälle – und dies bezieht sich auf den sozialen Widerstand gegen die Sprachen – dass die Griechen versuchten, die slawische Kultur in diesen Gebieten seit dem Mittelalter zu zerstören.

CD: „Griechen“, meinen Sie Byzanz?

VF: Ja, beispielsweise zitiert John Fine in seinem Buch „The Early Medieval Balkans (p.220) Vladimir Moshin, der 1963 einen Artikel in einem akademischen russischen Journal veröffentlichte, in dem er die Meinung vertritt, dass der Grund dafür, dass es keine slawisch- sprachigen Manuskripte aus der Zeit vor 1180 gibt, der sei, dass diese von den Griechen/Byzantinern bewusst zerstört wurden.

CD: Wirklich!

VF: Bis zur Veröffentlichung dieses Artikels, wurde angenommen, dass die Türken alles zerstört hätten. Aber es gibt griechischsprachige Manuskripte aus der Zeit, die in der Region überdauerten, aber slawische eben nicht. Bereits im späten 9 Jahrhundert wurden insbesondere auch in der Kirchenschule von Ohrid zahlreiche Manuskripte verfasst. Dies bedeutet, dass die Griechen bereits sehr lange versucht haben, die slawische Kultur und die Literatur zu zerstören.

CD: Viele bulgarische Politiker und Akademiker behaupten, dass das Makedonische ein bulgarischer Dialekt sei. Was sagen Sie zu diesem Thema?

VF: Die Antwort ist, dass Makedonisch selbstverständlich eine andere Sprache ist. Es ist dem bulgarischen ähnlich, aber genauso wie Schwedisch und Norwegisch ähnlich sind, und doch unterschiedliche Sprachen sind, so sind auch Makedonisch und Bulgarisch unterschiedliche Sprachen.

CD: Warum?

VF: Beide Sprachen haben unterschiedliche dialektale Basen. Genau aus diesem Grund ist es nicht wie bei dem Fall mit Moldauisch und Rumänisch. Die moldauische Standardsprache basiert nicht auf einen moldauischen Dialekt, sondern auf den gleichen walachischen Dialekt, auf welchem auch das Standard-Rumänisch basiert.

Im Fall des Makedonischen, basiert die makedonische Standardsprache auf den Dialekten, die im westlichen Teil Makedoniens, in der Region um die Städte Veles, Bitola, Prilep und Kichevo, gesprochen werden. Es ist nicht identisch mit einem speziellen Dialekt und beinhaltet auch Elemente aus dem Ostteil des Landes. Das Standard-Bulgarisch basiert ebenfalls nicht auf einem einzigen Dialekt, sondern auf Dialekten, die Ostbulgarien gesprochen werden, von Veliko Tarnovo bis hoch zur Donau und weiter Osten.

CD: Warum wurden diese beiden Dialekt-Regionen gewählt, und warum?

VF: Im 19. Jahrhundert gab es zwei große Zentren der Literatur und des Wohlstand. Einen im Südwesten Makedoniens, und der andere im Nordosten Bulgariens. Die Bulgarien entschieden sich, diesen östlichen Dialekt von der Region nördlich des Gebirges „Stara Planina“ und südlich der Donau auf das gesamte Gebiet auszuweiten.

CD: Was war der Hintergrund? War das eine organisierte Kampagne mit bestimmen Gründen?

VF: Wir sprechen über das Phänomen des intellektuellen Kampfes gegen das was passiert, wenn sie ihren eigenen Staat erhalten – ähnlich wie auf dem Kongress von Monastir (Bitola) 1908, als sich Albaner sich Sorgen über eine Zustimmung zu einem albanischen Alphabet gemacht haben, bevor es überhaupt einen albanischen Staat gab (1912). Die Bulgaren hatten keinen Staat bis zum Krieg zwischen Russland und der Türkei 1878.

