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Der Zerfall der „Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien“ („SFRJ“)

Der Zerfall Jugoslawiens (Quelle: t-online/dpa)

Vor 25 Jahren begann der formelle Zerfall der „Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien“ („SFRJ“) durch die Unabhängigkeitserklärungen der Republiken Kroatien und Slowenien am 25.06.1991. Am 18.09.1991 erfolgte die Unabhängigkeitserklärung der Republik Makedonien und am 03.03.1992 die der Republik Bosnien und Herzegowina. In allen vier Republiken stimmte die jeweilige Bevölkerung in Referenden mit großer Mehrheit für die Unabhängigkeit. In Bosnien und Herzegowina wurde allerdings das Referendum von der serbischen Volksgruppe größtenteils boykottiert, so dass eine entsprechende Mehrheit nur durch die bosniakische (muslimische) und die kroatische Volksgruppe zustande kam. Mit der Gründung der „Bundesrepublik Jugoslawien“ durch die Republiken Serbien und Montenegro am 27.04.1992 war der formelle Zerfall der SFRJ abgeschlossen. Materiell begann der Zerfallsprozess der SFRJ bereits mit dem Tod des Staatsgründers und Staatspräsidenten Josip Broz Tito am 04.05.1980 und den Unruhen im Kosovo im März 1981. Beschleunigt und deutlich sichtbar wurde der materielle Zerfall der SFRJ ab dem Jahr 1989.

Der erste jugoslawische Staat (1918 bis 1941)

Vor dem ersten Weltkrieg waren das Königreich Serbien und das Fürstentum Montenegro (ab 1910 Königreich Montenegro) bereits unabhängige Staaten. Makedonien gehörte bis 1913 zum Osmanischen Reich. Slowenien, Kroatien und Bosnien und Herzegowina standen bis zum Ende des Ersten Weltkrieges im Jahre 1918 unter österreich-ungarischer Herrschaft. Nach dem Ersten Weltkrieg brach der Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn auseinander. Dies führte auch zur Unabhängigkeit der Slowenen und Kroaten, die sich bereits in einem „Südslawischen Ausschuss“, zunächst mit Sitz in London, organisiert hatten und für einen gemeinsamen Staat aller südslawischen Völker eintraten. Im Juni und Juli 1917 trafen sich der Vorsitzende dieses Ausschusses, Ante Tumbić  und der  Ministerpräsidenten des Königreiches Serbien, Nikola Pašić, auf der griechischen Insel Korfu zu Gesprächen über die Gründung eines gemeinsamen südslawischen Staates. Dort wurde die Ausrufung eines Königreiches des dreinamigen Volkes (Serben, Kroaten und Slowenen) vereinbart und eine entsprechende Deklaration am 20.07.1917 unterzeichnet, welches als Geburtsdokument des ersten jugoslawischen Staates bezeichnet werden kann. Die Montenegriner galten nach vorherrschender Auffassung als serbischer Volksstamm und wurden nicht gesondert aufgeführt. Die Bosniaken (Muslime) und die ethnischen bzw. slawischen Makedonier waren noch nicht als eigenes Volk anerkannt. Der zunächst rein formellen Deklaration eines gemeinsamen südslawischen Königreiches wohnte auch eine 24-köpfige Delegation des „Nationalrates der Slowenen, Kroaten und Serben” bei, welche ihren Sitz im damals noch zu Österreich-Ungarn gehörenden Zagreb hatte. Dieser Nationalrat war gebildet worden, als sich der Zerfall Österreich-Ungarns immer stärker abzeichnete. Dieser erklärte auch die formelle Unabhängigkeit der südslawischen Völker von Österreich-Ungarn. Der Name „Jugoslawien“  für den neuen Staat wurde von serbischer Seite abgelehnt, da der Begriff „Königreich Serbien“ im Staatsnahmen des gemeinsamen südslawischen Staates erhalten bleiben sollte. So wurde am 01.12.1918 das „Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen“ proklamiert. Für die innere Struktur und Organisation des gemeinsamen Staates traf die Deklaration von Korfu allerdings keine Vereinbarung. Die serbische Seite war zentralistisch eingestellt, die slowenische und kroatische Seite föderalistisch. Nachdem bei den ersten Wahlen die zentralistisch eingestellten Parteien einen Sieg errungen hatten, boykottierte die größte kroatische Partei, die föderalistisch eingestellte Kroatische Bauernpartei, die parlamentarische Arbeit. Dies führte dazu, dass mit einer knappen Mehrheit von 27 Stimmen am 28.06.1921 eine Verfassung mit einer zentralistischen Staatsstruktur für das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen verabschiedet wurde. Diese Verfassung war im Sinne des serbischen Königshauses und etablierte die serbische Vorherrschaft im Staate. Dies hatte politische Instabilitäten mit Attentaten und politischen Morden zur Folge. Auch die Verwaltungsgliederung des Staates in 35 Bezirke nahm auf ethnische Gegebenheiten keine Rücksicht. Im Ergebnis entfernten sich die südslawischen Völker wieder voneinander und gegenseitiges Misstrauen prägte das Zusammenleben im gemeinsamen Staat. Vor allem der kroatisch-serbische Gegensatz ragte aus den Auseinandersetzungen heraus. Die Kroaten traten für eine föderalistische Staatsorganisation ein, während die Serben die zentralistisch organisierte Staatsgewalt unter ihrer Führung beibehalten wollten.Dies hatte eine politische Krise nach der anderen zur Folge: In rund zehn Jahren amtierten etwa 30 Regierungen. Eine gesittete Parlamentsarbeit fand nicht statt, statt einer Diskussionskultur herrschte dort Anarchie. Im Parlament kam es auch zu blutigen und tödlichen Auseinandersetzungen. Die Situation im Königreich glich einer permanenten Staatskrise. Die Versuche einer Föderalisierung des Staates  durch die Bildung von Bundesstaaten mit eigenen Parlamenten scheiterten vor allem an den zentralistisch eingestellten serbischen Parteien. Damit blieb es vor allem beim kroatisch-serbischen Gegensatz, der nicht aufgelöst werden konnte.

