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Die innenpolitische Frage in der Republik Makedonien und ihre mögliche Klärung

Die Republik Makedonien befindet sich seit April 2014 in einer schweren Staatskrise. Deren Ausgang wird das weitere Schicksal des makedonischen Staates sowie seiner Bürgerinnen und Bürger bestimmen. Schon 2001 stand sie am Scheideweg: Damals konnte ein bewaffnetet Konflikt zwischen ethnischen bzw. slawischen und albanischen Makedoniern, bzw. zwischen der makedonischen Staatsgewalt und ihren Gegnern, erfolgreich bewältigt werden. Sehr leicht hätte sich aus diesem Konflikt ein langjähriger Bürgerkrieg entwickeln können. Doch die zwei größten Parteien der ethnischen bzw. slawischen Makedonier sowie die zwei größten Parteien der albanischen Makedonier konnten sich unter internationaler Vermittlung und Beteiligung des damaligen makedonischen Staatspräsidenten Boris Trajkovski auf eine Friedensvereinbarung einigen. Diese Vereinbarung, welche dann auch staatsrechtlich umgesetzt wurde, beinhaltete unter anderem Regeln über die Rechte von ethnischen Gemeinschaften und von deren Zusammenleben in der Republik Makedonien. Sie alle werden seitdem entsprechend ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung an der Staatsgewalt beteiligt und bekamen darüber hinaus besondere Rechte zugestanden. Auch wenn noch nicht alle Probleme zwischen den Ethnien vollständig behoben werden konnten, so konnte doch der Frieden zwischen ihnen gesichert und ihre Beteiligung an der Staatsgewalt gewährleistet werden.

Dieses Mal befinden sich nicht die Ethnien, sondern die politische Parteien und ihre handelnden Akteure in einer schweren Auseinandersetzung. Dabei erodieren immer mehr die Demokratie, die Medienfreiheit und die Rechtsstaatlichkeit in der Republik Makedonien. Die makedonische Gesellschaft ist tief gespalten, nicht zwischen den Angehörigen der jeweiligen ethnischen Gemeinschaften, sondern zwischen den politischen Ansichten und den jeweiligen Anhängern von politischen Parteien. Eingebettet ist diese Krise in einem Konglomerat aus Klientelismus und Korruption. Zweifellos braucht die Republik Makedonien einen Schnitt mit der bisherigen Form von Politik und Recht sowie einen Neustart. Hier bedarf es einer erneuten Verständigung zwischen den maßgeblichen politischen Parteien unter aktiver Beteiligung der makedonischen Gesellschaft.

 

Ausgangslage

Klientelismus und Korruption waren und sind in der Republik Makedonien ein sehr großes Problem und nicht auf bestimmte politische Parteien beschränkt. Es ist ein gesellschaftliches Problem, das unter allen bisherigen Regierungskoalitionen wucherte und dessen ernsthafte Behebung nicht in Sicht ist. Hinzu kommen außenpolitische Probleme, vor allem aufgrund des Streits um den Namen „Makedonien“ mit Griechenland und wirtschaftliche Probleme. Seit der Unabhängigkeit der Republik Makedonien im September 1991 bis zur den letzten Parlamentswahlen im Juli 2006 kam es regelmäßig zu Veränderungen der Mehrheiten und zu Regierungswechseln. Angeführt wurden die Regierungen entweder von der „Sozialdemokratische Union Makedoniens“ (SDSM) oder der „Innere Makedonische Revolutionäre Organisation – Demokratische Partei für die makedonische Einheit“ („IMRO-DPMNE“ bzw. „VMRO-DPNE“). Die Sozialdemokratische Union Makedoniens (Alternativbezeichnung auch „Sozialdemokratischer Bund Makedoniens“) führte die Regierung von 1992 bis 1998 sowie von 1998 bis 2006 an. Die IMRO-DPMNE führte die Regierung zwischen 1998 und 2002 an. Von 1990 bis 2006 wurden die Legislaturperioden voll ausgeschöpft, es kam zu keinen vorzeitigen Parlamentswahlen. Seit Juli 2006 wird die Regierung ununterbrochen von der IMRO-DPMNE angeführt. Seitdem wurde keine Legislaturperiode mehr voll ausgeschöpft. Die IMRO-DPMNE bildete zunächst mit der albanisch-makedonischen „Albanisch Demokratische Partei“ (DPA) (albanisch: Partia Demokratike Shqiptare, DPSH) eine Koalition. Am 25.08.2006 wurde der Vorsitzende der IMRO-DPMNE Nikola Gruevski von dieser Koalition im Parlament zum Ministerpräsidenten gewählt. Er berief mehrere junge Politiker in seine Regierung, darunter auch im Ausland aufgewachsene und ausgebildete Angehörige der makedonischen Nation. Nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo von Serbien am 17.02.2008 zerbrach die Koalition zwischen IMRO-DPMNE und DPA allerdings an einem Streit um die Anerkennung der kosovarischen Unabhängigkeit. In Folge kam es am 01.06.2008 zu vorgezogenen Parlamentswahlen, bei der die IMRO-DPMNE und ihre Partner 48,8 Prozent der Stimmen und 63 Sitze im Parlament erreichten. Die Wahlbeteiligung lag bei 57,1 Prozent. Die SDSM und ihre Partner kamen auf 23,7 Prozent bzw. 27 Sitze, die „Demokratische Union für Integration“ (DUI) (albanisch: Bashkimi Demokratik për Integrim, BDI) und die DPA kamen auf 12,8 Prozent bzw. 18 Sitze und 8,5 Prozent bzw. 11 Sitze.