CD: Wie war die Situation in Griechenland zu dieser Zeit, als unterschiedliche Propaganda aus unterschiedlichen Seiten aufkam? Wurden die Dialekte als bulgarisch oder makedonisch, oder sogar beides berücksichtigt? Was können Sprachwissenschaftler heute rekonstruieren?

VF: Es gibt mehrere Studien über die Dialekte. Manche Sprecher betrachteten sich als Makedonier, einige als Bulgaren, und wieder andere als Griechen oder Türken, abhängig davon, welcher Religion sie loyal waren (Exarchat, Patriarchat, oder Moslemisch). Berichte aus erster Hand sind in Büchern enthalten, die in Australien, Polen und Kanada veröffentlicht wurden, jedoch sind die meisten Makedonier aus dem griechischen Teil Makedoniens, welche Opfer der damaligen griechischen Verfolgung waren, zum größten Teil verstorben.

Die Generation, die den griechischen Bürgerkrieg (1946-49) überlebte ist immer noch am leben. Diese Menschen wollen jedoch nicht über ihre Erlebnisse sprechen, weil die Erinnerungen daran zu schmerzvoll sind. Selbst für neugierige Ausstehende, die in Griechenland über die Makedonier forschen möchten gehen dass Risiko ein, dass die Polizei alle Aufzeichnungen beschlagnahmt, zerstört und einen des Landes verweist, weil man Interesse an einem, aus griechischer Sicht, immer noch Tabu-Thema interessiert ist.

CD: Wirklich! Gibt es einige Beispiele?

VF: Ja, ein Kollege von mir forschte für seine Dissertation in einem Dorf, dessen Namen ich nicht nennen möchte um deren Bevölkerung zu schützen.

CD: aha, das Dorf …. in der Nähe von Kastoria?

VF: Ja, und genau aus diesem Grund ist es auch einer der interessantesten makedonischen Dialekte, weil es der südwestlichste makedonische Dialekt ist. Es ist der Übergang zwischen den östlichen und westlichen Typen des Makedonischen. Und die griechische Polizei konfiszierte die Bänder dieses Sprachwissenschaftlers und griff damit in seine Forschungen ein. Nichtsdestotrotz konnte er seine Dissertation zu Ende bringen. In der Tat dankte er in der Einleitung in seiner Arbeit der griechischen Polizei, die ihn gelehrt hat, immer Backup-Kopien seiner Bänder zu erstellen.

CD: Ha! Mit all dieser Einschüchterung, ohne auf die inhaftierten Journalisten von vor einigem Monaten zu sprechen zu kommen, wovor haben die Griechen so viel Angst?

VF: Sie sind unglaublich unsicher. Nein sie sind nicht nur unsicher. Sie haben eine linguistische Ideologie, welche darauf beharrt, die anderen Sprachen auszulöschen. Dies ist eine alte Ideologie. Es ist der Ursprung der Bezeichnung Barbar. Denken Sie darüber nach.

Warum haben wir keine Spuren anderer Sprachen finden können? Tatsächlich haben wir es aber. Es existieren einige antike Inschriften auf thrakisch.

CD: Ich dachte die Thraker hatten keine geschriebene Sprache?

VF: Hatten Sie sehr wohl. Die Schrift war griechisch, aber die Worte waren thrakisch. Und diese Inschriften liegen in Griechenland und sammeln Staub. Sie wissen über deren Existenz, aber niemand arbeitet daran, weil die Sprache kein griechisch ist. Also lassen Sie auch keinen anderen an diese Inschriften. Ich habe dies von einem Kollegen von mit, welcher sehr an diesem Thema interessiert ist.

CD: Ihre kurze Randbemerkung zu Griechenland erinnert mich an eine Erfahrung, die ich im Dorf Amyndaeo, südlich von Florina letztes Jahr gemacht habe. Ich kam an diesen beiden alten Männern vorbei, welche sich auf makedonisch unterhielten. Ich sagte „Dobar den“ (Guten Tag). Und wissen Sie was? Dieser Mann war dermaßen alarmiert, dass er erst reagierte bevor er denken konnte. Instinktiv sagte er „Ne razbiram Makedonski“ (Ich verstehe kein Makedonisch). Dies was eines der ironischsten Beispiele für die Angst, die eigene Sprache sprechen zu dürfen.

