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Ergebnisse und Hintergründe zur vorgezogenen Parlamentswahlen in Serbien

In der Republik Serbien fanden am 16.03.2014 vorgezogene Parlamentswahlen statt. Rund 6,8 Millionen Bürgerinnen und Bürger waren wahlberechtigt, wobei rund die Hälfte der Wahlberechtigten an der Parlamentswahl teilnahm. Das serbische Parlament hat grundsätzlich 250 Mitglieder. Die nachfolgenden Ergebnisse beruhen auf erste Hochrechnungen und stellen nicht das amtliche Wahlergebnis dar. Die angebenden Werte für die Stimmenanteile und die Anzahl der erreichten Sitzen einer Partei sind daher vorläufig. Allerdings dürfte es keine wesentlichen Abweichungen vom amtlichen Endergebnis mehr geben.

Die Serbische Fortschrittspartei (SNS) unter ihrem Vorsitzenden Aleksandar Vučić, der bisher auch Vize-Ministerpräsident ist , erreichte mit 48,9 Prozent  der Stimmen die absolute Mehrheit der Sitze im Parlament. Voraussichtlich wird die SNS 157 von 250 Sitzen im Parlament stellen und hat damit eine komfortable Mehrheit. Die Sozialistische Partei Serbiens (SPS) des bisherigen serbischen Ministerpräsidenten Ivica Dačić erreichte rund 14 Prozent der Stimmen und wurde damit zweitstärkste Kraft im serbischen Parlament. Sie wird voraussichtlich 45 Sitze im Parlament stellen. Mit etwa 5,7 Prozent der Stimmen (voraussichtlich 18 Sitze) wird relativ sicher auch die Neue Demokratische Partei (NDS) von Boris Tadić in das Parlament einziehen. Sie ist eine Abspaltung der Demokratischen Partei (DP), die mit etwa 5,9 Prozent der Stimmen (voraussichtlich 19 Sitze) ebenfalls relativ sicher in das Parlament einziehen dürfte. Des Weiteren werden mit der muslimischen Partei der Demokratischen Aktion (SDA, voraussichtlich 3 Sitze), der albanischen Partei für Demokratische Aktion  (voraussichtlich einen Sitz) und der Liga der Vojvodina-Ungarn (SVM, voraussichtlich 7 Sitze) noch drei Parteien der nationalen Minderheiten in das serbische Parlament einziehen. Aufgrund des Wahlergebnisses wird die SNS die neue serbische Regierung ohne einen weiteren Koalitionspartner stellen können. Ob sie dennoch eine Koalition eingeht ist noch offen.

Insgesamt haben sich 19 Parteien und Bündnisse an den Parlamentswahlen beteiligt. Einige der bisher im Parlament vertretenden Parteien schafften nicht wieder den Einzug in das Parlament. Die europaskeptische und nationalkonservativen Demokratische Partei Serbiens (DSS) von Vojislav Koštunica schaffte ebenso wenig den Wiedereinzug in das Parlament wie die Liberaldemokratische Partei (LDP) und die Vereinigten Regionen Serbiens (URS). Jede dieser Parteien erreichte etwa 3 bis 4 Prozent der Stimmen.

