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Klientelismus und Korruption auf dem Balkan

In den Staaten auf dem Balkan, darunter auch Griechenland und die Republik Makedonien, sind Klientelismus und Korruption ein weit verbreitetes Phänomen. Die Behebung dieses Problems ist bisher gescheitert, obwohl viele Seiten sich dies zum Ziel gesetzt haben. Allerdings sind Klientelismus und Korruption tief verwurzelt in den Gesellschaften auf dem Balkan und reichen bis weit in die Zeit der osmanischen Herrschaft zurück. Unter dieser entwickelten sich bereits die bekannten Strukturen dieses Phänomens. Wenn auch nicht formell, so doch in der Realität wurde es Teil des gesellschaftlichen Systems und ist bis heute voll etabliert. Nachfolgend soll auf die Geschichte, auf die weiteren Hintergründe zu Klientelismus und Korruption sowie auf die aktuelle Entwicklung eingegangen werden.

Vorgeschichte und Ursprünge

Klientelismus und Korruption gab es bereits im alten Rom. Doch gerade unter der Herrschaft des Osmanischen Reiches entwickelte sich der Klientelismus und schaffte Strukturen, die bis heute überlebt haben. Zunächst soll die Entwicklung für Griechenland betrachtet werden. Bis ins 19. Jahrhundert gab es keinen griechischen Staat im heutigen Sinne. In der Antike gab es verschiedene griechische Stämme und ihre Stadtstaaten. Sie verbanden eine gemeinsame Kultur, insbesondere Sprache und Religion. Das antike Makedonien war hingegen ein Flächenstaat und ein Königreich. Er wird historisch jedoch dem damaligen Hellenismus zugerechnet, auch wenn sich die antiken Makedonier merklich von den übrigen griechischen Stämmen unterschieden und einen eigenständigeren Charakter hatten. Unter der Herrschaft von Philipp dem Zweiten aus Makedonien (356 – 336 v. Chr.) wurden die griechischen Stadtstaaten erobert und  geeint. Diese Einigung diente seinem Sohn Alexander dem Großen (Herschafft: 336 – 323 v. Chr.) später für seine Eroberungsfeldzüge und der Verbreitung des Hellenismus. Nach seinem Tod im Jahre 323 v. Chr. zerfiel das Reich unter seinen Nachfolgern und geriet spätestens 146 v. Chr. vollständig unter der Herrschaft des Römischen Reiches. Damit endete die Selbstständigkeit des antiken Griechenlands. Erst Anfang des 19. Jahrhunderts wurde die Selbstständigkeit Griechenlands wieder erlangt und es entstand die moderne griechische Nation. Dazwischen war der Hellenismus eine kulturelle Bewegung, welche über lange Zeit das gesamte östliche Mittelmeer bis zum Zweistromland und darüber hinaus beherrschte. Mit der Eroberung Konstantinopels (heute Istanbul) im Jahre 1453 geriet Griechenland unter der Herrschaft des Osmanischen Reiches, welche bis 1829 andauerte. Teile des heutigen Griechenlands blieben noch bis zum Jahr 1912 unter osmanischer Herrschaft. 

Die Situation unter der Herrschaft des Osmanischen Reiches

Unter der Herrschaft des Osmanischen Reiches wurde die griechische Führungsschicht weitgehend vernichtet und es bildeten sich neue Herrschaftsstrukturen heraus. Das Osmanische Reich konnte aufgrund seiner Größe nicht zentral verwaltet werden. Es gab lokale Verwaltungsträger, die sogenannten Muchtare. Diese vertraten die Dörfer und kleinen Städte gegenüber der osmanischen Regierung. Sie waren für die Abgaben und die Ordnung in ihrem Bereich zuständig und nur sie fungierten als Ansprechpartner für die osmanische Obrigkeit. In ihrer Amtsführung waren die Muchtare weitgehend autonom. Solange die Abgaben an die Obrigkeit weitergeleitet wurden und es auch sonst keine Probleme gab, griff die osmanische Obrigkeit in lokalen Angelegenheiten nicht ein. Wie viel sie selbst noch an Abgaben einnahmen, interessierte die Obrigkeit nicht, so dass die Sippen der Muchtare oft sehr reich wurden und großen lokalen Einfluss hatten. Die Bauern und Handwerker mussten sich gut mit ihnen stellen, nur dann durften sie auf ein ungestörtes Arbeiten, gelegentliche Unterstützung in Notfällen und Schutz hoffen. Beide Gruppen waren die Klienten der Muchtare (welche auch als Patrone bezeichnet wurden). Diese Gesellschaftsform heißt Klientelismus und war nicht nur in Griechenland, sondern auf dem ganzen unter osmanischer Herrschaft stehenden Balkan vorherrschend. So finden sich die verfestigten Strukturen des Klientelismus vor allem in Albanien, Bosnien und Herzegowina, dem Kosovo, der Republik Makedonien, Montenegro, Serbien und der Türkei.