König Aleksander I. (Quelle: Wikipedia.de)

Am 06.01.1929 löste König Alexander das Parlament auf und setzte die Verfassung vom 28.06.1921 außer Kraft. Durch ein Staatsschutzgesetz wurden faktisch alle Parteien aufgelöst und bürgerliche Freiheiten massiv eingeschränkt. Stattdessen wurde ein  Polizeiregime etabliert. Jede kritische Äußerung konnte ins Gefängnis führen. Das zentralistische Staatssystem unter serbischer Führung sollte nicht mehr hinterfragt werden können. Durch ein Gesetz über die Neueinteilung des Königreiches vom 03.10.1929 wurden die bisherigen Bezirke abgeschafft und das Königreich in neun Banschaften (Banovine)  eingeteilt. Aufgrund dieses Gesetzes wurde auch der bisherige Staatsname in „Königreich Jugoslawien“ umbenannt. Diese Neueinteilung nahm auch auf die ethnische Zusammensetzung von Regionen keine Rücksicht. Im Gegenteil: Bei der Einteilung des Staates in neun Banovine, die nach einer Küste und sonst nach Flüssen benannt waren, wurden vorsätzlich ethnisch bedingte Gegebenheiten überdeckt. Die kulturellen Rechte der südslawischen Völker wurden im Königreich Jugoslawien von Staatswegen negiert, welches jetzt eine reine Diktatur war. Unter König Alexander kam es dann auch zu keinen weiteren Reformen mehr. Die serbische Frage war im Sinne der serbischen Auffassung geklärt. Am 09.10.1934 wurde König Alexander zusammen mit dem französischen Außenminister Louis Barthou bei einem Staatsbesuch in der französischen Stadt Marseille ermordet. Der Mörder, wahrscheinlich ein ethnischer bzw. slawischer Makedonier aus dem Umfeld der „Inneren Makedonischen Revolutionären Organisation“ („IMRO“), wurde noch vor Ort von der Menge erschlagen. Erst unter Alexanders Nachfolger Paul (Pavle) Karadjordjević  kam es 23.08.1939 zu einem kroatisch-serbischen Ausgleich. Dieser wurde  jedoch vom Beginn des Zweiten Weltkrieges überschattet. Das Königreich Jugoslawien wurde am 06.04.1941 vom Deutschen Reich angegriffen und kapitulierte am 17.04.1941. Nennenswerten Widerstand konnte das Königreich aufgrund seiner inneren Zerrissenheit nicht leisten. Damit endete der erste jugoslawische Staat.

Der zweite jugoslawische Staat (1943 bis 1991/92)

Im Rahmen der Zweiten Sitzung des „Antifaschistischen Rates der Nationalen Befreiung Jugoslawiens“ („AVNOJ“) im bosnischen Jajce wurden am 29.11.1943 die grundlegenden Beschlüsse für die Zukunft und den künftigen Aufbau Jugoslawiens gefasst. Jugoslawien sollte demnach als staatliche Einheit erhalten bleiben und nach föderalistischen Prinzipien aufgebaut werden. Jedem staatstragenden jugoslawischen Volk wurde eine Republik mit Staatscharakter zugebilligt. Den zugehörigen jugoslawischen Völkern bzw. Nationen wurde im Rahmen der jugoslawischen Föderation das Selbstbestimmungsrecht zuerkannt. Dieses Selbstbestimmungsrecht umfasste das Recht einer jeden jugoslawischen Nation auf Trennung oder auf Vereinigung mit anderen Nationen. Als souveräne und gleichberechtigte Völker Jugoslawiens wurden in der Deklaration des AVNOJ aufgeführt: Die Serben, Kroaten, Slowenen, Makedonier und Montenegriner. Des Weiteren wurde die völlige Gleichberechtigung der Nationen der Republiken Serbiens, Kroatiens, Sloweniens, Makedoniens, Montenegros und Bosnien und Herzegowinas garantiert. Diese Garantie umfasste neben den jugoslawischen Nationen auch andere Nationalitäten (nationale Minderheiten), die in den jugoslawischen Republiken lebten. Die Anerkennung der bosnischen Muslime bzw. der Bosniaken als gleichberechtigte jugoslawische Nation erfolgte allerdings erst Ende der 1960er Jahre und nicht auf der Zweiten Sitzung des AVNOJ im Jahre 1943. Der genaue Wortlaut der entsprechenden Deklaration auf der Zweiten Sitzung des AVNOJ vom 29.11.1943 wird auszugsweise nachfolgend wiedergegeben:

Auf der Grundlage des Rechts eines jeden Volkes auf Selbstbestimmung, einschließlich des Rechts auf Abtrennung von oder Vereinigung mit anderen Völkern, und im Einklang mit dem wahren Willen aller Völker Jugoslawiens, bekräftigt im Verlaufe des dreijährigen gemeinsamen Volksbefreiungskampfes, der die unerschütterliche Brüderlichkeit der Völker Jugoslawiens geschmiedet hat, beschließt der Antifaschistische Rat der Nationalen Befreiung Jugoslawiens:

Erstens: Die Völker Jugoslawiens haben niemals anerkannt und anerkennen nicht die Zerstückelung Jugoslawiens seitens der faschistischen Imperialisten und haben im gemeinsamen bewaffneten Kampf ihren festen Willen bewiesen, auch künftig in Jugoslawien vereint zu bleiben.

Zweitens: Zur Verwirklichung des Prinzips der Souveränität der Völker Jugoslawiens, damit Jugoslawien die wahre Heimat aller seiner Völker verkörpern möge und damit es niemals wieder zur Domäne einer wie auch immer gearteten hegemonistischen Clique werden kann, wird Jugoslawien auf föderativer Grundlage geschaffen und ausgestaltet, die die volle Gleichberechtigung der Serben, Kroaten, Slowenen, Makedonier und Montenegriner bzw. der Völker Serbiens, Kroatiens, Sloweniens, Makedoniens, Montenegros und Bosnien-Herzegowinas gewährleistet“.

In der politischen Praxis konnten die jugoslawischen Völker ihre Souveränität natürlich nicht so ausüben wie in der Deklaration festgelegt wurde. Auch die anderen Nationalitäten hatten keine tatsächliche Gleichberechtigung untereinander und mit den jugoslawischen Nationen. Dies wurde besonders in der Politik der jugoslawischen, der serbischen und auch der makedonischen Führung gegenüber der albanischen Nationalität in dieser Zeit deutlich. Deren garantierte Rechte wurden in der Praxis massiv missachtet. Auch den Deutschen in Jugoslawien wurden zunächst aufgrund des Zweiten Weltkrieges keine Minderheitenrechte gewährt. Ab Ende der 1960er Jahre verbesserten sich jedoch die Situation für die jugoslawischen Nationen und der in Jugoslawien lebenden Nationalitäten in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht. Mit der letzten jugoslawischen Verfassung vor dem Zerfall Jugoslawiens aus dem Jahre 1974 erhielten die jugoslawischen Republiken einschließlich ihrer Nationen und Nationalitäten, aufgrund eines stark erweiterten föderalistischen Prinzips, sehr weitgehende Rechte.