Serbien steht vor schmerzlichen Reformen, die nur von einer stabilen Regierung gemeistert werden können, die sich auf eine breite Parlamentsmehrheit stützen kann. Die Staatsschulden und die Beschäftigten im aufgeblähten öffentlichen Sektor müssen abgebaut werden. Des Weiteren müssen Korruption und Vetternwirtschaft aktiv bekämpft und die rechtsstaatlichen Strukturen weiter ausgebaut werden. Insgesamt müssen die serbischen Normen im Zuge der europäischen Integration den EU-Normen angepasst werden. Das wird auch zu Einschnitten für die serbische Bevölkerung führen. Die künftige serbische Regierung wird unpopuläre Entscheidungen treffen müssen, für die sie einen langem Atem braucht. Auch außenpolitisch müssen einige Problemfelder angepackt werden. Serbien wird sich einer aktiven Bewältigung seiner Vergangenheit stellen und eine aktive Versöhnungspolitik mit seinen Nachbarstaaten betreiben müssen. Dies betrifft vor allem das Verhältnis Serbiens zu Kroatien und Bosnien und Herzegowina. Auch die Frage nach dem endgültigen Status des Kosovo muss Serbien final für sich klären. Allerdings würde eine völkerrechtliche Anerkennung des Kosovo eine entsprechende Änderung der serbischen Verfassung erfordern. Auch könnte diese Frage im Rahmen eines Referendums durch die serbischen Bürgerinnen und Bürger entschieden werden. Alternativ könnte Serbien das Kosovo zumindest staatsrechtlich als Staat anerkennen und nicht, wie bisher, nur faktisch. Von der künftigen serbischen Regierung werden eine Fortsetzung des serbisch-kosovarischen Dialogs und der pro-europäischen Politik erwartet. Innenpolitisch werden tiefgreifende Reformen im Sinne der EU von der künftigen serbischen Regierung erwartet. Die serbischen Bürgerinnen und Bürger erwarten von der künftigen serbischen Regierung eine deutliche Verbesserung ihrer Lebensbedingungen.

 

Hintergrund:

Die letzten Parlamentswahlen in Serbien fanden am 06.05.2012 statt. Bei diesen Wahlen  wurde die Serbische Fortschrittspartei (SNS) von Tomislav Nikolić mit 24,7 % der Stimmen knapp vor der Demokratischen Partei (DS) von Boris Tadić, die auf 23,2 % der Stimmen kam, stärkste Kraft. Die Sozialistische Partei Serbiens (SPS) von Ivica Dačić kam mit 16,6 der Stimmen auf Platz 3, gefolgt von der nationalkonservativen Demokratischen Partei Serbiens (DSS) von Vojislav Koštunica mit 7,2 % der Stimmen. Die Liberaldemokratische Partei (LDP) von Cedomir Jovanović kam auf 6,6 % und die Vereinigten Regionen Serbiens (URS) auf 6,1 % der Stimmen. Mit der Liga der Vojvodina-Ungarn (SVM) und Walachenpartei, die auf 2,4 bzw. 0,5 % der Stimmen kamen, waren auch zwei Parteien von nationalen Minderheiten im Parlament vertreten.

Gleichzeitig mit der Parlamentswahl fand am 06.05.2012 auch die erste Runde der Präsidentenwahlen statt, bei der der damalige Amtsinhaber Boris Tadić mit knapp 26,8 % der Stimmen noch knapp vor seinem Herausforderer Tomislav Nikolić lag, der auf 25,6 % der Stimmen kam. Die Stichwahl zwischen Tadić und Nikolić am 20.05.2012 brachte dann ein unerwartetes Ergebnis: Tomislav Nikolić gewann die Stichwahl um das Präsidentenamt mit 49,51 % der Stimmen und wurde damit Präsident Serbiens. Der bisherige Amtsinhaber Boris Tadić kam auf 47,35 % der Stimmen und unterlag seinem Herausforderer nur knapp.

