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Vor einem Jahr: Das formelle Ende des Kulturstreits um „Makedonien“

Vor einem Jahr, am 17. Juni 2018, unterzeichneten Griechenland und die Republik Makedonien das Prespa-Abkommen zur Lösung des Kultur- und Namensstreits um „Makedonien“. Dieses nach dem Ort der Unterzeichnung benannte Abkommen kann als historisch angesehen werden. Es beendet den seit Mai 1991 bestehenden Namensstreit, welcher ein Symptom eines bereits seit Jahrhunderten bestehenden Kulturstreits um Makedonien war. Die hohe Bedeutung des Vertrages wird daher auch erst aus diesem Sachzusammenhang deutlich, denn dieser Vertrag beendet formell diesen Kulturstreit. Bereits vor rund zwei Jahren, am 01. August 2017, wurde auch der Kulturstreit zwischen Bulgarien und der Republik Makedonien beendet. Damit setzten Bulgarien, Griechenland und die Republik Makedonien bzw. Republik Nord-Makedonien im Ergebnis endlich einen formellen Schlusspunkt unter dem Kulturstreit um Makedonien und schufen damit einen Rahmen für die endgültige Beantwortung der makedonischen Frage.

Mit der Implementierung des Vertrages von Prespa durch eine Änderung der Verfassung der Republik Makedonien am 11. Januar 2019 und mit dessen Ratifizierung im griechischen Parlament am 25. Januar 2019 wurde dieser im Februar 2019 wirksam. Seit dem 12. Februar 2019 heißt die Republik Makedonien nun offiziell „Republik Nord-Makedonien“. Ob dieser Vertrag in der Rückschau einmal als historisch bezeichnet werden kann, hängt von seiner erfolgreichen Umsetzung durch die verantwortlichen Akteure ab. Die Chance dazu als historisch eingestuft zu werden,hat das Prespa-Abkommen, auch wenn es auf beiden Seiten umstritten ist. Doch oft haben sich umstrittene Entscheidungen in der Geschichte letztendlich als folgerichtig erwiesen und nach meiner Auffassung könnte es auch in diesem Fall so sein. 

Die Bedeutung der vertraglichen Lösung

Im Fokus der Lösung steht natürlich die Namensänderung von Republik Makedonien zu Republik Nord-Makedonien. Allerdings ist dies aus meiner Sicht Symbolpolitik für Griechenland und nicht der eigentliche Teil der Lösung. Ich bin sogar fest davon überzeugt, dass diese Namensänderung völlig überflüssig war und Griechenland sogar mit der ursprünglichen Bezeichnung besser gefahren wäre. Es besteht daher aus meiner Sicht zumindest die Chance, dass sich Griechenland und die Republik Nord-Makedonien in Zukunft im Rahmen von Verhandlungen unter ganz anderen Rahmenbedingungen wieder auf die ursprüngliche Staatsbezeichnung „Republik Makedonien“ verständigen könnten. Die jetzige Staatsbezeichnung Nord-Makedonien suggeriert ein geteiltes Ganzes, während die vorherige Staatsbezeichnung eine klar definierte und abgeschlossene Einheit definierte. Des Weiteren wäre die geografische Abgrenzung zum griechischen Teil von Makedonien auch ohne geografische Spezifizierung ersichtlich. Die kulturellen Unterschiede lassen sich hingegen nicht daraus ableiten. 

Die hohe Bedeutung des Vertrages liegt vor allem in der inhaltlichen Klärung der makedonischen Frage. Diese soll objektiv-wissenschaftlich im Rahmen eines Expertengremiums erfolgen, welches paritätisch durch Griechenland und der Republik Nord-Makedonien besetzt worden ist und bereits seine Arbeit aufgenommen hat. Ähnliches wurde bereits zuvor auch zwischen Bulgarien und der Republik Nord-Makedonien vereinbart. Auch hier hat das entsprechende Gremium bereits seine Arbeit aufgenommen. Die objektiv-wissenschaftliche Klärung von historischen und kulturellen Sachverhalten soll im Rahmen der Bildungspolitik und der offiziellen Informationspolitik der drei Staaten umgesetzt werden. So sollen auch die Lehrmaterialien überarbeitet werden. Ein sehr wichtiger Aspekt des Kulturstreits wurde durch beide Verträge auch geklärt: Bulgarien und Griechenland erkennen implizit eine makedonische Kulturnation als Ausdruck des Selbstbestimmungsrecht des Volkes der Republik Nord-Makedonien an. Die Sprache „Makedonisch“ wird ebenfalls anerkannt. 