Der vor 6 Monaten zurückgetretene Ministerpräsident Mazedoniens: Nikola Gruevski

Trotz der absoluten Mehrheit der Sitze bildete die IMRO-DPMNE eine Koalition mit der DUI. Diese Koalition regierte bis zur Bildung einer Übergangsregierung am 11.11.2015 die Republik Makedonien, wobei die Koalition aus IMRO-DPMNE und DUI auch Teil der Übergangsregierung ist. Seit Beendigung der Oppositionsbeteiligung an der Übergangsregierung Ende Mai 2016 regiert die Koalition aus IMRO-DPMNE und DUI wieder alleine.

Im Mai 2009 lief die Amtszeit von Staatspräsident Branko Crvenkovski aus, der nicht mehr antrat. Die IMRO-DPMNE schickte Gjorge Ivanov ins Rennen und die SDSM Ljubomir Frčkosk. Im ersten Wahlgang am 22.03.2009 verfehlten alle Kandidierenden deutlich die notwendige Mehrheit, am 05.04.2009 gewann in der Stichwahl Gjorge Ivanov die notwendige Mehrheit der Stimme. Die erforderliche Mindestwahlbeteiligung von 40 Prozent wurde nur knapp erreicht und war zuvor aufgrund einer Verfassungsänderung von 50 auf 40 Prozent herabgesetzt worden. Gjorge Ivanov trat am 12.05.2009 sein Amt als Staatspräsident an.

Am 05.06.2011 fanden die zweiten vorgezogenen Parlamentswahlen in der Republik Makedonien statt. Auslöser für die vorgezogenen Parlamentswahlen war der Boykott der parlamentarischen Arbeit durch fast alle Oppositionsparteien gewesen. Grund war die Sperrung der Konten für den führenden regierungskritischen TV-Sender „A1“ sowie für drei weitere Tageszeitungen, alle im Besitz des makedonischen Geschäftsmannes Velija Ramkovski. Die Oppositionsparteien sahen in den Kontensperrungen durch die makedonische Justiz einen unzulässigen Angriff auf die Pressefreiheit, der letztendlich von der makedonischen Regierung ausgegangen sein soll. Die makedonische Regierung wies diese Vorwürfe zurück. Zwar verlor die IMRO-DPMNE ihre absolute Mehrheit im Parlament, doch konnte die Regierungskoalition mit der DUI fortgesetzt und damit eine Mehrheit im Parlament erreicht werden. Im April 2013 trat Branko Crvenkovski vom Vorsitz der SDSM zurück. Zu seinem Nachfolger wurde Zoran Zaev gewählt, der bis heute Oppositionsführer in der Republik Makedonien ist.

