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Erneute Parlamentswahl in der Türkei brachte der AKP die absolute Mehrheit zurück

Bei der Parlamentswahl am 07. Juni 2015 in der Türkei verfehlte die AKP („Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung“) nicht nur die angestrebte Zweidrittelmehrheit, sondern verlor auch die absolute Mehrheit der Stimmen im Parlament. Für den ehemaligen langjährigen Vorsitzenden der AKP und jetzigen türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan war das Wahlergebnis ein Denkzettel. Angestrebt hatte er eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit, um ein auf ihn zugeschnittenes Präsidialsystem einführen zu können. An eine Koalitionsregierung hatte der türkischen Staatspräsident Erdoğan kein ernsthaftes Interesse, er dürfte von vornherein die Wiedergewinnung der absoluten Mehrheit durch vorgezogene Parlamentswahlen angestrebt haben. Nach dem erwarteten Scheitern der Koalitionsverhandlung und damit einer Regierungsbildung war der Weg zur Ausrufung von vorgezogenen Parlamentswahlen für den 01. November 2015 frei.

Nach 40,8 Prozent der Stimmen und 257 Parlamentssitzen bei der Wahl am 07. Juni 2015 erreichte die AKP bei der vorgezogenen Parlamentswahl am 01. November 2015 nun 49,48 Prozent der Stimmen und 317 von 550 Parlamentssitzen. Die absolute Mehrheit, welche bei 276 Parlamentssitzen liegt, wurde damit deutlich erreicht und damit hat Recep Tayyip Erdoğan das mit der vorgezogenen Wahl angestrebte Ziel erreicht. Zweitstärkste Kraft wurde mit 25,31 Prozent der Stimmen und 134 Sitzen wieder die säkulare CHP („Republikanische Volkspartei“), gefolgt von der nationalistischen MHP („Partei der Nationalistischen Bewegung“) mit 11,90 Prozent und 40 Sitzen. Bei der Wahl am 07. Juni 2015 erreichte die CHP 25,2 Prozent bzw. 133 Sitze und die MHP 16,6 Prozent bzw. 82 Sitze. Die pro-kurdische HDP („Demokratische Partei der Völker“) schaffte mit 10,75 Prozent der Stimmen knapp den Sprung über die Zehn-Prozent-Hürde und kommt auf 59 Sitze im Parlament. Bei der Wahl am 07. Juni 2015 erreichte die HDP noch 12,8 Prozent der Stimmen und 78 Sitze. Damit gewann nur die AKP deutlich Stimmen hinzu, während die CHP leicht dazu gewann. Die MHP und die HDP verloren gegenüber der Wahl vom 07. Juni 2015 jeweils Stimmen. Die Wahlbeteiligung lag bei 85,64 Prozent und damit in etwa in der gleichen Größenordnung wie bei der Wahl am 07. Juni 2015.

Der Wahlsieg der AKP dürfte darauf zurückzuführen sein, dass die türkischen Wählerinnen und Wähler trotz einer kritischen Haltung gegenüber den Machtambitionen von Recep Tayyip Erdoğan eher auf politische Stabilität setzen. Der türkische Präsident sollte das jetzige Wahlergebnis daher nicht überbewerten und eine gemäßigtere Haltung in seiner Amtsführung an den Tag legen. Des Weiteren sollte er den aus politischem Kalkül entfesselten Konflikt mit Kurden wieder ins Lot bringen und einen aufrichtigen Friedensprozess anstreben. Der Einführung eines Präsidialsystems hat die Wählerschaft eine Absage erteilt. Zu einer entsprechenden Verfassungsänderung benötigt   Recep Tayyip Erdoğan eine Zweidrittelmehrheit im Parlament, was der Zustimmung von 367 Parlamentarierinnen und Parlamentariern erfordern würde. Allerdings kann mit einer Dreifünftel-Mehrheit der Stimmen eine Volksabstimmung über eine Verfassungsänderung herbeigeführt werden. Für diese Mehrheit wird die Zustimmung von 330 Parlamentarierinnen und Parlamentariern benötigt, welche die AKP ebenfalls nicht erreicht hat. Im Falle einer Volksabstimmung müsste mehr als die Hälfte der abstimmenden Wählerinnen und Wähler der Verfassungsänderung zustimmen. Aufgrund der absoluten Mehrheit der AKP im türkischen Parlament wird erwartet, dass Staatspräsident  Recep Tayyip Erdoğan wieder den jetzigen Vorsitzenden der AKP und bisherigen türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu  mit der Regierungsbildung beauftragen wird. Einige Kritiker befürchten aufgrund des unerwarteten deutlichen Wahlsieges der AKP, besonders auch in den Siedlungsgebieten der Kurden, eine mögliche Manipulation der Wahl. Das Wahlergebnis verpflichtet auf jeden Fall zu einem verantwortungsbewussten Umgang mit der politischen Macht sowie zur Einhaltung von demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätzen.