In der Republik Türkei fand am 16. April 2017 eine Volksabstimmung über 18 Änderungen der türkischen Verfassung von 1982 statt. In diesem Referendum ging es um einen verfassungsrechtlichen Umbau des Staates von einem parlamentarischen System zu einem Präsidialsystem. Nach dem vorläufigen amtlichen Ergebnisse stimmten 51,36 Prozent der Bürgerinnen und Bürger der Republik Türkei für diese Verfassungsänderungen, 48,64 Prozent dagegen. Die Abstimmungsbeteiligung lag bei etwa 86 Prozent. Das endgültige amtliche Ergebnis wird in etwa 11 Tagen vorliegen. Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan erklärte sich zum Sieger der Abstimmung. Die Opposition erhebt Vorwürfe wegen Manipulationen und Unregelmäßigkeiten bei der Abstimmung. Sie möchte das Abstimmungsergebnis daher anfechten. Wirksam werden die Verfassungsänderungen bei der nächsten Parlaments- und Präsidentenwahl, welche dann zeitgleich stattfinden. Ob es zu vorgezogenen Parlaments- und Präsidentenwahlen kommt ist noch offen. Regulär würden diese Wahlen erst am 03. November 2019 stattfinden.
Konkret wurden folgende Änderungen beschlossen:
·Die Zahl der Parlamentssitze wird von 550 auf 600 erhöht.
·Das passive Wahlrecht wird von 25 auf 18 Jahre herabgesetzt. Das aktive Wahlrecht liegt bereits bei 18 Jahren.
·Der Ministerrat wird als Staatsorgan abgeschafft, womit auch das Amt des Ministerpräsidenten entfällt.
·Die Befugnisse des Ministerrats werden auf den Staatspräsidenten übertragen, nicht aber das Gesetzesinitiativrecht mit Ausnahme des Haushaltsgesetzes.
·Misstrauensvotum und Vertrauensfrage werden abgeschafft. Als einziges Kontrollmittel bleibt das Ermittlungsverfahren, das gegenüber dem Präsidenten auch auf gewöhnliche Straftaten erstreckt wird.
·Der Präsident ernennt und entlässt die Minister nach Belieben ohne Mitwirkung des Parlaments.
·Der Präsident ernennt und entlässt seine Stellvertreter, deren Anzahl in der Verfassung nicht begrenzt ist.
·Die Wahlen zur Großen Nationalversammlung und zum Präsidenten der Republik Türkei haben alle fünf Jahre am gleichen Tag zu erfolgen. Die nächsten regulären Wahlen würden am 03. November 2019 erfolgen, wenn es keine vorgezogenen Wahlen geben sollte.
·Der Präsident kann das Parlament vorzeitig auflösen. Dasselbe Recht hat das Parlament mit 3/5-Mehrheit. In beiden Fällen ist auch über das Amt des Präsidenten eine Neuwahl abzuhalten.
·Der Präsident hat das Recht, präsidiale Verordnungen zu erlassen. Dadurch kann u. a. aber nicht in Grundrechte eingegriffen werden, die Verordnungen dürfen Gesetzen nicht widersprechen und treten außer Kraft, wenn über den Gegenstand der Verordnung das Parlament ein Gesetz beschließt.
·Die Rechtsverordnung mit Gesetzeskraft, mit welcher der Ministerrat aufgrund Ermächtigung und mit nachträglicher Kontrolle durch das Parlament auch Gesetze ändern konnte, entfällt.
·Das suspensive Veto des Präsidenten soll zukünftig nicht mehr mit einfacher Mehrheit der anwesenden Mitglieder, sondern nur mit der Mehrheit der Gesamtzahl der Mitglieder überstimmt werden können.
·Der Staatspräsident soll Mitglied einer Partei sein können. Im Ergebnis kann er damit auch Vorsitzender einer Partei werden oder bleiben.
·Der Rat der Richter und Staatsanwälte, der erst 2010 von 7 auf 22 Personen aufgestockt wurde, soll wieder auf 13 Mitglieder verkleinert werden. Dessen Mitglieder sollen künftig ausschließlich von Präsident und Parlament bestimmt werden, wobei jedes Organ jeweils die Hälfte der Mitglieder bestimmt. Ein Mitwirkungsrecht der Richterschaft, der Justizakademie, des Kassationshofs und des Staatsrats entfällt. Einen zusätzlichen Einfluss auf dieses Gremium gewinnt der Präsident dadurch, dass der Justizminister als Vorsitzender und sein Staatssekretär Mitglieder dieses Gremiums bleiben. Die Anzahl der vom Staatspräsidenten zu ernennenden Richter bleibt allerdings unverändert.
·Verfassungsrechtlich wird neben der ohnehin geltenden Unabhängigkeit zusätzlich ausdrücklich die Unparteilichkeit der Richter festgeschrieben.
·Die Militärgerichtsbarkeit wird aufgehoben.
·Im Notstandsrecht entfällt die bisher vorhandene Form der Ausnahmezustandsverwaltung, in welcher das Militär in die Verwaltung eingreifen darf.
·Die praktisch nicht relevante Ausnahme von Akten des Präsidenten von der gerichtlichen Nachprüfbarkeit entfällt.
Das Verfassungsreferendum ist politisch und rechtlich umstritten. Nach dem gescheiterten Militärputsch vom 15. Juli 2016 wird massiv gegen mutmaßliche Beteiligte, Oppositionelle, regierungskritische Personen, Vertreter der Medien und andere Gegner von Präsident Recep Tayyip Erdoğan vorgegangen. Seit dem Putsch wurden mehr als 130.000 Staatsbedienstete als angebliche Verschwörer entlassen. Etwa 98.000 Personen wurden festgenommen, die Hälfte von ihnen in Untersuchungshaft behalten. Die Befürworter des Präsidialsystems waren in der Öffentlichkeit, vor allen in den Medien, überrepräsentiert, während die Gegner massiv behindert wurden. Des Weiteren fand die Abstimmung unter den Bedingungen des Ausnahmezustands statt. Es herrschten keine fairen Rahmenbedingungen bei der Abstimmung. Trotz der starken Präsenz der Befürworter in der Öffentlichkeit, in den Medien und in den staatlichen Institutionen ist das Ergebnis äußerst knapp ausgegangen. Befürworter und Gegner bilden in etwa zwei gleich große Lager.
Präsident Recep Tayyip Erdoğan regiert die Republik Türkei sehr autoritär. Er duldet keine Kritik und keinen Widerspruch an seiner Person und Politik. Demokratische und rechtsstaatliche Grundsätze werden massiv missachtet, die Freiheit der Presse ebenfalls massiv eingeschränkt. Des Weiteren entfernt sich Recep Tayyip Erdoğan immer mehr von den Staatsgrundsätzen der Republik Türkei (der sogenannte Kemalismus), welche von Atatürk (1881 – 1938), dem Gründer der Republik Türkei (Gründungsdatum: 29. Oktober 1923), geprägt wurden.