Unseren Leserinnen und Lesern stellen wir nun eine ausführliche Abhandlung mit dem Titel „Die makedonische Frage“ zur Verfügung. Diese Abhandlung stellt eine Zusammenfassung meiner Aufsätze zum Themenkomplex Makedonien dar, welche ich in den Jahren 2012 bis 2017 verfasst und als Artikel veröffentlicht habe. Ich hoffe, dass die vorliegende Abhandlung einen Beitrag zur Überwindung des Kulturstreits um „Makedonien“ leisten kann. Des Weiteren bin ich für konstruktive und sachliche Kritik immer dankbar.
Aus dem Vorwort der Abhandlung
Die Abhandlung „Die makedonische Frage“ ist das Ergebnis einer 25-jährigen Beschäftigung mit dem Themenkomplex „Makedonien“. Sie beruht im Wesentlichen auf einer eingehenden Literaturrecherche, anderen persönlichen Recherchen, sowie meinen Reisen in die Region Makedonien und die persönlich geführten Gespräche vor Ort. Da ich weder Historiker noch Ethnologe oder Sprachwissenschaftler bin, beschränke ich mich in dieser Abhandlung auf die Angabe und Zusammenfassung der Ergebnisse dieser Recherche. Bei der Darstellung der Ergebnisse werden auch die verschiedenen Auffassungen und Thesen dargestellt. Jedoch muss betont werden, dass der Themenkomplex „Makedonien“ nicht nur in der Politik sondern auch in der Wissenschaft und Forschung zum Teil umstritten und Vieles auch ein Ergebnis von Wertungen ist. Keine Aussage zu diesem Themenkomplex ist ein Naturgesetz, mehrheitliche Auffassungen können sich ändern oder sogar als falsch herausstellen.
Bei der Recherche und der Darstellung der Ergebnisse bin ich so objektiv wie möglich vorgegangen. Im Laufe meiner 25-jährigen Beschäftigung mit dem Themenkomplex nehme ich an, alles dazu erfasst zu haben und erwarte in dieser Hinsicht keine bedeutenden Neuigkeiten. Trotzdem kann ich nicht zu hundert Prozent ausschließen, dass es noch Sachverhalte gibt, welche ich nicht berücksichtigt habe oder noch nicht berücksichtigen konnte. Ich möchte hierbei um Nachsicht bitten. Vorsatz besteht auf jeden Fall nicht. Obwohl diese Abhandlung sehr ausführlich auf die Thematik eingeht und einen gewissen Umfang hat, bedeutet eine Angabe und Zusammenfassung von Ergebnissen immer auch, dass nicht alles erwähnt und nicht auf jedes Detail eingegangen werden kann. Die Konzentration auf das Wesentliche steht für mich im Vordergrund; wer mehr wissen und tiefer in diesen Themenkomplex einsteigen möchte, dem wird weiterführende Literatur und eine persönliche Recherche empfohlen.
Gegenstand dieser Abhandlung ist die Geschichte und Entwicklung der Region Makedonien und ihrer Bevölkerung sowie die makedonische Frage. Das antike Makedonien und die antiken Makedonier sind Namensgeber für die heutige Region Makedonien und für die heutigen Makedonier. Wobei dieses weder ethnisch noch geografisch viel mit dem antiken Makedonien zu tun hat. Das antike Makedonien und die antiken Makedonier gibt es heute nicht mehr. Die Definition des heutigen Makedoniens hat sehr viel mehr mit der sogenannten makedonischen Frage zu tun. Sie betraf das Schicksal der christlichen, nicht-osmanischen Bevölkerung im Osmanischen Reich auf dem Balkan außerhalb der sich im 19. Jahrhundert bildenden Staaten Bulgarien, Griechenland und Serbien. Für dieses Gebiet wurde die Bezeichnung Makedonien verwendet, wohl weil es die größte Deckung mit dem Territorium des antiken Makedonien hatte. Einen darüber hinausgehenden kulturellen Bezug der makedonischen Frage und ihres geografischen Rahmens zum nicht mehr existierenden antiken Makedonien gab es hierbei nicht. Das die makedonische Frage betreffende Territorium entsprach in etwa der heutigen historischen Region Makedonien, welche aufgeteilt ist zwischen den Staaten Bulgarien, Griechenland und der Republik Makedonien. Diese Aufteilung ist das Resultat von zwei Balkankriegen 1912/13, welche die Herrschaft des Osmanischen Reiches in Makedonien beendete.
Diese makedonische Frage löste bereits zum Ende des 18. Jahrhunderts einen Kulturkampf um „Makedonien“ zwischen Bulgarien, Griechenland und Serbien aus. Jede Partei wollte die makedonische Bevölkerung für sich gewinnen. Damit verbunden waren auch territoriale Ansprüche auf deren Siedlungsgebiete. Nach Auffassung der Bulgaren ist die makedonische Bevölkerung bis heute Teil der bulgarischen Kulturnation. Für die Griechen war die makedonische Bevölkerung ursprünglich griechischer Herkunft, die nur durch einen Irrtum die slawische Kultur und Sprache annahm. Für die Serben waren die makedonische Bevölkerung „Südserben“. Zunächst wurden von den jeweiligen Parteien Lehrer und Priester nach Makedonien geschickt. Doch später kam es auch zu bewaffneten Konflikten bzw. gewaltsamen Einflussbestrebungen und sogar zu Kriegen um Makedonien.
