Zum Inhalt springen

Die makedonische Frage als Frage der (Völker-)Gerechtigkeit

Unter anderem ist die makedonische Frage von mir bisher aus Sicht des Völkerrechts betrachtet worden. Im Ergebnis sind der Name der Republik Makedonien sowie die Bezeichnungen für die makedonische Nation, Sprache und Staatsbürgerschaft mit dem Völkerrecht vereinbar. Für hiervon abweichende Positionen, etwa die von Griechenland, gibt es im Völkerrecht grundsätzlich keine Legitimationsquelle. Politisch wird die makedonische Frage je nach Standpunkt unterschiedlich betrachtet. Für die unterschiedlichen Positionen in dieser Frage werden in der Regel historische oder rein politische Erwägungen herangezogen. Es handelt sich also um unterschiedliche Bewertungen des Sachverhaltes. Diese haben wiederum unterschiedliche Handlungen der beteiligten Akteure zur Folge. Doch gibt es die absolut wahre Bewertung des Sachverhalts und eine absolut gerechte Klärung der makedonischen Frage?

 

Was ist Gerechtigkeit? – Auf den Spuren von Hans Kelsen

Die Gerechtigkeit wird sowohl bei politischen als auch bei rechtlichen Fragen regelmäßig als Rechtfertigung herangezogen. Die makedonische Frage ist sowohl eine politische als auch eine rechtliche Frage. Gibt es eine gerechte Antwort auf die makedonische Frage? Bevor dies beantwortet werden kann, muss zunächst das Wesen der Gerechtigkeit ergründet werden, mit dem sich schon viele beschäftigt haben. Herausgehoben soll hierbei der bekannte österreichische Rechtswissenschaftler und Völkerrechtler Hans Kelsen (1881 – 1973) werden. Nachfolgend wird eine Zusammenfassung seiner Schlussfolgerungen wiedergegeben.

 

Gerechtigkeit als Wertevorstellungen

Für Platon ist Gerechtigkeit gesellschaftliches Glück, das nur eine gesellschaftliche Ordnung garantieren kann. Nur der Gerechte sei glücklich, während der Ungerechte unglücklich sei. Das bedeutet, dass ein Mensch nur dann gerecht und damit glücklich sei, wenn sein Verhalten einer gerechten Ordnung entspreche. Doch mit Platons Definition der Gerechtigkeit als Glück ist die Frage noch nicht beantwortet was Gerechtigkeit ist, denn jetzt stellt sich die Frage „Was ist Glück?“ Die Frage nach dem Glück kann nur subjektiv beantwortet werden und fällt daher für verschiedene Menschen auch unterschiedlich aus. Selbst wenn wir die gerechte Ordnung als diejenige definieren würden, die der Mehrheit der Menschen das größte Glück brächte, blieben die Fragen „Was ist Gerechtigkeit?“ oder „Was ist eine absolut gerechte Ordnung?“ offen. Auch kommt es im Leben oft vor, dass das Glück des einen das Unglück des anderen ist. Wenn zum Beispiel aus einer Gruppe von rein monogamen Personen zwei Männer dieselbe Frau oder zwei Frauen denselben Mann lieben, dann gibt es für dieses Problem keine absolut gerechte bzw. für alle Beteiligten glückliche Lösung. Diese Annahme gilt in diesem Fall auch für gleichgeschlechtliche Beziehungen. Die umschwärmte Person wird sich in der Regel für eine bzw. einen von beiden entscheiden. Damit wird das Glück der bzw. des einen zum Unglück des anderen.

 

