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Griechenland: Nach der Parlamentswahl ist vor der Parlamentswahl

Die griechischen Bürgerinnen und Bürger werden am 17.06.2012 erneut ein Parlament wählen. Zuvor war jeder Versuch einer Regierungsbildung gescheitert. Bis zur Parlamentswahl amtiert, wie in der griechischen Verfassung vorgesehen, eine Übergangsregierung unter der Leitung eines   Vorsitzenden der drei höchsten Gerichtshöfe Griechenlands. Ihre einzige Aufgabe ist die Organisation und Durchführung der Parlamentswahlen. Mit der Leitung dieser Übergangsregierung hat der griechische Staatspräsident Karolos Papoulias den Präsidenten des höchsten Verwaltungsgerichts  Panagiotis Pikrammenos beauftragt.

Hintergrund

Nach den Parlamentswahlen vom 06.05.2012 zogen 7 Parteien in das Parlament ein. Die bisher staatstragenden Parteien – die Nea Demokratie (ND) und die Panhellenische Sozialistische Bewegung (PASOK) – kamen zusammen nur auf 149 von 300 Sitzen und verfehlten somit die absolute Mehrheit. Großer Gewinner war das Linksbündnis SYRIZA, das mit 16,92 % der Stimmen auf den zweiten Platz kam und die PASOK auf den dritten Platz verdrängte. Zu den Gewinnern gehörten auch zwei weitere linke Parteien und zwei rechte Parteien. Im Gegensatz zu der PASOK und der ND lehnen alle anderen Parteien die bisherige Reform- und Sparpolitik mit unterschiedlicher Intensität ab. Damit hat die bisherige Reform- und Sparpolitik auch im Parlament  keine Mehrheit mehr und diese fehlende Mehrheit macht jede stabile Regierungsbildung illusorisch. Am gemäßigten ist noch die Demokratische Linke einzustufen, die sich theoretisch eine Koalition mit der ND und der PASOK vorstellen könne.

Nachdem der griechische Staatspräsident am 07.05.2012 vom Parlamentspräsidenten offiziell über das Wahlergebnis informiert wurde, beauftragte er gemäß der griechischen Verfassung zunächst Andonis Samaras als Vorsitzenden der stimmenstärksten Partei ND mit der Regierungsbildung. Dieser gab bereits nach wenigen Stunden auf, da er neben der PASOK keine weitere Partei für eine Regierungsbildung gewinnen konnte. Am 08.05.2012 beauftragte der griechische Staatspräsident den Vorsitzenden der zweitstärksten Partei, Alexis Tsipras vom Linksbündnis SYRIZA, mit der Regierungsbildung. Dieser ließ sich zwar mehr Zeit mit dem Versuch eine Regierung zu bilden, schaffte es jedoch auch nicht und dürfte bei den Sondierungsgesprächen eher die nächste Wahl im Auge gehabt haben. Bei dieser Wahl erhoffe sich der Vorsitzende des Linksbündnises SYRIZA mehr Stimmen als bei der letzten und wolle dafür die möglichen Bündnisse mit anderen Parteien für eine zukünftige Regierungsbildung ausloten. Als Letzter im Bund ging das Mandat des Staatspräsidenten zur Regierungsbildung am 10.05.2012 an Evangelos Venizelos, den Vorsitzenden der PASOK, der drittstärksten Partei. Dieser schien zunächst die Demokratische Linke für eine Regierungsbildung gewinnen zu können. Die ND wäre bereit gewesen sich dieser Koalition anzuschließen. Doch machte die Demokratische Linke ihre eigene Regierungsbeteiligung letztendlich von der des Linksbündnises SYRIZA abhängig. Das Linksbündnis SYRIZA lehnte jedoch weiterhin jede Regierungsbeteiligung ab. Diese Haltung wird bestärkt von positiven Meinungsumfragen, aus denen hervorgeht, dass für die kommenden Wahlen das Linksbündnis als stärkste Partei eingeschätzt wird oder zumindest deutlich hinzugewinnt. Damit war am 11.05.2012 auch Evangelos Venizelos‘ Versuch einer Regierungsbildung gescheitert. Zwischen dem 12.05. und 15.05.2012 bemühte sich der griechische Staatspräsident Karolos Papoulias durch Gespräche mit den Vorsitzenden aller im Parlament vertretenen Parteien zu einer Lösungsfindung zu kommen. Zunächst beriet sich Papoulias mit den Vorsitzenden der drei stärksten Parteien. Im Anschluss daran bezog er auch die Vorsitzenden aller anderen im Parlament vertretenen Parteien mit ein. Als diese Gespräche zu keinem Ergebnis führten, diskutierte Papoulias mit den Vorsitzenden der ND, der PASOK und der Demokratischen Linken (Fotis Kouvelis) über die Bildung einer reinen Expertenregierung. Diese sollte bis zur Europawahl im Jahre 2014 amtieren und Griechenland aus der Krise führen. Auch dieser Versuch scheiterte. Schließlich kam es ein letztes Mal zu einem Gespräch zwischen ihm und den Vorsitzenden der ND, der PASOK, des SYRIZA, der Demokratischen Linken und der Unabhängigen Griechen (Panos Kammenos). Da auch diese Gespräche ohne Ergebnis blieben, war am 15.05.2012 offensichtlich: Die Regierungsbildung ist gescheitert und bei den vorherrschenden Mehrheitsverhältnissen im Parlament ist auch zukünftig keine Regierungsbildung möglich. Für diesen Fall sieht die griechische Verfassung innerhalb von 30 Tagen Neuwahlen vor. Selbst der Versuch des Staatspräsidenten, die Parteien für eine Übergangsregierung zu gewinnen, deren einzige Aufgabe die Organisation und Durchführung der Neuwahlen gewesen wäre, scheiterte. Die griechische Verfassung sieht für diesen Fall die Bildung einer Übergangsregierung unter der Leitung des Vorsitzenden eines der drei obersten Gerichtshöfe Griechenlands vor.  Der Staatspräsident und die Vorsitzenden der im neuen Parlament vertretenen Parteien einigten sich auf Neuwahlen am 17.06.2012. Mit der Leitung der Übergangsregierung beauftragte Staatspräsident Karolos Papoulias den Vorsitzenden des höchsten Verwaltungsgerichts Griechenlands, Panagiotis Pikrammenos.