Die Regierungszeit der Koalition aus IMRO-DPMNE und DUI unter Ministerpräsident Nikola Gruevski war zunehmend von einem gespannten Verhältnis zur Opposition geprägt. Korruption und Klientelismus haben sich fest etabliert und waren bisher unter allen Regierungen ein Problem. Allerdings kommt es zunehmend zu einer Erodierung des demokratisch-parlamentarischen Systems. Demokratische Debatten finden nicht mehr in angemessener Weise statt, politische Auseinandersetzungen werden zunehmend außerhalb einer demokratischen Diskussionskultur geführt. Hinzu kommt ein zunehmender Regierungseinfluss auf die Presse und die Justiz, was die Unabhängigkeit dieser Institutionen untergräbt. Dies wird von den makedonischen Bürgerinnen und Bürgern auch zunehmend kritisch wahrgenommen, doch sehen viele bisher keine bessere Alternative in der Opposition. Umstritten ist auch das Projekt „Skopje 2014“, der milliardenschwere Umbau der makedonischen Hauptstadt mit Prachtbauten und Statuen.

Aktuelle Entwicklung

Zum dritten Mal in Folge wurde am 05.03.2014 das Parlament vorzeitig aufgelöst. Hintergrund waren Streitigkeiten um den Kandidierenden für das Präsidentenamt. Die IMRO-DPMNE nominierte wieder den bisherigen Amtsinhaber Gjorge Ivanov. Die DUI hätte gerne eine albanisch-makedonische Kandidierende bzw. einen albanisch-makedonischen Kandidierenden aufgestellt. Die DUI hatte Hoffnungen sich mit der IMRO-DPMNE auf einen gemeinsamen Kandidierenden aus der albanischen Gemeinschaft einigen zu können, doch erfüllten sich diese nicht. In der ersten Runde der Präsidentenwahlen am 13.04.2014 erreichte Gjorge Ivanov zwar knapp über 50 Prozent der abgegebenen Stimmen, nicht jedoch die absolute Mehrheit der Stimmen der Wählerschaft. In der Stichwahl am 27.04.2014 setzte sich Gjorge Ivanov dann mit etwa 55 Prozent der Stimmen durch. Der Kandidat der SDSM, Stevo Pendarovski, kam auf etwa 45 Prozent der Stimmen. Gleichzeitig mit der Stichwahl fanden die Parlamentswahlen statt, bei der die IMRO-DPMNE etwa 42 Prozent der Stimmen und 56 Parlamentssitze erhielt. Der Koalitionspartner DUI kam auf etwa 13,5 Prozent und 15 Sitze. Damit hatte die Regierungskoalition wieder eine deutliche Mehrheit im Parlament erlangt. Die oppositionelle SDSM kam auf rund 25 Prozent der Stimmen und 42 Sitze.

Die Opposition warf der Regierungskoalition unfaire Wahlbedingungen und Wahlmanipulationen vor. Zwar konnte eine konkrete Manipulation nicht festgestellt werden, doch kann aufgrund der zunehmenden Beeinflussung der Medien durch die Regierungskoalition nicht von fairen Wahlbedingungen gesprochen werden. Allerdings wurde die Opposition bei den makedonischen Bürgerinnen und Bürgern auch nicht als wirkliche Alternative wahrgenommen, so dass die Wählerschaft mehr auf das Bekannte setzte. Nach der Wahl boykottierte die Opposition die Parlamentsarbeit, was die Republik Makedonien in die derzeitige schwere Staatskrise stürzte. Hinzu kommt ein Skandal über die illegale Abhörung von zirka 20.000 makedonischen Bürgerinnen und Bürgern, darunter auch Politiker. Einige Mitschnitte, welche von der Opposition veröffentlicht wurden, sollen illegales Handeln von Regierungsmitgliedern belegen. Die Hintergründe zum Abhörskandal sind bisher nicht geklärt. Unter Beteiligung der Opposition wurde im September 2015 eine Sonderstaatsanwältin ernannt, welche die illegale Abhöraktion aufklären soll.