Gerechtigkeit als Rangordnung der Werte

Die Frage nach der Rangordnung von Werten wird ebenfalls oft als Definition der Gerechtigkeit herangezogen. So kann zum Beispiel das Leben als höchster Wert eingestuft werden, jedoch auch die Freiheit. Für dieses Beispiel stellt sich nun die Frage, ob das Leben oder die Freiheit mehr wert sei. Ist es gerecht sich selbst zu töten, wenn keine Aussicht mehr auf Freiheit bestehen würde oder ist es gerechter auf jedem Fall am Leben zu bleiben und die Unfreiheit zu akzeptieren? Ist Wahrheit ein höherer Wert als Menschlichkeit oder umgekehrt? Soll einem schwerkranken Menschen, der nicht mehr lange zu leben hätte, die Wahrheit darüber gesagt oder soll ihm aus menschlichen Gründen die Wahrheit verschwiegen werden? Die Antwort darauf kann nur eine subjektive, jedoch keine objektive sein und wird von verschiedenen Menschen auch unterschiedlich beantwortet werden. Ein anderes Beispiel: Wäre eine politische und wirtschaftliche Ordnung gerecht, die zwar die Freiheiten des Einzelnen einschränken, aber dafür mehr wirtschaftliche Sicherheit bieten würde oder wäre eine entsprechende Ordnung gerecht, wenn sie den Einzelnen auf Kosten der wirtschaftlichen Sicherheit mehr Freiheiten gewährleisten würde? Diese Frage wird von den Menschen und insbesondere von Politikern sehr unterschiedlich beantwortet werden. So ist zum Beispiel die Frage, ob eine demokratisch-freiheitliche Ordnung gerecht sei oder eine kommunistische, eine Frage der persönlichen bzw. gesellschaftlichen Wertevorstellungen.

 

Gerechtigkeit als Rechtfertigung

Eine Eigenschaft des Menschen ist es sein Verhalten zu rechtfertigen, etwa vor seinem Gewissen, vor Gott, vor einer bestimmten Norm oder mit dem Zweck ein bestimmtes Ziel zu erreichen. So wird die freiheitliche Demokratie unter anderem damit gerechtfertigt ein hohes Maß an Freiheit des Einzelnen zu gewährleisten. Eine sozialistische bzw. kommunistische Ordnung wird unter anderem damit gerechtfertigt, ein hohes Maß an wirtschaftlicher Sicherheit für eine Gemeinschaft zu gewährleisten. In einer liberalen Ordnung steht das Wohl des Einzelnen und in einer kommunistischen Ordnung das Wohl der Gemeinschaft stärker im Mittelpunkt. Strafen werden damit gerechtfertigt die Gesellschaft zu schützen, Kriege unter anderem damit anderen die Freiheit zu bringen oder die Einschränkung der persönlichen Freiheit damit ein hohes Maß an Sicherheit zu gewährleisten usw. Diese Aufzählung könnte beliebig fortgesetzt werden und würde dennoch zu keiner Antwort auf die Frage nach einer absoluten Gerechtigkeit führen. Der Rechtfertigung liegen Wertevorstellungen zu Grunde und diese sind wiederum subjektiv sowie austauschbar.

 

Die inhaltsleeren Formeln der Gerechtigkeit

Jedem das Seine zu gewähren als Definition der Gerechtigkeit geht auf die sieben Weisen Griechenlands zurück. Jedem nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen gilt in einer kommunistischen Ordnung als gerecht. Doch auch hier wird die Frage nur verlagert, denn jetzt stellen sich die Fragen „Was ist jedem das Seine?“, „Was sind jedem seine Fähigkeiten?“ und „Was sind jedem seine Bedürfnisse?“. Diese Fragen können ebenfalls nur durch eine bestimmte gesellschaftliche Ordnung beantwortet werden, die genau festlegt, was jedermanns „Seine“ sowie was die Fähigkeiten und Bedürfnisse des Einzelnen sind. Das hängt wiederum von den Wertevorstellungen Einzelner oder der Gesellschaft ab. Die Frage nach der Definition einer absoluten Gerechtigkeit findet auch hier keine Antwort. Auch das Prinzip der Vergeltung oder der Grundsatz nach der Gleichheit vor dem Gesetz führt nur zu einer relativen, von bestimmten Wertevorstellungen getragenen Gerechtigkeit. Denn was vergolten, gleich oder ungleich behandelt werden soll legt eine von bestimmten Werten getragene gesellschaftliche Ordnung fest. Selbst die goldene Regel „Das was man dir nicht tun soll, füge auch keinem anderen zu“ ist keine Definition für eine absolute Gerechtigkeit. Denn die Anwendung der Goldenen Regel setzt voraus, dass dieselben Wertevorstellungen zu Grunde liegen. Denn was man dir tun soll oder nicht, kann bei einer anderen Person ganz anders liegen. Die Goldene Regel inspirierte Immanuel Kant zu seiner Formulierung des kategorischen Imperativs: „Handle nur nach der Maxime, von der du zugleich wünschen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde“. Auch hier kann nur eine subjektive Werteentscheidung zugrunde gelegt werden. Selbst Moralvorstellungen, ob von wenigen oder einer breiten Mehrheit getragen, sind relativ und haben sich im Laufe der Zeit geändert. Jeder Regel liegt eine subjektive Werteentscheidung zugrunde, ansonsten wären sie inhaltsleer. Die zugrunde liegende subjektive Werteentscheidung kann von wenigen oder einer breiten Mehrheit in der Gesellschaft getroffen worden sein.

