Am Abend des 15. Juli 2016 gab es aus den Reihen des türkischen Militärs einen Putschversuch. Teile dieser Armee hatten in der Türkei die Übernahme der Macht verkündet, das Kriegsrecht ausgerufen und eine Ausgangssperre verhängt. Aufständische Militäreinheiten hatten zeitweise wichtige Brücken über den Bosporus gesperrt sowie den Flughafen in Istanbul und den staatlichen Rundfunk besetzt. Es kam auch zu Kampfeinsetzen des aufständischen Militärs auf staatliche Einrichtungen. So wurden unter anderem das Parlamentsgebäude und eine Polizeizentrale in der türkischen Hauptstadt Ankara mit Kampfhubschraubern angegriffen. Das Parlamentsgebäude wurde stark beschädigt, beim Angriff auf die Polizeizentrale starben 17 Polizisten. Laut dem türkischen Militärchef sind insgesamt 265 Menschen ums Leben gekommen, darunter 161 Zivilisten und 41 Polizisten. Von den 265 getöteten Menschen standen 161 auf Seiten der Staatsgewalt und 104 waren Putschisten. Über 1.000 Menschen sollen beim Putschversuch verletzt worden sein. Bereits in der Nacht verkündete die türkische Regierung, dass der Putsch niedergeschlagen wurde. Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan rief zum Widerstand auf. Tausende von türkischen Bürgerinnen und Bürgern folgten dem Aufruf und stellten sich den Aufständischen entgegen. Jedoch auch Teile des türkischen Militärs und die türkische Polizei gingen gegen die Aufständischen vor. Laut Regierungsangaben wurden mehr als 2.800 am Putsch beteiligte, vor allem Armeeangehörige, verhaftet. Staatspräsident Erdoğan sowie die türkische Regierung beschuldigen die Bewegungen um den im Exil lebenden Prediger Fethullah Gülen den Putsch angezettelt zu haben. Gülen wies die Vorwürfe jedoch zurück und forderte die Türken ebenfalls auf, sich gegen die Aufständischen zu stellen. Staatspräsident Erdoğan erklärte den Putsch zum Verrat und kündigte harte Strafen für die Putschisten an.
Im Ergebnis scheiterte der Putsch. Zwar ist die Lage noch übersichtlich, doch dürfte die Lage wieder weitgehend unter Kontrolle sein. Bereits drei Mal gab es einen Putsch von Seiten des türkischen Militärs, welches sich als Hüter der von Atatürk festgelegten Ordnung sieht. Besonders der Laizismus, die Trennung von Religion und Staat, muss aus Sicht der türkischen Militärs geachtet werden. Diese Grundsätze sind auch in der türkischen Verfassung festgelegt, welche nach dem letzten Militärputsch (1980) im Jahre 1982 unter Einfluss des türkischen Militärs ausgearbeitet und vom türkischen Volk in einem Referendum angenommen wurde. Die drei erfolgreichen Militärputsche fanden in den Jahren 1960, 1971 und 1980 statt. Im Jahr 1997 gab es zwar keinen Militärputsch, jedoch musste aufgrund einer Einflussnahme durch das Militär Ministerpräsident Necmettin Erbakan von der islamischen Wohlfahrtspartei zurücktreten. Das Militär zwang der damaligen Regierung Maßnahmen auf, welche für sie unannehmbar waren. Im gleichen Jahr wurde die Wohlfahrtspartei vom türkischen Verfassungsgericht verboten. Die regierende „Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung“ (AKP) hat ihre Wurzeln in der Wohlfahrtspartei. Unter der Regierung von Recep Tayyip Erdoğan als Ministerpräsident (2003 – 2014) wurde die Macht des Militärs zurückgedrängt und das Militär einer stärkeren zivilen Kontrolle unterstellt. Gleichzeit baute der jetzige Staatspräsident (seit 2014) Recep Tayyip Erdoğan seine Macht immer mehr aus und agiert immer autoritärer. Der jetzige Putsch richtete sich gegen Recep Tayyip Erdoğan und seine zunehmenden Machtambitionen. Auch die zunehmende Aufweichung der Trennung von Religion und Staat war einigen vom Militär nicht genehm. Im Gegensatz zu den erfolgreichen Militärputschen in der Geschichte der Türkei scheiterte dieser Putschversuch jedoch. Nur ein kleinerer Teil des Militärs putschte. Der größere Teil blieb dieses Mal auf Seiten des Staatspräsidenten und der Regierung. Es kam daher auch zu Kampfhandlungen zwischen aufständischen und regierungstreuen Militärs. So wurde unter anderem ein Kampfhubschrauber der Putschisten von Kampfjets auf der regierungstreuen Seite abgeschossen. Doch auch die türkische Polizei und das Volk stellten sich den Putschisten entgegen.
Der erfolglose Putschversuch wird im Ergebnis die Machtambitionen des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan weiter stärken. Zunächst geht er als Sieger aus dem Putschversuch hervor, was seine Popularität steigen lässt. Er wird massiv gegen die Putschisten vorgehen. Es gibt ernstzunehmende Befürchtungen, dass er dabei auch gegen seine Kritiker und Gegner vorgehen wird, welche nicht am Putsch beteiligt waren. So wurden bereits über 2.700 Richter und Staatsanwälte freigestellt und damit faktisch entlassen. Es wird sehr wahrscheinlich eine Säuberungswelle im türkischen Staat geben, die alle Kritiker und Gegner von Präsident Erdoğan und seiner Regierung betreffen wird. Hier wird bereits der Vergleich mit dem Reichstagsbrand in Deutschland im Jahre 1933 gezogen. Diesen nutzten die Nationalsozialisten als Vorwand, um eine entsprechende Notverordnung durch den damaligen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg zu erwirken. Diese setzte die verfassungsmäßigen Grundrechte weitgehend außer Kraft und ermöglichte die Verfolgung aller politischen Gegner des Nationalsozialismus. Der Putsch gegen die demokratisch legitimierte türkische Staatsgewalt ist nicht zu rechtfertigen. Doch auch der türkische Staatspräsident und seine Regierung höhlen die Demokratie, Meinungsfreiheit, Medienfreiheit und Rechtsstaatlichkeit immer mehr aus. Der jetzige Putsch dürfte von der türkischen Exekutive als Vorwand genutzt werden, diesen autoritären Weg weiterzugehen. Vielmehr sollte der gescheiterte Putsch als Mahnmal für beide Seiten dienen. Einmal das im Rahmen von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ein Putsch nicht zu rechtfertigen ist. Zum anderen, dass die türkische Staatsgewalten (Legislative, Exekutive und Judikative) ausgeglichen sein und eine gegenseitige Kontrolle gewährleisten müssen. Nur so kann die Türkei als demokratischer und sozialer Rechtsstaat bestand haben. Alles andere wäre auch nicht im Sinne von Atatürk gewesen.