Bedingt durch die Krise kam und kommt es zu regelmäßigen Protesten auf Seiten der Regierungsgegner als auch auf Seiten der Regierungsanhänger. Erstmals zogen verschiedene ethnische Gemeinschaften je nach politischem Standpunkt an einem gemeinsamen Strang. Auch verschärfte sich der Ton zwischen der Regierung und der Opposition. Die Opposition warf der Regierung schwere Straftaten vor, die Regierung der Opposition den Versuch eines Staatsstreiches. Unter Vermittlung der Europäischen Union (EU) wurde am 02.06.2015 eine Vereinbarung zwischen den Regierungsparteien IMRO-DPMNE und DUI (albanisch: BDI) sowie den zwei bedeutendsten Oppositionsparteien SDSM und DPA (albanisch: DPSH) erreicht. Konkretisiert wurde diese Vereinbarung am 13./14.07 2015. Die sogenannte „Vereinbarung von Pržino“ sieht unter anderem vorgezogene Parlamentswahlen am 24.04.2016 und eine Reform des Wahlrechts vor. Bis zur Wahl soll die Opposition an der Regierung beteiligt werden, was am 11.11.2015 erfolgte und Ende Mai 2016 aufgrund der Verschiebung der Parlamentswahl auf unbestimmte Zeit wieder beendet wurde. Die Vereinbarung sieht auch den Rücktritt von Ministerpräsident Nikola Gruevski vor, welcher am 14.01.2016 erfolgte und am 18.01.2016 vom Parlament angenommen wurde. Zum Übergangs-Ministerpräsidenten bis zur Bildung einer neuen Regierung nach den Parlamentswahlen wurde Emil Dimitriev (IMRO-DPMNE) gewählt.

Die Staatskrise besteht weiterhin. Am späten Abend des 20.01.2016 verkündete der Vorsitzende der größten makedonischen Oppositionspartei SDSM, Zoran Zaev, dass sie die vorgezogenen Parlamentswahlen am 24.04.2016 boykottieren werde. Bis zu diesem Datum sei es nicht mehr möglich das Wählerverzeichnis zu korrigieren und eine angemessene Unabhängigkeit der Medien in der Republik Makedonien herzustellen. Die anderen Parteien hatten sich trotz der Bedenken der sozialdemokratischen SDSM zunächst auf den 24.04.2016 verständigt. Die nationalkonservative IMRO-DPMNE des zurückgetretenen Ministerpräsidenten Nikola Gruevski wollte erst trotz des Boykotts an den geplanten Wahlen am 24.04.2016 festhalten. Allerdings wurde dann unter internationalem Druck die Parlamentswahl doch auf den 05.06.2016 verschoben. Bis dahin sollte das Wählerverzeichnis revidiert und eine angemessene Repräsentation der Opposition in den Medien ermöglicht werden.

Dies geschah jedoch nicht. Zudem wird die Arbeit der Sonderstaatsanwaltschaft, welche die illegalen Abhöraktionen und staatliche Korruptionsfälle aufklären soll, besonders von Seiten der Regierungspartei IMRO-DPMNE, immer wieder unterlaufen. Allerdings ist die Einrichtung einer Sonderstaatsanwaltschaft auch aus verfassungsrechtlichen Gründen umstritten.

Einen Höhepunkt erreichte diese Entwicklung am 12.04.2016, als der makedonische Staatspräsident Gjorge Ivanov 56 am Abhörskandal und weiteren staatlichen Korruptionsfällen beteiligte Personen begnadigte – vor Ablauf der Ermittlungen und möglicher Gerichtsverfahren. Präsident Gjorge Ivanov, der Kandidat der IMRO-DPMNE für dieses Amt war, begründete den umstrittenen Schritt damit, dass er dem „politischen Leiden Makedoniens“ ein Ende setzen wolle. Nach Auffassung des Vorsitzenden der Oppositionspartei SDSM, Zoran Zaev, würde ein Ende der juristischen Untersuchungen einem Putsch gleichkommen. Auch EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn äußerte Unverständnis und bezeichnete die Maßnahmen als nicht mit seiner Rechtsauffassung konform. Am meisten profitiert von den Begnadigungen hätten Politiker der regierenden IMRO-DPMNE. So wurde der Vorsitzende der IMRO-DPMNE Nikola Gruevski, welcher von August 2006 bis Januar 2016 makedonischer Ministerpräsident war, in fünf laufenden strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vorzeitig begnadigt. Die ehemaligen makedonischen Innenministerin Gordana Jankuloska, der Wahlbetrug vorgeworfen wird, wurde ebenfalls begnadigt.  Allerdings beendete der makedonische Staatspräsident nicht das politische Leiden in der Republik Makedonien, sondern goss Öl ins Feuer. Die Begnadigungen waren nicht nur politisch, sondern auch rechtlich umstritten. Des Weiteren stellten sie einen eklatanten Verstoß gegen die Vereinbarung der vier Parteien IMRO-DPMNE, SDSM, DUI und DPA zur Beendigung der schweren Staatskrise dar. Tatsächlich dürfte hier der Versuch gemacht worden sein, korrupte Politiker vor der Strafverfolgung zu schützen. Doch die Aufklärung und Ahndung von Amtsmissbrauch, Korruption und weiteren Verbrechen ist dringend erforderlich. In Folge kam es auch zu Protesten in der Bevölkerung. Auch international geriet die Republik immer mehr unter Druck wegen dieser umstrittenen Begnadigungen. Die IMRO-DPMNE konnte sich nicht mehr gegen eine Rücknahme der Begnadigungen sperren. Das Parlament trat zusammen und schuf die gesetzliche Grundlage zur Rücknahme, auf deren Basis der makedonische Staatspräsident Ende Mai 2016 die Begnadigungen zunächst nur in 22 von 56 Fällen aufhebte. Allerdings reichte dies weder der makedonischen Opposition noch der EU und den Vereinigten Staaten von Amerika (USA). Am 06.06.2016 gab Präsident Gjorge Ivanov nach und hob die Begnadigungen in allen 56 Fällen wieder auf.