 

Die Gerechtigkeitsvorstellungen von Aristoteles, Kant und nach dem Naturrecht

Für Aristoteles war die Gerechtigkeit die Haupttugend. Die Tugend war für ihn die Mitte zwischen zwei Extremen, zum Beispiel wäre die Tapferkeit die Mitte zwischen den beiden Extremen Tollkühnheit und Feigheit. Das Laster war nach der aristotelischen Philosophie wiederum das Gegenteil der Tugend. Die Tugend sei demnach Recht und das Laster Unrecht. Wie ein Geometer legte Aristoteles die Tugend in den Mittelpunkt einer Linie, die durch zwei Eckpunkte oder Gegensätze definiert war. Doch auch hier kommen wir schnell zu der Feststellung, dass die Frage nach der Gerechtigkeit nur auf andere Fragen verschoben wurde. Denn was eine Tugend, ein Laster oder ein Extrem ist hängt von den Moral- und Wertevorstellungen Einzelner oder der Gesellschaft ab. Selbst die Definition der Mitte hängt von der Festlegung der äußeren Punkte ab, die nach subjektiven Kriterien erfolgt. Für Kant war jemand gerecht, der im Einklang mit den generellen Normen lebt, was wiederum von den Moral- und Wertevorstellungen einer Gesellschaft abhängt, welche relativ sind und sich im laufe der Zeit geändert haben bzw. ändern. Die naturrechtliche Sichtweise definiert alles als gerecht, was von der Natur aus geschaffen ist und sich aus Naturgesetzen ableiten lässt. Hierbei können die Natur und die Naturgesetze entweder natürlich entstanden oder von einem Schöpfer (Gott) geschaffen worden sein. Gesetzmäßigkeiten aus der Natur werden auch als „Sein-Normen“ und gesellschaftliche Normen als „Soll-Normen“ bezeichnet. Die „Sein-Normen“ können nach der physikalischen Denkweise aus der Natur selbst stammen oder nach der metaphysischen Denkweise von einem Schöpfer geschaffen worden sein. Entsprechend werden sie als Naturgesetze oder göttliche Gesetze angesehen. Für andere Naturrechtler stammt die Gerechtigkeit schlicht aus der Vernunft des Menschen. Für Anhänger der Gerechtigkeitsvorstellung nach dem Naturrecht gibt es zum Beispiel naturgegebene Unterschiede zwischen den Menschen.  Diese Unterschiede würden dann auch eine Ungleichbehandlung von Menschen rechtfertigen. Wer naturgegeben mehr leisten könne, dem stünden mehr Möglichkeiten offen und hätte einen größeren Gegenwert für seine Leistung zu erwarten. Die Freiheit des Einzelnen oder das Recht auf Eigentum wird ebenfalls von Einigen aus dem Naturrecht abgeleitet. Letztendlich beantwortet selbst das Naturrecht nicht die Frage, was das Wesen einer absoluten Gerechtigkeit ist. Denn warum soll etwas gerecht sein nur weil es aus der Natur stammt. Ändert der Mensch nicht auch die Natur und liegt diese Eigenschaft nicht in der Natur des Menschen begründet? Eine Frage, für die es keine absolute Antwort gibt. Der Vorstellung, dass die Natur gerecht sei, liegt ebenfalls eine subjektive Werteentscheidung zugrunde.

 

Was ist absolute Gerechtigkeit?

