Als erster türkischer Staatspräsident seit 65 Jahren besuchte Recep Tayyip Erdoğan am 07. und 08. Dezember 2017 seinen Nachbarn Griechenland. Dieser Besuch gilt als historisch, auch wenn die bestehenden Meinungsverschiedenheiten offen angesprochen wurden und bisher nicht gelöst werden konnten. Doch wurden erstmals allen bilateralen Streitigkeiten des griechisch-türkischen Gegensatzes mit dieser Offenheit auf den Tisch gelegt.
In der griechischen Bevölkerung wurde der Staatsbesuch mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Im Fokus der Gespräche standen die Rechte der muslimischen Minderheit in Thrakien und die acht türkischen Offiziere, welche mit dem Hubschrauber nach dem gescheiterten Militärputsch in der Türkei nach Griechenland geflohen sind. Diese hatten nach entsprechenden Entscheidungen der zuständigen Gerichte Asyl in Griechenland erhalten. Nach Auffassung der Gerichte drohe ihnen in der Türkei kein faires Verfahren und möglicherweise auch Folter. Die Türkei verlangt ihre Auslieferung.
Der türkische Gast sprach den Vertrag von Lausanne an, welcher im Jahre 1923 geschlossen wurde. Dieser regelt unter anderem die Grenzen zwischen Griechenland und der Türkei sowie den Umgang mit den Angehörigen der griechischen und der türkischen Volksgruppe im jeweils anderen Staat. Nach Auffassung der Türkei sei der Vertrag in bestimmten Punkten von der Realität überholt, so dass Nachbesserungsbedarf bestehen würde. So hätte die türkische Minderheit im griechischen Thrakien nicht die gleichen Rechte wie die Griechen in der Türkei. Des Weiteren würden sie in Griechenland als muslimische Minderheit bezeichnet, obwohl sie eine nationale, türkische Minderheit seien. Griechenland wies die türkischen Einwände zurück. Nach griechischer Auffassung bestehe kein Änderungsbedarf beim Vertrag von Lausanne. Stattdessen sprach Griechenland die Zypern-Frage und die Luftraumverletzungen in Griechenland durch türkische Kampfflugzeuge an.
Die Flüchtlingskrise
Sowohl Griechenland als auch die Türkei sind in besonderen Maßen von der Flüchtlingskrise betroffen. Zwischen der Europäischen Union (EU) und der Türkei wurde ein Flüchtlingspakt geschlossen. Im Kern geht es bei diesem Flüchtlingspakt darum, dass die Türkei illegal in die EU eingereiste Flüchtlinge wieder zurücknimmt. Dafür darf ein bestimmtes Kontingent an Migranten und Flüchtlingen legal in die EU einreisen. Des Weiteren erhält die Türkei finanzielle Unterstützung von Seiten der EU zur Umsetzung des Paktes. Der türkische Präsident zeigte Verständnis dafür, dass illegal vom türkischen Festland aus eingereiste Flüchtlinge vorläufig auf das griechische Festland umgesiedelt würden. Damit sollen die griechischen Inseln in der Ostägäis entlastet werden. Offiziell verbietet der Pakt zwischen der EU und der Türkei eine entsprechende Maßnahme jedoch. Nach diesem Pakt dürfen nur anerkannte Flüchtlinge das Festland betreten. Alle anderen müssen in die Türkei zurückgeschickt werden. Vereinbart wurden auch der Ausbau von Infrastrukturen und die Durchführung des griechisch-türkischen Kooperationsrates.
