Die erwarteten Neuwahlen des griechischen Parlaments werden am 06.05.2012 stattfinden. Der griechische Staatspräsident Karolos Papoulias hat das Parlament entsprechend der griechischen Verfassung formell aufgelöst und damit die Neuwahlen auf Wunsch aller im Parlament vertretenen Parteien angeordnet. Zuvor hatte der griechische Ministerpräsident Loukas Papadimos mit allen im Parlament vertretenen Parteien gesprochen und sich bezüglich der geplanten Neuwahlen mit ihnen beraten. Diese Parlamentswahl wird keine gewöhnliche Wahl werden, da sie im Zeichen der größten Staats-, Finanz- und Wirtschaftskrise Griechenlands stattfindet. Der Ausgang der Wahl ist noch offen, doch dürfte nach den stark schwankenden Meinungsumfragen das bisherige Parteiensystem beendet sein. Unabhängig vom Ausgang der Wahl wird eine Lösungsfindung im sogenannten Namensstreit zwischen Griechenland und der Republik Makedonien aufgrund der Krise in Griechenland eher schwierig.
Hintergrund
Durch die schwere Staats-, Finanz- und Wirtschaftskrise wurde im November 2011 eine Übergangsregierung unter der Leitung von Loukas Papadimos gebildet. Diese Übergangsregierung wurde zunächst von den Parteien PASOK (Panhellenischen Sozialistischen Bewegung), ND (Nea Demokratia) und LAOS (Orthodoxe Volksalarm) getragen, wobei sich die LAOS am 10.02.2012 aus der Regierungsverantwortung zurückzog. Hauptaufgaben der Übergangsregierung waren Maßnahmen zur Überwindung der schweren Finanzkrise durch massive Kürzungen der staatlichen Ausgaben auf der einen Seite und durch eine Erhöhung der staatlichen Einnahmen auf der anderen. Diese Maßnahmen waren auch Voraussetzung für weitere finanzielle Hilfen an Griechenland durch die Europäische Union (EU) und den Internationalen Währungsfond (IWF). Die dazu notwendigen Gesetze mussten von der Übergangsregierung ausgearbeitet, erfolgreich durch das griechische Parlament gebracht und anschließend durch die Übergangsregierung umgesetzt werden.
Gerade die Umsetzung der Gesetze stößt auf großen Widerstand in der Bevölkerung und den unteren staatlichen Behörden. Auf der Ebene der griechischen Gesetzgebung und Regierung hat die Übergangsregierung ihre Funktion erfüllt und soll daher nach den griechischen Parlamentswahlen wieder durch eine gewöhnliche Regierung ersetzt werden. Umstritten bleibt weiterhin die Frage, ob italienischem Beispiel folgend die griechische Übergangsregierung nicht länger hätte im Amt bleiben sollen. Trotz der krisenbedingten gesellschaftspolitischen Entwicklung herrschen in den Parteien immer noch alte Denkmuster vor, die sich negativ auf die weitere Entwicklung Griechenlands auswirken könnten. Die Krise ist noch längst nicht überwunden.
Wirtschaftliche Ausgangslage
Die Wirtschaft in Griechenland ist seit dem Ausbruch der Krise um 15 % geschrumpft. Im Jahr 2011 erreichte die Rezession einen Wert von 6,8 % und wird in diesem Jahr, dem Dreimonatsbericht der EU-Kommission zufolge, voraussichtlich einen Wert von 4,7 % erreichen. Die Arbeitslosigkeit stieg von 10,3 % im Dezember 2009 zunächst auf 14,4 % im Dezember 2010. Im Dezember 2011 erreichte die Arbeitslosigkeit dann einen Wert von 21 % und verdoppelte sich damit innerhalb von zwei Jahren. 355.000 Arbeitslose (9,1 % der erwerbsfähigen Bevölkerung) werden zu den Langzeitarbeitslosen gezählt. Allein in den ersten drei Monaten des Jahres 2011 sind 370.000 Arbeitsplätze verloren gegangen. Auch die Arbeitnehmer/innen sind aufgrund der Lohneinbußen stark von der Krise betroffen. Im Durchschnitt kommt es zu einer Lohnkürzung von 22 %, im Falle junger Arbeitnehmer/innen sogar zu 32 %. Alle Renten, die über 1.300 EURO liegen, werden rückwirkend zum 01.01.2012 um 12 % gekürzt. Ausgenommen von diesen Kürzungen sind u.a. Hinterbliebene der Opfer von Gewalt- und Terrorakten sowie einige Altersgruppen und Schwerbehinderte. Insgesamt hat sich die wirtschaftliche Situation für alle griechische Bürger verschärft.