Hans Kelsen kommt am Ende seiner Betrachtungen zu dem Schluss, dass es keine Definition für eine absolute Gerechtigkeit gibt. Demnach kann es auch keine absolut objektive Gerechtigkeit geben. Vom Standpunkt der Erkenntnis aus gebe es nur menschliche Interessenskonflikte. Für deren Lösung gebe es zwei Wege: Das Interesse des einen auf Kosten des anderen zu befriedigen oder einen Kompromiss zwischen beiden herbeizuführen. Dies gilt natürlich auch in den Fällen, wo ein Interessenskonflikt zwischen mehreren besteht. Gilt der soziale Ausgleich und Frieden als höherer Wert als das sich der Stärkere durchsetzt, ist die Kompromisslösung als gerecht anzusehen. Nach Hans Kelsen sei die Toleranz ein wichtiges Prinzip. Sie ist die Forderung, die Ansichten und Lebenseinstellungen des Anderen wohlwollend zu verstehen, auch wenn sie nicht von einem geteilt werden. Gerade deswegen solle ihre friedliche Äußerung oder Praktizierung nicht verhindert werden. Ein Recht auf absolute Toleranz folgt daraus jedoch nicht. Für Hans Kelsen ist die demokratische Ordnung die bevorzugte Ordnung, da sich in ihr unter anderem die Freiheit der Wissenschaft entfalten kann. Des Weiteren sind in ihr unter anderem der Kompromiss und die Toleranz als notwendige Voraussetzungen verankert. Wenn es auch aus unserer menschlichen Erkenntnis heraus keine Definition für eine absolute Gerechtigkeit gäbe, so gibt es doch eine relative Gerechtigkeit und diese führt nach Hans Kelsen zur persönlichen Freiheit, zum Frieden und zur Toleranz.

 

Völkerrecht und Gerechtigkeit

Das Völkerrecht ist ein Oberbegriff für alle Rechtsnormen, welche das Verhältnis von Völkerrechtssubjekten (souveräne Staaten, bestimmte internationale Organisationen und Einrichtungen) untereinander regelt. Das sind in der Regel die Beziehungen der Staaten untereinander und die Beziehungen zwischen einzelnen Staaten und internationalen Organisationen. Im Gegensatz zum staatlichen Recht wird das Völkerrecht grundsätzlich nicht durch eine zentrale Gewalt gesetzt und durchgesetzt. Quellen des Völkerrechts sind unter anderem Verträge, Konventionen und Pakte. Als grundlegende Quelle gilt auch die Charta der Vereinten Nationen (UN). Daneben gibt es auch das Völkergewohnheitsrecht. Bei Streitigkeiten zwischen Staaten, die Fragen des Völkerrechts betreffen, kann der Internationale Gerichtshof (IGH) angerufen werden. Seine Grundlage findet der IGH in der Charta der UN und dem Statut des IGH. Auch das Statut gehört zum Völkerrecht. Urteile des IGH sind für Streitparteien verbindlich. Nur der UN-Sicherheitsrat hat gemäß der UN-Charta das Recht in bestimmten Fällen das Völkerrecht in geeigneter Weise durchzusetzen. Die Auffassungen und Wertevorstellungen von staatlichen Gesellschaften sind sehr unterschiedlich. Dies hat zur Folge, dass bestimmte völkerrechtliche Grundsätze oder Normen von Staaten und Gesellschaften auch unterschiedlich anerkannt oder interpretiert werden. Die Umsetzung von Völkerrecht ist stark von politischen Erwägung und der tatsächlichen Macht der betreffenden Staaten abhängig. So ist es schwierig starke Staaten zu zwingen bestimmte Regeln des Völkerrechts anzuerkennen und umzusetzen. Bei schwächeren Staaten ist dies viel einfacher. Doch stellt sich natürlich damit die Frage wie gerecht das Völkerrecht überhaupt ist. Im Ergebnis sind auch die Quellen des Völkerrechts subjektive Werteentscheidungen und die entscheidenden Subjekte in der Regel Staaten. Die Staatsgewalt geht wiederum auf die Bürgerinnen und Bürger (natürliche Personen) eines demokratisch organisierten Staates oder auf einzelne Machthaber in diesen Staaten (ebenfalls natürliche Personen) zurück. Die innere Organisation eines Staates gehört definitionsgemäß nicht zum Völkerrecht. Nach Außen tritt der Staat als (Völker-)Rechtssubjekt auf. Das von Hans Kelsen beschriebene Wesen der Gerechtigkeit gilt auch für die Gerechtigkeitsvorstellungen einzelner Staaten, staatlicher Gemeinschaften und internationalen Organisationen. Eine absolute (Völker-)Gerechtigkeit gibt es auch in den internationalen Beziehungen der Völkerrechtssubjekte nicht. Auch dem Völkerrecht liegt eine relative (Völker-)Gerechtigkeitsvorstellung zugrunde. Dem Völkerrecht zugrunde liegende Werte ändern sich auch im Laufe der Zeit. Als Beispiel hierfür sei die Einmischung in die inneren Angelegenheiten von Staaten und die Immunität von staatlichen Repräsentanten genannt. Die sogenannte militärische Intervention der NATO aus humanitären Gründen in der damaligen Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) bzw. im Kosovo im Jahre 1999 ohne ein Mandat des UN-Sicherheitsrates ist unter Völkerrechtlern umstritten und wird von diesen unterschiedlich bewertet. Doch wird unter Völkerrechtlern mittlerweile auch die Position vertreten, dass unter gewissen Umständen eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten von Staaten aus gewichtigen Gründen, etwas Völkermord, durch das Völkerrecht gerechtfertigt sei. Die Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofes und die strafrechtliche Verfolgung von staatlichen Funktionsträgern, etwa Staatspräsidenten, bei besonders schweren Verbrechen nach dem Völkerstrafrecht stellen ebenfalls eine neuere Weiterentwicklung des Völkerrechts dar. Die Antwort auf die Frage nach dem was (Völker-)Gerecht ist, fällt heute anders aus als in der Vergangenheit und ist einer Entwicklung unterworfen. Eine verbindliche Definition für eine absolute (Völker-)Gerechtigkeit gibt es jedoch nicht.

