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Geschichte Allgemein

Nationalitätenkämpfe mit langer Geschichte

Griechenlands Verhältnis zu seinen Nachbarn und Minderheiten ist verkrampft

Tilman Zülch aus pogrom – bedrohte völker Heft 2 / 2001

Quelle: GFBV.de

01. März 2001
Wie die meisten Balkanstaaten hat sich Griechenland seine Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich in Jahrzehnten blutiger Auseinandersetzungen erkämpft. Erst 1826 konnte das südliche Griechenland seine Unabhängigkeit erklären. 600 Jahre lang war das griechische Siedlungsgebiet von Istanbul aus beherrscht worden. Noch heute spricht man in Griechenland, Bulgarien oder Serbien mit Ranküne vom „Osmanischen Joch“ – und verdrängt damit auch die großen Errungenschaften osmanischer Kultur und viele Jahrzehnte guten oder erträglichen Zusammenlebens von Muslimen und Christen.

Anfang des 20. Jahrhunderts bewohnten die Griechen alle Küsten der Ägäis und des Schwarzen Meeres bis nach Trapezunt im Osten (heute Türkei) und nach Burgas im Norden (heute Bulgarien). Erst im Balkankrieg 1912/13 eroberten griechische Truppen den südlichen Epirus, Südmazedonien und Westthrakien. Griechen bildeten dort nur Minderheiten innerhalb der Bevölkerung. Weite Teile dieser Regionen waren von christlichen Bulgaren, Pomaken (bulgarischsprachigen Muslimen) und Aromunen, von Albanern christlichen und muslimischen Glaubens, von Türken und von muslimischen Roma bewohnt. In vorangegangenen Jahrhunderten hatten Albaner Regionen Südgriechenlands bis hinunter zum Peloponnes und sogar einzelne griechische Inseln besiedelt und den griechisch-orthodoxen Glauben angenommen. Viele dieser gräzisierten christlichen Albaner nahmen an den griechischen Unabhängigkeitskämpfen teil. Letzte Reste dieser Bevölkerungsgruppe bezeichnen sich heute als Arvaniten und treten für Förderung und Anerkennung ihrer Kultur ein.

1922 versuchte Griechenland, die Siedlungsgebiete an der östlichen Ägäisküste, in Ostthrakien und Konstantinopel an sich zu reißen. Mit Zustimmung Englands und Frankreichs marschierten griechische Truppen Richtung Ankara und wurden vor der türkischen Hauptstadt von Kemal Atatürk vernichtend geschlagen, nachdem die Alliierten ihre Waffenlieferungen eingestellt hatten. Die griechischen Siedlungsgebiete in Ionien und Ostthrakien wurden von türkischen Truppen erobert. Hunderttausende, überwiegend Zivilisten, verloren ihr Leben. Im Vertrag von Lausanne wurde – auch durch britischen Druck – die Vertreibung von 1,5 Millionen Griechisch-Orthodoxen aus der Türkei sanktioniert. Sie wurden in Nordgriechenland angesiedelt. Gleichzeitig mussten über 500.000 Muslime – unter ihnen Türken, Albaner, Pomaken und Roma – Nordgriechenland verlassen. Die Schrecken von Flucht, Vertreibung und Völkermord werden seither als beispielhafter „Bevölkerungsaustausch“ umschrieben. Nur die muslimischen Minderheiten Westthrakiens wurden, geschützt durch ein Sonderstatut, ebenso von der Umsiedlung ausgenommen wie 250.000 Griechen in Konstantinopel/Istanbul und auf den Inseln Imbros und Tenedos.

Mit dem unseligen Mittel des Bevölkerungsaustauschs förderten ebenfalls in den 20er Jahren auch bulgarische und griechische Politiker die weitere Homogenisierung ihrer Länder. Die griechische Bevölkerung musste die Südküste Bulgariens verlassen, slawische Mazedonier wurden von Griechisch Mazedonien nach Bulgarien umgesiedelt. Während des griechischen Bürgerkrieges 1945-48 mussten weitere Zehntausende Slawomazedonier Griechenland verlassen und wurden auf die kommunistischen Staaten Osteuropas verteilt. Bis heute dürfen die meisten von ihnen nicht in ihre Heimat zurückkehren. Die damals im Land Zurückgebliebenen und ihre Nachfahren sind seither nur noch eine kleine Minderheit.

