Bei dem Referendum am 30. September 2018 haben nur 34,15 Prozent der 1.806.336 registrierten Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben. Zwar haben 90,94 Prozent der Abstimmenden für das Prespa-Abkommen mit Griechenland vom 17. Juni 2018 zur Lösung des Kulturstreits um Makedonien gestimmt, doch war für die Gültigkeit des Referendums eine Abstimmungsbeteiligung von über 50 Prozent bzw. von mindestens 903.169 der Wahlberechtigten erforderlich. Im Ergebnis hat die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger der Republik Makedonien das Prespa-Abkommen nicht aktiv unterstützt, jedoch auch nicht ausdrücklich abgelehnt. Damit bleibt vom makedonischen Staatsvolk die Antwort auf die ausgehandelte Klärung der makedonischen Frage offen. Nun liegt die Entscheidung beim Parlament der Republik Makedonien. Bei dessen 120 Abgeordneten liegt nun die große Verantwortung eine bedeutende nationale Frage stellvertretend für die Bürgerinnen und Bürger der Republik Makedonien zu beantworten.
Das Prespa-Abkommen und das Referendum zur Lösung des Kulturstreits um „Makedonien“
Der konkrete Frage bei dem Referendum am 30. September 2018 lautete: „Sind Sie für die Mitgliedschaft in EU und NATO durch die Annahme des Abkommens zwischen Makedonien und Griechenland?“. Trotz der Verknüpfung der Frage mit einer möglichen EU- und NATO-Mitgliedschaft der Republik Makedonien ging es in erster Linie um den Namenskompromiss mit Griechenland. Der Kompromiss hat folgende Eckpunkte:
- Der Namen „Republik Nord-Makedonien“ ersetzt vollständig sowohl den verfassungsmäßigen Namen „Republik Makedonien“ als auch die provisorische UN-Bezeichnung „Die Ehemalige Jugoslawische Republik Makedonien“ und gilt uneingeschränkt für den allgemeinen Gebrauch („erga omnes“). Die bisherigen Länderkennungen „MK“ und „MKD“ bleiben jedoch bestehen. Nur auf den Kraftfahrzeugkennzeichen müssen diese durch „NM“ oder „NMK“ ersetzt werden.
- Griechenland erkennt die makedonische Sprache unter der Bezeichnung „Makedonisch“ an.
- Griechenland akzeptiert die Bezeichnung der Nationalität „Makedonisch / Bürger der Republik Nord-Makedonien“
- Griechenland akzeptiert die Selbstidentifikation des makedonischen Volkes als Ausdruck seines Selbstbestimmungsrechtes. Damit erkennt Griechenland zwar nicht explizit, jedoch implizit die Bezeichnung der Nation der Republik Makedonien als „Makedonisch“ an. Das bezieht sich sowohl auf die makedonische Kulturnation als auch auf die makedonische Staatsnation. Im Ergebnis erkennt Griechenland damit eine makedonische Nation an.
- Neben der verfassungsrechtlichen Verankerung des Staatsnamens und aller sich daraus ergebenen staatlichen Bezeichnungen sollen auch die Präambel, Artikel 3 (Veränderung der Grenzen) und Artikel 49 (Angehörige des makedonischen Volkes im Ausland) geändert werden. Hier liegen allerdings noch keine konkreten Formulierungen vor.
- Der Vertrag sieht als sehr wichtigen Punkt die objektiv-wissenschaftliche Interpretation von historischen Sachverhalten vor. Zu diesem Zweck werden Griechenland und die Republik Makedonien einen paritätisch organisierten, gemeinsamen und interdisziplinären Sachverständigenausschuss für Geschichts-, Archäologie- und Bildungsfragen einrichten, um die objektiv-wissenschaftliche Interpretation historischer Ereignisse durchzuführen, basierend auf authentischen, evidenzbasierten und wissenschaftlich fundierten Quellen und archäologischen Funden.
- In der Vereinbarung wird die Verwendung der Bezeichnungen „Makedonien“, „Makedonier“ und „Makedonisch“ durch die Vertragspartner geregelt. Anerkannt wird, dass unter diesen Begriffen verschiedene kulturelle und historische Kontexte stehen. So hat der „Makedonismus“ für Griechenland einen anderen kulturellen und historischen Kontext als der der Republik Makedonien.
