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Kroatien und Serbien vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag

Eröffnung der Verhandlung zwischen Kroatien und Serbien vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag (Quelle: www.icj-cij.org)

Die Republik Kroatien hatte im Jahre 1999 vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag eine Genozid-Klage gegen die damalige Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) erhoben. Im Januar 2010 erhob die Rechtsnachfolgerin der Bundesrepublik Jugoslawien, die Republik Serbien, eine Genozid-Klage gegenüber Kroatien. Am 03.03.2014 wurde nun die Verhandlung zu beiden Klagen in Den Haag eröffnet.

Hintergrund

Im kroatisch-serbischen Krieg von 1991 bis 1995 soll es, so der Vorwurf Kroatiens, zu einem Genozid an der kroatischen Bevölkerung gekommen sein. Die Bundesrepublik Jugoslawien habe sowohl die kroatischen Serben als auch die damalige Jugoslawische Volksarmee (JNA) unterstützt und sei damit für den Genozid verantwortlich. In diesem Krieg hatte es zahlreiche Todesopfer, Vertreibungen und Zerstörungen gegeben. Die Bundesrepublik Jugoslawien befand sich zwar nicht offiziell im Krieg mit Kroatien, gleichwohl unterstützte sie die serbischen Freischärler in Kroatien. Bis zur Gründung der Bundesrepublik Jugoslawien am 27.04.1992 stand die Jugoslawische Volksarmee formell unter Kontrolle des Präsidiums der Sozialistisch Föderativen Republik Jugoslawien (SFRJ), welches spätestens ab Oktober 1991 faktisch nur noch aus Vertretern Serbiens und Montenegros bestand. Nach der Gründung der Bundesrepublik Jugoslawien entschied das auslaufende Präsidium am 04.05.1992, dass Angelegenheiten der Jugoslawischen Volksarmee außerhalb der Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) nicht mehr in den Zuständigkeitsbereich der Bundesrepublik Jugoslawien fallen würden. Allerdings fiel das Material der JNA in den überwiegenden Fällen an die kroatischen und bosnische Serben, die damit ihren Krieg in Kroatien und Bosnien und Herzegowina bis Ende 1995 fortsetzten. Inwieweit die Bundesrepublik Jugoslawien tatsächlich Unterstützung leistete ist Gegenstand von Auffassungsunterschieden und Forschungen. Im Falle von Bosnien und Herzegowina verurteilte der IGH die Bundesrepublik Jugoslawien zwar nicht wegen des dort verübten Genozids, rügten jedoch, dass die Bundesrepublik Jugoslawien das Ausmaß des Krieges und der Kriegsfolge hätte verhindern können. Also kein Urteil wegen einer aktiven Beteiligung am Genozid, jedoch wegen der Unterlassung diesen aktiv zu verhindern.

Der Krieg aus kroatischer und serbischer Sicht

Nach Auffassung Kroatiens waren die Serben im Krieg von 1991 bis 1995 die alleinigen Aggressoren, verantwortlich für den Tod von über 13.500 Kroaten, der Vertreibung von Hunderttausenden und der Verwüstung von weiten Landstrichen. Vor allem die ethnischen Säuberungen durch die Serben in Kroatien erfüllen nach kroatischer Auffassung die Tatbestandsmerkmale des Völkermordes. Noch heute würden etwa 900 bis 1.400 Kroaten vermisst. Es besteht daher aus kroatischer Sicht die Hoffnung im Rahmen dieses Prozesses etwas über deren Schicksal zu erfahren.

Nach serbischer Auffassung begannen die Kroaten ein Genozid an der serbischen Minderheit in Kroatien, der vor dem Krieg etwa 600.000 Personen angehörten. Es seien 6.500 Serben ermordet und 200.000 Serben vertrieben worden. Noch etwa 1.200 Serben würden vermisst. Die Serben sind vor allem bei der Rückeroberung der Krajina durch Kroatien im August 1995 getötet und vertrieben worden, während die kroatischen Opfer vor allem aus der Zeit davor zu beklagen sind.

Kroatien verlangt auch die Rückgabe von geraubten Kulturgütern und Reparationszahlungen.

Der weitere Verlauf des Klageverfahrens

Bis zum 01.04.2014 können nun beide Seiten gegenseitig ihre Argumente vorbringen bzw. auf die Argumente der jeweils anderen Seite reagieren. Die Verhandlungstage sind entsprechend gegliedert und festgelegt. Versuche im Vorfeld beide Konfliktparteien zur Rücknahme der Klagen zu bewegen scheiterten vor allem an Kroatien. Politisch sind sich Kroatien und Serbien bereits sehr viel näher gekommen und betreiben auch im Hinblick auf die weitere europäische Integration der Staaten des Westbalkans bereits eine Versöhnungspolitik. Vor diesem Hintergrund gelten die Verfahren vor dem IGH eher als störend. Gleichwohl ist eine juristische Aufklärung notwendig. Allerdings wurden in diesem Konflikt bisher nur Einzelpersonen verurteilt, Staaten nicht. Es ist auch sehr schwierig einem beteiligten Staat selbst ein Verbrechen nachzuweisen. Im Falle Bosnien und Herzegowinas konnte der Bundesrepublik Jugoslawien kein direktes Verbrechen nachgewiesen werden. Das Gericht stellte lediglich fest, dass die Bundesrepublik Jugoslawien aufgrund ihres Verhaltens einen Genozid nicht verhindert habe. Allerdings bedeutet eine Unterlassung im Völkerrecht zur Verhinderung eines Völkermordes keinen aktiven Völkermord im Sinne der Anklage. Im Falle Kroatiens dürfte es ähnlich sein. Ebenso unwahrscheinlich ist eine Verurteilung Kroatiens aufgrund der serbischen Klage. Nach der Anhörung dürften noch einige Monate vergehen bis ein Urteil gesprochen wird. Wahrscheinlich werden die Urteile zum Ende des Jahres gesprochen.

Ausblick

Eine Verurteilung des Rechtsnachfolgers der Bundesrepublik Jugoslawien, der Republik Serbien, dürfte eher unwahrscheinlich sein. Gleiches gilt auch für eine Verurteilung der Republik Kroatien. Zweifellos sind auf beiden Seiten Kriegsverbrechen begannen worden. Für diese können in der Regel nur Einzelpersonen verurteilt werden, wobei es sich in den überwiegenden Fällen um Angehörige militärischer Einheiten oder Politiker handelt. Das die Bundesrepublik Jugoslawien bzw. die Republik Serbien oder die Republik Kroatien als Staaten aktiv Kriegsverbrechen begangen haben lässt sich hingegen nicht eindeutig beweisen. Völlig unschuldig dürften sie trotzdem nicht sein. Politisch hätten die am Konflikt beteiligten Staaten viele militärische Auseinandersetzungen und Verbrechen verhindern können. Eine Unterlassung ist allerdings nicht strafbar. Wäre sie es, dann würde immer ein Gebot zum Eingreifen zur Verhinderung eines Verbrechens im Sinne des Völkerrechts bestehen. Ein Umdenken in dieser Hinsicht findet allerdings langsam statt,  wie auch der völkerrechtlich umstrittene Einsatz der NATO gegen die damalige Bundesrepublik Jugoslawien wegen des Kosovo-Krieges von März bis Juni 1999 zeigte.