Die griechische Übergangsregierung

Die griechische Übergangsregierung besteht neben dem Ministerpräsidenten Panagiotis Pikrammenos aus insgesamt 16 Ministern. Auf stellvertretende Minister und Staatssekretäre wurde verzichtet. Bei den jetzigen Regierungsmitgliedern handelt es sich überwiegend um Universitätslehrer, ehemalige Minister und Diplomaten. Zum Außenminister Griechenlands wurde der erfahrene Karrierediplomat Petros Molyviatis ernannt. In seiner kurzen Amtszeit wird es zu keiner aktiven Außenpolitik Griechenlands kommen können. So wird auch eine mögliche Lösungsfindung im Namensstreit vorerst ausbleiben, da die jetztige Übergangsregierung kein entsprechendes Mandat hat. Diese Übergangsregierung vertrat Griechenland allerdings auf dem NATO-Gipfel in Chicago am 20. und 21.05.2012. Doch die Klärung der Frage eines möglichen NATO-Beitritts der Republik Makedonien erfolgte auf diesem Gipfel nicht. Ansonsten gab es während der Amtszeit der Übergangsregierung am 23.05.2012 noch einen EU-Sondergipfel. Mit dem Finanzressort wurde Georgios Zannias betraut. Ziel der griechischen Finanzpolitik ist die weitere Mitgliedschaft Griechenlands in der europäischen Währungsunion mit dem EURO als Zahlungsmittel. Dieses Ziel setzt jedoch eine strikte Reform- und Sparpolitik voraus, wobei die Sparpolitik nicht zum Nachteil der wirtschaftlichen Entwicklung Griechenlands werden darf. Den Spagat zwischen sinnvoller Sparpolitik und notwendigen Ausgaben zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung wird erst eine nach den Wahlen am 17.06.2012 gebildete Regierung zu vollziehen haben. Die jetzige Übergangsregierung ist eine rein technische. Ihre Hauptaufgabe ist die Organisation und Durchführung der kommenden Parlamentswahl. Darüber hinaus hat sich vor allem eine verwaltende Funktion, bis eine neue von einer Parlamentsmehrheit getragene Regierung wieder politisch agieren kann. In seiner Antrittsrede betonte Ministerpräsident Panagiotis Pikrammenos, dass ein Klima der Ruhe und der Besonnenheit geschaffen werden müsse. Sein Vorgänger im Amt, Loukas Papadimos, hob hervor, dass die von den Griechen gebrachten Opfer Fuß fassen würden und nicht umsonst gewesen seien. Er warnte auch vor einem Austritt Griechenlands aus der Währungsunion. Diese käme einem wirtschaftlichen Niedergang gleich und würde die bisherige strategische Linie Griechenlands beenden. Von Seiten der Europäischen Union (EU) und des Internationalen Währungsfonds (IWF) wird die Einhaltung der bisherigen Reform- und Sparzusagen erwartet. Jedoch zeichnet sich auf der Ebene der EU auch ein mögliches Entgegenkommen ab, indem etwa die Sparauflagen für Griechenland flexibler gestaltet werden könnten.

Das griechische Übergangsparlament

Das neu gewählte griechische Parlament kam am 17.05.2012 zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Alle 300 Abgeordneten wurde vereidigt. Es wurde beschlossen auf die Diäten der Abgeordneten zu verzichten. Am Tag darauf wurden das Präsidium des Parlaments und weitere parlamentarischen Gremien gewählt. Das Parlament hatte im Prinzip nur die Aufgabe alle notwendigen Maßnahmen für die kommende Wahl zu beschließen. Bereits am 19.05.2012 löste Staatspräsident Papoulias das neugewählte Parlament formell wieder auf. Eine politische Arbeit im Parlament konnte daher nicht erfolgen. Weitere Reform- und Spargesetze können erst wieder vom kommenden Parlament beschlossen werden. Bis dahin befindet sich Griechenland politisch in einem Schwebezustand. Die griechische Finanz- und Wirtschaftskrise ist längst zur Staatskrise geworden.

