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Die rationale Lösung des Streits um den Namen „Makedonien“

Der seit Mai 1991 zwischen Griechenland und der Republik Makedonien bestehende Streit um den Namen „Makedonien“ ist irrational und muss nach rund 27 Jahren endlich einer rationalen Lösung herangeführt werden. Doch aufgrund der Irrationalität des Streites sind rationale Lösungen nur sehr schwer möglich. Die jetzige Form der Lösungsfindung, der Staatsname Makedonien in Verbindung mit einer geografischen oder zeitlichen Spezifizierung, etwa „Republik Nord-Makedonien“ oder „Republik Neu-Makedonien“, als neue Staatsbezeichnung für die Republik Makedonien ist an sich nicht zielführend und daher überflüssig. Vielmehr bedarf es einer rein inhaltlichen Klärung, nämlich der Frage „Was ist Makedonien“. Diese Frage ist nicht so einfach zu beantworten, denn zu unterschiedlichen Zeiten haben die Begriffe Makedonien und Makedonier eine unterschiedliche geografische und personelle Bedeutung gehabt.

Namensgeber für die Region Makedonien waren die antiken Makedonier, welche heute vollständig ausgestorben sind. Eine direkte Verbindung zu den heutigen ethnischen bzw. slawischen und griechischen Makedoniern sowie zu der sonstigen heutigen Bevölkerung Makedoniens (Makedonier im geografischen Sinne) besteht nicht. Die genaue Art der antiken Makedonier ist ebenfalls in der heutigen Wissenschaft noch nicht sicher geklärt. Zwar geht derzeit eine Mehrheit in der Wissenschaft davon aus, dass die antiken Makedonier ein antiker griechischer Volksstamm waren. Doch sind auch die Thesen in der Wissenschaft verbreitet, dass die antiken Makedonier mit den antiken Griechen nur verwandt oder dass sie zunächst eigenständig waren und erst später hellenisiert worden sind. Sicher dürfte jedoch eine relative Eigenständigkeit der antiken Makedonier gegenüber den (anderen) antiken griechischen Stämmen gewesen sein. Doch ist die Frage nach der Art der antiken Makedonier für die Art der heutigen Makedonier objektiv betrachtet nicht bedeutsam, da die Art des antiken Makedoniens und seiner Bevölkerung nicht die Art des heutigen Makedoniens und seiner Bevölkerung präjudiziert.

Aktuelle Entwicklung

Griechenland und die Republik Makedonien führen seit dem Jahr 2018 intensive Gespräche, um den Kulturstreit um Makedonien und den daraus resultierenden Streit um den Namen „Makedonien“ (kurz: Namensstreit) zu lösen. Die letzten vom UN-Sonderbeauftragten Matthew Nimetz zur Lösung des Streits vorgelegten Namensvorschläge lauteten: „Republika Nova Makedonija“ („Republik Neu-Makedonien“), „Republika Severna Makedonija“ („Republik Nord-Makedonien“), „Republika Gorna Makedonija“ („Republik Ober-Makedonien“), „Republika Vardarska Makedonija“ („Republik Vardar-Makedonien“) und „Republika Makedonija (Skopje)“ („Republik Makedonien (Skopje)“). Strittig bleiben trotz dieser Vorschläge weitere wichtige Punkte. So gibt es unterschiedliche Auffassungen darüber, ob der neue Name nur eingeschränkt für bestimmte völkerrechtliche Bereiche oder uneingeschränkt in allen äußeren und inneren Angelegenheiten der Republik Makedonien (erga omnes) gelten würde. Weitere ungeklärte Streitpunkte zwischen Griechenland und der Republik Makedonien sind auch die konkreten Bezeichnungen für die makedonische Nation, Nationalität und Sprache.