Ein wirtschaftlich schwaches Griechenland ist auch für die Balkanregion ein Nachteil, insbesondere für die Republik Makedonien. Für die weitere Integration der Staaten des Westbalkan in die Europäische Union (EU) ist es ebenfalls hinderlich. Auch außenpolitisch bedeutet die Wirtschaftskrise für Griechenland eine Einengung ihres Handlungsspielraumes, da das Fehlen von wirtschaftlicher Stärke und des darauf aufbauenden nationalen Selbstbewusstseins der Kompromissfindung in heiklen Fragen im Weg stehen.
Politische Ausgangslage
Die wirtschaftliche Ausgangslage hat, wie die Krise insgesamt, einen großen Einfluss auf das Vertrauen der griechischen Bevölkerung in die Politik und das Parteiensystem. Die schwere Staats- Finanz- und Wirtschaftskrise hat die politische Situation in Griechenland massiv verändert. Bei einer Arbeitslosigkeit von fast 21 %, Lohn- und Gehaltseinbußen sowie einer Kürzung der Renten, Pensionen und Sozialleistungen ist das Vertrauen in die etablierten Parteien stark gesunken. Vor allem die großen Parteien PASOK und ND verlieren in den Meinungsumfragen zugunsten der kleineren, linken Parteien. Auch kleinere rechte und sonstige Protestparteien schöpfen Stimmen von der PASOK und ND ab. Im Vergleich zwischen den beiden schneidet die ND in den Meinungsumfragen generell besser ab, wobei sie bei möglichen Neuwahlen trotzdem keine absolute Mehrheit erreichen würde und auf einen Koalitionspartner angewiesen wäre. Die PASOK hat unter ihrem neuen Vorsitzenden, Evangelos Venizelos, wie von Analysten erwartet worden war, in Meinungsumfragen wieder an Stimmen hinzugewonnen. Im direkten Vergleich zwischen dem PASOK-Vorsitzenden Evangelos Venezilos und dem ND-Vorsitzenden Andonis Samaras schneidet zwar Venizelos besser ab, doch traut die große Mehrheit der griechischen Bevölkerung keinem der beiden eine Bewältigung der Krise zu.
Nach den bisherigen Umfragen sei eine Koalitionsregierung der ND mit einer anderen Partei wahrscheinlich, wobei nur die PASOK oder LAOS als mögliche Koalitionspartner in Frage kämen. Letztere dürfte gerade bei außenpolitischen Fragen ein sehr schwieriger Partner sein. Andere Koalitionsvarianten sind unwahrscheinlich. Die Meinungsumfragen schwanken insgesamt sehr stark und geben keine sichere Prognose für die anstehende Wahl. Insgesamt dürfte sie offen verlaufen und die Regierungsbildung schwierig sein. Auch ist mit der Wahl die Krise nicht überwunden – sie wird weiterhin die Politik in Griechenland bestimmen. Jede griechische Regierung wird sich dazu gezwungen sehen müssen, weitere unpopuläre Maßnahmen für eine Bewältigung der Krise zu ergreifen.