Griechenland und die Republik Nord-Makedonien erkennen durch das Prespa-Abkommen erstmals formell die kulturelle Vielseitigkeit Makedoniens und der makedonischen Bevölkerung an. Im Abkommen werden die Begriffe „Makedonien“, „Makedonierin bzw. Makedonier“, „Makedonisch“ und „makedonisch“ nicht mehr exklusiv im Sinne einer Partei kulturell definiert. Vielmehr wird durch beide Parteien anerkannt, dass hinter diesen Begriffen verschiedene kulturelle und historische Kontexte stehen. Eine entsprechende Übereinkunft gibt es auch in dem Vertrag zwischen Bulgarien und der Republik Nord-Makedonien. Nach dieser können historische Sachverhalte und Personen auch beiden Parteien zugeordnet werden, so dass einem Streit darüber die Grundlagen entzogen wird. Tatsächlich sind die Entwicklung und Geschichte von Bulgarien und Makedonien teilweise verwoben und lassen sich nicht komplett voneinander trennen. 

Lösungsmodell von 2008

Bereits am 22. April 2008 veröffentlichte ich einen Lösungsvorschlag zur Überwindung des Kultur- und Namensstreits, welcher am 04. Februar 2009 überarbeitet wurde und Eingang in meine Abhandlung „Die erweiterte makedonische Frage als völkerrechtliches Problem“ vom 06. August 2009 fand. Diese Abhandlung wurde noch einmal überarbeitet und ist bis heute in der Version vom 06. August 2010 veröffentlicht. In Zusammenarbeit mit Goran Popcanovski wurde dieses Modell immer mehr verfeinert und ausdifferenziert. Die Eckpunkte unseres Lösungsmodells sind:• Die makedonische Frage soll im Rahmen eines neutralen und unabhängigen Expertengremiums unter Beteiligung der betroffenen Parteien objektiv-wissenschaftlich geklärt werden.• Diese objektiv-wissenschaftliche Klärung soll von beiden Parteien im Rahmen ihrer nationalen Bildungs- und Informationspolitik umgesetzt werden.• Griechenland akzeptiert den verfassungsmäßigen Namen der Republik Makedonien, kann im bilateralen Verkehr zu ihr jedoch eine hiervon abweichende Bezeichnung benutzen. Des Weiteren erkennt Griechenland die ethnischen bzw. slawischen Makedonier als Nation an.• Die Republik Makedonien erkennt die Bedeutung des antiken Makedoniens für die griechische Kultur und Geschichte an und erhebt niemals Ansprüche auf den griechischen Teil von Makedonien.• Beide Seiten erkennen an, dass die Begriffe „Makedonien“, „Makedonierin bzw. Makedonier“, „Makedonisch“ und „makedonisch“ zu unterschiedlichen Zeiten auch eine unterschiedliche kulturelle und personelle Bedeutung gehabt haben. Jede der Parteien darf sich bezüglich dieser Begriffe nur auf dem jeweils ihr zugehörigen kulturellen und historischen Kontext bzw. ihren Anteil an der makedonischen Kultur und Geschichte beziehen. Die genauen Abgrenzungen sollen im Rahmen des Expertengremiums erfolgen.• Das Expertengremium soll durch einen Vertrag zwischen beiden Parteien oder durch Beschluss des UN-Sicherheitsrates eingesetzt werden. 

Dieses Lösungsmodell wurde von uns favorisiert, dafür haben wir uns dann auf vielfache Weise eingesetzt. So schickten wir dieses Lösungsmodell an die Regierungen der betroffenen Staaten, auch an die Europäischen Union (EU) und die Vereinten Nationen (UN). Des Weiteren wurde die deutsche und österreichische Bundesregierung ebenfalls um Mitwirkung gebeten. In einer Petition an den Deutschen Bundestag vom 20. August 2009 setzte ich mich für einen aktiven und intensiven Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zur Klärung der Namensfrage und zur Lösung des Namensstreits zwischen der Hellenischen Republik und der Republik Mazedonien auf Basis unseres Lösungsmodells ein. Diese Petition war sehr erfolgreich und wurde vom Petitionsausschuss am 26. Oktober 2010 positiv beschieden und als besonders Wertvoll erachtet. So wurde sie auch auf der Website des Deutschen Bundestages veröffentlicht und fand sogar etwas Beachtung in den Medien. Auch Politiker äußerten sich sehr positiv über unser Lösungskonzept. Doch im Ergebnis fand unser Lösungsmodell zunächst keine große Beachtung. In Griechenland und der Republik Makedonien blieb es jeweils beim Status quo. Beide Seiten konnten oder wollten sich nicht auf eine tragfähige Lösung einigen. Zu dieser Zeit war die Politik auf beiden Seiten vor allem konservativ-national ausgerichtet. Von beiden Parteien, jedoch besonders aus Griechenland, gab es negative Kritik an unserem Lösungskonzept.

Die Wende

Bei der Parlamentswahl in Griechenland am 25. Januar 2015 siegte das Linksbündnis SYRIZA unter Vorsitz von Alexis Tsipras, welcher am Tag darauf griechischer Ministerpräsident wurde und mit einer kurzen Unterbrechung bis heute in diesem Amt ist. In der Republik Makedonien konnten nach den Parlamentswahlen vom 11. Dezember 2016 am 31. Mai 2017 die Sozialdemokraten (SDSM) unter Zoran Zaev die Regierung übernehmen. Damit waren in beiden Staaten linke Regierungen an der Macht, welcher deutlich weniger nationalistisch gesinnt waren als die Vorgängerregierungen. 

Zunächst erreichte die Republik Makedonien durch Vertrag mit Bulgarien vom 01. August 2017 eine Übereinkunft, den zwischen ihnen bestehenden Kulturstreit um Makedonien zu beendeten. Im Januar 2018 wurden die Gespräche zwischen Griechenland und der Republik Makedonien im Rahmen der UN wieder aufgenommen. Beide Seiten hatten dieses Mal ein ernsthaftes Interesse daran, den zwischen ihnen bestehenden Kulturstreit zu überwinden. Es wurde bis Juni 2018 hart verhandelt. Zeitweise stand sogar ein Scheitern im Raum, doch am 12. Juni 2018 erreichten der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras und der makedonische Ministerpräsident Zoran Zaev eine Lösung. Eine ausführliche Darstellung dieser Lösung findet sich im Artikel „Das formelle Ende des Streits um den Namen „Makedonien“. Am 17. Juni 2018 unterzeichneten der griechischen Außenminister Nikos Kotzias und der makedonische Außenminister Nikola Dimitrov in einem Ort am Prespasee den daraus resultierenden Vertrag. Dieser Vertrag wurde dann final durch eine Änderung der makedonischen Verfassung vom 11. Januar 2019 und durch die Ratifizierung im griechischen Parlament am 25. Januar 2019 völkerrechtlich wirksam. Am 12. Februar 2019 traten die wesentlichen Bestimmungen in Kraft. Seitdem heißt die Republik Makedonien im völker- und staatsrechtlichen Verkehr „Republik Nord-Makedonien“

Die wesentlichen Punkte des von uns favorisierten Lösungsmodells sind in die Verträge zwischen Bulgarien, Griechenland und der Republik Nord-Makedonien mit eingeflossen. Das war aus unserer Sicht folgerichtig und die daraus resultierenden Mechanismen dürften sehr geeignet sein,den Kulturstreit um Makedonien zu überwinden, wenn sie konsequent umgesetzt werden. Inwieweit unser Lösungsmodell bewusst von den beteiligten Akteuren berücksichtigt wurde oder ob sie selbst auf vergleichbare Lösungen gekommen sind, ist an sich unwichtig, wichtig ist, das es eine entsprechende Lösung gibt. 