Die Anerkennung der ethnischen bzw. slawischen Makedonier als eigenständige Nation im Jahr 1943 und die damit verbundene Schaffung eines makedonischen Staatswesens im Jahre 1944 brachten einen neuen Faktor in den Kulturkampf um Makedonien hinein. Jetzt fand dieser Kampf hauptsächlich zwischen Bulgarien, Griechenland und dem makedonischen Staat statt, welcher sich bis 1991 in einer kommunistisch-jugoslawischen Föderation befand und seitdem unabhängig ist. Die Serben halten sich heute aus diesem Kulturstreit heraus. Für Bulgarien sind die ethnischen bzw. slawischen Makedonier keine eigenständige Kulturnation, sondern Teil der bulgarischen Kulturnation. Griechenland hat zwar in erster Linie nichts gegen die Eigenständigkeit einer makedonischen Kulturnation und ihres Staatswesens, wohl aber gegen die Bezeichnung dieser Nation als „Makedonisch“ und ihres Staatswesens als „Republik Makedonien“. Allerdings ist auch aus Sicht Griechenlands die makedonische Nation künstlich aus politischen Gründen erschaffen worden. So ist dieser Kulturstreit bis heute nicht beendet, wobei der Streit um den Namen Makedonien eines der wahrnehmbarsten Symptome von diesem ist. Die vorliegende Abhandlung soll vor allem die Hintergründe zu diesem Kulturstreit erleuchten. Natürlich wird dabei auch insgesamt auf die Geschichte und Entwicklung Makedoniens eingegangen
Die Kapitel dieser Abhandlung bauen zum Teil aufeinander auf, stellen inhaltlich allerdings weitgehend eine Einheit dar und sind insofern ohne Querverweise zu verstehen. Das führt natürlich notwendiger Weise regelmäßig zu inhaltlichen Überschneidungen der einzelnen Kapitel. Bei der Komplexität der Thematik ist dies jedoch aus meiner Sicht zu bevorzugen und auch notwendig.
In den Kapiteln 1 bis 12 wird auf die Geschichte und Entwicklung Makedoniens von der Antike bis in die heutige Zeit eingegangen. Allerdings liegt der Schwerpunkt auf der neueren Geschichte Makedoniens, beginnend dem Jahr 1878. Neben der Geschichte werden auch die „Innere Makedonische Revolutionäre Organisation“ („IMRO“) und Goce Delčev und Kiro Gligorov als historische Persönlichkeiten ausführlich betrachtet. Bereits die Kapitel 10 bis 12 bilden einen Übergang, in denen die Anerkennung der ethnischen bzw. slawischen Makedonien als Volk bzw. Nation sowie die Gründung und Entwicklung des makedonischen Staates ausführlich behandelt werden. Abgeschlossen wird dieser Themenbereich mit Kapitel 13, in dem es um die Verfassung der Republik Makedonien und deren Staatsorganisation geht. Der Kulturstreit um „Makedonien“ und die makedonische Frage werden dann in den Kapiteln 14 bis 22 ausführlich behandelt. Dabei wird jeweils ausführlich auf die Entwicklung und Sichtweisen in Bulgarien, Griechenland und Serbien eingegangen. Hierbei werden in Kapitel 21 der „Streit um den Namen Makedonien“ völkerrechtlich betrachtet und in Kapitel 22 auf Lösungsansätze in diesem Streit ausführlich eingegangen. Kapitel 23 beschäftigt sich mit dem Verhältnis zwischen ethnischen bzw. slawischen Makedonien und Angehörigen der albanischen Gemeinschaft in der Republik Makedonien. Wie die Entwicklung bis zum 50. Jahrestag der Unabhängigkeit der Republik Makedonien am 08.09.2041 bei optimistischer Betrachtungsweise verlaufen könnte, wird in Kapitel 24 dargestellt.
Für die umfangreiche Arbeit des Korrekturlesens der dieser Abhandlung zugrundeliegenden rund 30 Aufsätze bzw. Artikel möchte ich Herrn Martin Wosnitza meinen ganz herzlichen Dank aussprechen. Weiterhin möchte ich mich auch bei Frau Anna Langosch sehr bedanken, welche zwei der zugrundeliegenden Aufsätze bzw. Artikel Korrektur gelesen hat. Einen besonderen Dank für seine Mitwirkung und Hilfe möchte ich auch meinem Kollegen Herrn Goran Popcanovski aussprechen. Schließlich möchte ich allen danken, die in irgendeiner Form bei dieser Abhandlung mitgewirkt haben. Ich hoffe, dass ich mit dieser Abhandlung einen Beitrag zur verständlichen Darstellung der makedonischen Frage sowie Lösung des Kulturstreits um „Makedonien“ und des daraus resultierenden Namensstreits zwischen Griechenland und der Republik Makedonien leisten kann.