Nach dem Ende der Osmanischen Herrschaft

Im griechischen Freiheitskrieg (1821 – 1829) und im unabhängigen Griechenland hat diese Gesellschaftsform überlebt. Nur die Akteure haben sich geändert. Jetzt hatten sich mächtige griechische Familienclans zu Netzwerken zusammengeschlossen, welche einen pyramidenförmigen Aufbau hatten. An deren Spitze standen wenige, sehr mächtige und reiche Clans. Sie ersetzten im Prinzip die osmanische Obrigkeit. Die Basis bildeten viele Familienclans mit regionalem Einfluss, welche nun anstellte der Muchtare ihren Einfluss ausübten. Die bestehenden Abhängigkeiten der normalen Bevölkerung, etwa der Bauern und Handwerker, blieben bestehen. Für sie änderte sich nichts nach dem Ende der osmanischen Herrschaft. In den anderen, bisher osmanischen Gebieten auf dem Balkan kam es zu analogen Entwicklungen. Die bisherigen Strukturen wurden nicht zerschlagen, sondern lediglich von den neuen Machthabern und ihren lokalen Verbündeten übernommen. Im heutigen Griechenland haben sich auf Basis der Machtstrukturen die politischen Parteien herausgebildet, die ihr jeweiliges Klientel bedienen. Zum Teil wurden bzw. werden die Vorsitzfunktionen in diesen Parteien von bestimmten Familienclans ausgeübt, etwa den Mitsotakis oder den Papandreous. Auch hier verlief die Entwicklung in den anderen Balkanstaaten analog. Je nach politischer Ausrichtung bedienen die Parteien eine bestimmte Klientel bzw. dienten als Machtbasis von bestimmten Akteuren. Oft stehen die Parteien lange zeit unter dem Vorsitz einer bestimmten Person bzw. dem Einfluss von bestimmten Eliten. Die normale Bevölkerung ist selbst im Alltag von ihnen abhängig. Wer etwas werden oder in Wohlstand leben will, der muss sich mit den herrschenden Eliten gut stellen. So werden öffentlich-rechtliche Stellen im Staat von diesen Eliten als Belohnung für ihre Anhänger oder anderer aufgrund der Umstände induzierten Unterstützer vergeben. Dies führte in Griechenland zu einer Aufblähung des öffentlichen Dienstes und zu hohen Folgekosten für den Staatshaushalt. Auch in der Republik Makedonien haben ihre Bürgerinnen und Bürger in der Regel nur Chancen auf einen Aufstieg oder auf mehr Wohlstand, wenn sie Unterstützer einer bestimmten Partei sind. Ist dann eine Partei besonders lange an der Macht, wird ein bestimmtes Klientel immer mehr privilegiert und die anderen Klientelen werden immer mehr vernachlässigt. Das kann zu Spannungen führen.