Josip Broz Tito

Im März 1945 wurde eine provisorische Regierung aus zwanzig Mitgliedern des Antifaschistischen Rates der Nationalen Befreiung Jugoslawiens, fünf Vertretern nicht kompromittierter Vorkriegsparteien und drei Vertretern der in London amtierenden jugoslawischen Exilregierung gebildet. Ministerpräsident wurde Josip Broz Tito. Über eine Einheitsliste der als Nachfolgerin der „Volksbefreiungsfront“ gegründeten „Volksfront“ wurde am 11.11.1945 eine verfassungsgebende Versammlung gewählt. 470 ihrer insgesamt 510 Mitglieder waren Angehörige der „Kommunistischen Partei Jugoslawiens“ („KPJ)“. Damit waren alle nicht-kommunistischen politischen Vertreter marginalisiert und wurden bald völlig aus der politischen Organisation des zweiten jugoslawischen Staates verdrängt. Der zweite jugoslawische Staat wurde durch die verfassungsgebende Versammlung am 29.11.1945 als „Föderative Volksrepublik Jugoslawien“ proklamiert. Ihre sechs Gliedstaaten wurden als „Volksrepubliken“ bezeichnet. Zur ersten großen Verfassungsreform kam es am 14.01.1953. Die zentrale Wirtschaftsplanung wurde im Rahmen dieser Reform zugunsten der Selbstverwaltung der Arbeiterschaft und der Kommunen abgebaut. Josip Broz Tito wurde Staatsoberhaupt von Jugoslawien und blieb es bis zu seinem Tod am 04.05.1980.

Mit der Verfassungsrevision vom 07.03.1963 kam es zu einer weitgehenden verfassungsrechtlichen Verankerung des Systems der Selbstverwaltung der Arbeiterinnen und Arbeitern im sozialistischen Gesellschaftssystem. Auch wurden erstmals Grundrechte für die Bürgerinnen und Bürger des jugoslawischen Staates festgelegt, der mit dieser Verfassungsrevision die Staatsbezeichnung  „Sozialistisch Föderative Republik Jugoslawien“ („SFRJ“) bekam. Diese Grundrechte waren im Vergleich zu den sozialistischen Staaten des Ostblocks eher untypisch, konnten jedoch im Rahmen der SFRJ nur im Einklang mit dem sozialistischen Gesellschaftsmodell verwirklicht werden. Folgerichtig erhielt die jugoslawische Verfassung von 1963 auch Grundpflichten für ihre Bürgerinnen und Bürger. Sowohl auf Ebene der SFRJ als auch auf der Ebene der nun mehr als „Sozialistische Republiken“ bezeichneten Gliedstaaten wurde eine Verfassungsgerichtsbarkeit eingeführt.

Zwischen 1966 und 1974 kam es zu einer weiteren Liberalisierung des gesellschaftlichen Systems. Allerdings wurden zu liberale Strömungen auch massiv von staatlicher Seite bekämpft. Tatsächlich wurden in jener Zeit mehr Kompetenzen von der SFRJ auf ihre Gliedstaaten und autonomen Gebietskörperschaften übertragen. Damit konnten Republiken und Gebietskörperschaften der SFRJ ihre Autonomie nicht nur formell sondern auch materiell immer mehr ausschöpfen. Den Höhepunkt der staatsrechtlichen und gesellschaftspolitischen Entwicklung der Sozialistisch Föderativen Republik Jugoslawien markiert dann auch die Verfassungsrevision vom 21.02.1974.

Die „Sozialistisch Föderative Republik Jugoslawien“ („SFRJ“)

Gemäß Artikel 1 der Verfassung der SFRJ vom 21.02.1974 war „die Sozialistisch Föderative Republik Jugoslawien ein Bundesstaat als staatliche Gemeinschaft freiwillig vereinigter Völker und ihrer sozialistischen Republiken sowie der sozialistisch autonomen Gebietskörperschaften Kosovo und Vojvodina, die sich im Verband der Sozialistischen Republik Serbien befanden, gegründet auf die Macht und die Selbstverwaltung der Arbeiterklasse und allen arbeitenden Menschen, sowie eine sozialistisch sich selbstverwaltende demokratische Gemeinschaft der arbeitenden Menschen und Bürger sowie gleichberechtigter Nationen und Nationalitäten“. Die SFRJ bildeten: Die Sozialistische Republik Bosnien und Herzegowina, die Sozialistische Republik Kroatien, die Sozialistische Republik Makedonien, die Sozialistische Republik Montenegro, die Sozialistische Republik Serbien sowie die Sozialistisch Autonome Gebietskörperschaft Kosovo und die Sozialistisch Autonome Gebietskörperschaft Vojvodina im Verband der Sozialistischen Republik Serbien und die Sozialistische Republik Slowenien.

Die Verfassung der SFRJ vom 21.02.1974 war mit 406 Artikeln eines der umfangreichsten Verfassungsurkunden der Welt und etwa um einen Drittel länger als die Verfassung der SFRJ von 1963. Notwendig war die ursprünglich für 1973 geplante Verfassungsrevision aufgrund der Nationalitätenfrage, der weiteren Etablierung der kommunistischen Parteiorganisationen in Staat und Gesellschaft, der ökonomischen Probleme und der Konsolidierung des Systems der Selbstverwaltung der assoziierten Arbeit. Zuvor gab es allerdings Meinungsverschiedenheiten über wichtige Fragen der Neuorganisation der SFRJ, insbesondere über die Neuordnung der Kompetenzen zwischen der SFRJ und ihrer Sozialistischen Republiken und Autonomen Gebietskörperschaften sowie über das System der Volksvertretungen. Im Ergebnis wurden aufgrund der Verfassungsrevision von 1974 die Föderalisierung und die Dezentralisierung des Staates extrem ausgebaut, so dass an mancher Stelle der Eindruck entstehen konnte, dass die jugoslawische Föderation mehr einer Konföderation gleiche. So erhielten die Sozialistischen Republiken unter anderem auch Kompetenzen in der Außen- und Verteidigungspolitik. Trotzdem wurde verfassungsrechtlich bekräftigt, dass die jugoslawische Föderation als staatliche Gemeinschaft ihrer Sozialistischen Republiken und sozialistisch autonomen Gebietskörperschaften (Kosovo und Vojvodina) im Verband der Sozialistischen Republik Serbien ein Bundesstaat sei. Die Neuorganisation der Staatsgewalt hatte zum Ziel die divergierenden Interessen der Nationen und Nationalitäten zu kanalisieren und in einer auf Austragung von Konflikten in verfahrensrechtlicher Weise mehrfach abgesicherten kooperativen Föderation aufzufangen. Die Organe der SFRJ hatten im Wesentlichen die Aufgabe einen Ausgleich der Interessen und gemeinsame Beschlüsse der Sozialistischen Republiken und Sozialistisch Autonomen Gebietskörperschaften zu ermöglichen. Staats- und verfassungsrechtlich ist zwar nur noch ein schmaler Grad zwischen einer Föderation und einer Konföderation zu erkennen, doch kann im Ergebnis von einem „kooperativen Bundesstaat“ gesprochen werden. Definiert wurde die jugoslawische Föderation in der Verfassung dann auch als „staatliche Gemeinschaft freiwillig vereinter Nationen und ihrer Sozialistischer Republiken“.

