Für den 22. April 2016 war ein Krisentreffen zwischen den Vorsitzenden der bisherigen Regierungsparteien VMRO-DPMNE und DUI (albanisch: BDI) sowie der zwei maßgeblichen Oppositionsparteien SDSM und DPA (albanisch: DPSH) in Wien geplant. Dieses Treffen sollte unter der Mediation von EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn stattfinden und wurde nun vom Vorsitzenden der SDSM Zoran Zaev abgesagt. Nach Auffassung von Zaev müssen zunächst die umstrittenen Begnadigungen vom makedonischen Staatspräsidenten Gjorge Ivanov zurückgenommen werden. Dieser hatte 56 am Abhör- und Korruptionsskandal beteiligte Personen, hauptsächlich Politiker, begnadigt. Dadurch wurde nicht nur die Vereinbarung von Pržino unterlaufen, sondern auch die strafrechtlichen Ermittlungen der Sonderstaatsanwaltschaft in ad absurdum geführt.
Politisch und rechtlich ist die Entscheidung des makedonischen Staatspräsidenten Gjorge Ivanov umstritten. Er begründete seine Entscheidung damit, dass er dem „politischen Leiden Makedoniens“ ein Ende setzen wolle. Vielmehr dürfte er das Gegenteil erreicht und noch mehr Unruhe gestiftet haben. Die politische Lage in der Republik Makedonien droht zu eskalieren. Der Staat ist definitiv in keiner guten Verfassung. Ursprünglich schloss das Begnadigungs-Gesetz von 1993 Begnadigungen bei kriminelle Handlungen im Zusammenhang mit Wahlen und Wahlbetrug aus. Vor zwei Monaten hob das Verfassungsgericht der Republik Makedonien diese Regelung auf. Die Entscheidung des Verfassungsgerichts erfolgte in einem Schnellverfahren, was an sich unüblich ist. Daher gilt diese Entscheidung als umstritten und führte zu Protesten. Des Weiteren dürfte die vom Präsidenten angekündigte Begnadigung auch aus formellen Gründen rechtswidrig sein. Denn Begnadigungen vor Abschluss des Strafverfahrens dürfen nur dann vom Staatspräsidenten ausgesprochen werden, wenn diese zuvor vom Innenminister initiiert wurden. Dies war jedoch nicht der Fall. Zwar berief sich Gjorge Ivanov auf eine Ausnahmeregelung, die eine Begnadigung im Interesse der Republik Makedonien außerhalb der üblichen Verfahrensweise ermöglichte. Doch gilt diese Regelung aufgrund einer Gesetzesänderung von 2009 nicht mehr. Der Präsident hat nicht nur eine politisch umstrittene Entscheidung getroffen, sondern dabei mutmaßlich auch Recht und Gesetz verletzt.
Im Ergebnis bleibt die Lage aufgrund des verantwortungslosen Handelns der Politiker in der Republik Makedonien angespannt und verfahren. Die Lage in der Republik Makedonien dürfte auch außenpolitische Konsequenzen haben. Die Position der Republik Makedonien gegenüber Griechenland im Streit um den Namen „Makedonien“ dürfte noch zusätzlich geschwächt sein. Auch für den ohnehin schwierigen Weg der Republik Makedonien in die Europäische Union (EU) und in die NATO dürfte die innenpolitische Lage nicht förderlich sein. Die verantwortlichen Politiker müssen zum Wohle der Republik Makedonien und ihrer Bürgerinnen und Bürger zu einer tragfähigen und vernünftigen Einigung kommen. Es müssen Demokratie, Medienfreiheit und Rechtsstaatlichkeit im Sinne der makedonischen Verfassung voll wieder hergestellt werden in der Republik Makedonien.