Griechenland und die Republik Makedonien
Die schwere Staats-, Finanz- und Wirtschaftskrise ist das allesbeherrschende Thema in Griechenland. Infolgedessen spielt der sogenannte Namensstreit in der griechischen Gesellschaft und Politik nur eine geringe Rolle. In den griechischen Medien wird der Namensstreit wenig thematisiert und spielt im Wahlkampf kaum eine Rolle. Auf außenpolitisch-staatlicher Ebene kann die Namensfrage der Republik Makedonien aufgrund des IGH-Urteils vom 05.12.2011 und des bevorstehenden NATO-Gipfels im Mai 2012 jedoch nicht völlig ignoriert werden. Auch der am 15.03.2012 begonnene hochrangige Dialog zwischen der EU und der Republik Makedonien bedeutet für Griechenland früher oder später eine klare außenpolitische Positionierung. Die Übergangsregierung unter Loukas Papadimos hatte kaum ein Mandat zur Klärung der großen außenpolitischen Fragen, da ihr Hauptzweck Maßnahmen zur Überwindung der Finanzkrise war und diese in kurzer Zeit durchgeführt werden mussten. Erst eine neue, nach den Parlamentswahlen gebildete Regierung hätte ein entsprechendes außenpolitisches Mandat. Doch solange die Krise anhält, ist der mögliche Handlungsspielraum einer jeden griechischen Regierung für die Klärung von großen nationalen bzw. außenpolitischen Fragen eingeengt. Eine neue griechische Regierung der ND unter Andonis Samaras wäre dabei zusätzlich erschwerend. Andonis Samaras gilt als Hardliner im sogenannten Namensstreit und ist weitaus weniger zu Kompromissen bereit, als Giorgos Papandreou und Loukas Papadimos es sind. Es könnte durchaus sein, dass die bisherigen roten Linien auf griechischer Seite ihre Geltung verlieren und stattdessen neue, verschärfte Positionen eingenommen werden. Eine Beteiligung der LAOS an einer Koalitionsregierung würde jede Lösung des Namensstreits vorerst unmöglich machen, auch wenn sie für Griechenland zweifellos von gleichem Interesse ist wie für die Republik Makedonien. Stabile Nachbarstaaten, mit denen Griechenland in freundschaftlichen Verhältnissen verbunden ist, bedeuten Stabilität und Sicherheit, die eine zusätzliche Grundlage für kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung sind. Doch zur Zeit ist sowohl die Situation des griechischen Staates als auch die der griechischen Gesellschaft ungünstig für große außenpolitische Kompromisse, denn in jeder großen politischen Frage spielen neben rationalen Erwägungen auch emotionale Aspekte eine bedeutende Rolle. So ist die Kompromissbereitschaft der griechischen Politiker größer als die seiner Bevölkerung. Die Kluft zwischen Staat und Bürgern wurde durch die Krise vergrößert und man ist nun stark bemüht weitere Unruhen in der Bevölkerung zu vermeiden. Die griechische Außenpolitik bezüglich der Republik Makedonien wird sich daher zwischen diesen genannten außenpolitischen und innenpolitischen Zwängen bewegen. Ihre Konkretisierung wird erst nach den Wahlen erfolgen.
Fazit
Ein stabiles und wirtschaftlich starkes Griechenland ist nicht nur im Interesse der griechischen Bevölkerung und der EU, sondern auch im Interesse der Staaten und Nationen des Westbalkans. Nur ein wirtschaftlich starkes und dadurch selbstbewusstes Griechenland ist zudem in der Lage Kompromisse in großen außenpolitischen Fragen einzugehen und Katalysator für weitere politische und wirtschaftliche Entwicklungen des Westbalkans zu sein. Vor allem hängt ihre weitere europäische Integration von dieser Entwicklung. Auch die Lösungsfindung im sogenannten Namensstreit ist stark von der weiteren Entwicklung in Griechenland abhängig.
Die Wahl in Griechenland ist demnach eine Schicksalswahl für die griechische Nation und ihr Staatswesen. Sie entscheidet stark darüber, wie, wann und ob die Krise in Griechenland überwunden werden kann und wie es danach weitergeht. Somit ist sie auch zu einer Schicksalswahl für die Staaten des Westbalkans – insbesondere der Republik Makedonien – geworden, deren weitere Entwicklung von der Griechenlands abhängt.