Aus dem Schlusswort der Abhandlung
Seit 25 Jahren ist „Makedonien“ bzw. „Meine persönliche makedonische Frage“ ein bewusster Teil meines Lebens und es bleibt vor allem ein sehr interessantes Thema. Auch persönlich bin ich aufgrund meiner griechisch-makedonischen Mutter mit Makedonien verbunden bzw. ich bin zur Hälfte griechischer Makedonier. Das es auch ethnische bzw. slawische Makedonier und eine Republik Makedonien gibt, ist für mich kein Widerspruch zur griechischen Kultur und Geschichte. Ganz im Gegenteil, nach meiner Auffassung bereichert die kulturelle Vielseitigkeit Makedoniens und ihrer Bewohner auch die griechische Kultur. Wir leben heute nicht mehr in der Antike. Die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung hat sich seitdem massiv geändert. Wenn nun die Geschichte und kulturelle Entwicklung der Region Makedonien auch ethnische bzw. slawische Makedonier hervorgebracht hat, dann spricht das unter anderem auch für die Vielseitigkeit der griechischen Kultur und ist eine zusätzliche Bereicherung für Griechenland. Natürlich darf diese Entwicklung nicht auf Kosten der griechischen Geschichte und Kultur gehen. Doch das tut sie von Ausnahmen abgesehen nach meiner Auffassung auch nicht.
Nach meiner Auffassung muss der Kulturstreit um Makedonien endlich beendet werden. Der erste wichtige Schritt zur Beendigung des Kulturstreites um Makedonien wäre es objektive Schlussforderungen aus den gegebenen Realitäten zu ziehen und den Streit zu rationalisieren. Demnach stellen die Existenz einer makedonischen Kulturnation und eines makedonischen Staatswesens mit klar definierten völkerrechtlichen Grenzen grundsätzlich eine Realität dar, welche nicht mehr ignoriert werden kann. Aus heutiger Sicht lässt sich die Entwicklung, die zu dieser Realität geführt hat, nicht mehr umkehren. Die Existenz der makedonischen Nation und ihres Staatswesens ist eng mit ihrem Namen verbunden. Bei der Namensgebung handelt es sich um eine völkerrechtlich zulässige Territorialableitung, denn das Siedlungsgebiet der makedonischen Nation und das Territorium ihres Staatswesens liegt vollständig in der Region Makedonien, wie sie spätestens seit dem 19. Jahrhunderts im Rahmen der makedonischen Frage definiert wird.
Den Keim für die makedonische Kulturnation dürfte die separate Entwicklung der makedonischen Bevölkerung ab dem Jahr 1878 im Osmanischen Reich und der bulgarisch-griechisch-serbische Kulturkampf um Makedonien gelegt haben. Josep Broz Tito und seine kommunistisch-jugoslawische Bewegung brachten diesen Keim dann erfolgreich zum sprießen. Die Anerkennung der ethnischen bzw. slawischen Makedonier im Jahre 1943 als Kulturnation und die Schaffung eines makedonischen Staatswesens im Jahre 1944 hatten durchaus auch politische Gründe und waren dennoch folgerichtig. Die makedonische Bevölkerung wurde durch ein eigenständiges Nationalbewusstsein den Einflüssen vor allem aus Bulgarien und auch aus Serbien entzogen und konnte seinerzeit für den jugoslawischen Volksbefreiungskampf gewonnen werden. Später hat gerade dieses eigenständige Nationalbewusstsein zu mehr Stabilität in dieser Region geführt, da ein nicht mehr existierendes ethnologisches Vakuum keine gegenseitigen Ansprüche der Nachbarstaaten mehr auslösen konnte. Die makedonische Ethnie bzw. Nation und ihr Staatswesen erwiesen sich als nachhaltig und überlebten die Herrschaft des Kommunismus und den Zerfall der jugoslawischen Föderation. Seit dem Jahr 1991 ist der makedonische Staat als „Republik Makedonien“ ein Völkerrechtssubjekt. Die geschilderte Entwicklung ist nach meiner Auffassung eines der besten Antworten auf die makedonische Frage. Diese Antwort führte in einer unruhigen Region zu Frieden und Stabilität.
Persönlich wünsche ich mir eine baldige Überwindung des Kulturstreits um „Makedonien“ und des daraus resultierenden Streits um den Namen „Makedonien“. Dieser Streit muss jedoch nach einer objektiven Würdigung des Sachverhalts, gerecht und mit gegenseitigem Verständnis füreinander überwunden werden. Dafür werde ich mich auch weiterhin sehr gerne einsetzen. Eines Tages, so hoffe ich, werde ich ein Kapitel über die erfolgreiche Überwindung des Streits schreiben können. Damit wäre dann auch meine persönliche makedonische Frage geklärt.