Eine neue Lösungsvariante lautet „Republik Ilinden-Makedonien“ („Republika Ilindenska Makedonija“). Bei diesem Namen würden es sich dann nicht um eine geografische, sondern um eine historische Spezifizierung handeln. Der Ilinden-Aufstand der Bevölkerung in Makedonien und Thrakien gegen die osmanische Herrschaft begann am 02. August 1903 und hat im Selbstverständnis der ethnischen bzw. slawischen Makedonier eine große Bedeutung für den Kampf um die Freiheit und nationale Selbstbestimmung des makedonischen Volkes. Organisiert wurde dieser Aufstand durch die „Innere Makedonische Revolutionäre Organisation“ („IMRO“). Ein Ergebnis dieses Aufstandes war die Ausrufung der „Republik von Kruševo“, die ebenfalls am 02. August 1903 und damit exakt 41 Jahre vor der Gründung des makedonischen Staates im Rahmen einer jugoslawischen Föderation stattfand. Die Republik von Kruševo hatte allerdings nur zehn Tage bestand, bevor die osmanischen Streitkräfte ihr ein Ende bereitete. Sie gilt als Vorläufer für den heutigen makedonischen Staat, der am 02. August 1944 ausgerufen wurde. Der 02. August ist aus diesen Gründen ein Feiertag in der Republik Makedonien. Der Namenszusatz „Ilinden“ hat einen direkten Bezug zur Geschichte und kulturellen Identität der ethnischen bzw. slawischen Makedonier. Die Bezeichnung für die Nationalität könnte dann lauten „Makedonisch / Bürger der Republik Ilinden-Makedonien“ und entsprechend für die Sprache: „Makedonisch / Sprache der Bürger der Republik Ilinden-Makedonien“. Doch auch dieser Vorschlag wird von der überwiegenden Mehrheit der Parteien in Griechenland abgelehnt. Ablehnung kommt allerdings in Teilen auch aus Bulgarien und der Republik Makedonien. Somit dürfte auch die Lösungsvariante mit dem Namenszusatz „Ilinden“ zu keiner alle Seiten befriedigenden Lösung führen.

Alle bisherigen Lösungsvarianten haben eines gemeinsam: Der Name „Makedonien“ sowie die Bezeichnungen für die makedonische Nation, Nationalität und Sprache werden mit einer zusätzlichen ethnischen, geografischen, kulturellen, historischen oder zeitlichen Spezifizierung versehen. Bisher hat keines dieser möglichen Lösungsvarianten auch zu einer Lösung geführt.

Bewertung der Lösungsvarianten

Alle bisherigen Lösungsvarianten sind nach meiner Auffassung nicht zielführend. Keines dieser Lösungen kann das zugrundeliegende Problem lösen. Der Streit um den Namen „Makedonien“ ist nur ein Symptom für einen sehr viel komplexeren und tiefer gehenden Kulturstreit um Makedonien. Seit dem 19. Jahrhundert streiten Bulgarien, Griechenland und Serbien um die kulturelle Deutungshoheit über die Region Makedonien. Diese Region war rund 500 Jahre unter osmanischer Herrschaft. Diese Herrschaft wurde in den Jahren 1912/1913 durch zwei Balkankriege beendet. Danach wurde die Region Makedonien zwischen Bulgarien, Griechenland und Serbien aufgeteilt. Die Begehrlichkeiten dieser drei Parteien auf Makedonien hörten damit allerdings nicht auf. In zwei Weltkriegen (1914 – 1918, 1941 – 1944) sowie im griechischen Bürgerkrieg (1946 – 1949) spielte auch der Kulturstreit um Makedonien eine bedeutende Rolle. Allerdings brachte der kommunistisch-jugoslawische Volksbefreiungskampf (1941 – 1944) einen neuen Faktor in die kulturelle Auseinandersetzung um Makedonien. Bereits im ersten jugoslawischen Staat (1918 – 1941) betrachtete sich die Bevölkerung im serbischen bzw. jugoslawischen Teil von Makedonien zunehmend weder als bulgarisch noch als serbisch. Bereits zum Ende des 19. Jahrhunderts kam das Konzept einer von den Bulgaren und Serben unabhängigen und eigenständigen makedonischen Kulturnation auf. Im Rahmen der kommunistisch-jugoslawischen Bewegung wurde die ethnischen bzw. slawischen Makedonier im Jahre 1943 als eigenständige südslawische Nation anerkannt und im Jahre 1944 wurde im serbischen Teil von Makedonien im Rahmen einer kommunistisch-jugoslawischen Föderation der makedonische Staat gegründet, welche sich als „Republik Makedonien“ im Jahre 1991 zu einem unabhängigen Völkerrechtssubjekt erklärte. Die  eigenständige makedonische Kulturnation wurde nun zu einer Partei im Kulturstreit um Makedonien und ersetzte die serbische, welche sich seitdem weitgehend heraushält. Dieser Streit hatte im griechischen Bürgerkrieg zwischen Kommunisten und Monarchisten noch einmal eine aktive Phase, bevor ihn der Kalte Krieg zwischen Ost und West bis zum Jahr 1991 einfror.

Doch blieb dieser Kulturstreit im Untergrund bestehen. Griechenland erklärte „Makedonien“ zu seinem nationalen Erbe und bezog sich dabei vor allem auf das antike Makedonien. Zwischen den heutigen griechischen Makedoniern und den nicht mehr existierenden antiken Makedoniern wurde eine direkte Verbindung hergestellt. Ihre makedonische Regionalidentität und ihre Verbundenheit mit dem Griechentum – in direkte Verbindung zum antiken Makedonien – wurde durch eine entsprechende Kulturpolitik jahrzehntelang gefördert. Alles nicht-griechisch makedonische wurde zu einer anti-griechischen Bewegung und Haltung verklärt.