VF: In der Tat.

CD: Wir fragten die örtliche Bevölkerung in Florina, wie hoch der Anteil der Bevölkerung ist, die makedonisch sprechen, weil ja das öffentliche Leben auf Griechisch abläuft. Einige antworteten, „oh, jeder spricht es“. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

VF: Tja, soweit ich weiß, spricht jeder in der Gegend um Florina, oder Lerin (makedonisch), über einem Alter von vierzig Jahren makedonisch, unabhängig davon, ob Makedonier oder nicht. Diese Informationen habe ich von einem Kollegen, der kürzlich an diesem Thema arbeitete. Wie auch immer, die junge Generation lernt die Sprache nicht. Aber dieses Thema benötigt noch weitere, ungehinderte Forschung.

CD: Aus verschiedenen Geschichten komme ich zur Schlussfolgerung, dass es nicht hilfreich für einen Aufstieg in der griechischen Gesellschaft ist, und auch ein negativer Faktor sein kann –

VF: Ja. Die griechische Regierung verübt effektiv einen „Linguicide“ an den Makedoniern in Griechenland. Und dies schon über einen sehr langen Zeitraum. Ein anderes Beispiel ist ein Photo aus den 1950ern, auf welchem auf blau-weiß gedruckt, ein griechisches Zeichen zu sehen ist, welches ein Verbot der Nutzung der Sprachen „Vlahika, Makedonika, etc.“ aufdrängt. Früher gab es viele solcher Zeichen im griechischen Teil Makedoniens.

CD: Wirklich! Wissen die Menschen darüber?

VF: Ich weiß es nicht – ein Freund hatte mir das Foto geschickt. Ich werde es demnächst im Rahmen eines neuen Artikels im Journal „Balkanistica“ 2009 veröffentlichen.

Aber die griechische Politik war es immer, die Sprache auszulöschen. Schlimm war es insbesondere in den 1930er Jahren. Makedonische Kinder gingen in die Schulen, und wenn sie dort ihre Sprache sprachen, die Sprache also, die sie zu Hause sprachen, wurden eine Vielzahl „Korrekturmaßnahmen“ angewandt: Lehrer schlugen die Kinder, Stachen Nadeln in die Zungen der Kinder, Rieben scharfen Pfeffer auf deren Zungen; alles um sie zu stoppen, Makedonisch zu sprechen.

CD: Wirklich? Das hört sich sehr extrem an!

VF: Oh, sie waren schrecklich. In den 1930ern wurden Menschen ins Gefängnis gesteckt, nur weil sie Makedonisch sprachen. Die griechische Regierung hatte ihre Mitarbeiter, die herumschlichen, und an den Fenstern der Menschen horchten, welche Sprache sie sprachen. Falls sie Makedonisch sprachen, meldeten sie dies sofort der Polizei. Mütter wurden ins Gefängnis geworfen, weil sie mit ihren Babys Makedonisch sprachen. Sie terrorisierten die Makedonier, und dann, während des griechischen Bürgerkriegs, wurden viele vertrieben.

CD: Und kehrten nie wieder zurück –

VF: Und dann ist da noch die berüchtigte „Rassenklausel“ des Amnesiegesetzes von 1982. Es besagt, dass all jene, die aus dem Land vertrieben und verbannt wurden nachweisen müssen, dass sie nach ihrer Herkunft her Griechisch sind (by genos) bzw. nach ihrer Rasse oder nach ihrem Geburtsort, damit ihnen die Rückkehr gewährt wird und ihre Besitztümer zurückgegeben werden. Vertriebenen Makedoniern, viele von ihnen waren noch Kinder zu dieser Zeit (1948/49) und es wurde ihnen niemals gestattet, ihre Besitztümer zurückzufordern. Das ist einfach nur „purer Rassismus“.