Chancengleichheit besteht in Gesellschaftsformen mit Klientelismus nicht. Es kommt dort nicht auf die individuelle Qualifikation, sondern auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten gesellschaftliche Elite oder Partei an – dadurch haben viele Beamte in Griechenland ihre Position zu verdanken. Durch die Überblähung des Staatsapparates arbeitet die Verwaltung zudem ineffektiv. Im Ergebnis führt das zu Korruption. Denn diese Mentalität setzt sich bis ins Kleine fort. So unterstützten diese Beamten wiederum Familienangehörige, Freunde und Bekannte entsprechend ihrer Möglichkeiten. Unterstützt wird dieses System von Klientelismus und Korruption auch durch die Gesetzgebung, die der staatlichen Verwaltung einen breiten Ermessensspielraum lässt. Formell ist Korruption in jedem Balkanstaat strafbar, jedoch gesellschaftlich voll etabliert und verbreitet. Es kann von einer Normalität gesprochen werden. So werden in Griechenland aufgrund der Strafbarkeit von Korruption Zahlungen diskret abgewickelt. Etwa ein Zettel mit einer Kontonummer, ein Geldbetrag der in eine Schublade oder in einen unbeschrifteten Umschlag gelegt wird, welcher zwischen Antragsformularen gesteckt wird. Die Höhe der notwendigen Zuwendungen für eine bestimmte staatliche Leistung wird zuvor bei Personen erfragt, welche Bescheid wissen. Aufgrund der bestehenden Abhängigkeiten ist ein Ausbruch aus diesem System sehr schwierig. Entsprechend schwer lässt es sich bekämpfen und überwinden. Die Entwicklung in Griechenland wurde hier zwar als Beispiel hervorgehoben, doch bestehen diese Strukturen auch in der Republik Makedonien und in den anderen Staaten des Westbalkans. Dies führt im Ergebnis zu Korruption und auch zu autoritären Regierungen. Nicht politischer Gestaltungswillen, sondern das Streben nach Einfluss und Macht sind die vorherrschenden Motive. Die einen wollen bestehende Abhängigkeiten und bestehenden Einfluss bewahren, die anderen an deren Stelle treten. Keine Regierung in den Staaten auf dem Westbalkan hat bisher geeignete Maßnahmen ergriffen den Klientelismus und die Korruption ernsthaft zu bekämpfen. In der Regel werden Maßnahmen nur gegenüber den politischen Gegnern unternommen, die eigene Anhängerschaft wird weitgehend verschont.

Die Folgen von Klientelismus und Korruption

Der Staat und die Staatsgewalt werden durch Korruption und Klientelismus ausgehöhlt. Diese Entwicklung führt zu einem schwachen Staat, zu dem seine Bürgerinnen und Bürger kein Vertrauen haben. In Konsequenz werden die Klientelparteien und die dahinterstehenden Eliten gestärkt. Die einzelne Bürgerin oder der einzelne Bürger ist weniger vom Staat sondern noch mehr von einer bestimmten Klientelpartei abhängig. Wahlentscheidungen werden im erheblichen Maße aufgrund von Abhängigkeiten und Belohnungen von der Klientelpartei beeinflusst und nicht aufgrund einer freien Meinungsbildung getroffen. Entsprechend werden die Institutionen der Staatsgewalt, etwa die Verwaltung und die Gerichte, durch Anhänger und Unterstützer der Klientelparteien besetzt. Selbst in den Medien setzt sich das System fort. Die Einschränkung der Medienfreiheit beruht nicht bloß auf staatliche Maßnahmen von außen, sie kommt auch von innen heraus. Denn Klientelismus als Gesellschaftsform spiegelt sich überall wieder, da es aus der Gesellschaft selbst kommt. Somit entzieht sich diese Gesellschaftsform jeder Kontrolle. Es gibt im Prinzip den formellen Staat, in dem Klientelismus und Korruption verboten sind, und die Realität, in der sie gelebt werden. Da fast niemand außerhalb dieser gelebten Realität steht hat das System bestand. Ein derartiges System kommt natürlich an seine