 

Die makedonische Frage aus Sicht des Völkerrechts

In Artikel 1 Absatz 2 der UN-Charta ist unter anderem als Ziel der Vereinten Nationen festgelegt, die „freundschaftliche, auf Achtung vor dem Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker beruhenden Beziehungen zwischen den Nationen zu entwickeln und andere geeignete Maßnahmen zur Festigung des Weltfriedens zu treffen.“ Das Selbstbestimmungsrecht eines Volkes beinhaltet auch alle Rechte zur ethnischen Selbstidentifizierung, also auch zur Wahl des Namens für ein auf der Souveränität des Volkes beruhendes Staatswesen. Von diesem Recht hat das makedonische Staatsvolk am 08.09.1991 in einem Referendum Gebrauch gemacht, in dem es für die Unabhängigkeit des makedonischen Staates von der „Sozialistisch Föderativen Republik Jugoslawien“ („SFRJ“) unter der Bezeichnung „Republik Makedonien“ mit großer Mehrheit votierte. Aus der UN-Charta oder aus sonstigem Völkerrecht kann überdies kein exklusives Recht anderer Staaten an den Namen „Makedonien“ oder auf die Zugehörigkeit der makedonischen Kulturnation abgeleitet werden. Nach Auffassung Griechenlands sei der Name „Makedonien“ Teil der griechischen Kultur und Geschichte und daher habe Griechenland ein exklusives Recht an diesem Namen. Die verfassungsmäßige Bezeichnung der Republik Makedonien sowie die Bezeichnungen für die makedonische Nation und Sprache würden aus historischen Gründen die Rechte Griechenlands verletzten und dürfen daher von anderen Staaten nicht benutzt werden. Diese Auffassung wird jedoch nach herrschender Auffassung nicht durch das Völkerrecht gedeckt. Bei dem Namen des makedonischen Staates einschließlich der Bezeichnungen für die makedonische Nation, Sprache und Staatsbürgerschaft handelt es sich um eine zulässige Territorialableitung. Die „Republik Makedonien“ liegt mit ihrem Territorium vollständig in einer wesentlich größeren geographischen Region mit dem Namen Makedonien, die aufgeteilt ist zwischen Bulgarien, Griechenland und der heutigen Republik Makedonien. In Griechenland wird der Name „Makedonien“ auch für drei Regionen mit Selbstverwaltungskompetenzen verwendet. Des Weiteren sieht sich Griechenland als alleiniger Erbe der antiken makedonischen Geschichte und Kultur, welche heute nicht mehr existiert und Namensgeber für die heutige geographische Region Makedonien war. Weder die UN-Charta noch das sonstige Völkerrecht stehen der verfassungsmäßigen Bezeichnung der Republik Makedonien in dieser Hinsicht entgegen. Nach der Auffassung Bulgariens gäbe es keine eigenständige makedonische Kulturnation sondern diese sei Bestandteil der bulgarischen Kulturnation. Aufgrund von Artikel 1 Absatz 2 der UN-Charta steht es Bulgarien nicht zu diese Ansicht im völkerrechtlichen Verkehr verbindlich einzufordern oder durchzusetzen. Bulgarien ist aufgrund dieser Bestimmung der UN-Charta verpflichtet das Selbstbestimmungsrecht des makedonischen Volkes zu respektieren. Doch fällt und steht diese Frage nicht mit der Frage nach dem Wesen der makedonischen Kulturnation? Gibt es überhaupt eine makedonische Kulturnation? Welche Position in dieser Frage wäre gerecht? Die mehrheitliche Auffassung in der Staatengemeinschaft dürfte hier eindeutig sein. Demnach gibt es eine makedonische Kulturnation. Im jugoslawischen Staatsrecht ist die makedonische Kulturnation seit 1943 als unabhängig und gleichwertig mit den anderen jugoslawischen Völkern (Kroaten, Montenegrinern, Serben und Slowenen) anerkannt. Die Bosniaken bzw. Muslime wurde erst Ende der 60er Jahre als eigenständiges jugoslawisches Kulturvolk anerkannt. Das Selbstbestimmungsrecht der jugoslawischen Völker einschließlich des Rechts auf Sezession war in allen jugoslawischen Verfassungen (1946, 1963 und 1974) verankert. Von diesem Recht haben die jugoslawischen Völker 1991/1992 Gebrauch gemacht, was von der internationalen Staatengemeinschaft anerkannt wurde.