CD: Wie war die Reaktion in Makedonien und bei den Makedoniern in Griechenland? Und was war mit den europäischen Staaten? Sicherlich wurde dies als großer Bruch europäischer Werte betrachtet.

VF: In der Tat war ich vor Ort, als dies bekannt wurde. Die Menschen waren sehr bestürzt, weil sie bis dahin schon extrem schlecht behandelt wurden. Die Großmächte sagten selbstverständlich nichts.

CD: Das ist sehr interessant, weil wir hier in den USA einen neuen farbigen Präsident haben, der sicherlich einiges über die Bedeutung von Rassismus weiß, und in der Tat die Frage der Rasse und Ungerechtigkeit hallt auch über die Kampagne von Obama hinaus.

Und seinerzeit unterzeichnete Obama eine Anti-makedonische Senatsresolution und war damit ein großer Unterstützer der griechischen Lobby, die wahrscheinlich darauf baut, ein Return ihrer Investitionen von ihm zu erhalten. Kennen Sie irgendjemanden, solch eine offensichtliche Scheinheiligkeit aufzeigt, in dem er ein Land unterstützt, dass eine historische Rassenpolitik gegen die eigenen Bürger verfolgt hat?

VF: Nein, Ich habe von keinem gehört. Es wäre nicht schlecht, wenn diese Nachricht öffentlich gemacht würde. Bisher habe ich noch nichts darüber gehört. Leider scheint es so, dass Makedonien noch nicht vollständig alle Mittel des „Public Relations“ in der US-amerikanischen Politik nutzt, wie professionelle Lobbyisten, die ihre Mitteilungen und Meinungen jeden Tag in Washington veröffentlichen.

CD: Ja, daran kann ich mich anschließen.

VF: Und letztendlich kommen die Griechen mit dem Eindruck davon, die „Wiege der Demokratie“ zu sein. Einen Moment bitte! Das antike Griechenland wrs eine sklavenhaltende Gesellschaft Und wie Sie wissen argumentieren einige Wissenschaftler und Experten, dass das moderne Griechenland eine Erfindung der romanischen Vorstellungskraft Westeuropas war, wie beispielsweise Lord Byron’s Sicht, der Projektion des antiken Griechenlands auf die moderne Population in diesem Land. Dafür wurde überzeugend in dem Buch des Akademikers Michael Herdzfeld geworben („Ours Once More“).

CD: Das ist eine sehr interessante Ansicht auf das Thema, das ich hatte zuvor nicht so verstanden. Wie waren die Reaktionen auf das Buch?

VF: Ich glaube nicht, dass es große Reaktionen gab, aber Herzfeld war noch an einem anderen Buch beteiligt, Anastasia Karakasidou’s „Fields of Wheat, Hills of Blood“, was einen große Kontroverse hervorrief. Veröffentlicht wurde das Buch 1997 von der University of Chicago Press, und es hatte in der Tat kleine „Herausforderungen“ gegenüber der griechischen Hegemonie als Inhalt. In diesem Buch hatte man sich getraut, basierend auf unterschiedlichen Forschungsarbeiten im griechischen Teil Makedoniens zu zeigen, dass es in Griechenland Menschen gibt, die sich nicht als ethnische Griechen ansahen und ihre eigene Sprache sprachen.

Die Cambridge University Press hatte sich zunächst dazu bereit erklärt, das Buch in einer kleinen Auflage zu veröffentlichen, aber plötzlich entschied man sich dagegen. Sie hatten sich zuerst dafür bereit erklärt, änderten aber dann plötzlich ihre Meinung. Prof. Herzfeld war der leitende Redakteur des CUP Anthropologie-Reihe zu dieser Zeit, und er trat zurück in dieser Zeit, wie auch andere Mitglieder des Boards.