Grenzen. Zunächst ist es ineffektiv und kostenintensiv. Nicht die für eine bestimmte Position qualifizierten, sondern die einer bestimmten Klientel angehörenden besetzen einen staatlichen Posten. Selbst in diesen staatlichen Positionen bestimmen nicht die Interessen des Staates und der Nation das alleinige Handeln, sondern auch die Interessen der Klientelen oder die persönlichen Motive das Agieren. Eine so personell aufgebaute Verwaltung ist in weiten Bereichen ineffektiv. Der Staat kann so nicht seine ordinären Aufgaben erfüllen und dem Gemeinwohl dienen. Er wird geschwächt und ist insgesamt ineffektiv. Das hat unter anderem auch massive soziale und wirtschaftliche Folgen: Zunächst sind staatliche Ressourcen begrenzt. Wird eine Klientel bedient, muss eine andere benachteiligt werden. Das führt zu Spannungen, welche aufgrund der Ineffektivität des Staates und der Macht der herrschenden Klientelen nicht mehr im Rahmen eines funktionierenden demokratischen und rechtsstaatlichen Systems ausgetragen werden können. Allerdings sind vor allem auch die finanziellen Ressourcen des Staates beschränkt, zumal in Gesellschaften mit starken Klientelismus die ordentliche Wirtschaft geschwächt und das System der staatlichen Einnahmen ineffektiv ist. Bestimmte Eliten sind überproportional steuerbegünstigt, andere entziehen sich der Steuerpflicht. Der Staat ist aufgrund der personellen Verstrickung in Klientelismus und Korruption nicht in der Lage die Steuerpflicht vollständig durchzusetzen. Zwischen den formell möglichen Einnahmen und den tatsächlichen gibt es eine merkliche Differenz zugunsten der Klientelen und zuungunsten des Staates. Neben einer ineffektiven legalen Wirtschaftsordnung ist eine außerhalb dieser Ordnung stehende Schattenwirtschaft vorherrschend. Da jedoch der Klientelismus aufgrund der Gewährung von kostenintensiven Belohnungen und sonstigen Zuwendungen viel Geld verschlingt, in der Regel mehr als der Staat einnimmt, steigt die Neuverschuldung. Irgendwann ist hier eine Grenze erreicht und der Staat schlingert vollständig in eine Krise. In einem solchen System bleiben auf Dauer nicht nur die Bürgerinnen und Bürger auf der Strecke, sondern auch das Recht und die offizielle Wirtschaftsordnung. Sowohl die Sicherheit des Individuums als auch von Institutionen, zum Beispiel von Unternehmen, ist nicht mehr im ausreichenden Maße gesichert. In Folge bleiben notwendige ausländische Investitionen, die damit verbundenen finanziellen Einnahmen und die damit verbundene Schaffung von Arbeitsplätzen aus. Normalerweise geht die Herrschaft in einem funktionierenden demokratischen und sozialen Rechtsstaat von seinen Bürgerinnen und Bürgern aus. Solch ein Staat ermöglicht einen effektiven Interessenausgleich zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, verfügt über eine funktionierende Wirtschaft und ist auch für ausländische Investoren interessant. Qualifizierte Personen haben reelle Chancen und wandern nicht ab, sondern bereichern die Gesellschaft. In einem Staat, in dem Klientelismus als tragende Gesellschaftsform besteht, geht die Herrschaft von bestimmten Klientelen aus. Nicht das Wohl der Bürgerinnen und Bürger steht im Vordergrund, sondern die Befriedigung der Interessen von bestimmten Klientelen. Eine gerechte, effektive und auf Vertrauen beruhende Finanz-, Sozial- und Wirtschaftsordnung besteht nicht. Die Einnahmen und die Wirtschaft des Staates sind schwach ausgeprägt. In Folge bleiben notwendige Investitionen und Steuereinnahmen aus. Qualifizierte Personen haben keine Chancen und wandern ab, zurück bleiben die Bürgerinnen und Bürger, die sich gezwungenermaßen mit dem System arrangieren müssen.