- Griechenland gibt die Blockade gegen eine Mitgliedschaft der Republik Makedonien in der Europäischen Union (EU) und NATO ausdrücklich auf und unterstützt diese Mitgliedschaft aktiv.
Im Ergebnis ist das Prespa-Abkommen eine gute Basis den Kulturstreit zwischen Griechenland und der Republik Makedonien um „Makedonien“ zu überwinden. Strittige Punkte könnten zwischen Griechenland und der dann Republik Nord-Makedonien auch zu einem späteren Zeitpunkt geklärt werden, wenn sich zwischen beiden Staaten eine tiefe freundschaftliche Beziehung mit gegenseitigem Vertrauen entwickelt hat. So dürfte nach meiner Auffassung in der Frage des Staatsnamens „Republik Nord-Makedonien“ noch nicht das letzte Wort gesprochen worden sein. Aus griechischer Sicht dürfte der Staatsname „Nord-Makedonien“ sehr viel problematischer sein als der Name „Makedonien“. Aufgrund des Namens Nord-Makedoniens wird sehr viel deutlicher eine geteilte Region impliziert, da es ja auch ein Süd-Makedonien geben muss. Der kulturelle Unterschied zwischen Süd- und Nord-Makedonien wird hingegen überhaupt nicht deutlich. Doch vor allem darum geht es Griechenland. Aus der Bezeichnung „Republik Nord-Makedonien“ könnten eher territoriale Ansprüche abgeleitet werden als aus dem Staatsnamen „Republik Makedonien“. Hier besteht also zumindest die Möglichkeit, dass das Prespa-Abkommen im Ergebnis zu weiteren Verhandlungen zwischen Griechenland und der Republik (Nord-)Makedonien führt und im Einvernehmen mit Griechenland wieder zum Namen „Republik Makedonien“ zurückgekehrt wird.
Die Anerkennung einer ethnisch-makedonischen Minderheit in Griechenland ist zwar heute noch illusorisch. Doch das Prespa-Abkommen liefert auch hier eine Basis zu einer Lösung im Sinne der Republik Makedonien. Die makedonische Sprache wird eindeutig als „Makedonisch“ anerkannt. Eine makedonische Kulturnation wird zwar nicht explizit, jedoch implizit durch Griechenland anerkannt, in dem es das Recht der ethnischen bzw. slawischen Makedonier auf Selbstidentifikation anerkennt. Das schließt ausdrücklich auch die aufgrund des Selbstbestimmungsrechtes gewählte nationale Selbstbezeichnung der ethnischen bzw. slawischen Makedonier und ihrer Nation mit ein. Damit erkennt auch Griechenland im Ergebnis eine makedonische Kulturnation an. Vor diesem Hintergrund kann auf Dauer eine ethnisch-makedonische Minderheit in Griechenland staatlicherseits nicht mehr negiert werden. Aufgrund des Prespa-Abkommens werden sich, wie oben bereits beschrieben, die freundlichen und guten Beziehungen zwischen Griechenland und der Republik (Nord-)Makedonien entwickeln. Das schafft zusätzlich geeignete Rahmenbedingungen, zukünftig in der Frage einer ethnisch-makedonischen Minderheit in Griechenland zu einer guten und tragfähigen Lösung zu kommen.
Selbst die von Griechenland geforderten Änderungen der Verfassung der Republik Makedonien lassen sich moderat und im Sinne der makedonischen Bürgerinnen und Bürger gestalten. Alle anderen Regelungen des Prespa-Abkommens dürften unstrittig, sinnvoll und zweckmäßig sein, um zu einer endgültigen Überwindung des Kulturstreits um Makedonien zu kommen. Aus diesem Grunde sollte das Parlament der Republik Makedonien das Für und Wider des Prespa-Abkommens sachlich abwägen und stellvertretend für die makedonischen Bürgerinnen und Bürger eine Entscheidung treffen.
