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Sinnlose Sturheit der Griechen

GASTKOMMENTAR VON DETLEF KLEINERT (Die Presse)

In absehbarer Zukunft wird Griechenland seine starre Haltung im Streit um den Namen Mazedoniens sowieso aufgeben müssen – man fragt sich, warum nicht jetzt.

Die Griechen, so meinte kürzlich im „Presse“-Interview der mazedonische Außenminister Antonio Milososki, negieren „unsere Identität“ und sind an einem Kompromiss im Namensstreit nicht interessiert. Leider hat er damit recht, die permanente Weigerung Athens, den Namen Mazedonien zu akzeptieren, ist irrational und sorgt für zusätzlichen Sprengstoff am Balkan – als ob es davon nicht schon genug gäbe!

Wenn heute Diplomaten von Mazedonien sprechen, treten sie leicht in ein Fettnäpfchen. Denn für Griechenland ist der nördliche Nachbar, zumindest dem Namen nach, nicht mehr als ein Rest: FYROM – Former Yugoslav Republic Of Macedonia, wie das Land international korrekt, also auch in der UNO, geführt wird. Griechenland fürchtet nämlich, so sagt es zumindest, dass Mazedonien Ansprüche erheben könnte auf den Nordteil Griechenlands, der sich aus den gleichen historischen Wurzeln speist und eben auch Mazedonien heißt.

„Ein nichtswürdiger Mazedone“

Und es verweist auf Alexander den Großen, der sich unzweifelhaft als Hellene fühlte, vergisst dabei aber großzügig darauf, dass für die klassischen Griechen die Mazedonier Barbaren waren und Alexanders Vater Philipp II., der gegen griechische Stadtstaaten zu Felde zog, nach Demostenes „kein Hellene“ war, „sondern ein Barbar des verworfensten Gelichters, ein nichtswürdiger Mazedone“.

Griechenland beruft sich, heute sicher zu Unrecht, zu Zeiten der Staatsgründung Mazedoniens zu Recht, auf den Anspruch der Mazedonen auf Nord-Griechenland. In einem Aufruf der Kommunistischen Partei Mazedoniens bei ihrer Etablierung am 2. August 1944 setzte sie den folgenschweren Satz in die Welt, dass man „auch die Vereinigung aller Teile Mazedoniens erreichen“ wolle, von denen die „Balkan-Imperialisten sie 1913 und 1919 getrennt“ hätten. Für die Griechen ein wunderbarer Grund für die Unterstellung, der Gedanke der mazedonischen Staatlichkeit sei von Anfang an von einer aggressiven Absicht geprägt gewesen.

Was, wenn man ein paar Extremisten außer Acht lässt, natürlich auch Unsinn ist, denn die Verfassung des Landes spricht ausdrücklich davon, dass mit dem Namen „keine Einmischung“ in die Rechte anderer Staaten verbunden ist, und legt in einem Verfassungszusatz fest, dass Mazedonien keine territorialen Ansprüche seinen Nachbarn gegenüber erhebe.

Skopje kam damit den Griechen entgegen, die sogar im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft 1991 gegen Mazedonien agiert und verlangt hatten, der neue Staat müsse sich verpflichten, keine territorialen Ansprüche zu erheben. Die gespielte Angst der Griechen war freilich ziemlich lächerlich – als ob die 10.000 Mann starke, also winzige Armee der Mazedonen gegen die hochgerüstete Armee der Griechen in den Krieg ziehen könnte, um Thessaloniki zu erobern!

Ein ziemlich absurder Verdacht, denn das kleine Land mit 2,1 Millionen Einwohnern dürfte weder jetzt noch in aller Zukunft in der Lage sein, den großen Nachbarn in irgendeiner Weise herauszufordern. Andererseits haben auch die Mazedonier ihr Provokationspotenzial entdeckt, indem sie dem Flughafen Skopje Ende 2006 den Namen „Alexander der Große“ gaben.

Was die Argumentation der Griechen jedoch endgültig als Agitation entlarvt, ist die Tatsache, dass den Griechen der Name Mazedonien im 20. Jahrhundert offenbar so egal war, dass sie erst nach der staatlichen Souveränität von „FYROM“ den historischen Namen wieder entdeckten und ihn im Jahre 1993 in ihre Verwaltung als „Ministerium für Mazedonien und Thrakien“ aufnahmen.

Im Norden lauert Serbien

Wer die Geschichte ein wenig kennt, wird deshalb für die Position der Mazedonen Verständnis aufbringen. Nach der römischen Besatzung in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung war Mazedonien byzantinisch, bulgarisch, serbisch und – seit 1389 – osmanisch. Als Durchgangsland immer begehrt und damit verwundbar, war es bis gegen Ende des 20. Jahrhunderts von feindlichen Nachbarn, den sogenannten vier Wölfen, bedroht: Im Norden lauert Serbien, dessen Kirche die mazedonische Schwester nicht anerkennt, im Osten Bulgarien, das die mazedonische Sprache als bulgarischen Dialekt auffasst und darauf verweisen kann, dass die gesamte Geschichte der slawischen Mazedonier Teil der bulgarischen Geschichte ist.

Im Süden droht Griechenland, das – wie oben beschrieben – den Namen der ehemaligen jugoslawischen Republik als Anspruch auf die eigene gleichnamige Provinz ablehnt, und im Westen Albanien, mit dem das Land die Loyalität seiner albanischen Minderheit teilen muss. Drei der Wölfe, nämlich Bulgarien, Griechenland und Albanien, stellten Anfang der 90er-Jahre keine Gefahr mehr dar, der vierte allerdings eine ganz konkrete.

Sinnlose Sturheit der Griechen

Denn der serbische Diktator Milosevic unternahm Anfang des Jahres 1992 ganz ernsthaft den Versuch, den griechischen Premier Mitsotakis zu überreden, gemeinsam Mazedonien zu zerschlagen und untereinander aufzuteilen. Mitsotakis verhielt sich korrekt, er hat das völkerrechtswidrige Angebot von Milosevic nicht nur abgelehnt, sondern auch noch an die Öffentlichkeit gebracht – der serbische Diktator stand blamiert da (was ihn, dem Ehre ein Fremdwort war, natürlich nicht störte).

Warum die Nato von Mazedonien im Namensstreit einen Kompromiss verlangt, ist angesichts dieser Fakten unverständlich. Denn Mazedonien hat sich in den letzten Jahren als Stabilitätsfaktor am Balkan erwiesen. Nicht umsonst hat die EU dem Lande im Dezember 2005 den Status eines Beitrittskandidaten zugebilligt. In absehbarer Zukunft wird Griechenland seine starre Haltung sowieso aufgeben müssen – man fragt sich, warum nicht jetzt.

Prof. Detlef Kleinert begann seine berufliche Laufbahn beim Bayerischen Fernsehen. Er war unter anderem Südosteuropa-Korrespondent der ARD in Wien.