Die Situation in der Republik Makedonien

Die Republik Makedonien sowie ihre Bürgerinnen und Bürger sind ebenfalls massiv von Klientelismus und Korruption betroffen. Die großen Klientelparteien sind die „Innere Makedonische Revolutionäre Organisation – Demokratische Partei für die makedonische Einheit“ („IMRO-DPMNE“ bzw. „VMRO-DPNE“) und die Sozialdemokratische Union Makedoniens (Alternativbezeichnung auch „Sozialdemokratischer Bund Makedoniens“). Im Falle der Angehörigen der albanischen Gemeinschaft in der Republik Makedonien sind dies die „Albanisch Demokratische Partei“ (DPA) (albanisch: Partia Demokratike Shqiptare, DPSH) und die „Demokratische Union für Integration“ (DUI) (albanisch: Bashkimi Demokratik për Integrim, BDI). Bis zum Jahr 2006 wechselnden sich die IMRO-DPMNE und die SDSM als führende Regierungspartei noch regelmäßig ab, so dass die Klientelen ausgewogener bedient werden konnte. Auch unter den kleineren albanisch-makedonischen Koalitionsparteien kam es noch zu regelmäßigeren Wechseln an der Regierungsbeteiligung. Seit 2006 ist die IMRO-DPMNE ununterbrochen an der Macht, die Koalition mit der DUI besteht seit 2008 ununterbrochen. Hier erfolgte eine Verfestigung der Macht. Des Weiteren wird seitdem eine bestimmte Klientel immer mehr privilegiert, während andere Klientelen benachteiligt werden. Bei Wahlentscheidungen spielt das natürlich auch eine Rolle, wenn sich bestimmte Abhängigkeiten und Strukturen verfestigt haben. Es stärkt die herrschende Klientelpartei und verfestigt ihre Macht. Selbst große politische Skandale, wie der Abhör-Skandal von rund 20.000 makedonischen Bürgerinnen und Bürgern oder die umstrittenen Begnadigungen von damit verbundenen mutmaßlichen Tätern durch den makedonischen Staatspräsidenten, ändern nichts an den bestehenden Machtverhältnissen. In einem westeuropäischen Staat, wie Deutschland, Frankreich oder dem Vereinigten Königreich, wären die Regierungen in vergleichbaren Fällen längst am Ende gewesen. Es hätte dort effektive Ermittlungen und Gerichtsverfahren gegeben. Es gibt natürlich zunehmend Protest in der Republik Makedonien gegen staatlichen Klientelismus und die damit verbundene Korruption. Doch eine schweigende Mehrheit hat längst resigniert. So haben seit 1991 rund 140.000 Menschen die Republik Makedonien verlassen, jährlich emigrieren etwa 5.000 Personen. Den politischen Akteuren geht es vor allem um ihre persönlichen Interessen und vor allem um Einfluss. Politische Machtwechsel sind gleichbedeutend mit dem Verlust von Einfluss und der dann nicht mehr möglichen Befriedigung von persönlichen Interessen. Aus diesem Grunde klammern sich die führenden politischen Akteure an der Macht oder versuchen sie mit allen Mitteln zu bekommen. In vielen Fällen wäre ein großer nationaler Schulterschluss unbedingt erforderlich. So etwa bei der Überwindung des Streits um den Namen „Makedonien“ mit Griechenland. Auch die Überwindung von sozialen und wirtschaftlichen Problemen sowie die Erreichung einer möglichen Mitgliedschaft in der Europäischen Union (EU) und der NATO würden diesen dringend erforderlich machen. Doch das Streben nach Einfluss und Macht bzw. nach deren Erhalt durch Klientelparteien und ihrer Akteure verdrängt die eigentlich notwendigen und wichtigen Herausforderungen. Statt Weitsicht herrscht Kurzsichtigkeit, statt das Wohl aller im Auge zu haben überwiegt die Fokussierung auf die jeweilige Klientel. Es gibt auch Menschen die versuchen ernsthaft dieses System zu bekämpfen und zu überwinden – selbst in staatlichen Institutionen. Doch schaffen sie es im Ergebnis nicht. Zu stark sind die bestehenden Abhängigkeiten und Verflechtungen. So sind die seit 2014 andauernde Staatskrise sowie soziale und wirtschaftliche Probleme in der Republik Makedonien zu einem bedeutenden Teil auch eine Folge des Klientelismus als faktische Gesellschaftsform. Ohne einen Mentalitätswechsel und einen klaren personellen und sachlichen Schnitt zum bisherigen faktischen System ist eine Besserung nicht in Sicht. Nur einmal gab es ein übergeordnetes Interesse, bei dem alle Klientelparteien und ihre Akteuren zum Wohle des Staates und ihrer Nation zusammenwirkten: Der ethnische Konflikt zwischen ethnischen und albanischen Makedoniern von 2001, der zum Teil bewaffnet geführt wurde und zu einem dauerhaften ethnisch bedingten Bürgerkrieg zu eskalieren drohte. Hier konnte durch das Rahmenabkommen von Ohrid, welches am 13.08.2001 unterzeichnet und später auch staatsrechtlich implementiert wurde, ein erfolgreicher Interessenausgleich herbeigeführt werden. Dieser beendete den Konflikt.

Ausblick

Klientelismus und Korruption sind tief auf dem Balkan verwurzelt, durchdringen die Gesellschaften und deren Staaten und lassen sich nicht leicht bekämpfen. Sie reichen einige Jahrhunderte weit zurück. Deren Strukturen haben sich im Osmanischen Reich entwickelt und überdauern bis heute. Gewechselt haben nur die herrschenden Eliten und deren Klientelen. Aufgrund der Normalität dieses Phänomens und dessen festen Etablierung lässt es sich nicht einfach überwinden. Dennoch tragen diese Gesellschaftsformen auch den Keim des Scheiterns in sich. Sie können aufgrund begrenzter Ressourcen und der zunehmenden internationalen Vernetzung nicht mehr folgenlos weiter agieren. Die Befriedigung der Interessen der herrschenden Klientelen ist kostenintensiv. Sie funktioniert nur auf Kosten der Interessen anderer und einer hohen Verschuldung, die ebenfalls auf Kosten anderer, nämlich der von zukünftigen Generationen geht. Die Spannungen zwischen den verschiedenen Klientelen steigen aufgrund des Kampfes um die zunehmend knappen Ressourcen. Auch von außen, etwa durch die internationale Gemeinschaft, sind zunehmend keine Hilfen mehr zu erwarten. Schlimmstenfalls brechen die betreffenden Gesellschaften und Staaten zusammen, vielleicht sogar in bewaffneten Konflikten. Spätestens in der Katastrophe wäre ein Mentalitätswechsel in den betreffenden Gesellschaften denkbar. So wie seinerzeit nach Zusammenbruch der sozialistischen Ordnungen in Südost- und in Osteuropa. Nicht überall verlief der Prozess friedlich. Erfolgreich waren sie je nach Gesellschaft und Staat nur mehr oder weniger. Etwa in Slowenien verlief der Prozess sehr erfolgreich, im Bereich der ehemaligen Sowjetrepubliken, mit Ausnahme der baltischen Staaten, nicht. In Polen, Tschechien, der Slowakei und Ungarn gibt es mehr oder weniger große Spannungsbereiche zwischen politischen Parteien und anderen gesellschaftlichen Gruppen. Im Falle von Bulgarien und Rumänien verhält es sich wiederum wie auf dem Westbalkan.