Die Verfassung der SFRJ von 1974 formulierte einen sehr umfangreichen und teilweise auch sehr originellen Grundrechtekatalog. Dieser umfangreiche Grundrechtekatalog war sowohl im Vergleich mit den damaligen Verfassungen anderer sozialistischer Staaten als auch mit denen demokratischer Staaten westlicher Prägung recht ungewöhnlich. Zunächst gab es individuelle und institutionelle Freiheitsrechte wie sie auch in den Verfassungen der demokratischen Staaten westlicher Prägung noch heute zu finden sind. Besonders liberal war unter anderem auch die Verfassungsbestimmung, wonach die Menschen frei über das Zeugen und Gebären von Kindern entscheiden konnten. Dies führte zu einer sehr liberalen Handhabung von möglichen Abtreibungen. Allerdings standen alle individuellen und institutionellen Freiheitsrechte in der Regel unter dem Vorbehalt, dass sie nicht zum Nachteil des gesellschaftlichen Systems ausgeübt werden durften. Damit waren diesen Freiheitsrechte aufgrund des sozialistischen Systems Grenzen gesetzt. Dennoch konnten diese Rechte im Rahmen des Systems auch tatsächlich ausgeübt werden und waren nicht bloß, wie im Falle anderer sozialistischer Staaten, formelle Rechte die nicht materiell wahrgenommen werden konnten. Im Ergebnis gab es jedoch auch im jugoslawischen System eine deutliche Diskrepanz zwischen der Verfassungstheorie und der politischen Praxis. Andere Grundrechte betrafen natürlich das sozialistisch-jugoslawische System, wie etwa das Recht auf Arbeit, das Recht auf Selbstverwaltung und das Recht Grundorganisationen der assoziierten Arbeit zu gründen.

Die Verfassungsrevision von 1974 war der tatsächliche Versuch eines dritten Weges zwischen den demokratisch und marktwirtschaftlich organisierten Staaten des Westens und den unter Einparteienherrschaft stehenden sozialistischen Staaten des Ostens. Das staatliche System der SFRJ stellte eine Alternative sowohl zum traditionellen bürgerlichen Parlamentarismus als auch zu den sozialistischen Vertretungssystemen sowjetischen Typs dar. So sollte im Rahmen der SFRJ die Volkssouveränität durch unmittelbare und tatsächliche Volksherrschaft unter Einbeziehung rätedemokratischer Elemente verwirklicht werden. Ausdruck dieses Systems waren unter anderem die berufsständische Wahlorganisation, die mittelbare Wahl durch Delegation (Delegiertensystem), das Rotationsprinzip bei Funktionsträgerinnen bzw. Funktionsträgern und temporär gebundene politische Mandate, wobei Mandatsträgerinnen bzw. Mandatsträger auch grundsätzlich abberufbar waren.

Das System der assoziierten Arbeit als Teil der staatlichen Organisation

Die Organisation der Arbeit war Teil der politischen Organisation des Staates und so fanden sich in der Verfassung der SFRJ grundlegende Regelungen zum System der Selbstverwaltung der assoziierten Arbeit. Dieses System sah die „Grundorganisation der assoziierten Arbeit“ als Grundzelle für die Selbstverwaltung der Arbeiterinnen und Arbeiter vor. Diese Grundzelle stellte einen organisatorisch und technologisch abgegrenzten Teil eines Betriebes im Rahmen des jugoslawischen Selbstverwaltungssystems dar. Sie war als juristische Person konzipiert und hatte auch die Befugnis ihre Angelegenheiten durch eigene Rechtssetzung zu regeln. In der Grundorganisation der assoziierten Arbeit sollte das Ergebnis gemeinsamer Arbeit als selbständiger Wert innerhalb der Organisation der Arbeit oder am Markt zum Ausdruck kommen können. Diese Grundorganisation musste groß genug sein, um sich durch eigene Organe selbst verwalten zu können. Außerdem sollte eine Gewinn- und Verlustrechnung für die Grundorganisation der assoziierten Arbeit erstellt werden können. Näheres zum System der assoziierten Arbeit regelte das „Gesetz über die assoziierte Arbeit“ vom 25.11.1976, das mit seinen 671 Artikeln viele Detailbestimmungen beinhaltete. Nach der Verfassung von 1974 und diesem Gesetz waren nicht mehr die Unternehmen sondern die „Grundorganisation der assoziierten Arbeit“ die alleinigen Träger der Selbstverwaltung und ihnen fiel auch das finanzielle Ergebnis ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit zu. Unternehmen bzw. Betriebe waren ein Zusammenschluss dieser politisch und finanziell autonomen Grundorganisationen. Ziel dieser Neukonzeption der Organisation der Arbeit war es auch den Einfluss der Manager und Technokraten in den Gremien der Selbstverwaltung der assoziierten Arbeit zurückzudrängen. Es wurde auch ein eigener Gerichtszweig für diese Form der Selbstverwaltung geschaffen. Die Gründung von Grundorganisationen der assoziierten Arbeit durch Arbeiterinnen und Arbeiter war grundsätzlich frei, solange sie nicht den Interessen des politischen und wirtschaftlichen Systems zuwider lief. Tatsächlich führte die Neuorganisation der Selbstverwaltung der assoziierten Arbeit zu einer Atomisierung und Bürokratisierung des wirtschaftlichen Systems. Es war anfällig für Korruption und arbeitete insgesamt unwirtschaftlich.

Kosovo, das erste Vorspiel zum späteren ethnischen Krieg und Zerfall der SFRJ

Nach dem Tod der jugoslawischen Integrationsfigur und des Präsidenten der SFRJ Josip Broz Tito am 04.05.21980 traten die sich in den siebziger Jahren abzeichneten wirtschaftlichen Probleme immer stärker zutage. Diese Probleme führten innerhalb von zehn Jahren zu einer schweren Systemkrise, zum Aufbrechen von nationalen Gegensetzen, zum ethnischen Krieg und zum Zerfall der SFRJ. Bereits Ende März 1981 kam es im Kosovo zu einem ersten Vorspiel zum späteren folgenden ethnischen Krieg. In diesen Tagen gingen in Priština, der Hauptstadt der autonomen Gebietskörperschaft Kosovo, die Studierenden auf die Straße. Was als normale Studierendendemonstration begann, griff Anfang April 1981 auch auf andere Teile des Kosovo und seiner Bevölkerung über, die zu etwa 90% aus ethnischen Albanern besteht und insgesamt rund 2 Millionen Einwohner ausmacht. Da bei diesen Massendemonstrationen auch die Forderung nach einer eigenen Republik Kosovo im Rahmen der SFRJ anstelle einer autonomen Gebietskörperschaft im Rahmen der Sozialistischen Republik Serbien erhoben wurde, griff die Polizei des Kosovo, in der die Serben noch immer das stärkste Kontingent stellten, brutal ein. Die Lage im Kosovo konnte erst unter Kontrolle gebracht werden, nachdem das jugoslawische Staatspräsidium Einheiten der Bundespolizei und der jugoslawischen Streitkräfte einsetzte.