Umstritten blieb bis zuletzt auch der Termin für die vorgezogenen Parlamentswahlen am 05.06.2016 deren Voraussetzungen weiterhin fragwürdig blieben. Zuletzt wollte nur noch die IMRO-DPMNE an dem Wahltermin festhalten. Selbst der langjährige Koalitionspartner DUI wollte dies nicht mehr mittragen. Bis auf die IMRO-DPMNE ließ sich auch keine weitere Partei für diese Wahl registrieren, so dass sie auch hier nur noch nachgeben konnte. Auf Antrag eines Abgeordneten der DUI stimmte das Verfassungsgericht der Republik Makedonien am 18.05.2016 einstimmig einer Überprüfung der Parlamentsauflösung vom 07.04.2016 zu. Im Anschluss trat das makedonische Parlament wieder zusammen, schuf die rechtliche Grundlage für die oben beschriebene Rücknahme der Begnadigungen und verschob die für den 05.06.2016 vorgesehenen vorgezogenen Parlamentswahlen erneut, dieses Mal auf unbestimmte Zeit. Umstritten war dabei eine vom Parlament gebilligte Umbildung der Übergangsregierung. Auf Vorschlag von Ministerpräsident Emil Dimitriev wurden die bisherigen, von der SDSM gestellten Minister Oliver Spasovski (Inneres) und Frosina Remenski (Arbeit) wieder durch ihre Vorgänge von der IMRO-DPMNE Mitko Cavkov und Dime Spasov ersetzt. Damit wurde die Beteiligung der Opposition an der Regierung wieder rückgängig gemacht.

