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Abhandlung zum Zerfall der „Sozialistisch Föderativen Republik Jugoslawien“ („SFRJ“)

In den Jahren 1991 und 1992 zerfiel die „Sozialistisch Föderative Republik Jugoslawien“ („SFRJ“). Formell setzte der Zerfall der SFRJ mit den Unabhängigkeitserklärungen der bisherigen jugoslawischen Republiken Slowenien und Kroatien am 25.06.1991 ein. Diesen Ereignissen folgte am 18.09.1991 die Unabhängigkeitserklärung der Republik Makedonien und am 03.03.1992 die der von Bosnien und Herzegowina. Übrig blieben in der sich auflösenden SFRJ nur noch Serbien und Montenegro. Diese beschlossen ihre Föderation fortzusetzen und proklamierten am 27.04.1992 die „Bundesrepublik Jugoslawien“. Damit war der formelle Zerfall der SFRJ abgeschlossen. Nach einem kurzen Krieg in Slowenien folgten langjährige ethnische Kriege in Kroatien und Bosnien und Herzegowina. Erst im Dezember 1995 kam es zu einem offiziellen Friedensschluss, welcher bis heute eingehalten wird.

 

Unseren Leserinnen und Lesern stellen wir nun eine ausführliche Abhandlung mit dem Titel „Der Zerfall der Sozialistisch Föderativen Republik Jugoslawien“ („SFRJ“)zur Verfügung. Erstellt wurde diese Abhandlung auf Basis von folgenden ausführlichen Aufsätzen bzw. Artikeln:

 

  • Der Zerfall der „Sozialistisch Föderativen Republik Jugoslawien“ („SFRJ“)
  • Kroatien und Slowenien erklären ihre Unabhängigkeit von der SFR Jugoslawien
  • Die Republik Makedonien wird unabhängig
  • Bosnien und Herzegowina erklärt seine Unabhängigkeit
  • Das Massaker von Srebrenica
  • Die Proklamation der Bundesrepublik Jugoslawien
  • Die militärische Intervention der NATO in der Bundesrepublik Jugoslawien
  • Das Kosovo erklärt seine Unabhängigkeit von Serbien
  • Fragen, Probleme und Perspektiven auf dem Balkan im Jahre 2017

 

Im ersten Artikel bzw. im ersten Abschnitt der Abhandlung wird vor allem auf die Vorgeschichte zum Zerfall der SFRJ bis zu den Unabhängigkeitserklärungen von Slowenien und Kroatien eingegangen. In den anderen Artikeln bzw. Abschnitten der Abhandlung werden die Entwicklungen in den damaligen fünf Nachfolgestaaten dargestellt. Das Kosovo ist wiederum kein Nachfolgestaat von Jugoslawien, sondern eine Abspaltung von Serbien. Doch wegen der Bedeutung des Kosovos für den Zerfall Jugoslawiens wird auch die dortige Entwicklung genau betrachtet. Die Abhandlung soll einen Gesamtüberblick zu den Hintergründen und zu den Vorgängen beim Zerfall der SFRJ liefern, welche dann wiederum bei Bedarf mit speziellerer Literatur vertieft werden können. Sie kann als PDF heruntergeladen werden.

Nachfolgend soll auch in diesem Artikel noch einmal zusammengefasst werden, was im Ergebnis zum Zerfall der SFRJ führte. Dabei wird auch das Schicksal des ersten jugoslawischen Staates als Königreich von 1918 bis 1941 in den Fokus gerückt.

 

Der Weg zum Zerfall der SFRJ

Die Vorgeschichte zum Zerfall Jugoslawiens begann bereits mit der Gründung des föderativen Jugoslawiens auf Grundlage einer sozialistischen Gesellschaftsordnung unter der Hegemonie einer kommunistischen Einparteienherrschaft im Jahre 1943. Hinzu kamen unterschiedliche gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen in den jugoslawischen Republiken und eine fehlende Aufarbeitung von ethnischen Konflikten. So geriet Jugoslawien spätestens seit dem Tod des Gründers der kommunistisch-jugoslawischen Föderation, Josip Broz Tito, im Jahre 1980 von einer schweren Wirtschaftskrise in eine Systemkrise. Die nationalen und wirtschaftlichen Gegensätze zwischen den einzelnen jugoslawischen Republiken und ihren Nationen konnten nicht mehr aufgelöst werden. In Folge zerbrach der zweite jugoslawische Staat an diesen Gegensätzen.

 

Damit wiederholte sich die Geschichte, die bereits zum Scheitern des ersten jugoslawischen Staates (1918 bis 1941) führte. Die Idee eines gemeinsamen Staates der südslawischen Völker war nach dem Ersten Weltkrieg (1914 – 1918) sehr populär unter diesen Völkern. So verständigten sich die Slowenen und Kroaten, welche bisher zu Österreich-Ungarn gehört hatten, mit den Serben, welche bereits über ein unabhängiges Königreich verfügten, auf die Gründung des „Königreiches der Serbien, Kroaten und Slowenen“. Proklamiert wurde dieser Staat am 01.12.1918, nachdem Montenegro am 26.11.1918 dem Königreich Serbien beigetreten war. Der Staat umfasste auch das bisher zu Österreich-Ungarn gehörende Bosnien und Herzegowina und ein Teil des bis dahin zum osmanischen Reich gehörenden Makedoniens. Allerdings wurden die Muslime (Bosniaken) und die ethnischen bzw. slawischen Makedonier seinerzeit noch nicht als eigenständige Volksgruppen anerkannt. Die Montenegriner galten hauptsächlich als serbischer Volksstamm.

 

Die Serben setzten jedoch gegen den Willen der Kroaten und Slowenen eine zentralistische Verfassung durch und dominierten das gemeinsame Königreich. Es wurde so zu einem Königreich unter serbischer Hegemonie. Im Jahre 1929 wurde das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen nach der Errichtung einer serbischen Königsdiktatur in „Königreich Jugoslawien“ umbenannt und in neue Provinzen eingeteilt. Diese Einteilung nahm auf die ethnischen Gegebenheiten in einer bestimmten Region keine Rücksicht. Es sollten ganz bewusst alle ethnischen Eigenheiten negiert und unterdrückt werden. Dies führte zu einer Entfremdung der nicht-serbischen südslawischen Volksgruppen vom gemeinsamen Staat. Ein kroatisch-serbischer Ausgleich im Jahre 1939 kam bereits zu spät. Mit Beginn des deutschen Angriffs auf das Königreich Jugoslawien im April 1941 zerfiel dieser Staat bereits von innen heraus. Er wurde von bedeutenden Teilen der südslawischen Bevölkerung nicht mehr als der ihre wahrgenommen und verteidigt.

 

Zweimal scheiterte der jugoslawische Staat an der Hegemonie einer bestimmten Herrschaft. Der erste jugoslawische Staat (1918 – 1941) an der Hegemonie aufgrund der serbischen Königsdiktatur und der zweite (1943 – 1991/1992) entsprechend an der kommunistischen Einparteienherrschaft. Zwar war der zweite jugoslawische Staat föderalistisch organisiert, jedoch wurde dieser Föderalismus der kommunistischen Parteiendisziplin untergeordnet. Eine pluralistische politische Entwicklung fand weder im Königreich Jugoslawien noch in der kommunistisch-jugoslawischen Föderation statt. Wo sie aufkeimte, wurde sie unterdrückt, zum Teil mit brutaler Gewalt.

 

Die nationalen und wirtschaftlichen Gegensätze prägten die jugoslawische Gesellschaft sowohl im ersten als auch im zweiten jugoslawischen Staat. Slowenen und Kroaten waren bis zur Gründung des gemeinsamen südslawischen Staates unter der Herrschaft von Österreich-Ungarn. Ihre Gesellschaft war von liberalen Ideen beeinflusst. Des Weiteren sind beide Volksgruppen katholisch orientiert. Im Rahmen des gemeinsamen südslawischen Staates traten sie für mehr Eigenständigkeit der Volksgruppen ein. Entsprechend sollte der südslawische Staat dezentral organisiert sein, z.B. als föderativer Staat. Serben und Montenegriner hingegen befanden sich lange Zeit unter der Herrschaft des Osmanischen Reiches und sind Orthodoxe Christen. Besonders die Serben strebten eine zentralistische Staatsorganisation an. Für sie ging es primär um die Einheit des serbischen Volkes in einem gemeinsamen Staatswesen. Angehörige der serbischen Volksgruppe lebten und leben in größeren Anteilen auch in den Territorien von Bosnien und Herzegowina und Kroatien. Diese Tatsache sollte auch bei den ethnischen Kriegen auf dem Gebiet des sich auflösenden bzw. aufgelösten Jugoslawiens von 1991 bis 1995 eine tragische Rolle spielen. Die serbische Staatsführung wollte, dass alle Serben in einem gemeinsamen Staat vereint bleiben können. So sollten sich die Serben in Bosnien und Herzegowina und in Kroatien dort separieren und im Rahmen des jugoslawischen Staates bzw. eines Groß-Serbiens vereint bleiben können.

 

Ein gemeinsamer Staat der südslawischen Völker wurde spätestens in der zweiten Hälfte der 80er Jahre illusorisch. Im Rahmen von Verfassungsrevisionen in den Jahren 1963 und 1974 wurde der Staat bei Beibehaltung des kommunistischen Einparteiensystems immer mehr dezentralisiert. In allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens wurde ein System von Selbstverwaltungen eingeführt, insbesondere auch in der Wirtschaft. Kern des Wirtschaftssystems war die Selbstverwaltung der Arbeiterschaft in von ihnen verwalteten Wirtschaftsbetrieben. Dieses System war anfällig für Bürokratie und Korruption und wurde zunehmend ineffektiv. Des Weiteren entwickelte sich die Wirtschaft in den jugoslawischen Republiken immer mehr auseinander. Dies führte mit zu den divergierenden Interessen der jugoslawischen Nationen und Nationalitäten (Minderheiten).

 

Die jugoslawischen Republiken Kroatien und Slowenien streben einen politischen Pluralismus in einem demokratischen Mehrparteiensystem und eine freie Marktwirtschaft an. In den wirtschaftlich schwächeren jugoslawischen Republiken hingegen, etwa in Makedonien und Montenegro, war die Idee von einer reformierten sozialistischen Gesellschaftsordnung immer noch populär. In der Wirtschaftspolitik lagen die Vorstellungen in den jugoslawischen Republiken bereits zu weit auseinander und konnten nicht mehr in einen gesamt-jugoslawischen Konsens überführt werden.

 

Einig waren sich hingegen alle Republiken in den Punkten, ein demokratisches Mehrparteiensystem einzuführen und die kommunistische Einparteienherrschaft zu beenden. Bei den Vorstellungen über die zukünftige Gestaltung der gemeinsamen jugoslawischen Föderation gingen die Vorstellungen allerdings weit auseinander. Kroatien und Slowenien wollten die gemeinsame jugoslawische Föderation noch weiter dezentralisieren und ein Höchstmaß an Autonomie für ihre Republiken durchsetzen. Serbien und Montenegro hingegen strebten eine noch stärkere Zentralisierung in der gemeinsamen Föderation an und lehnten eine Konföderation ab. Bosnien und Herzegowina und Makedonien nahmen Positionen zwischen diesen Extremen ein und versuchten zu vermitteln. Allerdings ließen sich die Gegensätze in einem gemeinsamen Staat nicht mehr auflösen. Besonders die Republiken Kroatien und Slowenien sahen nur noch eine Zukunft außerhalb Jugoslawiens. In Volksabstimmungen stimmte jeweils eine deutliche Mehrheit für die Unabhängigkeit von Slowenien und Kroatien, welche dann am 25.06.1991 durch die Parlamente beider Republiken erklärt wurde. Damit setzte der formelle Zerfall der SFRJ ein.

 

Der Zerfall der SFRJ

Zunächst begann ein etwa zweiwöchiger Krieg in Slowenien, in dessen Rahmen die jugoslawische Regierung die Gebietseinheit der SFRJ wieder herstellen wollte. Allerdings agierte die Jugoslawische Volksarmee (JNA) immer offener auf Seiten der Serben und hatte kein Interesse an Slowenien. Slowenien ist ethnisch relativ homogen und es leben dort keine bedeutenden Anteile von Serben. Intern einigten sich die Serben und die Slowenen im Juli 1991 auf einen Rückzug der JNA aus Slowenien und damit auf die faktische Anerkennung dieser Republik als unabhängigen Staat. Anders war die Situation in Bosnien und Herzegowina und in Kroatien, wo bedeutende Anteile von Angehörigen des serbischen Volkes lebten und leben. Die JNA im Verband mit örtlichen Armeen und Freischärlern eroberten große Territorien in Bosnien und Herzegowina und in Kroatien, vertrieben und ermordeten Angehörige von nicht-serbischen Volksgruppen und wollten diese Territorien aus den betroffenen Staaten herauslösen. Später war dann ihr Anschluss an Serbien bzw. der damaligen Bundesrepublik Jugoslawien geplant. Im Rahmen des ethnischen Krieges kam es zu schweren Kriegsverbrechen. So wurden auch Zivilisten ermordet oder schwer misshandelt. Im Rahmen des Massakers von Srebrenica wurden etwa 8.000 männliche Bosniaken (Muslime) durch bosnisch-serbische Armeeangehörige ermordet. Es war das schwerwiegendste Kriegsverbrechen seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa und wird als Völkermord eingestuft. Kriegsverbrechen kamen allerdings auch auf Seiten der anderen Kriegsbeteiligten vor.