Ausblick

Der Erfolg des Vertrages hängt von der Bereitschaft aller zukünftig politisch und staatlich Verantwortlichen in Griechenland und der Republik Nord-Makedonien ab, diesen auch sinn- und zweckgemäß umzusetzen. Wenn der Vertrag und die darin vorgesehenen Lösungsmechanismen konsequent umgesetzt werden, dann kann der Kulturstreit um Makedonien auch materiell eines Tages endgültig überwunden werden. Wirkliche Alternativen zu der erreichten Lösung dürfte es auch nicht geben.In Griechenland finden bereits im Juli 2019 vorgezogene Parlamentswahlen statt. Sie hätten sonst spätestens im Oktober 2019 stattfinden müssen. Unter der Voraussetzung, dass es keine vorgezogenen Wahlen gibt, werden spätestens im Dezember 2020 in der Republik Nord-Makedonien die nächsten Parlamentswahlen stattfinden. Bei beiden Wahlen könnten wieder national-konservative Parteien an die Macht kommen. Diese könnten versucht sein, das Abkommen von Prespa zu unterlaufen und damit den Kulturstreit um Makedonien am Köcheln zu halten. Es muss allerdings nicht zwingend so sein. Die national-konservativen Akteure könnten auch den Wert der erreichten Lösung erkennen und weiter an ihr festhalten. In diesem Falle wäre der Frieden endgültig gewonnen und der Kulturstreit überwunden. Doch das bleibt abzuwarten. 

Natürlich hat der Vertrag auf beiden Seiten auch Gegner. Wie bei jedem Kompromiss konnten beide Seiten nicht komplett ihre Vorstellungen und Wünsche durchsetzen. Des Weiteren ist die Namensänderung auch mit erheblichen Kosten verbunden, welche auch die Bürgerinnen und Bürger der Republik Nord-Makedonien zu tragen haben. So müssen zum Beispiel neue Pässe und andere Dokumente beantragt und bezahlt werden. Trotz dieser Härten ist der Gewinn der erreichten Lösung größer. Die Republik Nord-Makedonien kann an der Integration in die Europäische Union und NATO teilhaben. Dies führt im Ergebnis auch zu einer Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Situation und damit auch zu einem Abbau der inner-ethnischen Konflikte. Die Bürgerinnen und Bürger der Republik Nord-Makedonien haben die reelle Chance auf eine positive Entwicklung ihren sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. 

Die makedonische Frage würde sich bei konsequenter und folgerichtiger Umsetzung der vertraglich vereinbarten Lösung klären und eine für alle beteiligten Parteien einvernehmliche Antwort finden. Mit einer möglichen EU-Mitgliedschaft der Republik Nord-Makedonien wäre die gesamte geografische Region Makedonien unter dem Dach der Europäischen Union vereint, da ja Bulgarien und Griechenland mit ihren Anteilen an dieser Region bereits EU-Mitglieder sind. Naheliegend wäre dann die Gründung einer europäischen Kulturregion Makedonien, an der Bulgarien, Griechenland und die Republik Nord-Makedonien beteiligt wären. Die makedonische Frage würde in diesem Fall ihre symbolische Klärung finden. Die Verträge zwischen Bulgarien, Griechenland und der Republik Nord-Makedonien aus den Jahren 2017 und 2018 können also zu einer historischen und prosperierenden Entwicklung in der Kulturregion Makedonien führen, zum Wohle der dortigen Bevölkerung und zum Wohle der einstigen Parteien im Kulturstreit um Makedonien.