Während der Befreiungskämpfe der Völker des südlichen Balkans gegen die Türken hatte sich die große Mehrheit der Slawomazedonier an Bulgarien orientiert. Die mazedonischen Dialekte galten als Teil des Bulgarischen bis Tito-Jugoslawien 1944 eine eigene mazedonische Hochsprache schuf. Seither wurde Alexander der Große, der fast ein Jahrtausend vor der slawischen Besiedlung des Balkan Mazedonien beherrschte, eine Art mythischer Begründer Mazedoniens. Als es der südlichsten Republik des alten Jugoslawien gelang ohne kriegerische Auseinandersetzung mit Belgrad die Unabhängigkeit zu erlangen, nahm der neue Staat Mazedonien das antike mazedonische Sonnensymbol in seine Flagge auf.

Jetzt wirkten die Nationalitätenkämpfe in Nordgriechenland nach. Es waren wohl die größten Massendemonstrationen in Griechenland seit Ende des Zweiten Weltkrieges, als 1994 fast zwei Millionen Griechen mit antimazedonischen Parolen durch Athen und Saloniki marschierten. Griechenland gelang es, eine internationale Diskussion zu entfachen, Skopje zu erpressen und die europäischen Institutionen in Sachen Mazedonien zu paralysieren. Bis heute erleben viele Griechen Affekte des Chauvinismus, die sich aus Unsicherheit speisen. Vielleicht auch aus schlechtem Gewissen wegen der Vertreibung der Mehrheit der mazedonisch- und bulgarischsprachigen Bevölkerung aus Griechenland und der gnadenlosen Unterdrückung der dort zurückgebliebenen Minderheiten.

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Geschichte: Makedonier in Kanada

Viele Makedonier zog es in den letzten 100 Jahren nach Kanada. Der folgende Beitrag (engl.) gibt einen kleinen kurzen Überblick über deren Entwicklung in Kanada.

Der Exodus der Ägäis-Makedonier (Teil 1)

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UPDATE: VIDEO: http://www.youtube.com/watch?v=LOFcR2yTKN8

Aleksandra Cvetanoska hat ihren Bruder Gjorgji nach 54 Jahren in Australien gefunden. Ihre Kindheit und Jugend verbrachte sie in Heimen in Polen, nachdem sie als Zweieinhalbjahre altes Kind mit anderen Kindern des Dorfes „Shtrkovo“ gebracht wurde.

Doca Gogarevska aus „Sheshtevo“ hatte ihre Mutter nie gesehen. Nach der Massenevakuierung der Kinder aus Ägäis-Makedonien 1948 starb ihre Mutter kurz nachdem griechische Soldaten ihren Mann und ihre beiden größeren Töchter auf irgendeine Insel gebracht und interniert wurden.
Beide Schwestern leben heute in Griechenland, der ältere Bruder in Tschechien. Der kleinere Bruder ist mit ihr in Polen.

„Das erste Treffen mit meinen Eltern war nach acht Jahren. Als ich sie zum ersten Mal sag, empfand ich sie nicht als Vater und Mutter, nicht mal den Bruder als Bruder. Ich bin in Heimen aufgewachsen, ich habe dieses Gefühl verloren“, sagt Vaska Petroska.

Als man Sofija Ristoska mitteilte, dass sie zu ihren Eltern nach Polen müsse, bat sie weiterhin im Heim bei den anderen Flüchtlingskindern in Rumänien zu verbleiben.

Fana Martinova, Lena Miljova, Milka Damoska und Ksantipa Kirova stiegen als 10-jährige Mädchen im Frühling 1948 auf den Kirchturm des Dorfes Pozdivishta (Kostur/Kastoria) und sangen das Lied: „Zbogum Majko, Zbogum Tatko, Zbogum rodnini, jas odam na dalechen pat“ (dt. Lebe wohl Mutter, Lebe wohl Vater, Lebe wohl geliebte Verwandte, ich gehe auf eine weite Reise“). Sie kamen nie zurück. Sie verbrachten ihre Jugend in Weisenheimen in Rumänien und Polen und als sie älter wurden gingen sind weg. Lena ging nach Toronto, Kanada, Ksantipa heiratete einen Polen und blieb in Polen, Milka ging zu ihrem Vater, der in Taschkent lebte, und Fana kam zurück nach Makedonien. Nach 40 Jahren sahen sie sich wieder.

Als Jane Bendevski seinen Geburtsort Orovo besuchte, fand er keine Spur von dem Dorf. Die Grundsteine seines Elternhauses fand er nur auf Basis einer von einem anderen gezeichneten Karte.