 

Die UN-Aufnahme der Republik Makedonien unter einer provisorischen Bezeichnung

Im Falle der Republik Makedonien gibt es jedoch einen besonderen Präzedenzfall, welcher politisch und rechtlich umstritten ist. Als der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am 07.04.1993 einstimmig die Resolution 817 beschloss, wonach die Republik Makedonien die Kriterien gemäß Artikel 4 Absatz 1 der Charta der Vereinten Nationen (UN) für eine UN-Mitgliedschaft erfüllen würde und trotzdem zusätzliche Bedingungen für ihre UN-Mitgliedschaft aufstellte. Damals stellte der UN-Sicherheitsrat die Existenz des sogenannten Namensstreits zwischen Griechenland und der Republik Makedonien sowie die Bedeutung der Überwindung dieses Streits für die Sicherung des Friedens und der guten nachbarschaftlichen Beziehungen in der betroffenen Region fest. Aus diesem Grunde empfahl der UN-Sicherheitsrat die Aufnahme der Republik Makedonien unter der provisorischen Bezeichnung „Die Ehemalige Jugoslawische Republik Makedonien“ in die Vereinten Nationen. Diese provisorische Bezeichnung soll für alle Zwecke im Rahmen der Vereinten Nationen bis zur Überwindung des Namensstreits zwischen Griechenland und der Republik Makedonien gelten. Am 08.04.1993 erfolgte durch Beschluss der UN-Generalversammlung per Akklamation die Aufnahme der Republik Makedonien unter der bis heute gültigen provisorischen Bezeichnung in die Vereinten Nationen.

 

Die Aufnahme der Republik Makedonien in die Vereinten Nationen unter einer provisorischen Bezeichnung dürfte vor allem gegen Artikel 2 Absatz 1 und 7 sowie Artikel 4 Absatz 1 der UN-Charta und damit gegen geltendes grundlegendes Völkerrecht verstoßen haben. Nach einem Gutachten des Internationalen Gerichtshofes (IGH) vom 28.05.1948 sind die in Artikel 4 Absatz 1 der UN-Charta definierten Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen abschließend und dürfen ohne eine Änderung der UN-Charta nicht aus politischen Erwägungen heraus erweitert werden. Die UN-Generalversammlung beschloss am 08.12.1948 das Ergebnis des IGH-Gutachtens vom 28.05.1948 als verbindlich für die Aufnahmen von Staaten in die Vereinten Nationen anzuerkennen. Der UN-Sicherheitsrat hat mit der Resolution 817 und der daraus resultierenden Empfehlung für die UN-Aufnahme der Republik Makedonien unter einer provisorischen Bezeichnung seine Kompetenzen überschritten, zumal dieser feststellte, dass die Republik Makedonien die in Artikel 4 Absatz 1 der UN-Charta genannten Voraussetzungen für eine UN-Mitgliedschaft erfüllen würde. Die UN-Generalversammlung hätte gemäß Artikel 25 der UN-Charta der Empfehlung des UN-Sicherheitsrates nur im Einklang mit der UN-Charta folgen dürfen und so die „Republik Makedonien“ am 08.04.1993 an sich unter ihrer verfassungsmäßigen Bezeichnung aufnehmen müssen.