Ehrliche und intensive Gespräche
Die Gespräche in Athen begangen zunächst etwas angespannt, da der türkische Präsident direkt am Anfang der Gespräche den Vertrag von Lausanne in Frage stellte. Diplomatisch war dies nicht besonders klug. Bereits im vorherigen Jahr sprach Recep Tayyip Erdoğan den Vertrag an und sprach von unfairen Bedingungen. Der griechische Staatspräsident Prokopis Pavlopoulos wies die Kritik des türkischen Präsidenten klar und offen zurück. Nach der Auffassung des griechischen Präsidenten brauche der Vertrag weder aktualisiert noch überarbeitet werden. Es sei nicht verhandelbar. Bei dem anschließenden Gespräch zwischen dem türkischen Staatspräsidenten und dem griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras glätteten sich die Wogen wieder. Die Gespräche zwischen den beiden seien ehrlich und intensiv verlaufen. Der griechische Ministerpräsident brachte zum Ausdruck, dass Griechenland die Demokratie in der Türkei sowie die europäische Perspektive der Türkei unterstützte. Über den Putschversuch in der Türkei im Juli 2016 brachte Alexis Tsipras seine Abscheu zum Ausdruck. Zwar seien die nach Griechenland geflohenen türkischen Offiziere nicht willkommen, können jedoch aufgrund der Entscheidung der zuständigen griechischen Gerichte nicht an die Türkei ausgeliefert werden. In diesem Zusammenhang bekräftige Erdoğan, dass die Todesstrafe in der Türkei verboten sei und keine Folter durchgeführt würde. Er hoffe, dass die griechischen Gerichte Verständnis dafür zeigen würden.
Bilaterale Streitpunkte
Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras stellte fest, dass der Vertrag von Lausanne das Fundament für die bilateralen Beziehungen zwischen Griechenland und der Türkei sei. In diesem Zusammenhang bekräftigte der türkische Staatspräsident Erdoğan, dass die Türkei keine territorialen Ansprüche gegenüber anderen Staaten habe. Nach Auffassung von Tsipras würden die religiösen Rechte der muslimischen Minderheit in Thrakien absolut respektiert werden. Besonders das regierende Bündnis der Radikalen Linken (SYRIZA), dessen Vorsitzender Alexis Tsipras ist, würde sich für Minderheiten und deren Rechte einsetzen. Allerdings sei die muslimische Minderheit in Thrakien eine innergriechische Angelegenheit.
Die Luftraumverletzungen durch türkische Kampfflugzeuge
Ein wichtiges Thema waren auch die Luftraumverletzungen in Griechenland durch türkische Kampfflugzeuge. Nach Aussage des griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras seien diese Luftraumverletzungen eine Gefahr für die griechisch-türkischen Beziehungen und für die griechischen Piloten. In dieser Frage blieb der türkische Präsident Erdoğan ausweichend und diplomatisch. Nach seiner Auffassung seien die Themen, welche die Ägäis beträfen, schwierig. Jedoch bestehe die Möglichkeit, dass diese Probleme gelöst werden. In der Zypern-Frage bekräftigte der griechische Ministerpräsident, dass Griechenland sich offiziell für einen bi-nationalen Bundesstaat Zypern aus einem griechischen und einem türkischen Teilstaat einsetze. Dieser Staat würde ohne Garantiemächte und ausländische Truppen auskommen und könne die Sicherheit der griechischen und türkischen Zyprer bzw. Zyprioten garantieren.
Die griechische Opposition zum Staatsbesuch von Erdoğan
Am Nachmittag des 07. Dezember 2017 fand ein Treffen zwischen Erdoğan und dem Vorsitzenden der größten Oppositionspartei Nea Dimokratia (ND) Kyriakos Mitsotakis statt. Nach Auffassung von Mitsotakis müsse das internationale Recht beachtet werden. Von den übrigen Oppositionsparteien kam überwiegend Kritik. So sei dieser Staatsbesuch nicht notwendig und zugleich schleicht organisiert gewesen.
Besuch bei der muslimischen Minderheit
Am 08. Dezember 2017 reiste der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan in die griechisch-thrakische Stadt Komotini, wo er sich mit Vertretern der muslimischen Gemeinde traf. Dabei nahm Erdoğan auch am Freitagsgebet in einer Moschee teil. Am 08. Dezember 2017 endete dann der offizielle Staatsbesuch von Recep Tayyip Erdoğan in Griechenland.