Folgen der Entwicklung

Die makedonischen Bürgerinnen und Bürger sind entweder polarisiert zwischen Anhängern oder Gegnern der Regierung bzw. der Regierungsparteien oder stehen der Politik bzw. dem Staat insgesamt kritisch gegenüber. So haben seit der Unabhängigkeit der Republik Makedonien im Jahre 1991 etwa 140.000 Bürgerinnen und Bürger den Staat verlassen. Jedes Jahr emigrieren etwa 5.000 Personen aus der Republik Makedonien. Rund ein Drittel der Absolventen einer Universität sehen in der Republik Makedonien keine Zukunft und verlassen daher den Staat. Von den verbleibenden Bürgerinnen und Bürgern der Republik Makedonien haben viele resigniert. Auch wenn zum Teil einige Tausende demonstrieren, so sieht doch eine Mehrheit keinen Sinn in Demonstrationen und anderen Formen des Protests. Insgesamt steigt die Politikverdrossenheit bei den makedonischen Bürgerinnen und Bürgern. Die Polarisierung findet sich auch in den Medien wieder. Eine objektive Berichterstattung erfolgt daher oft nicht. Alleine durch die Änderung von gesetzlichen Rahmenbedingungen wird dies auch nicht herbeigeführt werden können. Vielmehr bedarf es einen Mentalitätswechsel. Eines der Hauptprobleme bleiben Klientelismus und Korruption. Ein verbreitetes Problem in der makedonischen Gesellschaft und kein auf bestimmte Parteien beschränktes. Natürlich fördert die lange Regierungszeit einer bestimmten Partei den Klientelismus und die Korruption in eine bestimmte Richtung. Allerdings ändert sich erfahrungsgemäß bei einem politischen Machtwechsel nichts. Auch bei einer Machtübernahme durch die Opposition gehen Klientelismus und Korruption weiter. So sehen die makedonischen Bürgerinnen und Bürger in der Opposition auch keine wirkliche Alternative zu den Regierungsparteien. Bei Wahlentscheidungen dürfte die Wählerschaft tendenziell auf das Bekannte setzen. Diese Entwicklung führt im Ergebnis zu einer Erodierung der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit in der Republik Makedonien. Auf der einen Seiten schwindet das Vertrauen in die Institutionen des Staates, auf der anderen Seiten werden demokratische Spielregeln und das Recht immer weniger respektiert. Der makedonische Staat verliert so zunehmend seine ordinären Funktionen und wird geschwächt. Das hat nicht nur innenpolitische Folgen. Auch in der Außenpolitik wird der Handlungsspielraum für die Republik Makedonien immer enger. Die angestrebte Mitgliedschaft in der EU und der NATO ist aufgrund des Streits um den Namen „Makedonien“ durch Griechenland blockiert. Durch die innenpolitische Situation wird die Position Griechenlands gestärkt. Die Unterstützung der Republik Makedonien durch andere Staaten sinkt. Es besteht überhaupt die Gefahr, dass sie unabhängig vom Agieren Griechenlands, ihre Chancen auf eine Mitgliedschaft in der EU und der NATO aufgrund ihrer innenpolitischen Situation verspielt. Doch auch eine mögliche Lösung des Streits um den Namen „Makedonien“ erfordert einen breiten gesellschaftlichen und politischen Konsens. Unbedingte Voraussetzung hierfür ist eine funktionierende politische Kultur und ein funktionierender, stabiler Staat. Dies kann nur, wie es in der makedonischen Verfassung verankert ist, durch einen funktionierenden souveränen, selbständigen, demokratischen und sozialen Rechtsstaat gewährleistet werden.

Lösungsansätze

In der makedonischen Politik sind ein Mentalitätswechsel und ein Neuanfang dringend erforderlich. Diese können nur von der makedonischen Gesellschaft selbst ausgehen und nicht erzwungen werden. Der Rahmen wird an sich durch die Verfassung sehr gut vorgeben, jedoch bisher ungenügend ausgefüllt. Zwischen rechtlicher Theorie und politischer Praxis besteht eine große Kluft. Diese Kluft kann nur durch die maßgeblichen politischen Parteien, unter Beteiligung der makedonischen Gesellschaft, überwunden werden. Das setzt die ernsthafte Bereitschaft voraus, die bestehenden Probleme zu lösen und den politischen Gestaltungsspielraum verantwortungsvoll zu nutzen. Dass dies möglich ist, haben die maßgeblichen politischen Parteien, die makedonische Gesellschaft und der Staat im Jahre 2001 gezeigt. Im Dezember 2000 brach ein bewaffneter Konflikt zwischen ethnischen bzw. slawischen und albanischen Makedoniern aus. Bereits seit der Unabhängigkeit der Republik Makedonien im Jahr 1991 strebten die albanischen Makedonier, welche einen Anteil von rund 25 Prozent an der Gesamtbevölkerung stellen, die Anerkennung als konstitutive Volksgruppe, eine angemessene Beteiligung an der makedonischen Staatsgewalt und mehr kulturelle Rechte, etwa die Verwendung der albanischen Sprache im amtlichen Verkehr und in Schulen, an. Zum Teil gingen die Forderungen weiter, etwa nach einer Föderalisierung der Republik Makedonien. Die makedonische Mehrheitsbevölkerung, die ethnischem bzw. slawischen Makedonier, verwehrten dies. Zwar sind alle ethnischen Gemeinschaften formell gleichberechtigt, doch gab es in der gesellschaftlichen und politischen Praxis eine andere Realität. Daran änderte auch die durchgehende Beteiligung einer albanisch-makedonischen Partei an der Regierung nichts. Durch den ethnischen Krieg im Kosovo und der dortigen Intervention der NATO kam es auch in der Republik Makedonien zu einem bewaffneten Konflikt, der allerdings stark auch von der Entwicklung des Kosovo beeinflusst wurde. Hier hätte tatsächlich ein langjährige bewaffneter Konflikt und eine Erodierung des Staates drohen können. Unter Vermittlung von EU und USA, aufgrund der Vernunft der politischen Parteien, der Ethnien in der Republik Makedonien und eines entsprechenden Konsens in der makedonischen Gesellschaft konnte dieser Konflikt durch das Rahmenabkommen von Ohrid, welches am 13.08.2001 unterzeichnet wurde, erfolgreich beigelegt werden. Unterzeichner dieses Abkommens waren die damaligen Vorsitzenden der IMRO-DPMNE, der SDSM, der „Albanisch Demokratische Partei“ (DPA) und  der „Partei der demokratische Prosperität“ (Partija za Demokratski Prosperitet / PDP bzw. Partie e Prosperitetit Demokratik) sowie der damalige makedonische Staatspräsident Boris Trajkovski. Das Rahmenabkommen, welches zunächst nur eine politische Absichtserklärung war, wurde anschließend staatsrechtlich implementiert. Des geschah durch eine umfangreiche Reform der Verfassung und der Gesetze der Republik Makedonien. Auch wenn immer noch Kritik an der Rahmenvereinbarung von Ohrid geübt wird und Verbesserungen durchaus erstrebenswert sind, ihren Zweck hat diese Vereinbarung voll erfüllt. Die Republik Makedonien wurde befriedet und die Situation der ethnischen Gemeinschaften durch weitgehende Rechte auch in der Realität verbessert.