Die provisorische Bezeichnung der Republik Makedonien im Rahmen der Vereinten Nationen und die auferlegte Pflicht über den Staatsnamen mit Griechenland zu verhandeln verletzen das in Artikel 1 Absatz 2 der UN-Charta verbriefte Recht des makedonischen Staatsvolkes auf Selbstbestimmung, was die ethnische Selbstdefinition und die daraus resultierende Namensgebung für das makedonische Staatswesen mit einschließt. Griechenland kann hingegen aus dem geltenden Völkerrecht keinen exklusiven Anspruch auf den Namen „Makedonien“ ableiten, so dass hier ebenfalls keine Legitimation für die Entscheidungen des UN-Sicherheitsrates und der UN-Generalversammlung hätten abgeleitet werden können. Des Weiteren wurden auch die Bestimmungen der Artikel 2 Absatz 1 und 7 der UN-Charta bezüglich der Aufnahme der Republik Makedonien in die Vereinten Nationen verletzt. Artikel 2 Absatz 1 der UN-Charta normiert die souveräne Gleichheit der UN-Mitglieder im Rahmen der Vereinten Nationen. Von souveräner Gleichheit kann im Falle der Republik Makedonien im Rahmen der Vereinten Nationen aufgrund der ihr auferlegten provisorischen Bezeichnung und Pflicht mit Griechenland über ihren Staatsnamen zu verhandeln nicht gesprochen werden. Außerdem hätte die UN aufgrund von Artikel 2 Absatz 7 der UN-Charta kein Recht gehabt sich in die inneren Angelegenheiten der Republik Makedonien einzumischen. Die verfassungsmäßige Ordnung der Republik Makedonien beinhaltet auch die Bezeichnung des Staates als „Republik Makedonien“ und stellt eine innere Angelegenheit dar. Durch die Maßnahmen der UN wird die verfassungsmäßige Ordnung der Republik Makedonien verletzt.