Zunächst wollte die Demokratische Partei (DS) des unerwartet abgewählten serbischen Staatspräsidenten Boris Tadić, die Sozialistische Partei Serbiens (SPS) unter Vorsitz des bisherigen Innenministers Ivica Dačić und eine weitere Partei wieder eine Koalition bilden. Diese Koalitionsvariante hatte in Serbien zuvor vier Jahre regiert und galt als pro europäisch. Der abgewählte serbische Staatspräsident Boris Tadić strebte nun nach dem Amt des Ministerpräsidenten. Doch dann kam es zu einer unerwarteten Entwicklung: Die SNS, die SPS und die Partei „Vereinigte Regionen Serbiens“ (URS) bildeten eine Koalition. Ministerpräsident wurde der noch amtierende Innenminister und Vorsitzende der SPS Ivica Dačić. Dieses Amt dürfte auch den Ausschlag für den Eintritt der SPS in eine Koalition mit der SNS gegeben haben. Normalerweise hätte die SNS als stärkste Partei den Ministerpräsidenten gestellt. Die SPS war mit 16,6 % der Stimmen drittstärkste Partei im Parlament und in der Koalition die zweitstärkste Partei. Die Koalition distanzierte sich von der Politik der 1990er Jahre, als die SPS noch von Slobodan Milošević geführt wurde und Tomislav Nikolić als Mitglied der Serbische Radikale Partei (SRS) von Vojislav Šešelj die damalige Politik noch aktiv unterstützt hatte.

Die neue Koalition forcierte den Annäherungsprozesses an die Europäische Union (EU) und setzte sich für einen baldigen Termin für die Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit der EU ein. Die Unabhängigkeit des Kosovo wurde von der neuen Koalition wie erwartet auch weiterhin nicht anerkannt. Allerdings kam es bereits Ende des Jahres 2012 unter der Vermittlung der EU zu direkten Gesprächen zwischen Serbien und dem Kosovo. Geführt wurden diese Gespräche zwischen dem serbischen Ministerpräsidenten Ivica Dačić und dem kosovarischen Ministerpräsidenten Hashim Thaci. Nach anfänglichen Schwierigkeiten wurden für viele bilaterale Probleme zwischen Serbien und dem Kosovo Lösungen gefunden und verbindliche Übereinkünfte erzielt. So mussten sich die serbischen Kosovaren gemäß diesen Übereinkünften in den kosovarischen Staat integrieren, bekamen im Gegenzug dafür eine höheren autonomen Status. Für viele praktische Fragen im bilateralen Umgang miteinander wurden verbindliche Lösungen vereinbart. Heute schütteln sich der serbische und der kosovarischen Ministerpräsident sogar öffentlich die Hände und sitzen bei internationalen Treffen nebeneinander. Eine derart positive Entwicklung wurde von dieser Koalitionsregierung ursprünglich nicht erwartet. Allerdings gibt es bis heute keine endgültige Klärung des Status des Kosovos zwischen Serbien und dem Kosovo. Für den positiven Dialog mit dem Kosovo wurde Serbien mit dem Beginn von EU-Beitrittsgesprächen belohnt, die am 21.01.2014 begannen. Serbien und das Kosovo vereinbarten sich bei der weiteren europäischen Integration nicht gegenseitig zu blockieren. Mit dem Kosovo ist die Unterzeichnung eines EU-Assoziierungsabkommens geplant, welches als Vorstufe für den Beginn von EU-Beitrittsgesprächen gilt.

Auch durch eine verstärkte Bekämpfung der Korruption in Serbien setzte die jetzige serbische Regierung deutliche Akzente. Allerdings ist die serbische Wirtschaft und Finanzlage aufgrund der vergangenen Balkankriege und internationalen Sanktionen sehr geschwächt. Die Arbeitslosenquote liegt bei etwa 28 Prozent. Viele serbische Bürgerinnen und Bürger erhoffen sich von einer EU-Mitgliedschaft Serbiens einen Ausweg aus der Krise. Gerade durch den erfolgreichen Beginn der EU-Beitrittsgespräche wurde die SNS trotz aller Probleme noch populärer. Aus diesem Grunde kam es am 16.03.2014 auch zu vorgezogenen Parlamentswahlen. Der aktuelle Vorsitzende der SNS und Vize-Ministerpräsident Aleksandar Vučić strebte aufgrund der derzeit hohen Popularität seiner Partei nach dem Amt des Ministerpräsidenten. Regulär hätten die nächsten Parlamentswahlen erst im Mai 2016 stattfinden müssen.