 

Im Jahr 1995 änderte sich die Situation grundlegend. Ab der zweiten Hälfte des Jahres 1995 griff die zuvor zögerlich handelnde internationale Gemeinschaft immer stärker ein. So flog die NATO Angriffe auf Stellungen der bosnischen Serben, welche geschwächt wurden. Die Bosniaken und Kroaten nutzten die zunehmende Schwäche ihrer serbischen Gegner aus und eroberten die serbisch besetzten bzw. beherrschten Territorien zurück. Unter diesen Umständen waren auch die Serben verhandlungsbereit. Diese Verhandlungen mündeten im Friedensvertrag von Dayton, welcher am 14.12.1995 von den Staatspräsidenten von Bosnien und Herzegowina, Kroatien und Serbien unterzeichnet wurde. Damit wurde der Krieg zwar formell beendet, doch ist bis heute noch nicht die Nachkriegszeit überwunden worden. So ist Bosnien und Herzegowina bis dato kein funktionierender Staat. Er besteht aus zwei sehr weitgehend autonomen Entitäten, der „Föderation Bosnien und Herzegowina“ („Bosniakisch-Kroatische Föderation“) und der „Serbischen Republik“ („Republika Srpska“). Der bosnisch-herzegowinische Gesamtstaat ist institutionell relativ schwach ausgeprägt und wird besonders von den bosnischen Serben nicht akzeptiert. Eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union (EU) ist unter diesen Umständen nicht möglich. Kroatien und Slowenien sind hingegen als EU-Mitglieder wieder unter einem Dach, dem europäischen, vereint. Beide Staaten sind auch Mitglied in der NATO. Allerdings gibt es zwischen beiden Staaten einen Streit über den Verlauf ihrer gemeinsamen Grenzen im Meer.

 

Nach dem Zerfall der SFRJ und dem damit verbundenen ethnischen Krieg

Noch einmal kam es allerdings in den Jahren 1998/99 zu einem Krieg auf dem Balkan. Dieses Mal zwischen Serben und albanischen Kosovaren im Kosovo. In dessen Rahmen die NATO zunächst ohne UN-Mandat aufgrund humanitärer Gründe eingriff. Seit Juni 1999 stand bzw. steht das Kosovo je nach Rechtsauffassung unter der Verwaltung der Vereinten Nationen. Verhandlungen über die staatsrechtliche Zukunft des Kosovos zwischen den beteiligten Konfliktparteien verliefen erfolglos. Am 17.02.2008 erklärte das Kosovo einseitig seine Unabhängigkeit von Serbien. Dieser Akt war und ist völkerrechtlichen Umstritten, doch wird das Kosovo mittlerweile von mehr als der Hälfte der Staaten der Welt völkerrechtlich anerkannt.

 

Die Bundesrepublik Jugoslawien überlebte im Ergebnis den Kosovokrieg nicht. Bereits seit 1998 strebte Montenegro mehr Unabhängigkeit von Serbien bzw. die Beendigung der gemeinsamen Föderation mit Serbien an. Am 04.02.2003 wurde die Bundesrepublik Jugoslawien zunächst in den lockeren Staatenbund Serbien-Montenegro umgewandelt. Nach dem am 21.05.2006 eine knappe Mehrheit der montenegrinischen Bürgerinnen und Bürger für die Unabhängigkeit gestimmt hatte, erklärte Montenegro am 03.06.2006 seine Unabhängigkeit und Serbien trat am 05.06.2006 die Rechtsnachfolge des Staatenbundes an. Mit Serbien und Montenegro finden mittlerweile EU-Beitrittsgespräche statt. Während für die Serben eine NATO-Mitgliedschaft derzeit keine Option ist, trat Montenegro diesem Bündnis bei. Die Republik Makedonien ist EU-Beitrittskandidat und strebt auch die Mitgliedschaft in der NATO an. Allerdings sind mögliche EU-Beitrittsgespräche und eine NATO-Mitgliedschaft durch das EU- und NATO-Mitglied Griechenland bisher blockiert worden. Der Grund dafür ist insbesondere der Streit um den Namen „Makedonien“. Im Falle des Kosovos muss noch immer das staats- und völkerrechtliche Verhältnis zu Serbien geklärt werden. Allerdings wollen sich Serbien und das Kosovo bei der angestrebten europäischen Integration nicht gegenseitig blockieren.

 

Ein gemeinsamer jugoslawischer Staat ist im Ergebnis gescheitert. Dennoch könnten alle südslawischen Völker eines Tages wieder vereint sein, im Rahmen der Europäischen Union (EU). Neben Kroatien und Slowenien ist auch Bulgarien EU-Mitglied. Zwar gehörten die Bulgaren nie der jugoslawischen Föderation an, doch gehören sie zur Gruppe der südslawischen Völker. Der Traum von einer Gemeinschaft aller Südslawen unter einem gemeinsamen Dach, friedlich und gleichberechtigt in einem demokratischen und rechtsstaatlichen Staatsverband vereint, der EU, besteht weiter und könnte eines Tages in Erfüllung gehen.

Der Zerfall der Sozialistisch Föderativen Republik Jugoslawien“ („SFRJ“)