Das Format von Ohrid findet im Prinzip schon Anwendung, in dem unter Vermittlung der EU und der USA die vier maßgebliche Parteien der Republik Makedonien wieder miteinander verhandeln. Neben der IMRO-DPMNE und SDSM auf ethnisch- bzw. slawisch-makedonischer Seite sind dies auf albanisch-makedonischer Seite die DPA (albanisch: DPSH) und jetzt die DUI (albanisch: BDI). Sie unterzeichneten im Juni und Juli 2015 auch Vereinbarungen zur Beendigung der politischen Krise (Vereinbarung von Pržino), welche konkrete Maßnahmen beinhalten. Allerdings wurden diese Vereinbarungen nicht ernsthaft umgesetzt. Das ist der Gegensatz zur relativ erfolgreichen Krisenbewältigung von 2001. Dieses Mal fehlt es den politischen Parteien und Akteuren an dem entsprechenden Willen und an Verantwortungsbewusstsein. Offensichtlich wiegen die Interessen von einzelnen Parteien, Akteuren und bestimmten gesellschaftlichen Gruppen noch schwerer als die Interessen und das Wohl aller makedonischen Bürgerinnen und Bürger der Republik Makedonien. Nur aufgrund von massiven Drucks von Außen kam es überhaupt zu einer halbherzigen Bewegung in die richtige Richtung. Doch ist dies ein Pyrrhussieg, wenn keine entsprechende Überzeugung dahinter steht. Vielleicht führt erst eine Verschärfung der Krise zu einem Umdenken. Im Jahr 2001 stand die Republik Makedonien kurz vor einem ethnisch bedingten Bürgerkrieg. Es sollte auf keinen Fall erst zu einem politisch bedingten Bürgerkrieg kommen müssen. Wenn erfolgreich ein Interessenausgleich zwischen den makedonischen Ethnien möglich war, dann sollte ein entsprechender Ausgleich auch zwischen politischen Parteien, Akteuren und anderen gesellschaftlichen Gruppen möglich sein.

Die Lösung der Staatskrise erfordert allerdings die ernsthafte Bereitschaft zu einem Mentalitätswechsel und Neuanfang. Es bedarf hierfür einer neuen Kultur von Politik und Recht. Die maßgeblichen politischen Parteien der Republik Makedonien, die IMRO-DPMNE, SDSM, DPA und DUI, müssen, unter aktiver Beteiligung der makedonischen Gesellschaft, so schnell wie möglich bereit sein und entsprechende Verhandlungen aufnehmen. Auch die Bildung einer Übergangsregierung aus diesen vier Parteien wäre sinnvoll und zielführend. Am Ende der Verhandlungen sollte eine Rahmenvereinbarung stehen, die von den Parteien und der makedonischen Gesellschaft in einem möglichst breiten Konsens getragen wird. Diese Vereinbarung muss auch staatsrechtlich implementiert werden, wie seinerzeit das Rahmenabkommen von Ohrid. Am Ende dieses Prozesses sollten faire Wahlen und damit der Übergang zu einer funktionierenden demokratischen, politischen, rechtsstaatlichen, pluralistischen und sozialen Kultur stehen.