Die parlamentarische Antwort auf die makedonische Frage
Die Bürgerinnen und Bürger der Republik Makedonien haben zwar in großer Mehrheit nicht das Prespa-Abkommen unterstützt, sie haben es jedoch auch nicht mit großer Mehrheit abgelehnt. Nun müssen 120 Abgeordnete des makedonischen Parlaments das Prespa-Abkommen beraten und werten. Hierbei würde es zwei Möglichkeiten geben. Vor der parlamentarischen Behandlung des Prespa-Abkommens könnten das Parlament aufgelöst und vorzeitige Parlamentswahlen durchgeführt werden. Auf diese Weise würden die Bürgerinnen und Bürger der Republik Makedonien noch einmal indirekt in den Entscheidungsprozess mit eingebunden. Die Frage ist allerdings, ob dies notwendig und zweckmäßig ist, da die Bürgerinnen und Bürger durch ihr Abstimmungsverhalten beim Referendum am 30. September 2018 die Entscheidung relativ eindeutig in die Hände des Parlaments gelegt haben. Es dürfte daher sinnvoller und zweckmäßiger sein, im aktuellen Parlament eine Entscheidung herbeizuführen. Hierfür wäre allerdings eine Mehrheit von zwei Dritteln aller Abgeordneten erforderlich, was 80 von 120 Parlamentsmitgliedern wären. Zwar ist die national-konservative oppositionelle IMRO-DPMNE (VMRO-DPMNE) grundsätzlich gegen das Prespa-Abkommen, doch ist die Partei intern in dieser Frage zerstritten. So gibt es durchaus moderatere Abgeordnete der IMRO-DPMNE, welche die notwendigen Verfassungsänderungen zum Prespa-Abkommen unterstützen würden. Daher könnte eine ausreichende Mehrheit im Parlament möglicherweise erreicht werden. Nach meiner Auffassung sollte das Parlament der Republik Makedonien das Prespa-Abkommen dennoch umsetzen und die notwendigen Verfassungsänderungen mit der erforderlichen Mehrheit durchführen.
Die schwierige Klärung von großen nationalen Fragen
Schwierige und umstrittene große nationale Fragen lassen sich nur mit großem Mut und Vertrauen in die Zukunft entscheiden. Unter Umständen dauert es Jahrzehnte, bis sich der Wert einer solchen Entscheidung zeigt. Dies wird im Falle des Prespa-Abkommens nicht anders sein. Oft mussten Politiker und Staatsvertreter gegen große Widerstände eine umstrittene Entscheidung treffen, deren Wert dann Jahrzehnte später von einer breiten Mehrheit eingesehen und für richtig gehalten wird. Diese Weitsicht sollten nun makedonische Politiker und Staatsvertreter zeigen und können sich hierbei am Beispiel der deutschen Frage vom Ende des Zweiten Weltkrieges im Jahre 1945 bis zur Wiedervereinigung Deutschlands im Jahre 1990 orientieren.
Die Politik der starken Westintegration der BRD wurde von der damaligen Bundesregierung unter Führung der CDU/CSU von 1949 bis 1969 forciert und von der Opposition unter Führung der SPD bekämpft. Auch innerhalb der deutschen Bevölkerung war diese Politik stark umstritten und die deutsche Gesellschaft daher entsprechend gespalten. Irgendwann kam diese Politik an ihre Grenzen. Von 1969 bis 1982 führte die SPD die Bundesregierung an. Es kam zu einer Öffnung gegenüber dem Osten und aus Sicht der dann oppositionellen CDU/CSU zu einem Tabubruch. Wandel durch Annäherung wurde diese Politik genannt. Es wurde wichtiges Vertrauen aufgebaut und sogar eine Anerkennung der damals noch ungeklärten deutschen Ostgrenze zu Polen (Oder-Neiße-Linie) in Aussicht gestellt. Dies war seinerzeit in Deutschland sehr umstritten, besonders unter den aus dem Osten Geflüchteten und Vertriebenen. Diese Politik wurde dann im Jahr 1982 auch unter einer dann wieder CDU-geführten Bundesregierung fortgeführt. Aufgrund dieser seinerzeit teilweise sehr kontrovers diskutierten Politik konnte im Ergebnis die Teilung Deutschlands und von Europa überwunden werden. Heute erkennen die damals in dieser Angelegenheit stark zerstrittenen Parteien CDU, CSU und SPD sowohl die Westintegration der BRD als auch deren Annäherung an den Osten als den richtigen Weg an. Auch unter der deutschen Bevölkerung wird dies heute mit großer Mehrheit als Richtig anerkannt. Für die Akteure im Kulturstreit um Makedonien könnte dies ein wertvolles Beispiel sein, wie aus einer zuvor hoch umstrittenen Politik ein sehr gutes Ergebnis herauskommen kann.