Politische Hintergründe: Widerspruch zwischen Föderalismus und Zentralismus

Nach der Verfassung der Sozialistisch Föderativen Republik Jugoslawien vom 21.02.1974 bestand die SFRJ aus sechs weitgehend selbständigen „Sozialistischen Republiken“ mit eigenen Verfassungen, Parlamenten und Regierungen und zwei „Sozialistisch Autonomen Gebietskörperschaften“ (Kosovo, Vojvodina) im Rahmen der „Sozialistischen Republik Serbien“. Die Sozialistische Republik Serbien sah in den Sozialistisch Autonomen Gebietskörperschaften eine Beschneidung ihrer Staatlichkeit, weil diese den jugoslawischen Republiken faktisch gleichgestellt waren und nur nominell zu Serbien gehörten. Die Bundesorgane wurden praktisch auf Institutionen zurückgeführt, die einen Interessenausgleich und gemeinsame Beschlüsse der jugoslawischen Republiken und Gebietskörperschaften ermöglichen sollten. Diese stark föderative Struktur der SFRJ stand jedoch in einem unüberbrückbaren Spannungsverhältnis und in einem Widerspruch zur zentralistischen Lenkung der SFRJ durch den Bund der Kommunisten Jugoslawiens, kurz BKJ. Zwar war auch der BKJ föderativ gegliedert, jedoch führte dies keineswegs zu Pluralismus und zu einer Dezentralisierung der Machtverhältnisse. Anfang 1990 führte dieser Widerspruch zum Zerfall des BKJ und zu unterschiedlichen Entwicklungen in den jugoslawischen Republiken. In den westlich geprägten Republiken Slowenien und Kroatien wurden bereits Anfang 1990 anstelle des Einparteiensystems das Mehrparteiensystem eingeführt und die ersten freien Wahlen brachten dort einen Sieg für die antikommunistischen Kräfte. Infolgedessen wurde in diesen Republiken die Marktwirtschaft eingeführt und der Ruf nach noch mehr Autonomie vom jugoslawischen Bundesstaat laut. In Serbien und Montenegro wurden die erste Mehrparteienwahlen von den sozialistischen Nachfolgeparteien des BKJ gewonnen, die für eine Stärkung des jugoslawischen Bundesstaates auf Kosten der bisherigen Autonomie der jugoslawischen Republiken eintraten und an einer bedingten Planwirtschaft festhalten wollten.

Das auf Basis der Verfassung von 1974 geschaffene staatliche und gesellschaftliche System konnte letztendlich die grundlegenden Probleme der Nationen und Nationalitäten nicht lösen. Die weitere Dezentralisierung der staatlichen Ebenen stand zunehmend in einem unauflösbaren Spannungsverhältnis mit der Einparteienherrschaft in der SFRJ und den Sozialistischen Republiken. Überlagert wurde dieses Spannungsverhältnis von einem wirtschaftlichen Auseinanderdriften der Sozialistischen Republiken und autonomen Gebietskörperschaften. Diese mündeten dann auch in ein politisches und ideologisches Auseinanderdriften, das 1990 zunächst mit umfangreichen Änderungen der Verfassung von 1974 beginnen sollte. Mit dieser Änderung der Verfassung vom 08.08.1990 wurden die Einparteienherrschaft durch den Bund der Kommunisten beendet, das sozialistische Selbstverwaltungssystem der assoziierten Arbeit abgeschafft und marktwirtschaftliche Strukturen eingeführt. Diese Verfassungsänderungen bzw. der Systemwechsel konnten den Zerfall der SFRJ im Jahre 1991 nicht mehr aufhalten.

Wirtschaftliche Unterschiede zwischen den jugoslawischen Republiken und den autonomen Gebietskörperschaften

Slowenien und Kroatien waren die wohlhabendsten Republiken in der SFRJ. So brachte alleine Slowenien mit einem Anteil von nur 8% an der jugoslawischen Gesamtbevölkerung 23% des Bundeshaushaltes auf. Auch die wirtschaftliche Lage Kroatiens war dank der Deviseneinnahmen durch den Tourismus besonders gut. Der Verdienst der Arbeiterinnen und Arbeiter war in diesen Republiken besser, so lag der Durchschnittsverdienst in Slowenien dreimal höher als der jugoslawische Durchschnittsverdienst. Im Gegensatz dazu standen die wirtschaftlich unterentwickelten Republiken Makedonien und Montenegro, das Kosovo und andere unterentwickelte Gebiete in den Republiken Bosnien und Herzegowina und Serbien, die von den wohlhabenden Republiken mitfinanziert werden mussten. Dies war auch ein entscheidender Grund dafür warum die Republiken Slowenien und Kroatien noch mehr Autonomie im Bundesstaat wollten, während die anderen jugoslawischen Republiken an einem starken Bundesstaat festhalten wollten. Denn diese Frage hatte auch den finanziellen Hintergrund, wie viel die wohlhabenderen Republiken den ärmeren Republiken abgeben mussten. Auch setzten die wohlhabenderen Republiken Slowenien und Kroatien auf eine westlich geprägte Marktwirtschaft in einem demokratischen und pluralistischen politischen System, während die ärmeren Republiken zwar nicht unbedingt das alte System behalten wollten, jedoch eine stark sozialistisch geprägte Marktwirtschaft mit Elementen der Planwirtschaft und einen starken Staat befürworteten. Dieser Widerspruch ließ sich trotz aller Kompromissversuche nicht in einem gemeinsamen Staat auflösen. Das Ergebnis war der Zerfall der Sozialistisch Föderativen Republik Jugoslawien im Jahre 1991.

Das Ereignisse im Jahr 1991 bis zum Zerfall der SFRJ

Den ersten formellen Schritt in Richtung Unabhängigkeit vollzog die Republik Slowenien. Am 23.12.1990 stimmten in einer Volksabstimmung rund 88 Prozent der slowenischen Bürgerinnen und Bürger für ein selbstständiges und unabhängiges Slowenien. Im Januar 1991 gab die Regierung der SFRJ bekannt, dass Serbien ohne Zustimmung der Nationalbank illegal Geldmittel im Wert von 1,4 Milliarden Dollar gedruckt hatte. Das Verfassungsgericht der SFRJ hob im gleichen Monat einige Bestimmungen der slowenischen Souveränitätserklärung auf, wonach die Gesetze Sloweniens Vorrang vor den Gesetzen der SFRJ hätten. Am 09.01.1991 wies das Präsidium der SFRJ die Jugoslawische Volksarmee (JNA) an, alle paramilitärischen Gruppen zu entwaffnen, wenn diese nicht innerhalb von zehn Tagen ihre Waffen angeben würden. Nach einer Verlängerung lief dieses Ultimatum am 22.01.1991 endgültig ab und wurde weitgehend ignoriert. Besonders von Kroatien und Slowenien wurde diese Anweisung, die gegen die Stimmen aus diesen Republiken beschlossen wurde, abgelehnt. Nach Auffassung der Republiken Kroatien und Slowenien seien alle bewaffneten Einheiten im Einklang mit den Gesetzen gewesen. Der Konflikt um die bewaffneten Einheiten spitzte sich vorübergehend zu, konnte jedoch durch einen Kompromiss entschärft werden. Ende Januar 1991 musste sich der kroatische Verteidigungsminister Martin Spegelj vor der Militärpolizei der JNA verstecken und wich daher vorübergehend nach Slowenien aus. Ihm wurde vorgeworfen, gewaltsames Vorgehen gegen die serbische Minderheit in Kroatien und gegen Offiziere der JNA und ihren Familien geplant zu haben. Am 26.02.1991 erhob die Militärstaatsanwaltschaft zwar Anklage, doch wurde das Verfahren aufgrund der weiteren Entwicklung obsolet.