CD: Ja, sie gaben die Sicherheit ihrer Mitarbeiter in Griechenland als Grund für die Nichtveröffentlichung an, oder?

VF: Genau, das sagten Sie. Ich hatte es so verstanden, dass die CUP ein Monopol auf die Schulen in Griechenland hatten, die die offiziellen Englisch-Sprachtests durchführten.

CD: Glauben Sie, dass die griechische Regierung ihnen gedroht hatte, ihr Privileg zu verlieren?

VF: Ich weiß es nicht, aber unter dieser Berücksichtigung, dass sie ein Monopol hatten, [..].

CD: Aber dann haben Sie die Veröffentlichung gerettet.

VF: Ja, die University of Chicago veröffentlichte das Buch in eigener Verantwortung. Wobei die Situation nicht sehr angenehm war, es zeigt Europa, wie es zu Beginn des 20. Jhds. war.

Am besten kann die Situation mit einem Zitat aus einem Volkslied aus dem Jahre 1878 aus einem Film aus den 1980er beschrieben werden: „Sei Du verflucht und drei mal verflucht, Oh Du Hure Babylons und Mörder Makedoniens“.

CD: Nun, was denken Sie über die internationalen Verhandlungen zum Namensstreit und dem kontinuierlichen Druck auf Makedonien, für einen Kompromiss mit Griechenland?

VF: Hier gibt es keinen wahren Kompromiss. Diesen kann es nicht geben. Denken Sie darüber nach: Wenn ein Dieb zu Ihnen kommt und Ihnen eine Waffe an den Kopf hält und sagt: „Gib mir dein Geld“, antworten Sie dann „Ich gebe dir die Hälfte“, und nennen das dann einen Kompromiss? Das ist Griechenland. Sie versuchen schlicht und einfach die Makedonische Identität zu zerstören.

Berücksichtigen Sie, dass niemand auf der makedonischen Seite sagt, dass Griechenland sich selber nicht Makedonien nennen darf, oder ihre Provinz. Selber würden sie sich aber so nie nennen, ihrer Ansicht nach sind sie Griechen. In der Tat braucht also niemand den Namen Makedonien und niemand nennt sich primär Makedonier (für die Identität), außer natürlich den Menschen in diesem kleinen Land, welches für keinen eine Bedrohung darstellt.

CD: Basierend auf ihren Forschungen, erhält Makedonien ausreichend Anerkennung für die Erhaltung einer multikulturellen Gesellschaft?

VF: Zunächst dies. Makedonien erhält für Nichts eine Anerkennung. Und in der Tat, die Isolation Makedoniens, welche durch Griechenland über die letzten 17 Jahre erfolgreich durchgeführt wurde, war auch ein Hauptfaktor für die interethnischen Spannungen, die wir unglücklicherweise 2001 sehen mussten.

Wenn die Griechen Makedonien von Beginn an alleine gelassen hätten, gäbe es weniger solche Probleme, bzw. es gäbe mehr Kapazitäten, mit den bestehenden Problemen fertig zu werden. Aber es waren die griechische (insb. nach 1991) und die serbische Regierung (insb. nach 1981), welche die meisten Probleme nur verschlimmert haben, zu ihrem eigenen Vorteil natürlich.

Wie Sie wissen lebt der Großteil der normalen Menschen aller Ethnien in diesem Land friedlich zusammen. Auf makedonisch sagen sie „Nie sme krotok narod“, wir sind ein friedliches Volk. Es ist etwas, was stets von den Großmächten übersehen wird – relativ zum restlichen Balkan und der ganzen Welt, neben allen existierenden wirklichen Probleme, sind die Makedonier unter den friedlichsten und tolerantesten Menschen die man finden kann.

CD: Victor, vielen dank für Ihre Zeit und Ihre Eindrücke.

VF: Vielen Dank.

//(c) Balkan Analysis //C. Deliso

Quelle & Orginal (english): www.balkanalysis.com