In Griechenland ist die schwere Staatskrise im Jahr 2009 ausgebrochen. Nur mit finanzieller Unterstützung durch die EU, die Europäische Zentralbank (EZB) und den Internationalen Währungsfond (IWF) konnte Griechenland überleben. Als Gegenleistung musste Griechenland Reformen durchführen, die es zunächst nur halbherzig und nur aufgrund äußeren Druckes durchführte. Diese Reformen bedrohen, wenn sie konsequent bis zum Ende durchgeführt werden, durchaus die herrschenden Klientelen. Jedoch ist der Weg von Beschluss der Reformen und deren Umsetzung weit. Vor allem da die hierfür zuständige Verwaltung selbst von den Reformen betroffen ist und in ihr bisher Klientelismus herrscht. Zweifel über die tatsächliche Umsetzung der Reformen sind berechtigt. Solange finanzielle Mittel fließen und der äußere Druck nicht ausreicht, wird es den Klientelismus und die damit verbundene Korruption weiter geben. Streng genommen müsste in den betroffenen Staaten die Verwaltung komplett ausgetauscht und von Externen übernommen werden. Entsprechend müssten die Staaten unter internationaler Kontrolle stehen, bis das System überwunden ist. Es bedarf einem personellen und sachlichen Neuanfang. In der Realität geht dies nicht so einfach. Die Staaten und ihre Gesellschaften wollen ihre Souveränität bewahren. So empfinden viele Griechinnen und Griechen die Maßnahmen der EU, der EZB und des IWF als aufgezwungenes Diktat. Tatsächlich führten die Reformen auch zu einer Verarmung und Verelendung der normalen Bürgerinnen und Bürger. Die Angehörigen der herrschenden Klientelen konnten sich zum Teil wieder aus der Affäre ziehen. In der Republik Makedonien ist die seit 2014 bestehende schwere Staatskrise auch noch nicht überwunden worden. Sie ist auch im Wesentlichen eines der Symptome von Klientelismus und Korruption.

Doch der erforderliche Mentalitätswechsel kann nicht von außen aufgezwungen werden. Er muss von den betreffenden Gesellschaften selbst ausgehen. Allerdings sollte es dennoch einen Druck von außen geben. Keine finanzielle Unterstützung ohne Reformen und als weitere Voraussetzung die Möglichkeit, die Umsetzung der Reformen effektiv zu überwachen. Die betreffenden Gesellschaftsformen sollten nicht mit Hilfen von außen am Leben gehalten werden. Allerdings müssen die betreffenden Gesellschaften darüber hinaus selbst die Grenzen ihrer bisherigen Gesellschaftsform und die Vorteile von möglichen Alternativen erkennen. Vielleicht kommt die Einsicht erst im Rahmen einer Katastrophe, hoffentlich jedoch früher. Die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ändern sich aufgrund von Globalisierung und den Herausforderungen der Zeit massiv, auch für die Staaten auf dem Balkan. Deren Gesellschaften wünschen sich zunehmend eine Gesellschaftsform, die dem Wohl aller dient. Die bisherige Gesellschaftsform wird hingegen zunehmend untragbar. Auch wenn der Prozess noch langsam und schwach ist, so wird er eines Tages an Fahrt aufnehmen und an Stärke gewinnen. Irgendwann wird die Vorherrschaft von Klientelismus und Korruption auch auf dem Balkan überwunden sein.