Im Februar 1991 kündigte Slowenien die Trennung von der SFRJ für Juni 1991 an. Eine mögliche Konföderation wurde aufgrund der „unmöglichen Bedingungen“ in den südlichen jugoslawischen Republiken ausgeschlossen. Der slowenische Vertreter im Präsidium der SFRJ Janez Drvnošek sprach im gleichen Monat dem Vorsitzenden Präsidiums Borislav Jović das Recht ab, im Namen des Präsidiums zu sprechen, ohne vorher alle Mitglieder zu konsultieren. Jović, welcher unter anderem als jugoslawisches Staatsoberhaupt und Oberbefehlshaber der Streitkräfte fungierte, hätte nach Auffassung von Drvnošek nur im Interesse Serbiens gehandelt. In der jugoslawischen Hauptstadt Belgrad wurde am 08.02.1991 ein Krisengipfel hochrangiger Politiker auf Ebene der SFRJ und der jugoslawischen Republiken abgehalten. Dabei ging es um die Zukunft der jugoslawischen Föderation. Als eine Lösung für die Staatskrise im Rahmen des Präsidiums der SFRJ nicht gefunden werden konnte, wurden zusätzlich noch die Präsidenten der jugoslawischen Republiken hinzugezogen. Weitere Treffen fanden am 13.02., 22.02., 28.03., 11.04., 18.04, 06.06. und 22./23.07.1991 statt. Auch wenn es zeitweise schien, dass eine Lösung gefunden werden könnte, blieben die Treffen im Ergebnis erfolglos. Die Republiken Kroatien und Slowenien leiteten in Folge weitere Schritte in Richtung Trennung von der SFRJ ein.

Im März 1991 verschärfte sich die Staatskrise der SFRJ zunehmend. Am 02.03.1991 ordnete Borislav Jović als Präsidiumsvorsitzender und Oberbefehlshaber die Intervention der JNA in der mehrheitlich von Serben bewohnten Stadt Pakrac in Kroatien an. Hintergrund war der Einsatz von Sondereinheiten der kroatischen Polizei in diesem Gebiet, die die kroatische Kontrolle über das Gebiet wiederherstellen sollten. Am 22.02.1991 hatte sich die Stadt dem von Serben in Kroatien proklamierten „Autonomen Gebiet Krajina“ angeschlossen, dabei waren die kroatischen Polizisten in Pakrac entwaffnet worden.  Zu einem ähnlichen Fall kam es auch im Nationalpark Plitvicer Seen in Kroatien. Nach dem serbische Nationalisten den Nationalpark am 29.03.1991 besetzt hatten, rückte am 31.03.1991 die kroatische Polizei ein, die bereits am darauffolgenden Tag von Einheiten der JNA verdrängt wurde. Die JNA verhielt sich keineswegs neutral und stellte auch nicht die ursprüngliche Ordnung wieder her. Stattdessen wurden die betroffenen Territorien der Republik Kroatien der Kontrolle der JNA unterstellt und damit der Kontrolle durch die kroatische Staatsgewalt entzogen. Am 07.03.1991 beschloss Slowenien die Entsendung von Rekruten in die JNA bis zum 15.05.1991 zu beenden und den vorgesehenen finanziellen Beitrag für die JNA um Zweidrittel bis zum 01.09.1991 zu kürzen. Im gleichen Zeitraum sollte die JNA ein Drittel ihrer Einrichtungen in Slowenien räumen.

In Belgrad kam es am 09.03.1991 zu schweren Zusammenstößen bei einer nicht genehmigten Demonstration gegen den Kommunismus und die serbische Medienpolitik. Insgesamt 70.000 bis 100.000 Menschen hatten sich an der Demonstration beteiligt. Nur durch den Einsatz der JNA, die verfassungsgemäß auch die sozialistische Ordnung zu schützen hatte, konnte die Demonstration gewaltsam aufgelöst werden. Dieser umstrittene Einsatz hatte zwei Tote zur Folge. Auch war die gesellschaftliche Ordnung bereits großen Änderungen unterworfen, so dass ein Verfassungsauftrag der JNA fragwürdig schien. Vielmehr ging es bei dem Einsatz der JNA um den Machterhalt der politischen Führung in Serbien. Zu einem weiteren Versuch, die JNA in die Auseinandersetzungen um die Zukunft der SFRJ mit einzubeziehen, kam es am 15.03.1991 mit dem Rücktritt von Borsislav Jović aus dem Präsidium der SFRJ und als dessen Vorsitzender. Begründet hatte er seinen Rücktritt damit, dass er Sondermaßnahmen durch die Armee und gegen die slowenischen Beschlüsse in Richtung Souveränität nicht durchsetzen konnte. Tatsächlich dürfte es jedoch um ein vorsätzlich herbeigeführtes Machtvakuum gegangen sein, um die JNA ins Spiel zu bringen. Die JNA wollte jedoch ohne politische Rückendeckung nicht tätig werden und so wurde am 20.03.1991 der Rücktritt Jović abgelehnt. Durch die verfassungswidrige Gleichschaltung der autonomen Gebietskörperschaften Kosovo und Vojvodina in Serbien und durch die pro-serbische Haltung Montenegros entstand eine Pattsituation im Präsidium der SFRJ: vier Stimmen hatte der pro-serbische Block, vier die anderen. Insgesamt war jede der sechs jugoslawischen Republiken sowie jede der zwei autonomen Gebietskörperschaften im Verband Serbiens mit einer Stimme im Präsidium vertreten.

Am 02.04.1991 forderte das Verteidigungsministerium der SFRJ die Republik Kroatien ultimativ auf, seine Polizeieinheiten aus dem Gebiet des Nationalparks Plitvicer Seen zurückzuziehen. Am 13.05.1991 stimmten in einem Referendum 99 % der serbischen Teilnehmer für eine Trennung der Krajina („Autonomen Gebiet Krajina“) von Kroatien und für einen Anschluss an Serbien. Das serbische Parlament lehnte diesen Anschluss jedoch ab, doch blieb die Krajina faktisch unabhängig von Kroatien und unter dem Schutz der JNA. Am 09.05.1991 ermächtigte das Präsidium der SFRJ die JNA einstimmig zum Vorgehen gegen Bürgerwehren in Unruhegebieten und forderte ein sofortiges Ende jede Gewaltanwendung. Etwa ein Drittel der Republik Kroatien stand unter der Kontrolle der JNA, die immer offener auf Seiten der Serben und gegen ihren eigentlichen verfassungsmäßigen Auftrag zur Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung agierte. Mittlerweile sickerten auch Freischärler aus der Republik Serbien ein, um den kroatischen Serben beizustehen, ohne dass geeignete Maßnahmen dagegen unternommen wurden. Das Verhältnis zwischen der JNA und der Republik Kroatien war sehr gespannt, immer wieder kam es zu Zwischenfällen.