Die makedonische Frage als Frage der (Völker-)Gerechtigkeit

Aus Sicht des Völkerrechts stellt die makedonische Antwort auf die makedonische Frage kein Problem dar. Diese „makedonische Antwort“ geht von der Existenz einer eigenständigen makedonischen Kulturnation mit eigener Sprache aus. Sie existiert demnach unabhängig von der albanischen, bulgarischen, griechischen und serbischen Kulturnation. Diese makedonische Antwort steht jedoch vor allem im Widerspruch zu den Auffassungen von Bulgarien und Griechenland. Doch welche der Auffassungen ist nun gerecht? Nach dem Völkerrecht ist die makedonische Antwort gemessen an den zugehörigen Normen gerecht. Nach Auffassung Griechenlands ist dies jedoch nicht der Fall. Für Griechenland ist Makedonien ein Teil der griechischen Geschichte und Kultur. Das antike Makedonien sei Teil der antiken hellenischen Kultur gewesen. Auch die mehrheitliche Auffassung in der Wissenschaft geht heute davon aus, dass die gegenüber den anderen antiken griechischen Volksstämmen relativ eigenständigen antiken Makedonier zur antiken hellenischen Kultur gehörten und ein antiker griechischer Volksstamm waren. Es gibt auch hiervon abweichende Auffassungen in der Wissenschaft, wonach die antiken Makedonier mit den übrigen antiken griechischen Stämmen lediglich verwandt oder ganz eigenständig waren und erst später hellenisiert wurden. Doch welche Auffassung ist jetzt gerecht? Ist die griechische Auffassung gerecht, wenn die antiken Makedonier ein antiker griechischen Volksstamm und Teil der antiken hellenischen Kultur waren? Ist die Gerechtigkeit auf Seiten Griechenlands bzw. der griechischen Kulturnation, wenn sie aus historischen Gründen ein exklusives Recht auf den Namen Makedonien einfordern und der Republik Makedonien die Nutzung des Namens verbieten wollen? Eine absolut verbindliche Antwort auf diese Frage ist nicht möglich, da sie nur aufgrund eines Werturteils formuliert werden kann. Eine absolute Gerechtigkeit, an der wir die Frage und die Antwort darauf messen könnten, gibt es nicht. Wir haben nur eine relative Gerechtigkeit zu Verfügung, welche von den mehrheitlichen Auffassungen in der internationalen Gemeinschaft und als Resultat daraus durch das Völkerrecht inhaltlich festgelegt wird. Die völkerrechtliche Bewertung des Sachverhaltes wurde bereits in den vorherigen beiden Abschnitten ausführlich dargestellt. Die griechische Auffassung hätte auch weitgehende Folgen. Aus historischen Gründen könnten Staaten vieles rechtfertigen. Das beste Beispiel hierfür ist, wenn historische Grenzen und Territorien von bestimmten Staaten von heutigen abweichen und der betreffende Staat den historischen Zustand wieder herbeiführen will. Zu Recht wird dies im Völkerrecht grundsätzlich ausgeschlossen, da sonst jegliche internationale Ordnung zusammenbrechen würde. Viele historische Ansprüche überlappen sich auch. Des Weiteren unterscheiden sich die Bewertungen der zugrunde liegende Sachverhalte. Das Völkerrecht geht daher grundsätzlich von der territorialen Integrität der Staaten mit klar anerkannten Grenzen aus. Nur in begründeten Ausnahmefällen wird von diesem Prinzip abgewichen, was auch umstritten ist. Was für Territorien gilt, dass gilt auch für das Selbstbestimmungsrecht der Völker und dem daraus resultierenden Recht auf Selbstidentifizierung. Demnach erübrigt sich auch die Frage, ob die bulgarische Auffassung gerecht ist. Die Zugehörigkeit eines Volkes wird aufgrund des Völkerrechts durch das Selbstbestimmungsrecht des Volkes von diesem selbst bestimmt. Fazit: Gemessen an eine durch das Völkerrecht bestimmten relativen Gerechtigkeit bzw. relativ gerechten Ordnung ist die makedonische Antwort auf die makedonische Frage gerecht. Das Wesen einer absoluten Gerechtigkeit bzw. einer absolut gerechten Ordnung entzieht sich der menschlichen Erkenntnis, womit die makedonische Antwort daran nicht gemessen werden kann.

 

Fazit

Aufgrund des Fehlens einer Definition für eine absolute Gerechtigkeit gibt es nicht die eine wahre Bewertung des Sachverhaltes. Damit gibt es auch nicht die absolut gerechte Antwort auf die makedonische Frage. Letztendlich ist das System des Völkerrechts nicht zwingend gerecht. Es ist geprägt von Machtverhältnissen und Interessen. Bei divergierenden Interessen kommt es zu Konflikten. Der Kulturstreit um Makedonien ist ein Interessenkonflikt zwischen Bulgarien, Griechenland und der Republik Makedonien. Dieser Konflikt kann entweder auf Kosten von einem Teil der Beteiligten oder durch einen Kompromiss beendet werden, der von allen Beteiligten getragen wird. Kein historisches Argument gibt einem Beteiligten ein exklusives Recht an Makedonien. Das Völkerrecht ist in der makedonischen Frage eindeutig. Aufgrund des freien Selbstbestimmungsrechts des makedonischen Volkes sind die verfassungsmäßigen Bezeichnungen der Republik Makedonien sowie der makedonischen Kulturnation und Sprache zulässig und verletzten nicht die Rechte Griechenlands. Auf der anderen Seite kann Griechenland aus dem Völkerrecht kein exklusives Recht an den Begriff Makedonien herleiten. Gemessen am Völkerrecht und als Rechtsfrage ist die makedonische Antwort eine gerechte Antwort auf die makedonische Frage. Schon das sollte an sich das Problem lösen und zu einer Befriedung des Kulturstreits um Makedonien führen. Eine höhere Ordnung, die über dem Völkerrecht steht und der menschlichen Erkenntnis zugänglich ist, gibt es nicht. Somit ist nach menschlichem Ermessen keine gerechtere Antwort auf die makedonische Frage herbeizuführen.