Fazit
Die Entscheidung und Verantwortung über die Implementierung des Prespa-Abkommens liegt jetzt bei den Abgeordneten des makedonischen Parlaments. Entsprechend ist das Votum der Bürgerinnen und Bürger der Republik Makedonien nach meiner Auffassung zu interpretieren. Zwar haben die makedonischen Bürgerinnen und Bürger das Prespa-Abkommen nicht mehrheitlich unterstützt, doch haben sie es auch nicht mehrheitlich abgelehnt. Das lässt nur den Schluss zu, dass das Parlament verantwortlich für eine Entscheidungsfindung ist.
Das Prespa-Abkommen ist im Ergebnis eine gute Basis die makedonische Frage endgültig zu klären und den daraus resultierenden Kulturstreit um Makedonien zu überwinden. Damit ist der Vertrag gut für die Republik Makedonien und ihre Bürgerinnen und Bürger sowie für die makedonische Kulturnation. Heute strittige Punkte und schmerzliche Kompromisse, wie etwa der Name „Nord-Makedonien“, können zu einem späteren Zeitpunkt durchaus einvernehmlich zwischen Griechenland und der Republik (Nord-)Makedonien nachverhandelt werden. Das gilt entsprechend auch für den umstrittenen Status einer ethnisch-makedonischen Minderheit in Griechenland. Bei einem Scheitern des Prespa-Abkommens dürften die Rahmenbedingungen für eine Klärung der makedonischen Frage und für eine Überwindung des Kulturstreits um Makedonien sehr viel schwieriger sein. Auch der Weg der Republik Makedonien in die Europäische Union (EU) und NATO dürfte in diesem Fall bis auf Weiteres versperrt sein.
Die nächsten Schritte werden also die parlamentarische Behandlung des Prespa-Abkommens sein. Im Oktober 2018 wird voraussichtlich der parlamentarische Prozess zur Änderung der makedonischen Verfassung eingeleitet werden. Wenn dieser scheitert wird es voraussichtlich vorgezogene Parlamentswahlen in der Republik Makedonien geben. Danach kann erneut versucht werden eine parlamentarische Entscheidung herbeizuführen. Doch sollte dieser Versuch erneut scheitern, dann wäre das Prespa-Abkommen insgesamt gescheitert. Wenn allerdings das Parlament der Republik Makedonien das Prespa-Abkommen implementiert und die notwendigen Verfassungsänderungen durchführt, dann entscheidet anschließend noch das griechische Parlament über das Prespa-Abkommen. Zwar hat die griechische Regierung keine alleinige Mehrheit für den Vertrag im Parlament, doch wollen auch einige Abgeordnete der Opposition dafür stimmen. Insgesamt zeichnet sich im griechischen Parlament eine knappe Mehrheit für das Prespa-Abkommen ab.
Anfang des Jahres 2019 könnte der Kulturstreit um Makedonien überwunden sein, wenn jetzt alle Beteiligen mutige und sachliche Entscheidungen treffen. Das Prespa-Abkommen ist nicht ideal, doch eine sehr gute Basis für eine endgültige Klärung aller offenen Fragen und damit für eine endgültige Überwindung aller Streitigkeiten. Eine gute Alternative zum Prespa-Abkommen ist derzeit nach meiner Auffassung nicht ersichtlich. Daher empfehle ich die Annahme und Umsetzung des Prespa-Abkommens zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger der Republik Makedonien durch das Parlament.