Nach dem Ende der Amtszeit von Borislav Jović am 15.05.1991 hätte der kroatische Vertreter Stipe Mesić im Präsidium zu seinem Nachfolger gewählt werden müssen. Allerdings blockierte der pro-serbische Block bis zum Juli 1991 seine Wahl, da bei der Abstimmung immer ein Patt herrschte. Damit wurde nicht nur gegen die Geschäftsordnung des Präsidiums verstoßen, sondern die SFRJ hatte auch kein Staatsoberhaupt und die JNA keinen Oberbefehlshaber mehr. So war die Arbeit des Präsidiums bis auf Weiteres blockiert. Die jugoslawischen Republiken bereiteten sich auf die weitere Entwicklung vor. Allerdings gab es immer wieder Bemühungen zur Entschärfung der Krise. Am 19.05.1991 entschieden die kroatischen Bürgerinnen und Bürger in einer Volksabstimmung über die Unabhängigkeit der Republik Kroatien von der SFRJ. Bei einer Beteiligung von 83,56 Prozent stimmten 93,24 Prozent der Abstimmenden für die Unabhängigkeit Kroatiens. Damit lag nach Slowenien auch ein eindeutiges Votum aus Kroatien in dieser Frage vor.

Im Juni 1991 unternahmen der Präsident von Bosnien und Herzegowina, Alija Izetbegović, und der Präsident der Republik Makedonien, Kiro Gligorov, einen letzten Versuch, die jugoslawische Föderation als reformierten Bundesstaat zu erhalten. Am 03.06.1991 veröffentlichten beide Präsidenten einen Vorschlag für eine Reform des jugoslawischen Bundesstaates. Dieser Vorschlag versuchte die Vorstellungen Sloweniens und Kroatiens, die der jugoslawischen Bundesregierung unter Ante Marković und die des serbischen Blocks (Serbien mit seinen zwei autonomen Gebietskörperschaften und Montenegro) unter einen Hut zu bringen. Nach ihm sollte Jugoslawien als loser Staatenverband, der weder eine klassische Föderation noch eine klassische Konföderation sein sollte, seine Souveränität, seine internationale Identität und seine äußeren Grenzen behalten, ein einheitliches Wirtschaftsgebiet mit gemeinsamer Währung, gemeinsamer Armee und Außenpolitik bilden, gleichzeitig sollten aber auch die Mitgliedsstaaten souverän sein und sogar diplomatische Missionen im Ausland unterhalten können. Dieser Vorschlag wurde bei einem Treffen der Präsidenten der sechs jugoslawischen Republiken in Sarajevo am 06.06.1991 auch positiv aufgenommen und diskutiert, doch von der weiteren Entwicklung im Juni 1991 überholt. Einen letzten Rettungsversuch unternahm auch der jugoslawische Ministerpräsident Ante Marković, als er im slowenischen Parlament sprach, wo ihm ein kühler Empfang bereitet wurde.

Am 15.06.1991 erklärten die Republiken Kroatien und Slowenien, dass beide bis zum 26.06.1991 ihre Unabhängigkeit von der SFRJ erklären würden. Des Weiteren erklärten sie, dass die Unabhängigkeitserklärungen nicht in vollem Umfang wirksam würden, sondern dass die damit verbundenen Schritte in Verhandlungen umgesetzt würden. Spitzenpolitiker der Republik Makedonien kündigten ebenfalls einen Austritt aus der SFRJ an, ohne ein konkretes Datum zu nennen. Allerdings widersprach der damalige makedonischen Staatspräsident Kiro Gligorov am 30.06.1991 noch diesem Vorhaben. Nach seiner damaligen Auffassung wolle die Republik Makedonien nicht dem Beispiel  Kroatiens und Sloweniens folgen und bliebe der jugoslawischen Idee verbunden. Allerdings wurde diese Auffassung von der weiteren Entwicklung überholt. Am 19.06.1991 scheiterte die Verabschiedung des Haushaltsplanes der SFRJ an den Einsprüchen von Kroatien und Slowenien. Damit war die Finanzierung der Institutionen der SFRJ gefährdet. Der jugoslawische Verteidigungsminister Veljko Kadijević kündigte am 22.06.1991 hinsichtlich der sich abzeichnenden Abspaltung von Kroatien und Slowenien an, die JNA werde alle einseitigen Akte verhindern, die ein Ende der SFRJ bedeuten könnten. Einen letzten Appell zur Einheit der SFRJ formulierte der jugoslawische Ministerpräsident Ante Marković am 24.06.1991.

Der endgültige Zerfall der SFRJ

Einen Tag früher als erwartet, erklärten die Republiken Kroatien und Slowenien am 25.06.1991 ihre Unabhängigkeit von der SFRJ. Eine entsprechende Entscheidung trafen die Parlamente der beiden Republiken mit großer Mehrheit. Die jugoslawische Bundesregierung unter Ante Marković erklärte am 26.06.1991 diese Schritte für illegitim, illegal sowie für „null und nichtig“ und kündigte unter anderem den Einsatz der JNA zur „Sicherung der Grenzen auf den Gebiet Sloweniens“ an. Zu ersten Zusammenstößen zwischen der JNA und der slowenischen Territorialverteidigung kam es am 27.06.1991. Damit hatte der Krieg auf den Gebiet der sich auflösenden SFRJ begonnen. Während der Krieg in Slowenien mit dem Abzug der JNA und der faktischen Anerkennung ihrer Unabhängigkeit durch das Präsidium der SFRJ am 18.07.1991 endete, sollte es für Kroatien bis Ende 1995 dauern, bis ein Friedensabkommen erzielt wurde. Ein weiterer Krieg begann im März/April 1992 in Bosnien und Herzegowina und endete ebenfalls im Dezember 1995 durch einen Friedensvertrag.