Erwartungen an die kommende Parlamentswahl

Die Erwartungen an die kommende Parlamentswahl in Griechenland sind hoch. Zunächst entscheidet das Ergebnis der Parlamentswahl über die Weiterführung der bisherigen griechischen Reform- und Sparpolitik. Auch wenn nach der Wahl Modifikationen wahrscheinlich sind, eine grundsätzliche Abkehr von der Reform- und Sparpolitik würde einen Austritt Griechenlands aus der europäischen Währungsunion zur Folge haben. Konkret stimmen die griechischen Bürgerinnen und Bürger also auch über ihre weitere Mitgliedschaft in der Eurozone ab. Ohne  eine Weiterführung der  Reform- und Sparpolitik würde auch die Gewährung von finanziellen Hilfen durch die EU und den IWF ausbleiben. Schon Ende Juni würde Griechenland dann zahlungsunfähig sein und könnte dann zum Beispiel weder Gehälter im öffentlichen Sektor noch Renten  auszahlen. Die Folge wäre nicht nur eine weitere Verelendung der Bevölkerung sondern möglicherweise auch Unruhen. Doch wichtig ist auch die Bildung einer handlungsfähigen Regierung, die von einer breiten Mehrheit der Abgeordneten getragen werden muss. Nach der jetzigen Parlamentswahl kam es zu einer politischen Pattsituation im Parlament. Weder die Gegner der bisherigen Reform- und Sparpolitik noch ihre Befürworter erreichten im Parlament eine klare Mehrheit für eine erfolgreiche Regierungsbildung. Hierzu muss angemerkt werden, dass die ND als stärkste Partei noch einen Bonus von 50 zusätzlichen Sitzen im Parlament bekam. Ohne diesen Bonus wären die Gegner der bisherigen Reform- und Sparpolitik klar in der Mehrheit gewesen. Eine Zusammenarbeit zwischen den Befürwortern und den Gegnern der Reform- und Sparpolitik ist unwahrscheinlich und aufgrund der Gegensätze an sich auch nicht möglich. Hier braucht es also eine klare Entscheidung der Wählerinnen und Wähler. Zu beachten ist zusätzlich, dass knappe Mehrheiten auf Dauer keine stabile Regierungsarbeit ermöglichen. Es müssen bei schwierigen Entscheidungen immer Abweichler einkalkuliert werden. So oder so: Die Wählerinnen und Wähler müssen sich klar für oder gegen eine Weiterführung der Reform- und Sparpolitik entscheiden. Auch die Folgen einer jeden Wahlentscheidung müssen den Wählerinnen und Wählern klar sein und von diesen beachtet werden. Die Fragestellung für die nächste Parlamentswahl dürfte klar sein. Wie sie ausgehen wird, ist hingegen noch offen. Einige Meinungsumfragen sehen das Linksbündnis SYRIZA bei über 20 % der Stimmen noch vor der ND und der PASOK. In diesem Fall würde das Linksbündnis zusätzlich zu ihrem Ergebnis einen Bonus von 50 Parlamentssitzen erhalten. Andere Meinungsumfragen sehen die ND noch vor dem erstarkten SYRIZA und eine gemeinsame Mehrheit von ND und PASOK.  Andererseits sind nach einer aktuellen Meinungsumfrage 78% der Griechinnen und Griechen für die weitere Mitgliedschaft Griechenlands in der Eurozone. Doch beides zugleich – eine Beendigung der Reform- und Sparpolitik und die weitere Mitgliedschaft in der Eurozone – lässt sich nicht umsetzen. Diesen Widerspruch werden die Wählerinnen und Wähler bis zum 17.06.2012 auflösen müssen. Bis dahin kann es noch zu grundlegenden Änderungen im Wahlverhalten der Griechinnen und Griechen kommen.

Ausblick

Die griechischen Bürgerinnen und Bürger haben das zukünftige Schicksal Griechenlands in ihren Händen. Das gilt insbesondere für die weitere Mitgliedschaft Griechenlands in der Eurozone. Der Wahlkampf zwischen den Befürwortern und den Gegnern der bisherigen Reform- und Sparpolitik wird im Ergebnis entscheiden, ob Griechenland weiterhin Mitglied der Eurozone bleibt oder nicht. Auch die weitere finanzielle Unterstützung Griechenlands durch die EU und den IWF, ohne die Griechenland sehr bald zahlungsunfähig würde, steht zur Abstimmung,. Eine aktive Außenpolitik Griechenlands hängt von einer erfolgreichen Regierungsbildung ab und diese wiederum von einer klaren Wahlentscheidung der griechischen Bürgerinnen und Bürger. Die Entscheidung für die zukünftige Entwicklung Griechenlands während und nach der schweren Staats-, Finanz- und Wirtschaftskrise liegt jetzt in den Händen der griechischen Wählerinnen und Wählern. Diese Entscheidung kann ihnen niemand abnehmen. Es es zu hoffen, dass jede Entscheidung besonnen getroffen wird.