Dies sind nur wenige Eindrücke des großen Dramas, welches die „Detsa Begaltsi“ (dt. die vertriebenen Kinder“) und ihre Eltern aus dem griechischen Teil Makedoniens während und nach dem griechischen Bürgerkrieg 1946-1949 erlebten mussten.
In diesem Jahr werden es nun 60 Jahre her sein, seit dem diese Tragödie stattfand, welche in dem kollektiven Bewusstsein aller Makedonier verankert ist.

Die Makedonier zahlten den höchsten Preis für den Bürgerkrieg in Griechenland. Zwischen 25.000 und 30.000 Kinder aus Ägäis-Makedonien wurden von ihren Eltern getrennt und in sog. demokratische Länder des kommunistischen Blocks gebracht. Alle Kinder hatten keine wirkliche Kindheit. Die schönste Zeit ihres Lebens verbrachten sei in Weisenheimen ohne die Zuwendung ihrer Eltern. Unter ihnen waren makedonische und griechische Kinder. Ihre Eltern, Brüder und Schwestern blieben zurück und kämpften in einem Krieg, den sie schon verloren hatten. Ebenfalls ca. 30.000 makedonische Kinder wurden mit Gewalt von griechischen Soldaten und Polizisten den Müttern weggenommen und unter der Schirmherrschaft der damaligen Königin Frederika in Weisenheime gebracht.

Später bestimmte die Kommunistische Partei Griechenlands, dass die kleinen Kinder über die Grenze nach (damals) Jugoslawien überführt werden sollten. Damals wurde den Kindern gesagt, dass sie schnell wieder zurückkehren würden, denn sie würden gewinnen. Doch sie kamen nie wieder zurück, weder nach einem Jahr, noch nach zehn und 60 Jahren. Nur die griechischen Kinder kamen zurück, nicht jedoch die makedonischen, weil sie eben nicht griechisch waren.

Die Kinder am Bahnhof in Skopje

Mehr als ein halbes Jahrhundert war es ihnen nicht gestattet, die Orte zu besuchen, wo sie ihre Kindheit verbracht hatten. Ihre Versuche das Land zu betreten endeten bereits an der Grenze. Sie wurden von griechischen Beamten zurückgewiesen.

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Anno … 26. Woche

Geschichte im Rückblick Die Region Makedonien 1913, 29. Juni–10. August: Zweiter Balkankrieg. Der im ersten Balkankrieg agierende »Balkanbund« zerfällt durch Gebietsstreitigkeiten um Makedonien (mit der… Weiterlesen »Anno … 26. Woche

HISTORY: Ein unabhängiges Makedonien (1916)

Im folgenden Bericht für das französische Außenministerium beschreibt Rene Picard das Makedonien im Jahr 1916, drei Jahre nach der Teilung und der Vertreibung der Osmanen aus Europa. Er geht in die geographischen Grenzen des Landes ein und macht Angaben zu den Völkern, die in Makedonien leben. Insbesondere widmet er sich der Idee, dass ein autonomes, ein unabhängiges Makedonien für die „makedonischen Christen“ die einzig richtige Lösung ist.

Rene Picard:The Autonomy of Macedonia, July 20, 1916

The idea of Macedonian autonomy is familiar to all those who are acquainted with Balkan history and politics. If we asked the Christians of Macedonia they would answer that autonomy was the most desirable solution for them. There is and, in fact, there has always been a Macedonian spirit in Macedonia.

Geographically, Macedonia has its own unity. Its borders are the following: to the south – Mt Olympus, the mountains on the north bank of the River.. Bistrica, Lake Prespa and Lake Ohrid; to the west -the Drim from Debar; to the north-west and north -the Sar Mountains, the highlands north of Skopje, the defile of Kumanovo, the mountains that mark the Serbo-Bulgarian frontier of before 1912; to the east -the Rhodope Mountains. The borderline with Thrace on this side is not clear. The regions of Drama and Kavalla can either be adjoined to Macedonia or separated from it; the plain of Drama is populated mostly by Turks; the town of Kavalla, like all the ports, has a strong Greek colony. To the south, the Chalcidice Peninsula is geographically Macedonian, but ethnographically Greek; the line of lakes separates it by a natural border from the rest of Macedonia. Within these borders Macedonia has the natural basins of Skopje, Bitola, Veles, Serez, Drama and Salonika with the mountains that separate them and the narrow valleys that unite them.

The Christian population in the country side is Slav. It is known to be neither quite Bulgarian, although it is closer to the Bulgarians, nor quite Serbian. The Bulgarians themselves admit that the Macedonians differ from the other Bulgarians: they possess a more lively spirit, are more fond of politics and intrigue, more inclined to eloquence and the arts, also more cunning; in a word, they are a little Hellenized.

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