Nach Kroatien und Slowenien erklärten am 18.09.1991 die Republik Makedonien und am 03.03.1992 die Republik Bosnien und Herzegowina ihre Unabhängigkeit von der SFRJ. In beiden Republiken hatten sich die Bürgerinnen und Bürger zuvor in Volksabstimmungen mit deutlicher Mehrheit für die Unabhängigkeit ausgesprochen, wobei im Falle von Bosnien und Herzegowina die dortigen Serben mit großer Mehrheit gegen die Volksabstimmung waren und sie boykottierten. Es gab viele internationalen Vermittlungsbemühungen, die Krise zu entschärfen bzw. zu beenden. Des Weiteren gab es auch Friedenskonferenzen, an denen Vertreter der SFRJ und der jugoslawischen Republiken teilnahmen. Allerdings brachten diese keine Lösung für den Konflikt um den Zerfall der SFRJ. Zunehmend zogen Bosnien und Herzegowina, Kroatien, Makedonien und Slowenien ihre Vertreter aus den Institutionen der SFRJ ab. Am 05.12.1991 trat der noch am 01.07.1991 gewählte Vorsitzende des Präsidiums der SFRJ, Stipe Mesić, zurück und am 20.12.1991 der jugoslawische Ministerpräsident Ante Marković. Übrig blieben in den Institution der SFRJ nur noch die Serben und Montenegriner.

Ein aus Verfassungsrechtlern bestehender Schiedsausschuss der damaligen Europäischen Gemeinschaft (EG) stellte am 08.12.1991 fest, dass sich Jugoslawien rechtlich gesehen „im Prozess der Auflösung“ befände. Bereits am 23.12.1991 erkannte Deutschland als erster Staat der Welt mit Wirkung zum 14.01.1992 die Republiken Kroatien und Slowenien an, welche am 14.01.1992 auch von den anderen EG-Mitgliedsstaaten anerkannt wurden. Die Anerkennung von Bosnien und Herzegowina erfolgte ab April 1992. Die der Republik Makedonien aufgrund des Namensstreits mit Griechenland in größerem Umfang erst ab April 1993. Die SFRJ bestand seit März 1992 nur noch aus Serbien und Montenegro, welche sich auf die Bildung einer neuen jugoslawischen Föderation verständigten. Mit der Proklamation der „Bundesrepublik Jugoslawien“, bestehend aus Serbien und Montenegro, am 27.04.1992 endete die Ära der SFRJ. Zwar verstand sich die Bundesrepublik Jugoslawien als Rechtsnachfolgerin der SFRJ, doch wurde dies international nicht anerkannt. Auf Empfehlung des UN-Sicherheitsrates wurde am 22.09.1992 von der UN-Generalversammlung beschlossen, dass die Bundesrepublik Jugoslawien nicht die alleinige  Rechtsnachfolgerin der SFRJ sei und damit ihren Sitz in der UN nicht mehr wahrnehmen dürfe. Vielmehr sei die Bundesrepublik Jugoslawien zusammen mit Bosnien und Herzegowina, Kroatien, Makedonien und Slowenien Rechtsnachfolgerin der nicht mehr bestehenden „Sozialistisch Föderativen Republik Jugoslawien“ („SFRJ“).

Fazit

Der gemeinsame Staat der südslawischen Völker als „Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen“ wurde am 01.12.1918 gegründet. Am 03.10.1929 wurde dieser Staat in „Königreich Jugoslawien“ umbenannt. Dieser Staat war serbisch dominiert, zentralistisch organisiert und nahm auf die Besonderheiten der einzelnen jugoslawischen Völker keinerlei Rücksicht. Dies führte vor allem zu Widerstand bei den nichtserbischen Volksgruppen, wie etwa bei den Kroaten oder den ethnischen bzw. slawischen Makedoniern. Der erste jugoslawische Staat (1918 – 1941) zerfiel nicht nur aufgrund des Angriffes der Deutschen Wehrmacht am 06.04.1941 und der anschließenden Zerschlagung des Königreiches Jugoslawien durch die Besatzer, sondern auch aufgrund seiner inneren Zerrissenheit. Die gewaltsame Unterdrückung von nationalen Gegensätzen im Königreich Jugoslawien entfremdete viele Volksgruppen von diesem ersten jugoslawischen Staat. Während des Zweiten Weltkrieges gewannen ab 1943 die kommunistischen Partisanen unter Josip Broz Tito die Oberhand auf dem Gebiet des Königreiches Jugoslawien und ab 1945 die alleinige politische Macht. Die nationalen Gegensätze sollten nicht mehr unterdrückt, sondern in einem föderativen System kanalisiert werden. Am 29.11.1945 wurde die „Föderative Volksrepublik Jugoslawien“ proklamiert, die am 07.03.1963 in „Sozialistisch Föderative Republik Jugoslawien“ umbenannt wurde. Dem föderativen System standen jedoch ein Einparteiensystem und ein politischer Zentralismus durch den Bund der Kommunisten Jugoslawiens gegenüber. Dies führte im gewissen Sinne zu einer analogen Situation wie einst im ersten jugoslawischen Staat und zum Aufbrechen von nationalen Gegensätzen aufgrund eines in sich widersprüchlichen Systems. Schon der ehemalige amerikanische Präsident Abraham Lincoln (1809 – 1865) stellte fest: „Ein in sich gespaltenes Haus kann keinen Bestand haben.“ Auf die jugoslawische Situation übertragen bedeutet dies: Ein staatliches System kann keinen Bestand haben, wenn es auf Dauer auf der einen Seite extrem föderalistisch organisiert ist und auf der anderen Seite ohne Pluralismus und zentralistisch geführt wird. Es wird entweder ausschließlich das eine System oder ganz das andere haben oder im Ergebnis komplett scheitern. Auch der zweite jugoslawische Staat (1945 – 1991/1992) ist gescheitert. Einen dritten jugoslawischen Staat als Gemeinschaft aller südslawischen Völker wird es sehr wahrscheinlich nicht mehr geben. Dennoch ist die Einheit aller südslawischen Völker unter einem Dach nicht illusorisch. Eines Tages dürften alle südslawischen Völker unter dem Dach der Europäischen Union (EU) vereint sein. Es bleibt zu hoffen, dass bis dahin alle noch vorhandenen Gegensätze behoben sein werden. So müssen vor allem die Kosovo-Frage sowie die staatsrechtliche Organisation von Bosnien und Herzegowina noch abschließend geklärt werden. Die Kosovo-Frage ist mit eingebunden in die allgemeine albanische Frage, die das völker- und staatsrechtliche Schicksal der albanischen Volksgruppe außerhalb des albanischen Staates betrifft. Diese Frage betrifft insbesondere auch die Republik Makedonien, in der die albanische Volksgruppe einen Anteil von rund 25 % an der Gesamtbevölkerung ausmacht. Die Anerkennung der ethnischen bzw. slawischen Makedonier erfolgte im Jahr 1943 im Rahmen eines föderativen Jugoslawien. Diese Anerkennung und die Etablierung eines makedonischen Staates im Rahmen eines föderativen Jugoslawiens führten zu einer relativ erfolgreichen Klärung der makedonischen Frage auf staatsrechtlicher Ebene. Die unabhängige Republik Makedonien und die Anerkennung einer makedonischen Nation können auch auf völkerrechtlicher Ebene zu einer endgültigen Klärung der makedonischen Frage führen.