Die ethnischen bzw. slawischen Makedonier entwickelten ebenfalls einen besonderen Nationalismus. In seiner extremsten Ausprägung wurden auch kulturelle und territoriale Ansprüche auf die griechische Region Makedonien formuliert, wobei sich hierbei besonders die ethnischen bzw. slawischen Makedonier in der Diaspora hervortaten. Während der Bezug auf das antike Makedonien im Falle der makedonischen Kulturnation zunächst nicht so stark ausgeprägt war, erfolgte spätestens in den 1990er auch hier der Versuch von national gesinnten Kräften zwischen ethnischen bzw. slawischen Makedoniern und den antiken Makedonien eine direkte Verbindung herzustellen. Im Jahr 1991 brach der Kulturstreit um Makedonien in Form des sogenannten Namensstreit wieder voll aus und besteht im Prinzip bis heute fort. Geprägt war dieser Streit stark von den Erfahrungen aus Zeit des griechischen Bürgerkrieges sowie der daraus resultierenden Kulturpolitik.

Vor diesem Hintergrund ist die aktuelle Form der Lösungsfindung nicht sinnvoll und zielführend. Vielmehr wären die bisherigen Lösungsvarianten vor allem eine gesichtswahrende Symbolpolitik für Griechenland. Doch gelöst werden kann der Kulturstreit nur durch eine objektiv-wissenschaftliche und -inhaltliche Klärung, welche dann im Rahmen der Bildungs- und Kulturpolitik von allen beteiligten Parteien implementiert werden müsste. Eine derartige Lösung wäre zweckmäßig und zielführend, da sie jeder Form von möglichem Irredentismus die Grundlage entziehen würde. Bulgarien und die Republik Makedonien haben sich im August 2017 vertraglich auf eine entsprechende Lösungsfindung verständigt und wollen so den zwischen ihnen bestehenden Kulturstreit überwinden. Für Griechenland und die Republik Makedonien wäre dieses Modell einer Klärung auch eine sinnvolle und zielführende Option.

Die kulturelle Entwicklung Makedoniens

Für die geschichtliche und kulturelle Entwicklung Makedoniens und seiner Bevölkerung spielt das antike Makedonien zwar als Namensgeber eine Rolle, hat ansonsten jedoch nur sehr wenig mit der heutigen Entwicklung der Region und ihrer Einwohner zu tun. Wie eingangs erwähnt, präjudiziert die Art des antiken Makedoniens und der antiken Makedonier nicht die Art des heutigen Makedoniens und der heutigen Makedonier. Die Geschichte und Kultur Makedoniens ist nicht ausschließlich griechisch. Auch keine andere Kulturnation hat Makedonien alleine geprägt und kann sich als alleinige Erbin der makedonischen Kultur und Geschichte betrachten. Vielmehr wurde Makedonien von vielen Kulturen geprägt und umgekehrt. Es gab immer eine wechselseitige Beziehung zwischen der Region Makedonien und ihrer dynamischen Bevölkerung. Es gibt daher auch nicht „die makedonische Kultur“, sondern vielmehr „die makedonischen Kulturen“.

Einen besonderen Bezug zur Region Makedonien haben heute vor allem zwei Kulturnationen: Die Griechen und die ethnischen bzw. slawischen Makedonier. Im Falle der Griechen insbesondere die griechischen Makedonier mit einer makedonischen Regionalidentität, welche Bestandteil der griechischen Nation sind und in der griechischen Region Makedonien leben. Auch die anderen Völker Makedoniens haben natürlich einen kulturellen Bezug zur geografischen Region, doch ist dieser nicht so stark ausgeprägt wie im Falle der Griechen und der ethnischen bzw. slawischen Makedonier. Die Geschichte hat längst Fakten geschaffen. Vor diesem Hintergrund ist der Kulturstreit nicht nur überflüssig, sondern auch gefährlich. Eine Fortführung würde den Frieden und die Stabilität in der Region gefährden. Nicht gefährlich hingegen ist die „Republik Makedonien“ mit ihrer verfassungsmäßigen Bezeichnung. Auch die Existenz der ethnischen bzw. slawischen Makedonier als eigenständige Kulturnation stellt keine Gefahr da. Vielmehr hat deren Existenz ein ethnologisches Vakuum gefüllt und die Begehrlichkeiten der ursprünglichen Streitparteien Bulgarien, Griechenland und Serbien stark zurückgedrängt. Serbien ist seitdem keine Streitpartei mehr. Bulgarien erhebt seitdem keine territorialen Ansprüche mehr. Zuvor hat es in den beiden Balkankriegen und Weltkriegen immer wieder versucht, möglichst große Teile von Makedonien zu bekommen. Auch Griechenland profitiert von dieser Entwicklung, welche bis heute ein wichtiger Faktor in Sachen Frieden und Stabilität in einer zuvor jahrhundertelang umkämpften Region ist.

Der Kulturstreit sollte nicht nur beendet werden, sondern vielmehr in eine gemeinsame Verantwortung für die Region Makedonien überführt werden. Hierbei ist die kulturelle Vielseitigkeit Makedoniens und seiner Bevölkerung ein Gewinn. Ganz Makedonien soll eines Tages Teil der Europäischen Union (EU) sein. Durch die EU-Mitglieder Bulgarien und Griechenland sind bisher nur deren Teile in der EU. Noch fehlt die Republik Makedonien. Deren EU-Mitgliedschaft würde die Region Makedonien als Ganzes in die EU führen. Das könnte zu einer prosperierende Entwicklung dieser Region führen. Die bisherigen drei Streitparteien Bulgarien, Griechenland und die Republik Makedonien könnten gemeinsam und als in Freundschaft verbundene Partner die europäische Kulturregion Makedonien gründen. Eine derartige Region wäre ein Gewinn für ganz Europa, vor allem und gerade wegen ihrer kulturellen Vielseitigkeit.

Fazit

Makedonien ist vielseitig und hat keine einseitige kulturelle Entwicklung. Vielmehr prägten verschiedene Kulturen Makedonien und wurden wiederum selbst von der Region dieses Namens geprägt. Es gibt eben nicht die eine bestimmte makedonische Kultur, sondern es gab immer verschiedene makedonische Kulturen. Auch ist die kulturelle Entwicklung Makedoniens nicht  eine  rein griechische oder nichtgriechische Angelegenheit, sie ist überhaupt nicht die ausschließliche Angelegenheit einer Kulturnation.

Vor diesem Hintergrund sind alle bisherigen Lösungsvarianten zwischen Griechenland und der Republik Makedonien zur Beilegung des Kulturstreits reine Makulatur. Sie sind weder sinnvoll noch zielführend und lösen den eigentlichen Streit nicht. Der Streit kann nur inhaltlich und objektiv-wissenschaftlich gelöst werden. Dieser Art der Lösung muss Aufgabe einer politisch neutralen und vor allem unabhängigen Expertenkommission sein. Das Resultat ihrer Arbeit muss allerdings politisch umgesetzt werden. Zu einem durch eine entsprechende Bildungs- und Informationspolitik, zum anderen durch eine freundschaftliche und gut nachbarschaftliche Zusammenarbeit zwischen Bulgarien, Griechenland und der Republik Makedonien. Diese Zusammenarbeit soll der Prosperität aller beteiligten Parteien dienen. Diese Art der Lösungsfindung würde jeder Form von Irredentismus die Grundlage entziehen und daher Frieden und Stabilität in der Region dauerhaft sichern.

Statt sich um Makedonien zu streiten sollte diese Region mit ihrer kulturellen Vielseitigkeit entwickelt und gefördert werden. Durch die Gründung einer europäischen Kulturregion, eingebettet in einer Europäischen Union, würde der Kulturkampf um Makedonien dauerhaft in eine gemeinsame Verantwortung für Makedonien und seine kulturelle Vielfalt überführt werden. Dieses Ziel würde dem Wohl aller dienen.

Die staatlichen Vertreter und Politiker von Bulgarien, Griechenland und der Republik Makedonien  sollte über die hier skizzierte Entwicklungsmöglichkeit der Region Makedonien ernsthaft nachdenken. Nicht als Konkurrenten um Makedonien, sondern als Partner dieser einzigartigen Balkanregion. Dieses Ziel kann nur durch ein grundlegendes Umdenken erreicht werden, bei dem die jeweiligen nationalen Bevölkerungen natürlich durch die handelnden staatlichen Vertreter und Politiker mitgenommen werden. Dies kann wiederum nur durch vertrauensbildende Maßnahme erreicht werden. Doch gibt es hier viele Möglichkeiten und das ist eine sinnvolle Aufgabe für die verantwortlichen Staatsfunktionäre und Politiker.

Eine derartige Entwicklung Makedoniens, getragen von Bulgarien, Griechenland und der Republik Makedonien, wären ein Gewinn für alle Beteiligten und sehr zu begrüßen!